Französische IndustriearbeiterInnen warfen Holzschuhe (franz 'sabot') in die Maschinen, um sich die benötigten Ruhepausen zu holen. 'Sabot', der Holzschuh (für Sabotage) wurde neben der schwarzen Katze (für wilden Streik, engl. = wildcat und direkte Aktion) das Zeichen der Wobblies (IWW, Industrial Workers of the World).
Mag Wompel ist Redakteurin von www.labournet.de, dem Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch. Für die LeserInnen der Graswurzelrevolution analysiert sie Sabotage als Arbeitskampfform und stellt eine Begriffserweiterung zur Diskussion. (GWR-Red.)
Jenseits der Tarifrituale der DGB-Gewerkschaften („Warnstreik“ als letztes Mittel) ist Arbeitskampf, ja Klassenkampf offenbar eine Spezialität des Gegners geworden. Selbst das WSI-Tarifhandbuch 2008 meldet: „Mehr Arbeitskämpfe – Deutschland trotzdem weiter relativ streikarm“. Der Gegner hingegen schlägt, mittlerweile vollkommen unabhängig von der Konjunkturlage, munter zu. Erpresste Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen (laut Urteil der Pressekammer des Landgerichts Hamburg vom 13. Juni 2008 darf hier von Erpressung gesprochen werden!), Tarifabsenkungen und Entlassungen blieben bereits vor der aktuellen Krise und sogar in den Zeiten des Aufschwungs aus Angst unwidersprochen.
Dabei ist es offensichtlich, dass diese erfolgreichen Angriffe in der Wirtschaftskrise sich und damit für uns diese Krise verstärken werden – zumal die Lohnabhängigen doppelt betroffen sind: als „Arbeitnehmer“ und als (Steuer)ZahlerInnen der Rettungsaktionen für „ihre Arbeitgeber“. „Lieber prekär als Hartz IV“ denken immer noch die meisten Lohnabhängigen und ihre gewerkschaftlichen StellvertreterInnen – und wie in der Wirtschaft hoffen alle, zu den Krisengewinnern zu zählen („Wenn die Befristeten und Leiharbeiter gehen, ist mein Arbeitsplatz sicherer“). Streiks finden nur noch statt, weil das Kapital gar nicht mehr verhandeln will oder um die Mitgliedschaft symbolisch zu befriedigen, um das Elend gerechter zu verteilen sowie um Sozialpläne zu „erkämpfen“. Und selbst diese Streiks greifen immer weniger, denn wie soll der Entzug der Arbeitskraft bei Kurzarbeit und Entlassungen als Drohung und Druckmittel wirken?
Bereits abnehmende Organisierung und Tarifbindung, begleitet durch den wettbewerbskorporatistischen Kurs der Gewerkschaftsapparate und das restriktive deutsche Streikrecht, machten die Suche nach alternativen Arbeitskampfformen notwendig. Gesucht werden schon länger Kampfmöglichkeiten jenseits organisierter Kollektive, jenseits von Betriebsrat und Tarifkommission. Durch verschiedene Formen „smarter“, intelligenter Arbeitskämpfe sollten auch Minderheitengruppen, kampfunerfahrene Belegschaften und EinzelkämpferInnen in Kleinbetrieben befähigt werden, auf eine ihrer Situation angepasste Art und Weise Verschlechterungen zu widerstehen oder gar Verbesserungen durchzusetzen. (1)
Denn trotz stark verbreiteter subjektiver Ohnmacht, Erpressbarkeit und Individualisierung gibt es durchaus Wut und Widerstand am Arbeitsplatz, wenn auch oft versteckt. Und es gibt durchaus Macht der Lohnabhängigen an fast jedem Arbeitsplatz, wenn auch oft unbewusst (2). Beides gilt es mehr denn je zu stärken: den Widerstand und das noch selbstbewusster machende Wissen um die eigene Macht.
Ein großes Potential, diese beiden Aspekte miteinander zu verbinden, traue ich der Sabotage als Arbeitskampfform zu. Um diese Klammerfunktion erfüllen zu können, sollte dieser leider etwas angestaubte Begriff der Sabotage (3) allerdings „modernisiert“ und erweitert werden. Wenn als Sabotage nicht nur der berühmte Schraubenschlüssel im Fließband gilt, sondern auch alltägliche Verweigerung und Blockade der Unternehmensziele, eröffnen sich ihr neue Perspektiven.
