antifaschismus

„Nothing to worry about“?

Aus Anlass eines "Interviews mit dem jüdischen Philosophen Chomsky" in der National Zeitung

| Alfred Schobert

Die Arbeit über (und gegen) die extreme Rechte bringt es in gewissen Abständen mit sich, einen Stapel der National Zeitung (NaZe) durchzusehen. Für die grundsätzliche Orientierung, was das Blatt des DVU-Anführers Gerhard Frey so treibt, genügt es meist schon, die Schlagzeilen und die roten Kopfzeilen auf der Titelseite zur Serie zusammenzustellen. Hier eine Auswahl aus den Monaten Mai und Juni 2002: „Wieviel Macht hat Israel über uns? Was hinter den Kulissen abläuft“ und „‚Deutschland immer noch besetztes Land‘ – David Irving im Exklusiv-Interview“ (21/02); „Möllemann im Visier Israels“ (22/02); „Wie mächtig sind Juden? Friedmans wahre Vergangenheit“ (23/02)…

„Darf sich Friedman alles erlauben? Wie er die FDP in die Knie zwingen will“ (26/02). Und die rote Kopfzeile lautete: „Warum Israel das Recht bricht“. Angekündigt wurde so – und das konnte doch überraschen – ein „Interview mit dem jüdischen Philosophen Chomsky“. Eine Woche später wurde die Fortsetzung wie folgt angekündigt: „Wer stürzt die Welt in den Krieg? Was ein mutiger Jude enthüllt“ (27/02).

Was hat der Linguist vom MIT, dessen nun schon Jahrzehnte währendes mutiges Engagement gegen die imperiale Politik der USA ihn unbestreitbar zu einem der herausragenden linken Intellektuellen unserer Zeit macht, denn mit der NaZe zu tun? Über seinen Übersetzer baten wir Chomsky um eine Stellungnahme zu dem Vorgang. Chomsky erinnert sich nicht daran, jemals von der NaZe gehört zu haben. Er habe kein Interview mit ihr geführt und schloss: „So there is nothing to worry about.“ (1) Ist das wirklich so einfach? Warum wehrt sich Chomsky nicht gegen ein seiner Aussage nach gefälschtes Interview in einem rechtsextremen Blatt? Widerspräche dies seiner Interpretation der Meinungsfreiheit? Unabhängig von diesen Fragen muss zudem grundsätzlich gefragt werden, was Chomsky für die extreme Rechte attraktiv macht.

Ein Grundzug in Chomskys politischem Werk und zwei konkrete Interventionen Chomskys haben dazu geführt, dass er zum Gewährsmann in der Publizistik der extremen Rechten geworden ist: Erstens versuchen Teile der extremen Rechten in Deutschland, Chomskys Engagement gegen den US-Imperialismus zu vereinnahmen, gegen den sie auch sind – freilich um von imperialer Politik Deutschlands zu schweigen; einen besonderen Reiz erhält Chomskys Kritik für die extreme Rechte dadurch, dass Chomsky häufig zugleich Israel als „Klientel-Staat“ der USA kritisiert. (2) Zweitens sind selbstverständlich Chomskys Stellungnahmen zugunsten Finkelsteins ein Aufhänger für die extreme Rechte. Drittens schließlich stößt Chomskys Eintreten für die Redefreiheit der Holocaust-Leugner bei der extremen Rechten auf Begeisterung.

Zu den irritierendsten Aspekten der Rezeption des Buches „Die Holocaust-Industrie“ in der Publizistik der extremen Rechten in Deutschland (3) gehörten die positiven Bezugnahmen auf Chomsky. Auch da wurde er in der NaZe (15/01) als „entschiedener Menschenrechtler und Verfechter freier Meinungsäußerung auch für revisionistische Autoren“ gefeiert. Und unter einem Jugendfoto Chomskys schrieb das Hetzblatt weiter: „Nicht zuletzt für die Menschenrechte der Palästinenser hat er sich wiederholt engagiert zu Wort gemeldet.“ Zuvor war Chomsky publikumswirksam für Finkelstein eingetreten. In Die Woche (28.7.2000) erklärte er seine Zustimmung zu Finkelsteins Hauptthese, die im übrigen seit Jahrzehnten seine eigene sei. Der Holocaust werde „seit den späten 60er Jahren ausgebeutet. Und zwar nicht nur zur Rechtfertigung der israelischen Besetzung im Nahen Osten, sondern auch aus innenpolitischen Gründen in den USA (und anderswo im Westen) und schlicht aus vulgärem Karrierismus. Finkelsteins Analyse einer ‚Holocaust-Industrie‘ ist deshalb völlig korrekt.“

