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Von Verbalradikalinskis und Dinosauriern

Jenseits von Chomsky, Biehl und Bookchin: Subkultureller US-Anarchismus

| Bernd Drücke

In den 1980er und 90er Jahren gab es viele Feministinnen, die glaubten, dass der militärische Apparat "humaner" und die Gesellschaft emanzipatorischer würde, wenn erst genügend Frauen Teil des Militärs seien.

Heute wissen wir: Alice Schwarzers erfolgreiche „Frauen zum Bund“-Kampagne hat nicht zur Emanzipation der Frau geführt, sondern dem Militär lediglich neue Mordfachkräfte weiblichen Geschlechts zugeführt.

Im Ernstfall, wenn es darum geht, Menschen auf Befehl zu töten oder zu misshandeln, funktionieren Soldatinnen wie ihre Kameraden. Den Mut zur Desertion finden sie leider ebenso selten.

In den 1970ern empfahl der Kommunistische Bund (KB) seinen Jüngern, zum olivgrünen Bund zu gehen, um sich fit zu machen für den bevorstehenden „Klassenkampf mit der Waffe“. Auch der bekannte deutsche Anarchist Peter Paul Zahl (PPZ) war Anfang der 70er von solchen Ideen beseelt.

Damals sträubten sich bei den libertären AntimilitaristInnen die Nackenhaare.

Heute dürfte den meisten Libertären klar sein, dass der Marsch durch die militärischen Institutionen aus Linken Befehlsempfänger, aber keine Revolutionäre macht. Zur sozialen Revolution haben die Aufrufe von PPZ und anderen nicht geführt.

PPZs „Das System hat keine Fehler, es ist der Fehler“ hat dagegen noch Gültigkeit. Und: Das Militär macht keine Fehler, es ist der Fehler. Also: Militär abschaffen, überall!

Heute wirken die alten Agitprop-Texte als Kuriosität, die unter der Rubrik „wirre politische Fehleinschätzungen aus der Mottenkiste der linken Geschichte“ abgehakt werden könnten.

So dachte ich.

Aber: Ich habe mich geirrt!

Es gibt heute Junganarchos, die ihren Altersgenossen folgendes empfehlen:

„Wenn wir wirklich den Anspruch haben, mit den verschiedensten Methoden und Taktiken zu agieren, dann sollten wir beim nächsten Mal, wenn der Staat wieder einen Krieg beginnt, die Möglichkeit in Erwägung ziehen, in die Armee einzutreten, anstatt ein Peace-Zeichen zu tragen oder eine Infoveranstaltung zu machen.“

Das ist eine der kuriosen Weisheiten, die uns die US-amerikanische „Curious George Brigade“ in ihrem nun auch in Deutsch vorliegenden Buch „DIY – Von Anarchie und Dinosauriern“ auftischt.

Ein schön gemachter, nicht paginierter Band, mit vielen Zeichnungen und Fotos, der, so ist zu befürchten, das Zeug zum „Szeneklassiker“ hat.

Das Buch ist lockerflockig geschrieben, ohne lästige Fußnoten, ohne Tiefgang, dafür aber gespickt mit hedonistischen Ideen, die zwischen naiv-pubertärem Verbalradikalismus und erfrischender Grandiosität hin und her schwanken.

„Wenn du dich für Anarchie interessierst, dann vergiss den Spanischen Bürgerkrieg und all die alten Männer mit ihren langen Bärten und ermüdenden Theorietraktaten!“, fordert das Kollektiv Curious George Brigade, obwohl die meisten Menschen nichts über den Spanischen Bürgerkrieg wissen und folglich auch nichts vergessen können.

Anstatt in selbstgewählter Ignoranz zu verharren und längst gemachte Fehler zu wiederholen, wäre es sicher lohnenswerter, die oft beflügelnden Theorietraktate auch alter AnarchistInnen zu lesen, ihnen zuzuhören und sich mit der Geschichte der Libertären Revolution 1936 in Spanien zu beschäftigen.

Halb so wild sind Übersetzungsfehler, etwa, wenn aus „one billion dollar“ (eine Milliarde Dollar), die die US-Army jährlich für Werbung ausgibt, im Deutschen „eine Billion Dollar“ wird.

Wilder sind die widersprüchlichen Parolen und Plattitüden, die im Buch aneinandergereiht werden und ein ums andere Mal aufheulen lassen. „Des weiteren müssen wir die Fetischisierung der Gewalt und andere Millionen Sackgassen hinter uns lassen.“

Uhh, ja sicher, aber steht das nicht im Widerspruch zum Ruf zu den Waffen, der sich aus dem Kapitel „Diese Granate ist für den Truppenchef“ heraushören lässt?

Dort heißt es u.a.: „Viele PazifistInnen argumentieren, dass man doch nicht zum Militär gehen solle, aber es gab auch AktivistInnen, die den Mut hatten, ihre Ideale innerhalb der Armee, also unter den Armeeangehörigen, zu verbreiten und die auch couragiert genug waren, einem Offizier in den Kopf zu schießen. Das war mindestens genauso effektiv wie eine weitere Friedensdemonstration in Washington, D.C.“

Diese Verherrlichung von Mord, diese lässig daherkommende Menschenverachtung ist abstoßend!

Solch inhumanes Denken hat nichts mit Anarchie zu tun!

Fazit

Wenn du dich für Anarchie interessierst, dann vergiss „DIY. Von Anarchie und Dinosauriern“.

„In dieser Zeit, in der Anarchie zu einer Angelegenheit von langweiligen Buchmessen und Universitätscampi verkommen ist“, wie die Curious George Brigade meint, findest du Literatur, die in dir den Traum von einem Leben ohne Chef und Staat wachsen lassen und für die Verwirklichung dieser Utopie hilfreich sein kann.

Anarchy – do it yourself!

Curious George Brigade u.a.: DIY. Von Anarchie und Dinosauriern, hg., übersetzt und mit einem Nachwort versehen von More Than Just Music Brigade, Unrast, Münster 2006, 216 Seiten, ISBN 3-89771-444-2, 12 Euro