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NATO raus aus dem schwarzen Afghanen!

Interview mit Gerhard Seyfried und Ziska Riemann

| Interview: Bernd Drücke

Gerhard Seyfried (* 15. März 1948 in München) ist Zeichner, Cartoonist und Schriftsteller. Seine Comics spiegeln häufig den Alltag der anarchistischen Szene Berlins wider, die er satirisch und bisweilen selbstironisch auf die Schippe nimmt. Comicbände wie "Wo soll das alles enden. Kleiner Leitfaden durch die Geschichte der undogmatischen Linken" (1978), "Freakadellen und Bulletten" und "Invasion aus dem Alltag" (1980) erreichten 100.000er Auflagen und machten den als besten deutschen Comiczeichner gewürdigten Max-und-Moritz-Preisträger zu einem Superstar der internationalen Comicszene.

Ziska Riemann (* 10. August 1973 in Berlin) ist Comic-Zeichnerin und Drehbuchautorin. Seit 1990 arbeitet sie mit Gerhard Seyfried zusammen. Gemeinsam entwickelten sie in Comics wie z.B. Future Subjunkies (1991) und Space Bastards (1993) einen neuen Zeichen- und Erzählstil.

Im Juni 2007 erschien der 700-seitige Comic-Sammelband "Seyfried & Ziska. Die Comics. Alle!" bei Zweitausendeins.

Graswurzelrevolution (GWR): Ihr habt gerade eure gesammelten Werke veröffentlicht. Warum soll unsereins jetzt seine alte Comicsammlung verscherbeln und sich stattdessen euern bunten, großformatigen, drei Kilo schweren Prachtband für 39,90 Euro besorgen?

Ziska Riemann: Weil’s ein schönes Buch ist, anständig gebunden und der Inhalt gute Laune macht.

Gerhard Seyfried: Weil nur noch Wenige die „alte Comicsammlung“ haben. Außerdem sind einige schöne kürzere Comics drin, die kaum einer kennt.

GWR: Gerhard, in den 1970er Jahren warst du Hauszeichner der libertären Münchner Stadtzeitung Das Blatt. Deine in unzähligen Szeneblättern nachgedruckten Cartoons haben seitdem eine große Wirkung auch auf die sozialen Bewegungen. Die Anarcho-Freaks und die knollennasigen Bullen („Pop! Stolizei!“) wurden zu deinen Markenzeichen. Wie fing alles an? Wie hast du dich politisiert?

Gerhard Seyfried: Wenn ich das hier erzähle gehen 30 Seiten drauf. Kurz: Politisierung (finsterer Ausdruck) begann mit Bundeswehr und Friedensbewegung. Später haben die endlosen Polizeischikanen gegen das Blatt kräftig mitgeholfen.

GWR: Hat es dich gestört, dass viele Alternativmedien deine Comics „geklaut“ haben?

Gerhard Seyfried: Nein. War ja gut, dass sie sich verbreitet haben und hat mich auch bekannt gemacht.

GWR: Ziska, wie wurdest du politisch?

Ziska Riemann: Familiär bedingt – hab schon als Kind keinen Friedensmarsch verpasst und mit meinen Eltern Häuser besetzt.

Als Teenager fand ich dann die Ansichten meiner Eltern überholt und habe versucht es anders zu machen. Mir ging das ganze Gelaber auf die Nerven, ich wollte radikale Veränderungen. Als Berlinerin war ich z.B. oft drüben in der DDR Verwandte besuchen und konnte die Begeisterung für den Kommunismus keineswegs nachvollziehen. Für mich kam als Utopie nur die anarchistische Gesellschaft in Frage.

Heute denke ich etwas milder darüber.

GWR: Was hat euch zum Zeichnen inspiriert? Gibt es persönliche „Vorbilder“? Oder eine Muse?

Ziska Riemann: Mich hat Gerhard Seyfried inspiriert. Ehrlich. Ich habe als Kind seine Zeichnungen studiert und manche Figuren nachgezeichnet.

Außerdem hat mich die Schule gelangweilt und ich habe angefangen zu zeichnen.

Und dann gab es noch die Kinderseite der ‚Besetzer Post‘ mit einer radikalen Disney Parodie, die habe ich sehr geliebt und U-Comics, Pardon, Freak Brothers,…

Aber die Hauptmotivation war immer schon meine Phantasie. Eine treue Begleiterin, die mir manchmal ganz schön zu schaffen macht.

Gerhard Seyfried: Zum Zeichnen inspiriert hat die Lust am Zeichnen, auch die Feststellung, dass ich’s kann, wenn ich mich reinknie.

