"'Drei Tornados' bleibt Auftritt im Sportzentrum vorerst verwehrt. Stadt befürchtet Herabwürdigung der Kirche - Netzwerk sieht Zensur"
Landsberger Tageblatt, 21.8.1984
"(...) Das Gänseskelett schimmert im Mondlicht. Die leeren Flaschen stehen auf dem Balkon. Die Gier schlüpft in den Karton. Der Neid schnarcht schon. Da findet auch die Eitelkeit endlich ihre Ruhe. Und alles ist egal."
Günter Thews, "Weihnachtsgeschichte in neuer Fassong", taz Berlin 1991
Weihnachten steht vor der Tür. Grund genug sich mit den 3 Tornados zu beschäftigen. Die 3 Tornados? Das waren die Satiriker Arnulf Rating, Holger Klotzbach und Günter Thews. Von 1977 bis 1989 tourten sie durch die Lande und erregten die Gemüter.
Wenn sich wer ernsthaft mit der Frage beschäftigt hat, wie die Jungfrau Maria zum Kinde kam, dann ist es diese Kabarettcombo.
Gesehen hab ich die legendäre Spaßguerilljagruppe nur einmal, 1987 bei einem Openair-Festival in Berlin. Da hatten sie schon zehn Jahre Bühnenerfahrung hinter sich und wirkten ein bisschen ausgebrannt und müde.
WER MACHT ENDLICH WANN & WIE REIBUNGSLOSE ANARCHIE?
Umgehauen haben mich die Tornados erst zwei Jahre später, nachdem mir ein Freund einige alte Tornado-Platten aufgenommen hatte. Monatelang quälte ich fortan meine FreundInnen und MitbewohnerInnen im besetzten Haus und später im selbstverwalteten Wohnprojekt mit diesen ausgeleierten Cassetten. Mein Kumpel hatte mich auch mit seinen schön ausgeschmückten Storys auf den Geschmack gebracht: er wurde als Schüler politisiert, bei einem 3 Tornados-Soliauftritt, der zugleich der Beginn einer Hausbesetzung und ein schriller Kontrast zur Tristesse in der katholischen Provinzmetropole war. Die von Rating, Klotzbach und Thews signierten Tornado-Fotos und die Schallplatte „Totalschaden“ aus dem Jahre 1985 sind für ihn so etwas wie ein „Heiligtum“. Ein Widerspruch?
Nein, wer sich die Sachen von „Deutschlands erfolgreichstem Tingelkabarett“ (Der Spiegel) anhört, versteht, warum das gerade für AtheistInnen und Antiklerikale logisch ist. Zum Schreien komisch z.B., wie die Tornados den „WG-Terror“ auf die Schüppe nehmen:
„Wissen sie, was das heißt, Weihnachten in einer WG? Keine Gedichte, keine Geschenke, keine Weihnachtsgans. Dafür Spaghetti Bolognese, Lambrusco, Pink Floyd.“
Nach eigenem Bekunden „eine der unpolitischsten Nummern, die wir je gemacht haben“, mittlerweile ein wenig angestaubt und meines Erachtens nicht gerade das beste Weihnachtsstück der Tornados, aber zweifellos eines, das mehr Aufsehen erregt hat, als alle anderen ist „Das Krippenspiel“:
Die 3 Tornados: Das Krippenspiel
Josef: Maria, Mary, deine Haare leuchten ja wieder wie Gold und deine Augen sind wie Sterne am Firmament. Du siehst aus, wie die Madonna von Michelangelo.
Maria: Und du, o Josef mein, du siehst aus wie ne holzgeschnitzte Figur ausm Krippenspiel.
Josef: Das ist ja auch kein Wunder. Ich bin ja auch von Beruf Tischler. Du, sag mal, Maria, wollen wir mal jetzt zusammen … ähäm…
Maria: Was heißt das, Josef, deinen Daumen durch den Zeigefinger?
Josef: Na, wollen wir jetzt mal zusammen?
Maria: Versteh ich nicht?
Josef: Ach, Maria, ich meine, wollen wir beide jetzt mal zusammen hier in diesem schönen Bett…
Maria: Ach, bumsen, was?! Ehrlich, Josef, ihr Männer wollt doch immer nur das eine. Du weißt ganz genau, dass ich das nicht will. Jedenfalls nicht bevor wir nicht ordentlich verheiratet sind.