Die Holocaust-Leugnung betreibende Strömung innerhalb der internationalen extremen Rechten weiß Chomsky schon seit den 80er Jahren zu schätzen. Der Holocaust-Leugner Germar Rudolf plauderte in den Staatsbriefen (StB) aus, wozu jüdische Autoren und insbesondere linke jüdische Autoren den Nazis dienen (sollen). In seinem Artikel „Semitischer Revisionismus“ (StB 11/1995, S. 25-27) klaubt er sich aus Zeitungsmeldungen einen „jüdisch-israelischen Revisionismus“ zusammen. Repräsentativ dafür steht bei Rudolf an vorderster Front der vor kurzem verstorbene israelische Chemieprofessor und Kritiker der israelischen Besatzungspolitik Israel Shahak. (4) Rudolf Ziel ist, auf längere Sicht, eine Allianzbildung der besonderen Art: „Zarte Kontakte dieser Gruppe kritischer Israelis zu dissidenten Juden in westlichen Ländern aufzubauen, die auch Kontakte zum Holocaust-Revisionismus nicht scheuen, dürfte nicht schwerfallen, zumal die Kritik an der Mythologisierung des Holocaust und an gewissen talmudischen (Miß)-Interpretationen der Tora bei beiden Gruppen identisch sind. Ob diese israelischen Juden dann auch bereit sind, neben den gesellschaftlichen Folgen der Mystifizierung des Holocaust auch die historiographischen zu kritisieren, steht zu wünschen und bleibt abzuwarten“ (StB 11/1995, 26). Zu den Linken, die Kontakte zu den Holocaust-Leugnern nicht scheuen, zählte Rudolf ausdrücklich auch Chomsky.

Welches Interesse der (angebliche) „jüdisch-israelische Revisionismus“ an dieser kruden Allianz haben soll, wird von Rudolf unter der Überschrift „islamisch-arabischer Revisionismus“ behandelt. Es sei nämlich „nicht auszuschließen, daß der Islam das Tor ist, durch den der Holocaust-Revisionismus seinen Siegeszug auch in die westliche Welt antreten wird“ (StB 11/1995, 26). Damit würde „die heute einzige tragfähige Identitätssäule Israels“ zerstört und dem „fundamentalistischen Islam gegen Israel eine tödliche Stoßkraft“ (StB 11/1995, 27) verliehen werden.

Hier setzt dann Rudolfs perverses Spiel ein, demzufolge sich die Holocaust-Leugner als die besten Freunde der Juden erweisen sollen. Es gebe „die Wahl zwischen der unendlichen Lüge hier [womit Rudolf die historische Wahrheit über die Vernichtungslager bezeichnet; AS], dem unendlichen Haß dort und dem Versuch einer partnerschaftlichen Existenz dazwischen“ (ebd.). Rudolf gibt sich optimistisch, dass es „für diesen Weg gemeinsame Ansätze gibt“. Dies zeigten die „jüdisch-israelischen Revisionisten, die wie einst die Propheten den Finger in die schwärende Wunde jüdischer Selbstüberhebung legen und sich damit auf einer Linie befinden mit den sich ebenfalls im Dissens mit der Öffentlichkeit befindenden westlichen und auch den gemäßigt islamisch-arabischen Revisionisten“ (ebd.).

Hans-Dietrich Sander nahm im Laufe der Finkelstein-Debatte diesen Vorschlag Rudolfs wieder auf. Selbstverständlich wies das strategische Originalgenie Sander nicht auf die Vorgängerschaft Rudolfs hin, als er den Kameraden globalisierungskritisch den Weg wies: „Die Unfähigkeit der politischen Klasse, die Lage zu wenden, erstreckt sich tief ins nationale Lager hinein. 1999 hielten die Staatsbriefe strategische Gesprächsrunden in Berlin ab. Ich fand es nach Schröders Wahlprogramm für möglich, die Linken zum Volk zurückzuführen – mit ihm oder gegen ihn, wenn er zu den Globalisierern überlaufen würde, denn die linken Wähler würden die ersten Opfer dieses Verrats werden. Ich schlug vor, Kontakt mit prominenten linken Juden in den USA aufzunehmen, z.B. Noam Chomsky und Norman Finkelstein, und ersuchte Horst Mahler und Reinhold Oberlercher das zu unternehmen, weil sie mit ihrer Vergangenheit den besten Zugang hätten. Sie hielten es für richtiger, die alten Rechten mit einem bornierten Antijudaismus neu aufzumischen. Es wäre nicht auszudenken, wie Deutschland heute aussähe, wenn es gelungen wäre, unsere Ideen, mit den Analysen von Finkelstein und Chomsky verbunden, ins linke Spektrum einzupflanzen. Ob politische Instinktlosigkeit oder Steuerung das verhinderte, ist belanglos.“ (5)