Vorbilder: Ebenfalls sehr viele, meine wichtigsten: Wilhelm Busch, Carl Barks, Gilbert Shelton.

GWR: Es gibt viele berühmte Comiczeichner, aber relativ wenige Comiczeichnerinnen. Wie erklärst du dir das?

Ziska Riemann: Das hat sich in den letzen Jahren sehr verändert. Mittlerweile gibt es einige sehr bekannte Comiczeichnerinnen.

Ich glaube, es liegt an den Themen, die früher die Comics dominiert haben. Angefangen mit Helden- und Abenteuergeschichten (Sigurd und Konsorten), Action-, Krimi-, Gruselgeschichten.

So was interessiert nur wenige Frauen und darum sind sie auch nicht drauf gekommen selber Comics zu machen.

Viele der Comiczeichnerinnen von heute machen emotionalere Geschichten, Biographien, persönliche und sensible Geschichten. Frauengeschichten eben.

GWR: Gibt es für dich „männliche“ und „weibliche“ Comics? Wenn ja, was sind da die Unterschiede?

Ziska Riemann: Leider muss an dieser Stelle zugegeben werden, dass die Männer einfach die besseren Zeichner sind.

GWR: Aber die Frauen die besseren Zeichnerinnen …

Wo soll das alles enden“, „Freakadellen und Bulletten“, „Invasion aus dem Alltag„, 1980, als 15-jähriger hab ich diese Seyfried-Comics verschlungen. Als 1989 „Rest- und Rost-Berlin“ wiedervereinigt wurden, erschien „Flucht aus Berlin„. Genial!

„Starship Eden“ habe ich erst jetzt im Sammelband entdeckt. Das gefällt mir gut.

Was sind eure liebsten Comics?

Ziska Riemann: Ich finde von Gerhard „Invasion aus dem Alltag“ nach wie vor großartig. Er hat darin das Lebensgefühl dieser Zeit auf einzigartige Weise auf Papier gebannt.

Mir gefällt besonders der grüne Würfel, mit dem die Außerirdischen zeichnen, so einen hätte ich auch gerne.

Gerhard Seyfried: Von unseren? Eher alle, bzw. immer der Neueste. Starship Eden. Der Fluch der Nippon-Ziege.

GWR: Ihr arbeitet seit 1990 zusammen. Wie und warum kam es dazu?

Ziska Riemann: Glücklicher Zufall. Ein Loch im Raum- Zeit- Kontinuum. Wir haben uns erkannt, der Himmel öffnete sich und es wurde Comic.

Gerhard Seyfried: Ich kam an einer brennenden Mülltonne vorbei, aus der eine Stimme sprach: Gehe hin und arbeite mit Ziska Riemann zusammen.

GWR: Wo seht ihr Vor- und Nachteile eurer Zusammenarbeit?

Ziska Riemann: Wir haben die gleichen Bilder im Kopf und den gleichen Humor. Wir haben jede Menge Spaß.

Der Nachteil ist, dass ich zur Zeit nicht in Berlin wohne und wir über Internet und Telefon kommunizieren müssen.

Gerhard Seyfried: Seltsame Frage. Nie drüber nachgedacht.

GWR: Ihr tretet als Künstlerduo „Harmonian Anarchists“ auf. Was bedeuten für euch Anarchismus und Anarchie?

Ziska Riemann: Harmonian Anarchists hat ja auch noch das Wort Harmonie mit drin.

Die perfekte Mischung. Anarchie heißt für mich in erster Linie Eigenverantwortung, Autonomie und zugleich Akzeptanz des Chaos. Also, auch allen anderen ihre Freiheit und Chaos zu lassen.

Gerhard Seyfried: In der Hauptsache Freiheit und Demokratie, natürlich nicht in der pervertierten Form, wie sie Bush und fast alle anderen Politiker begreifen.

GWR: Eure Comics tragen auch dazu bei, dass Menschen neugierig auf anarchistische Ideen und Utopien werden.

Welche Perspektiven seht ihr für das Wachsen der libertären Bewegung hierzulande?

Gerhard Seyfried: Sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr langfristige.

Ziska Riemann: Die Regierung ist ja leider ein Spiegel des Volkes.

GWR: Gerhard, im Jahr 2002 haben deine Wahlplakate für den grünen Politiker Hans Christian Ströbele dazu beigetragen, dass er ein Bundestagsdirektmandat erringen konnte.

Vor kurzem hat Ströbele gefordert, dass mehr Bundeswehrsoldaten in die „Demokratische Republik Kongo“ geschickt werden sollen. Er und die Grünen haben den 2001 begonnenen Krieg gegen die Menschen in Afghanistan mit zu verantworten.

