Es gibt einen fast unangreifbaren Mythos in der radikalen Linken, der besagt, daß die Auseinandersetzung mit FaschistInnen, oder zumindest die direkte Konfrontation mit ihnen, nur mit Militanz zu führen sei. So kommt es, daß die einzige relevante politische Kraft, die bei Nazi-Aufmärschen und faschistischen Versammlungen nicht nur daneben steht, sondern versucht diese mit direkten Aktionen zu verhindern, derzeit die Antifa-Szene darstellt.
Aus der Graswurzelszene gibt es zwar einige gute Konzepte für antirassistischen Kampf (z.B. ziviler Ungehorsam gegen Abschiebeknäste) oder zur Bekämpfung faschistischer Infrastruktur (z.B. Nazi-Zeitungsboykott). Was die Verhinderung von Nazi-Veranstaltungen angeht, so gab es bisher allerdings (so weit ich weiß) weder überzeugende Konzepte noch gewaltfreie Handlungsansätze.
Doch diese Situation kommt nun in Bewegung. Aus dem tiefsten Bayern kommen einige neue Anstöße und Ideen, die für die gewaltfreie Bewegung ungeahnt neue Handlungsspielräume eröffnen.
Wer hätte geglaubt, daß es eine Initiative wagen würde einen Nazi-Kongreß, zu dem 5 000 FaschistInnen erwartet wurden, mit einer gewaltfreien Blockade verhindern zu wollen?
Die Vorstellung, faschistische Schläger mit einer Sitzblockade von ihrem sogenannten ‘Deutschlandfest’ abzuhalten, erscheint wohl selbst geübten SitzblockiererInnen als mehr oder weniger wahnsinnig. So ging es mir auch, doch ich habe in Passau trotz so mancher Enttäuschung auch sehr positive Erfahrungen mit diesen Ansatz gemacht und glaube inzwischen, daß Sitzblockaden den antifaschistischen Kampf in Zukunft sehr bereichern könnten.
Passau, eine kleine Stadt im Dreiländereck zu Tschechien und Österreich, hat eine lange Geschichte faschistischer Großveranstaltungen. Bereits seit 16 Jahren hält die Deutsche VolksUnion ihre jährlichen Parteikongresse in der Passauer Nibelungenhalle ab – einem Gebäude, das aufgrund seiner faschistischen Architektur ganz im Stile seiner jährlichen BesucherInnen ist.
Seit langer Zeit schon gibt es in Passau sowohl bürgerlichen Protest in Form von Unterschriftenlisten oder Prozessen wie auch Antifa-Demonstrationen, die jedoch allesamt die Nazi-Großveranstaltungen nicht verhindern konnten.
Am 7. Februar diesen Jahres schließlich trafen sich zum ersten Mal auch die Nationaldemokratische Partei Deutschlands und ihre Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten in Passau. Die NPD/JN kann als die zur Zeit gefährlichste faschistische Organisation Deutschlands bezeichnet werden. Sie besitzt weitreichende Kontakte zur militanten Nazi-Szene und anderen rechtsradikalen Gruppierungen. Einen großen Teil ihrer Mitglieder rekrutiert sie aus bereits verbotenen Parteien, ist also in ihrer Funktion ein Sammelbecken für Nazis aller Art. Im Gegensatz zur DVU, die vorwiegend aus Altnazis besteht, fand in der NPD/JN ein Generationswechsel statt, so daß die große Mehrheit der 4 000 TeilnehmerInnen jünger als 30 Jahre war.
Neben den herkömmlichen Protest- und Widerstandsformen entwickelte sich dieses Jahr aufgrund einer spontanen Initiative die ‘Passauer Aktion Zivilcourage’, deren Konzept der gewaltfreien Blockade eine überwältigende Resonanz erfuhr und über Wochen die Diskussionen in Passau beherrschte. Die Initiative begann ihre Aktion mit einem Aufruf zur gewaltfreien Blockade, für den sie innerhalb kürzester Zeit 100 lokalprominente ErstunterzeicherInnen fand – von Mitgliedern des Stadtrats über GewerkschaftssekretärInnen bis zu Kirchenleuten und Studiendirektoren war alles dabei. Die PAZ setzte auf Breite und den Minimalkonsens der Verhinderung der NPD-Veranstaltung. Dies war sehr erfolgreich, doch auch problematisch: es führte dazu daß auch ein Stadtrat der rechtsökologischen ÖDP und ein Landtagsabgeordneter der CSU den Aufruf unterschrieben. Der CSU-Mensch allerdings zog seine Unterschrift später zurück – er hatte sie ohne aufzupassen auf einer Sylvesterparty gegeben…
Innerhalb weniger Wochen gelang es der PAZ 2 000 Unterschriften unter ihrem Aufruf zu sammeln (!). Die Diskussion in der Lokalpresse überstürzte sich in Artikeln über zivilen Ungehorsam, seine Legitimität und strafrechtliche Bemessung und die Folgen der Aktion. Gewaltfreie Aktion und ziviler Ungehorsam wurden von tausenden Menschen diskutiert, die normalerweise brav und gesetzestreu sind. Der Aufruf hat die Diskussion über Widerstand gegen den NPD-Kongreß wohl deswegen so sehr angeheizt, weil er ganz normalen BürgerInnen eine attraktive Möglichkeit zum Eingreifen jenseits von Zuschauen und militantem Widerstand anbot. In der großen Resonanz auf den Aufruf bestätigt sich, daß gewaltfreie Sitzblockaden die ideale Aktionsform sind, um gesetzestreue BürgerInnen in großer Anzahl zum Eingreifen und Gesetze überschreiten zu bringen.