Josef: Also, Maria, du benimmst dich wie ne Heilige! Na gut, dann warten wir eben bis zu dieser Scheiß Ehe. Nacht.
Maria: Du, Josef?
Josef: Lass mich in Ruhe.
Maria: Du, Josef, ich weiß auch nicht, wie ich’s dir sagen soll. Ich hab meine Tage nicht gekriegt.
Josef: Was?! Wie bitte?! Wer war das?!
Maria: Ich weiß auch nicht, wie das zugegangen ist. Von keinem Manne war es.
Josef: Wie heißt der Typ?! Manne?! Dem polier ich die Fresse!
Maria: Nein, Josef, das war ganz anders. Der Heilige Geist ist mir erschienen.
Josef: Och ja, der „Heilige Geist“! Das muss ja’n schöner Heiliger Geist sein, der meine Verlobte hinter meinem Rücken von hinten bumst!
Maria: Nein, Josef, das war nicht so wie du denkst mit Sex und so. Der Heilige Geist ist zu mir gekommen und der hat zu mir gesagt irgendein Herr hätte mich ausgewählt, dieser Herr würde gerne mit mir sein und ich würde ein Kind kriegen, aber als Jungfrau.
Josef: Ach Maria, du hast ne Macke! Das ist doch die letzte Ausrede. Die Story kauft dir doch kein Schwein ab.
Maria: Doch Josef, die kaufen se uns ab. Da waren schon ein paar Typen da, die wollen da ein Buch drüber schreiben – soll ein Bestseller werden.
Josef: Also, wer das glaubt wird selig. Nun erzähl mal lieber wie’s wirklich war.
Maria: Also, das war so, ich lag hier wieder abends allein in der Hütte – du bist ja auch immer bis 12 in deiner Werkstatt und hobelst deine Bretter. Du Dünnbrettbohrer! Ich war wieder ganz allein und mit einmal geht in der Bude die volle Beleuchtung an und da kommt so’n Typ zum Fenster rein und sagt, er heißt Gabriel und er wär von Beruf Engel, Erzengel.
Josef: „Erzengel“. Erzganove meinst du! Und dann?
Maria: Dann kam er über mich und dann überkam es mich. Auf einmal hörte ich im Himmel die Glocken läuten und da wusste ich wo Gott wohnt. Und als ich wieder zu mir gekommen bin, war der ganze Budenzauber vorbei und der Typ war weg. Tote Hose.
Josef: Und ich sitz jetzt hier in der Patsche. Hoffentlich wird’s überhaupt ein Kind und kein Leuchtstab. Und wer zahlt die Alimente?
Maria: Josef, das ist Gottes Lohn.
Josef: „Gottes Lohn“. Schöne Bescherung! Und wie soll das Gör heißen?
Maria: Ich dachte, wenn es ein Mädchen wird, vielleicht Petra.
Josef: Ach, und wenn’s n Junge wird, Herbert, Willi oder Owie?
Maria: Wieso Owie?
Josef: Du kennst doch das Lied: „Stille Nacht, heilige Nacht, Gottes Sohn o wie lacht“.
Maria: Ach, das find ich blöd!
Josef: „Ach, das find ich blöd!“
Jesses, ist das eine Scheiße!
Maria: Genau, so nennen wir ihn: Jesses!
Josef: Da gibt’s aber noch einige Probleme zu lösen. Wer zum Beispiel sagt den heiligen drei Königen Bescheid?
Maria: Das ist alles abgeklärt. Die Formalitäten erledigt der Gabriel. Der sagt den Hirten persönlich Bescheid und wenn’s dann soweit ist, lässt er über der Wiege ne Leuchtrakete los. Wir müssen uns nur noch um ne Wohnung kümmern.
Josef: Ja siehste, das ist ja gerade das Problem. Du weißt ganz genau, dass die Sozialwohnungen von Nazareth alle weg sind. In so na Scheiß Satellitenstadt will ich auch nicht wohnen. Halt! Ich hab ne Idee: Ich kenn da ein paar Freaks aus Bethlehem, die haben ne alternative Kneipe. Da könnten wir den Schuppen, den könnten wir umbauen. Da würde ich die vierte Wand rausnehmen, damit die Weltöffentlichkeit zusehen kann, wie wir unseren Rotzlöffel inne Weltgeschichte setzen. Dann wirste mal sehen, dann hörste se noch 2000 Jahre später in Köln rumjodeln: „Johannes Paul der Zweite – wir stehen an deiner Seite!“
Natürlich regte dieser „Comic für Heiden von Heiden“ die Gründung einer katholischen Bürgerinitiative in Soest an.
