Frankfurt, Uni-Campus am Freitag, 10. Mai, 9 Uhr: Bei leichtem Nieselregen kümmert sich eine Handvoll Leute darum, die Spuren der sommerlichen ersten Kongressnacht vor dem Cafe KoZ des Studierendenhauses zu beseitigen. Während die Müllsäcke beiseite geschafft werden, dampft es schon vielversprechend aus dem Riesentopf, den die Maulwürfe aus Freiburg in ihrer Außenküche aufgestellt haben: nur noch wenige Minuten bis zum morgendlichen Kaffeeduft. Zwei frühstückshungrige Teilnehmer helfen, einen halben Sack Brote aufzuschneiden.
Bald ist es vorbei mit der Beschaulich- und erfreulicherweise auch mit der Feuchtigkeit.
Die TeilnehmerInnen kommen von ihren Schlafquartieren, frühstücken und stürzen sich ins Kongressgewühl. Über 800 Menschen sind der Einladung zum Internationalismuskongress am Main gefolgt. Der Kongress ist gleichzeitig Jubiläumskongress der BUKO (Bundeskoordination Internationalismus), die bis vor wenigen Monaten unter dem Namen Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen auf 25 Jahre Solidaritätsarbeit und Internationalismus zurückblicken kann (vgl. GWR 268). Auf dem Programm steht eine Podiumsdikussion zur Frage von Öffentlichkeitsarbeit und Gegenöffentlichkeit.
Gegenöffentlichkeit gestern und heute
Der Festsaal des Studierendenhauses ist voll. Die Diskussion auf dem Podium dreht sich um Wege an die Öffentlichkeit, um die Struktur der Medienlandschaft und ihrer Politik, über linke Strategien gestern und heute.
Die große Mehrheit der VeranstaltungsteilnehmerInnen stimmt Katharina Pühl aus dem Fachgebiet Frauen und Geschlechterforschung an der Universität Kassel in ihrer kritischen Einstellung gegenüber dem Glauben an einen Pluralismus der bürgerlichen Medien zu. Sie plädiert für Freiräume, eine eigene Praxis zu entwickeln, ohne sich sofort an Effizienz zu messen. Konkrete Praxis bringen sowohl Peter Wahl von attac als auch Winni Medina von indymedia und nicht zuletzt Mark vom Pink Silver (vgl. GWR 269) ins Spiel. Während attac offensiv auf die Medien zugeht und sich im „Krieg um die Köpfe” mit fernsehgerechten Aktionen, mit professioneller Pressearbeit und Präsenz präsentiert, wollen die AktivistInnen aus dem Pink Silver Spektrum mit einem bunten Spektakel gerade solche Wege in Frage stellen. So bewusst schräg sie daherkommen und auf eigene Pressearbeit verzichten, so sehr legen sie Wert auf die Prozesse innerhalb der Pink Silver-Blöcke, in denen die beteiligten Menschen die zentrale und gestaltende Rolle spielen. In der Diskussion wird deutlich, dass viel Skepsis gegenüber der Medienstrategie von Attac besteht, wenn auch ihre Erfolge zu denken geben müssen. Offen für Experimente zu sein, ist dagegen für viele TeilnehmerInnen eine wichtige Perspektive eigener Öffentlichkeitsarbeit. Als einen Rahmen und eine neue Struktur von Gegeninformation stellt Winni Medina das Projekt indymedia vor. Die Form des „open posting” für alle, die eigene Texte ins Internet stellen möchten, erfordert sowohl kritische ProduzentInnen von Information als auch kritische KonsumentInnen.
Arbeitsgruppen in großer Vielfalt
Am Nachmittag finden dann rund 15 Arbeitsgruppen statt, angeboten von TeilnehmerInnen und den einladenden Gruppen. Die Themen reichen von politischer Theorie bis zur konkreten Praxis einzelner Kampagnen und Soligruppen. Sie thematisieren u.a. fairen Kaffeehandel, Privatisierung von Wasser oder die Internationalisierung des Widerstands.Hier funktioniert Vernetzung praktisch: Schon vor dem Arbeitskreis zu Biopiraterie und Widerstand zeigt eine Initiative aus Kiel einen Film über Biopiraterie in Chiapas. Die meisten der ZuschauerInnen bleiben zum anschließenden Arbeitskreis und legen nochmal 3 Stunden konzentrierter Diskussionen hin. Im Arbeitskreis wird die Patentierung von Leben, die Aneignung und Vermarktung von natürlichen Ressourcen problematisiert. Die bereits geplanten Aktivitäten einer Kampagnengruppe gegen Biopiraterie stoßen auf größtes Interesse und viele der TeilnehmerInnen tragen sich gleich in eine Mitmachliste ein. Schon am nächsten Vormittag ist der größte Teil diese Gruppe wieder beim Pläneschmieden in einem spontan zur Verfügung gestellten Raum anzutreffen.
