häuserkampf

42 Tage gelebte Anarchie

Leute, bleibt heiter, der Häuserkampf geht weiter!

| Niko

Eine Ratssitzung kann schon sehr erheiternd sein, vor allem dann, wenn es wie am 9. Februar in Münster, um die Zukunft eines besetzten Gebäudes geht. „Wo kommen wir denn da hin, wenn sich jeder nimmt, was er braucht?“ gab die FDP-Fraktion zu bedenken und appellierte an die im Gleichtakt nickenden Ratsmitglieder: „Dieser neue Stil von Politik muß verhindert werden!“. Die CDU kam ähnlich weise daher und stellte fest: „Münster ist nicht Prenzlauer Berg“. Ein jungdynamischer Karrierist aus den Reihen der SPD meinte gar zu wissen: „Die Zeiten des Häuserkampfes sind vorbei!“. Angesichts des Tenors, die Besetzung ausschließlich als Rechtsbruch zu behandeln, ließ es sich der einzige Abgeordnete für die PDS nicht nehmen, Bert Brecht mit den Worten: „Was ist das Ausrauben einer Bank im Verhältnis zu ihrer Gründung“, zu zitieren, was mißbilligendes Raunen und Schnaufen im Festsaal hervorrief. Das „politische Engagement der jungen Menschen“ würdigend sahen die Grünen in dem „sozialen Experiment ‚autonomes Zentrum‘ “ eine „Chance für den Abbau von Politikverdrossenheit“ und äußerten die „Befürchtung vor dem Verlust von Wahlbeteiligung im Hinblick auf die Landtagswahlen“. Das belustigende und doch so bittere Kasperle-Theater mündete jedenfalls erwartungsgemäß in dem Beschluß, einen „zügigen Rückbau“ des Gebäudes, inklusive aller dafür erforderlichen Maßnahmen, vorzunehmen. Der Antrag der Grünen „bis zur Realisierung des Neuordnungskonzeptes das Gebäude der Uppenbergschule bestehen zu lassen, um es für soziale und kulturelle Zwecke übergangsweise zur Verfügung stellen zu können“, wurde mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.

Der Rat offenbarte mit dieser Sitzung sehr anschaulich seine pseudodemokratische Funktion des Absegnens von Entscheidungen, die lange vorher und an anderen Orten getroffen werden. Weder die Demonstration noch die an den Oberbürgermeister höchst persönlich überreichten 1264 Unterschriften für den Erhalt der Uppenbergschule als selbstverwaltetes Zentrum und auch nicht die Verhandlungsbemühungen seitens der BesetzerInnen konnten an der politischen Entscheidung, den Freiraum zu zerstören, etwas ändern.

Am 10. 02. 2000 um 6.00 Uhr morgens, also keine 12 Stunden nach dem Ratsbeschluß, wurden die BesetzerInnen von über 200 Polizisten in voller Montur gezwungen, die besetzte Uppenbergschule zu verlassen. Gefangenentransporter und Bauarbeiter eines Abrißunternehmens standen planmäßig bereit und warteten auf ihren Einsatz. Im Anschluß an die Räumung demonstrierten spontan 100 wütende und traurige Menschen und legten für ca. eine Stunde den Berufsverkehr lahm. Als die Demo wieder am Haus ankam, war mit dem Abriß bereits begonnen worden.