Diese etwas andere BI ging in den frühen Achtzigern empört auf die Barrikaden und zog mit Hilfe des (un)seligen Gesinnungsparagraphen 166 StGB („Beschimpfung religiöser Bekenntnisse“) gegen die Gotteslästerer vor Gericht. Ein Glück, denn das ermöglichte den Tornados auch die Gerichtssäle als Bühnenboden zu nutzen. Wenn es ihnen schon aufgrund ihrer staatsfeindlichen Einstellung verboten war in der DDR, im Landsberger Sportzentrum und im Fernsehen aufzutreten, so konnten sie hier, vor Gericht, ungehemmt ihrem Namen alle Ehre machen und frischen Wind bzw. einen Hauch Anarchie in die miefigen Hallen der Juristerei blasen.
Während des ersten Verfahrens stellten die drei Krippenspieler folgenden Antrag:
Antrag
„Ich rüge die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Köln.
Begründung:
Die durch das Buch ‚Die Bibel‘ bekannten Personen ‚Maria und Josef‘ sind bereits länger verstorben und können daher vor dem Amtsgericht Köln nicht als Zeugen erscheinen. Von ihnen selbst verfasste schriftliche Aussagen, die ersatzweise beigebracht werden könnten, sind nicht bekannt.
Allen hiesigen Gerichten sowie den religiösen Anhängern der Personen ‚Maria und Josef‘ liegt mit dem Buch ‚Die Bibel‘ lediglich die Darstellung Dritter vor, denen nach den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen weder Josef noch Maria oder Jesus persönlich bekannt waren.
In wieweit die dramatisierte Darstellung des würdigenden Gesprächs zwischen Maria und Josef durch ‚Die drei Tornados‘ so entstellend ist, dass daraus eine Beschimpfung des religiösen Bekenntnisses zu diesen Personen abgeleitet werden kann, ließe sich letztendlich aber nur durch persönlichen Augenschein und Befragung von Maria und Josef selbst vor Gericht entscheiden.
Als gerichtliche Instanz, die die Möglichkeit hat, alle Betroffenen sowie die erforderlichen Zeugen zur Klärung der Vorwürfe zu hören, verweist der Antragsteller daher auf das ‚Jüngste Gericht‘, das im Falle einer Verurteilung auch zahlreiche Sanktionen – wie Fegefeuer und ewige Verdammnis – kennt, die Verfehlung ordnungsgemäß zu bestrafen.“
Das Amtsgericht Köln lehnte diese überzeugende Eingabe zwar ab. Allerdings konnten die Tornados das beanstandete „Krippenspiel“ dem Gericht und dem Prozesspublikum an Ort und Stelle vorführen. Während des Prozesses traten zudem GutachterInnen auf, wie z.B. der Theaterwissenschaftler Arno Paul, die in Ungnade gefallene katholische Theologin Uta Ranke-Heinemann und der Rocksänger Udo Lindenberg. Dennoch sollten die drei bekennenden Anarchisten eine Geldstrafe von 1800 Mark zahlen. Nach Ansicht des Kölner Amtsgerichts sollen sie gegen § 166 StGB verstoßen haben, nach dem mit Geld- oder mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verurteilt wird, wer „öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.
Staatsanwaltschaft, Richter und Soester Katholiken machten von Gerichtsverhandlung zu Gerichtsverhandlung ein wahrhaft christliches Martyrium durch, bis nach vier Instanzen endlich der Freispruch für die drei brillanten Blasphemiker erfolgte.