An historischem Ort höchste Aufmerksamkeit für Israel-Palästina
Für einen Höhepunkt des Kongresses mussten alle einen kleinen Spaziergang auf sich nehmen: Die Veranstaltung „Wege aus der Sackgasse – Der Nahostkonflikt und die Solidaritätsbewegung” findet im Casino des IG-Farben-Hauses statt. Alle, die Interesse an der Geschichte dieses Gebäudes haben, konnten schon am späten Nachmittag an einer Führung teilnehmen.
Rund 800 Menschen sitzen und stehen schließlich im Saal und verfolgen die Beiträge der Gäste Aida Touma Souliman (Geschäftsführerin der arabischen Frauenrechtsorganisation; Women against Violence; und Mitglied der Kommunistischen Partei Israels), Moshe Zuckermann (Historiker und Autor aus Tel Aviv) und Sabah Alnasseri (Politologe, Frankfurt/Main).
Die Diskutierenden sehen ihre schlimmsten Befürchtungen durch die Realität übertroffen, eine politische Lösung des Krieges in Israel und Palästina sei aussichtsloser denn je. Aber gleichzeitig die einzige Chance.
Moshe Zuckermann findet Worte harter Kritik an der Unterdrückungs- und Besatzungspolitik Israels gegen die Palästinenser, gibt aber auch Einblicke in die israelische Situation, die für viele neu sind: Die Siedler in den besetzten Gebieten berufen sich auf religiöse Bestimmung und sind kaum zur Umkehr zu bewegen. Die Siedlungsbewegung hat in der israelischen Gesellschaft viele UnterstützerInnen. Die Gefahr eines Bürgerkrieges in Israel wäre groß, sollten sich bei einer Entscheidung zur Räumung der Siedlungen Hardliner verschanzen und gar das Militär eingreifen.
Aida Touma Souliman betont, dass eine Lösung nicht von den Palästinensern ausgehen könne, in einem ungleichen Kampf, in dem die Palästinensische Autonomiebehörde ihrer Infrastruktur beraubt sei. Erfolgreiche Dialogansätze sind in der jetzigen Situation zerstört. Die israelische Friedensbewegung ist noch keine relevante Akteurin.
Die hiesige Linke ist an dieser Frage gespalten wie nie zuvor. Die Vorbereitungsgruppe hat sich ausgiebig über den Umgang mit möglichen Aggressionen bei diesem Thema auseinandergesetzt. Die Veranstaltung verlief friedlich, aber auch an diesem Abend wurden aus dem Publikum mehrfach scharfe Fragen nach den AdressatInnen der Solidarität gestellt. Für alle Podiumsgäste ist das nicht der Kern der Debatte. Eher sei diese Unsicherheit eine Folge der typisch deutschen Abstraktion von Weltverhältnissen, die nicht auseinanderhalten kann, was Antisemitismus und was Kritik am israelischen Staat ist.
Aufbruchstimmung und vorsichtiger neuer Optimismus
Zum Kongress nach Frankfurt sind so viele Leute wie wohl noch auf keinem BUKO gekommen. Die breit angelegte Werbeaktion für den Kongress machte davon aber nur einen Teil aus. Nach Seattle, Genua und dem 11. September ist Schluss mit der Resignation: Bewegung entsteht und ist notwendig, dabei zu sein ist für viele wieder ein Beitrag.
Der Internationalismuskongress der BUKO ist dabei ein besonders spannender Versuch: Es treffen die „alten Hasen”, die schon viele Jahre Erfahrungen mitbringen auf junge Leute, die sich einmischen wollen in die globalisierungskritische Bewegung. Es wird gerungen um Strategien und Antworten, die über Reförmchen hinausgehen.
Gut besuchte Arbeitskreise, volle Podiumsveranstaltungen und lebendige Nächte vor dem Studierendenhaus machen und belegen eine gute Stimmung. Gleichzeitig ist während des ganzen Kongresses seine Verbesserung ein wichtiges Thema. Fünf zentrale Podiumsdiskussionen an vier Tagen sind für alle zu viel. Mehr Zeit für die Arbeitsgruppenangebote und Experimente steht ganz oben auf dem Wunschzettel für das kommende Jahr.
Nicht immer ist es gelungen, die Themen so aufzuarbeiten, dass EinsteigerInnen den Diskussionen folgen können. Nur ein Arbeitskreis wendet sich gezielt an EinsteigerInnen und findet auch rege Nachfrage.
Da der BUKO auch im kommenden Jahr stattfinden wird, werden jetzt die Erfahrungen zusammengetragen und viele Verbesserungsideen gesammelt. MitstreiterInnen, die helfen, dass aus dem nächsten Kongress noch mehr eine offene Plattform der Begegnung und der Vereinbarungen für Gruppen und Initiativen wird, während Diskussionen und Zielbestimmungen nicht zu kurz kommen dürfen, sind herzlich willkommen.