Die Idee der Besetzung war mit der Tatsache gereift, daß in Münster ein Raum fehlt, in dem sich Menschen fernab des Konsum- und Verwertungswahns treffen und ihre Träume und Utopien leben können. Es gibt viele linke und linksradikale Gruppen und Initiativen in Münster, die wohl am Rande voneinander wissen, sich untereinander und die jeweiligen Schwerpunktthemen aber kaum kennen. Es sollte ein selbstverwaltetes Zentrum entstehen, in dem die Möglichkeit für den Austausch und die Vernetzung der jeweiligen Widerstände und Kämpfe besteht. Die Idee war auch, Menschen mit dem Zentrum anzusprechen, die zwar in keiner Gruppe aktiv, aber politisch interessiert und engagiert sind. Oft ist es schwer, in die bestehenden Strukturen reinzukommen, vor allem, wenn mensch neu ist, sich nicht traut, Leute anzusprechen oder einfach nicht weiß, an wen mensch sich wenden kann. Es gab jedenfalls und es gibt immer wieder viele gute Gründe, für Freiräume zu kämpfen. Anfang 1999 bildete sich eine Initiative für ein Libertär Unabhängiges Zentrum (LUZI), die sich über mehrere Monate traf, Ideen sammelte und konkretisierte. Gegen Jahresende waren einige Leute auf die ehemalige und leerstehende Uppenbergschule aufmerksam geworden. Das schöne 128 Jahre alte Gebäude sollte nach den Plänen der Stadt und im Einverständnis aller Ratsfraktionen inklusive Grüne abgerissen werden und einem Parkhaus oder einem modernen Luxuswohnkomplex weichen. Konkrete Bebauungspläne gab es jedoch bisher nicht. Es zu besetzen hieß, sich gegen die profitorientierte Umstrukturierungspolitik der Stadt zu wehren und diesen, mit vielen AnwohnerInnen geteilten Widerstand mit der Idee für ein Zentrum zu verbinden.

So kam es, daß im Anschluß an die alljährliche Knastkundgebung in der Silvesternacht einige Dutzend Menschen unbemerkt in die Uppenbergschule zogen und ein Transparent mit der Aufschrift „Besetzt!“ aus dem Fenster hingen. Die unspektakuläre Aktion, der nur eine kurzfristige Planung voraus gegangen war, wurde erst eineinhalb Tage später von der Polizei bemerkt. Nach einer Woche Leben in akuter Räumungsgefahr teilten Vertreterinnen der Stadtverwaltung den überraschten BesetzerInnen mit, daß sie bis zur Ratssitzung am 9.Februar geduldet seien und garantierten ihnen Straffreiheit. Damit hatte keineR gerechnet. Und noch unglaublicher schien die geäußerte Bereitschaft der Stadt, über eine Anfrage beim Liegenschaftsamt nach einer Ersatzimmobilie zu suchen.

Keinerlei Verhandlungsbereitschaft bestand allerdings über eine längerfristige Nutzung der Uppenbergschule. Aber um genau dieses Gebäude ging es den BesetzerInnen; es war ihnen mit jedem Tag und jeder neuen bunten Wand ein Stückchen mehr ans Herz gewachsen.

So unglaubwürdig wie die Verhandlungsbereitschaft schien, war sie dann auch. Nachdem die VertreterInnen der Stadt bei dem von ihnen angesetzten Verhandlungstermin am 1. Februar nicht gekommen waren, flatterte zwei Tage später ein Brief ins Haus, der den BesetzerInnen eine Strafanzeige mit der Folge einer Zwangsräumung in Aussicht stellte, wenn die Uppenbergschule bis zum 14. Februar nicht „freiwillig geräumt“ sei.

42 Tage und Nächte lang gab es in Münster einen Freiraum, der von vielen unterschiedlichen Menschen lebendig gefüllt und gestaltet wurde. Viele politische Gruppen hatten ihre Plena aus Solidarität und Unterstützung und nicht zuletzt aufgrund der vorhandenen Räumlichkeiten in die Uppenbergschule verlegt. Für jede Woche wurde ein vielseitiges Veranstaltungsprogramm zusammengestellt, das von allen mitgestaltet werden konnte. Neben dem täglichen Info-Café und den offenen NutzerInnen-Plena fanden Tag für Tag spannende Veranstaltungen und schöne Feste statt. Ich erinnere mich z.B. gerne an den vom Verein für politische Flüchtlinge organisierten Interkulturellen Musizierabend oder an die strahlenden Augen eines FAU-Genossen, als bei der Esperanto-Infoveranstaltung ganz viele neue Gesichter auftauchten und dabei eine Esperanto-Lerngruppe geboren wurde. Das Umweltzentrum und der Infoladen Bankrott wechselten sich mit Büchertischen ab und die VoKü-Gruppe kochte leckeres Essen für kleines Geld. Parties und Konzerte von solidarischen Bands waren ein guter Anlaß für viele Neugierige, mal vorbeizuschauen. Petzi und Jockl lasen Gedichte und Kurzgeschichten und der Liedermacher Baxi gab vor dem freudig überrachten Publikum den „Uppenbergsong“ zum Besten. Auch das legendäre münsteraner Kabarettensamble „Der Blarze Schwock“ glänzte mit Auftritten, um nur einige Highlights aus der langen Liste von Veranstaltungen zu nennen.