Holger Klotzbach: „Im weitesten Sinne frönen wir dem Anarchismus“
Die Bedeutung, die anarchistische HausbesetzerInnenbands wie z.B. Ton Steine Scherben und Cochise für die Rockmusik und die sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre hatten, muss den 3 Tornados in Sachen Kabarett zugesprochen werden. Mal abgesehen von Wolfgang Neuss konnte ihnen kaum eineR das (Weih-) Wasser reichen. Ihre sechs Schallplatten gibt es seit 1999 (plus Bonustitel und schön bebildertem Beiheft) auf der 4 CD-Box „Die 3 Tornados auf Tour 1977 – 1988“ beim Münchner Trikontverlag. Natürlich ist nicht alles, was sich auf diesen CDs findet, genial. Vieles ist platt und einiges ist einfach nur ätzend. So schreibt Martin Bayer in der linken Monatszeitung analyse und kritik treffend:
„Auf der LP ‚Rundschlag am Mittag‘ bezeichneten sie (die Tornados) 1978 den israelischen Ministerpräsidenten Begin, der zur Zeit der Staatsgründung Israels der Terrorgruppe Irgun angehörte, nicht nur als rechtsradikalen Terroristen. Sie erhofften sich unter dem Gejohle der ZuhörerInnen Begins Tod: ‚Es machte peng, es machte bumm, da fiel der gute Begin um.‘ An diesem Punkt bewegten sich die 3 Tornados ganz im linken mainstream der 70er Jahre, der uns heute in seiner teilweisen Unbedarftheit manchmal erschaudern läßt.“
Trotzdem: Bisher hat es wohl kaum ein Ensemble gegeben, dass soviel Spaß am blasphemischen Brachial-Witz hatte und dabei so famos die Sittenwächter provozierte. Die drei Berliner Kabarettisten kannten keine Hemmungen, wenn es darum ging, einerseits „Das Jüngste Gericht“, homophobe Deppen, Rassisten, Militaristen, Sexisten, Grüne, Ärzte, Aktivbürger, Atommafiosi, Kontaktbereichsbeamte, die „Hit-Jugend“ und die „heilige Kleinfamilie“ gnadenlos zu verunglimpfen. Andererseits haben sie das eigene Milieu, die linke Schwulenszene und linksradikale Bewegung genüsslich, grölend, polternd und singend veralbert.
Und heute? Haben die Libertären in Sachen Kabarett nix mehr zu bieten? Haben wir nix mehr zu lachen?
Oh doch! Wer z.B. beim „30 Jahre Graswurzelrevolution“-Fest im Sommer 2002 „Von der Muse gebissen“, das neue Programm des Blarzen Schwocks, gesehen hat, wird bestätigen können, dass zehn Jahre nach Auflösung der 3 Tornados ein vergleichbares, neues Anarchokabarett entstanden ist, wie Phönix aus der Asche. Der schwarz-rote Humor ist nicht totzukriegen.
Oder, wie es Günter Thews, der schwule Kabarettist und Ex-Tornado ausdrückte, kurz bevor er, bedingt durch seine Aidserkrankung, im Januar 1993 verstarb: „Vielleicht komme ich als Fleißiges Lieschen wieder – aber wenn ich’s wüsste, wäre die Luft raus aus dem Spiel.“
Weitere Infos
4 CD-Box & Booklet: Die 3 Tornados: AUF TOUR 1977-88; 20 € bei:
Trikont
Kistlerstr. 1
Postf. 901055
81510 München
www.trikont.de
Der Blarze Schwock
c/o IL Bankrott
Dahlweg 64
48143 Münster
www.free.de/bankrott
Martin Bayer: "Hey, was ist denn da los?", in: ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis Nr. 430, Hamburg, 23.09.1999
Kotte: Gier schlüpft in den Balkon. Nachruf auf Günter Thews, in: taz, Berlin, 1.2.1993
Bernd Drücke: "Ich bin kein Beispiel. Ich bin ein Vorspiel." Zum zehnten Todestag von Wolfgang Neuss, in: GWR 239, Mai 1999, S. 6
Tequila: Anarchismus auf der Bühne, "Münsters gefährlichster Nebenwiderspruch" amüsiert die Linke, in: GWR 251, September 2000, S. 13
Bernd Drücke: Mal den Teufel an die Wand, in: GWR 263, November 2001, S. 18
Martin Baxmeyer: "Rufen wir dem Adolf Heil/oder auch das Gegenteil?" Kabarett im Dritten Reich: Werner Finck und die anderen..., in: GWR 267, März 2002, S. 16 f.
Joseph Steinbeiß: Einwurf von links. Zum Tod des Kabarettisten Matthias Beltz, in: GWR 269, Mai 2002, S. 2