Enttäuschend war schließlich die sehr geringe Teilnahme von Passauer BürgerInnen an der Aktion und deren fehlende Entschlossenheit. Bis auf eine Steh- und zwei Sitzblockaden, die allessamt von einer kleinen Gruppe angestoßen wurden, gab es ausschließlich autonome Blockaden, die mit großer TeilnehmerInnenzahl auch recht erfolgreich waren. Die geringe Teilnahme der BürgerInnen kann allerdings angesichts der in Passau praktisch nicht existenten Widerstandskultur und der nachlässigen Vorbereitung der Blockade nicht überraschen. Als Vorbereitung verteilte die PAZ lediglich einige Handzettel zum geplanten Ablauf der Blockade. Die UnterzeichnerInnen wurden weder zur Bildung von Bezugsgruppen aufgerufen noch hatten sie die Möglichkeit sich mit Aktionstrainings auf die Blockade vorzubereiten. Wieviel Anstrengungen und Vorbereitung es bedarf, um damit unerfahrene Menschen zum sitzblockieren zu bringen, das ist aus den Erfahrungen im Wendland bekannt. Für die große Sitzblockade ‘X-tausend-mal quer’ wurden monatelang Absprachen getroffen, Aktionstrainings durchgeführt und SprecherInnenräte durchgeführt. Angesichts dessen erscheint es geradezu naiv, daß die PAZ nur aufgrund der großen Resonanz auf ihren Aufruf mit mehreren tausend TeilnehmerInnen rechnete und hoffte, die Veranstaltung real verhindern zu können. So hoffnungsvoll die Resonanz auf den Aufruf war, so schade ist es, daß die OrganisatorInnen der PAZ nicht wußten, wie sie unentschlossenen Menschen helfen können, die Blockade auch wirklich durchzuführen.
Mit den wenigen gelaufenen gewaltfreien Blockaden allerdings konnten einige Erfahrungen gemacht werden, die zeigen, was möglich ist und wo die Grenzen liegen.
Die erste Blockade fand im Stehen mit ca 20 Leuten auf dem Weg zum Haupteingang statt. Es gelang eine enge Stelle dichtzumachen und, da die Polizei nicht einschritt, mußte eine größere Gruppe FaschistInnen umdrehen. Erstaunlicherweise kam es nicht zu Handgreiflichkeiten – vielleicht weil die Nazis ohne Probleme einen Seiteneingang nehmen konnten.
Um dies zu verhindern und um die direkte Konfrontation zu verhindern wurde als nächstes ein Reisebus bei der Einfahrt auf den Parkplatz von ca 100 Leuten blockiert, von denen sich aber nur 20 hinsetzten. Wahrscheinlich aufgrund der Polizeipräsenz und weil sie in der Minderzahl waren blieben die FaschistInnen recht lange ratlos in ihrem Bus und mußten schließlich umdrehen.
In der Zwischenzeit fanden an anderer Stelle schon sehr große und aufgeheizte autonome Blockaden statt. Wir gingen mit einer Gruppe von ca. 15 Leuten auf eine öffentliche Straße und veranstalteten eine weitere Sitzblockade vor zwei Nazibussen. Etwas euphorisiert von dem vorherigen Erfolg waren wir dabei allerdings recht leichtsinnig. Wir blockierten an einer Stelle, wo weder Polizei noch größere Mengen NazigegnerInnen waren. So dauerte es nur wenige Minuten bis aus dem Bus ein glatzköpfiger Schlägertrupp kam und uns mit Fäusten und Tritten vertrieb. Dabei gab es eine Verletzte.
Abschließend läßt sich sagen, daß es bei anwesender Polizei und großer BlockiererInnenzahl einige Spielräume für Sitzblockaden gibt. Blockiert werden können nicht nur die Eingänge der Halle und die Busse der Nazis. In Passau saßen einige Nazi-Busse lange im Stau fest, der durch die Aktionen auf der Straße verursacht wurde und dieser Ansatz könnte in Zukunft auch weiter verfolgt werden. Ich bin mir sicher daß die PAZ in Zusammenarbeit mit Trainingskollektiven und gewaltfreien Aktionsgruppen aus den gemachten Erfahrungen ein sehr effektives gewaltfreies Blockadekonzept gegen FaschistInnen entwickeln könnte. Mit dem überaus erfolgreichen Blockadeaufruf wurde ein Grundstein gelegt, der nun weiterentwickelt werden sollte. Der nächste Kongreß der DVU steht schließlich schon im Herbst an.
Ein solches Blockadekonzept wäre ein Meilenstein für die Entwicklung gewaltfreier Aktion, denn es könnte den Mythos aufsprengen, daß die direkte Konfrontation mit Nazis nur mit Militanz zu führen sei.
Kontakt
PAZ
c/o Eleonore Stern
Unterer Sand 15
94032 Passau
Tel.: 0851/31140