Da die extreme Rechte gezielt Chomsky (und andere Linke) zu vereinnahmen sucht, ist es – erst recht nach den exterministischen Terroranschlägen vom 11. September und dem folgenden „Krieg gegen den Terror“ – um so bedauerlicher, dass in der linken und insbesondere libertären Chomsky-Rezeption seine eben erwähnten überaus problematischen Positionseinnahmen so unkritisch aufgenommen werden. (6) So verkommt die weithin begrüßte Chomsky-Biographie Robert F. Barskys in den Passagen über Chomskys Unterstützung des Holocaust-Leugners Robert Faurisson zur Hagiographie, sieht Chomsky in der Rolle des Opfers einer Kampagne von „Klone[n] von Kommissaren“ (Chomsky) und präsentiert Faurisson mit Foto als „umstrittene[n] französische[n] Forscher“. (7) Ganz nebenbei zitiert Barsky eine Passage aus einem Brief Chomskys, die auch auf das nun erschienene „Interview“ Chomskys in der NaZe ein anderes Licht werfen könnte; vielleicht ist das doch – und zwar grundsätzlich – something to worry about: „In den späten siebziger Jahren zum Beispiel […] war die einzige Zeitschrift, in der ich regelmäßig veröffentlichen konnte, Inquiry, die Zeitschrift des rechtsradikalen Cato-Institute.“ (8)

Statt nun weiter Chomskys fragwürdige Publikationspolitik zu behandeln, möchte ich abschließend lieber den verbleibenden Platz nutzen, um aufbauend auf einer Überlegung Chomskys eine Anregung für die Chomsky-Lektüre zu geben. Für die Rezeption Chomskys in Deutschland (wie auch anderswo außerhalb der USA) liefert sein „grundlegendes moralisches Prinzip“ eine Richtlinie, die politisch vorwärts weisen könnte. Er formulierte es in einem Brief an seinen Biographen: „Das grundlegendste moralische Prinzip müsste dazu führen, die einheimischen Verbrechen im Vergleich zu denen der offiziellen Feinde ‚hochzuspielen‘, das heisst [sic], diejenigen Verbrechen ‚hochzuspielen‘, gegen die man etwas unternehmen kann.“ (9) Folgt man diesem Grundsatz, ginge es nicht lediglich darum, Chomskys Kritik an den USA aufzusaugen, worin sich die Lektüre bei manchen Fans erschöpft, und weiter zu verbreiten; vielmehr wäre sie einzubetten und zu ergänzen durch die Kritik an Deutschland (bzw. des Staates, in dem man lebt) als Partner und Konkurrent der USA. Vor allem zöge man so eine politische Demarkationslinie zu all jenen, die aus teutonischer Motivation die USA kritisieren und sich dabei gelegentlich (aber immer öfter) auch auf Chomsky berufen.

(1) Chomsky schrieb: "About Nationalzeitung, I don't recall having ever heard of them, and did not have an interview with them - surely not in the latter part of June because I had no interviews at all and was mostly away. So whatever appeared there must have been collected by them from some other source - unless, maybe, they are using some other name and are taking something from an earlier interview. So there is nothing to worry about."

(2) Vgl. bspw. Noam Chomsky: Die neue Weltordnung. In: ders. u.a.: Die neue Weltordnung und der Golfkrieg. Grafenau: Trotzdem 1992, 11-38, hier 14.

(3) Vgl. Martin Dietzsch/Alfred Schobert (Hg.): Ein "jüdischer David Irving"? Norman G. Finkelstein im Diskurs der Rechten Erinnerungsabwehr und Antizionismus. Duisburg: DISS 2001.

(4) Aufmerksamen Chomsky-Lesern dürfte Shahak bekannt sein. Weniger bekannt ist, dass Shahak sehr schlecht beraten war bei der Wahl seines deutschen Verlages. Sein Buch "Jüdische Geschichte, Jüdische Religion. Der Einfluß von 3000 Jahren" erschien 1998 im Lühe-Verlag, der der kruden völkischen Ideologie der Ludendorffer verpflichtetet ist.

(5) Hans-Dietrich Sander: Coda. In: StB 3/2001; dok. in Dietzsch/Schobert (Hg.): Ein "jüdischer David Irving"?, 65-66, hier 66.

(6) Chomskys Eintreten für die Redefreiheit der Holocaust-Leugner wurde in dieser Zeitung allerdings kritisiert; vgl. Rael: Eine Frage, Noam Chomsky. Verteidigung eines Auschwitz-Leugners im Namen der Meinungsfreiheit? In: Graswurzelrevolution H. 195 (Feb. 1995), 15; vgl. auch Alfred Schobert: Finkelstein auf den Leim gegangen. In: Graswurzelvolution H. 257 (März 2001), S. 8.

(7) Vgl. Robert F. Barsky: Noam Chomsky. Libertärer Querdenker [engl. zuerst 1997]. Zürich: Edition 8 1999, S. 247.

(8) Brief Chomskys vom 31.3.1995 an Barsky; zit. nach Barsky: Noam Chomsky, S. 224.

(9) Brief Chomskys vom 15.12.1992; zit. Nach Barsky: Noam Chomsky, S. 244.