Die Situation der Frauen dort hat sich verschlimmert. „Die USA haben sich den übelsten aller denkbaren Verbündeten geholt: die Kriegsfürsten der Nordallianz, die für furchtbare Verbrechen verantwortlich sind. Sie morden und vergewaltigen weiter“, so die afghanische Feministin Malalai Joya. Sie will den Abzug der Besatzungstruppen. Müsstest du nicht jetzt „Bundeswehr raus aus dem schwarzen Afghanen!“ fordern?

Gerhard Seyfried: Tu ich doch. Hiermit und z.B. auch auf den Plakaten, die ich für den Kabarettisten Arnulf Rating mache. Im Gegensatz zu verschiedenen Grünen-Politikern glaube ich nicht an die Mär vom Friedenseinsatz. Truppen im Ausland sind Truppen im Ausland, basta.

GWR: Die Grünen haben als Regierungspartei den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 mit geführt. Dieses „Militärbündnis 90/Die Olivgrünen“ steht für eine Militarisierung der Innen- und Außenpolitik, die eine CDU-Regierung nicht besser hätte umsetzen können.

Ströbele strebt keine Abschaffung aller Armeen an, er bindet stattdessen als vermeintlicher Antimilitarist und parlamentarischer Vorzeigelinker viele Linke und PazifistInnen an die neoliberalen Grünen. Hast du dich mit dem Ströbele-Plakat vor den staatsfixierten, olivgrünen Karren spannen lassen?

Gerhard Seyfried: Ich glaube nicht, dass man Ströbele solch finstere Absichten unterstellen kann. Er mag in gewissen Dingen etwas naive Ansichten haben, aber er meint es gut.

Vergesst eins nicht: Ich muss auch leben, und das tue ich von Zeichen-Aufträgen.

Es gibt wenig genug Leute, für die ich arbeiten würde. Für Banküberfälle bin ich zu alt.

GWR: Wirst du noch mal für Ströbele bzw. die Grünen Werbung machen?

Gerhard Seyfried: Für Ströbele vielleicht, für die Grünen nicht, solange sie militärische Auslandseinsätze befürworten (gilt natürlich auch für militärische Inlandseinsätze).

GWR: Ziska, würdest du auch Wahlwerbung machen?

Ziska Riemann: Ich habe für Heidi Kosche ein Wahlplakat gemalt. Sie hat die Wahl gewonnen und ist jetzt Grünen- Abgeordnete in Berlin-Kreuzberg 61. Ich habe das nicht für Geld gemacht, sondern weil ich sie toll finde.

GWR: Was unterscheidet deine Comics von Seyfrieds ?

Ziska Riemann: Weniger Details. Gerhard zeichnet die kleinsten Autos der Welt. Er ist sehr präzise und ein unheimlich guter Techniker. Ich geh da emotionaler ran. Meine Figuren sind dafür lebendiger, wilder.

Das macht aber auch die Zusammenarbeit aus.

GWR: Was plant ihr für die Zukunft?

Ziska Riemann: Ich studiere gerade freie Malerei.

Gerhard und ich wollen gerne einen neuen Comicband machen. Aber der muss erst mal finanziert werden. Von irgendwas muss man ja in der Zeit leben.

Gerhard Seyfried: Ich habe vor, meine Tätigkeit als Militärberater weiter auszubauen.

Das scheint mir mehr Zukunft zu haben als Anarcho-Comics.

GWR: Habt ihr eine Botschaft, die ihr immer schon mal loswerden wolltet?

Ziska Riemann: Onward thru the fog!

Gerhard Seyfried: Onward thru the fog!

GWR: Herzlichen Dank.

Anmerkungen

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Bücher (Auswahl)

Gerhard Seyfried: Der schwarze Stern der Tupamaros, Roman, Eichborn, Berlin 2004, 280 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-8218-0754-7

Gerhard Seyfried: Herero, Roman, Eichborn, Berlin 2003, 600 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 3-8218-0873-X

Seyfried & Ziska. Die Comics. Alle!, Zweitausendeins, Frankfurt/M. 2007, ISBN-13: 978-3-86150-780-2. Der Band enthält: WO SOLL DAS ALLES ENDEN, INVASION AUS DEM ALLTAG, DAS SCHWARZE IMPERIUM, FLUCHT AUS BERLIN, FUTURE SUBJUNKIES, SPACE BASTARDS, STARSHIP EDEN, LET THE BAD TIMES ROLL, DER FLUCH DER NIPPONZIEGE, RASCAL & LUCILLE, sowie Kurzcomics.

Kontakte/Infos

www.seyfried-berlin.de
www.ziska.tv