Das Interesse und die Solidarität, die den BesetzerInnen und ihrem Projekt entgegengebracht wurde, war überwältigend groß und bestätigte die Notwendigkeit eines solchen Zentrums. Zahlreiche Menschen aus Münster unterstützten das Projekt und halfen wo sie konnten: Eine Bäckerei schenkte regelmäßig Brot, das Kneipenkollektiv der ehemals besetzten Frauenstr. 24 spendete pro Getränk einen „Soligroschen“, der Kiosk um die Ecke versorgte die BesetzerInnen mit Chips, ein Kopierladen bot kostenloses Kopieren von Flugblättern an und eine Druckerei berechnete für den Druck des Demo-Plakates lediglich die Materialkosten.

Leute aus vielen Städten von Amsterdam bis Berlin besuchten die Uppenbergschule und erzählten von ihren Erfahrungen mit dem Kampf für selbstbestimmte Räume. Freude und Kraft gaben auch die vielen solidarischen Grüße und Briefe anderer autonomer Projekte und Zentren, so z.B. von der „Roten Flora“ aus Hamburg, der „Köpi“ aus Berlin, dem „JUZI“ aus Göttingen und der AZ-Gruppe in Köln, die in einer Solidaritätserklärung schrieb: „In einer Zeit, in der selbstbestimmter Lebens- und Arbeitsraum zugunsten einer konsumorientierten Freizeitmaschinerie immer mehr zerstört wird, und die Schaffung von neuen autonomen Freiräumen vielfach als utopisch betrachtet wird, ist euer bisheriger Erfolg ein deutlicher Lichtblick.“ Oder die mutmachenden Worte des „Druckluft“ aus Oberhausen: „Wir haben auch nicht viel anders angefangen… Initiative brauchte Räume, suchte Gebäude, bekam Nutzungsvertrag von Stadt, viel viel Arbeit… usw. Und 1999 haben wir dann unseren 20. Geburtstag gefeiert.“

Jedes Danach ist ein Davor!

Auch wenn das Gebäude zerstört werden konnte, so werden doch die Utopien, die darin verwirklicht wurden, weiter leben. Weiter leben werden viele Kontakte und Freundschaften, die in der Uppenbergschule aufgebaut wurden. Weiter leben wird auch die Erinnerung an ein Zentrum, in dem sechs Wochen lang ein kulturelles und politisches Programm auf die Beine gestellt wurde. Es wurde zusammen diskutiert, gelacht, geweint, gefeiert und getanzt und erfahren, wie wichtig selbstbestimmte Räume sind.

Die Zeiten des Häuserkampfes sind ganz und gar nicht vorbei, wie es uns die PolitikerInnen glauben machen wollen. Die politische Aktion der Besetzung ist ein Ausdruck für die Überzeugung, daß alles allen gehört und daß es legitim und richtig ist, sich die Räume zu nehmen, die wir brauchen. Der Kampf um freie Räume ist ein Kampf, der von vielen Menschen in vielen Städten seit langem geführt wird und von einigen, wie z.B. in Münster und Heidelberg, wiederentdeckt wird. Ein Freund aus dem Wendland schrieb in das BesetzerInnen-Buch:

„Zu schön um wahr zu sein? Vielleicht zu schön und wahr um zu bleiben, doch:
1. Es ist schön und wahr!
2. Es wird immer schön und wahr gewesen sein!
3. Es kann immer wieder schön und wahr werden!“

In diesem Sinne, Leute bleibt heiter, der Häuserkampf geht weiter!