Denn je mehr die Unternehmen vom Menschen wollen, je umfassender die Ökonomisierung der Gesellschaft wird, umso umfassender werden die – expliziten wie ungeschriebenen – Arbeitsverträge. Emotionen, Ideen, Einstellungen werden gratis mit abverlangt – und können dementsprechend auch verweigert werden! Vor diesem Hintergrund können auch Konformitäts- und Wettbewerbsverweigerung, Verweigerung der Selbstaktivierung und Selbstvermarktung sowie unternehmerischer Selbstunterwerfung in Zeiten von „Zielvereinbarungen“ und „Ich-AG“ den Charakter aktiver Sabotage bekommen. Denn wenn Konkurrenz und Wettbewerb all umfassend werden, gerät bereits geübte Solidarität zu Sabotage der Unternehmens- und Wirtschaftsziele. Dies gilt übrigens auch für uns als Kunden, die immer mehr zu „unbezahlten Mitarbeitern“ der Unternehmen werden (4) und immer häufiger nur noch als Träger der geheiligten Binnennachfrage zählen.
„Smarte“ Sabotage – nicht nur Maschinen stürmen…
Sabotage – wenn auch meist nicht so genannt und oft auch nicht so verstanden – findet schon immer und täglich statt, denn die arbeitenden Menschen haben – ob organisiert oder nicht – längst vielfältige Formen der Gegenwehr und Rache für die alltäglichen Zumutungen und Entwürdigungen gefunden: als individuelle Sabotage des expliziten (schriftlichen) und impliziten (ungeschriebenen) Arbeitsvertrages. Sabotage beginnt also keinesfalls revolutionär, sondern durchaus unpolitisch aus Enttäuschung und Frust, Rache und individueller Nutzenoptimierung. Nachlassende Identifikation mit dem Job, nicht zuletzt durch all die Entlassungswellen und ständige Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes (beides natürlich trotz Verzicht!), führt zur ‚inneren Kündigung‘, der horrende Kosten für die Wirtschaft nachgesagt werden.
Was ist individuelle Sabotage des impliziten und expliziten Arbeitsvertrages?
Der Chef bekommt nur noch exakt das, was er unseres Erachtens verdient, durch alle möglichen Formen der verlangsamten Arbeit, des Streichens von Eigeninitiative, von Ideen oder von leidenschaftlichem Einsatz, durch Unterlassen, Stehen lassen, Liegen lassen, Arbeit vortäuschen und Pseudoarbeiten oder Krankfeiern.
Zur Perfektion betrieben hat es „Das Dilbert-Prinzip“ von Scott Adams mit seinen Gesetzen des Gehaltsgleichgewicht und des Gesamtarbeitsaufkommens (wirkliche Arbeit + Pseudoarbeit = Gesamtarbeitsaufkommen – bei möglicher Reduktion der wirklichen Arbeit). Es gilt, Arbeit vorzutäuschen und Stress zu minimieren, „damit Sie ein zufriedener Arbeitnehmer auf Kosten Ihres Arbeitgebers werden können, der ohnehin keinen so netten Menschen wie Sie verdient“ (5). Ob mensch es nun „Besser leben durch Bürodiebstahl“ oder „autonome Lohnerhöhung“ nennt – auch diese aktive Herstellung der Gerechtigkeit bleibt zunächst ein individueller, unpolitischer Akt. Bereits ganz anders sieht es aus, wenn wir bei den genannten Formen des verringerten Einsatzes der Arbeitskraft bewusst unterscheiden, für wen wir voll da sind und wen wir auflaufen lassen, was nach sozialen und/oder politischen Gesichtspunkten möglich ist.
Zu den eher aktiven Formen der (meist individuellen) Rache am Arbeitsplatz mit Politisierungspotential gehören – neben „Guerillakrieg“ durch Kunden-, Produkt- und Computersabotage – Badbossing bzw. Staffing als Mobbing von unten und bezeichnen in diesem Zusammenhang ‚“unfaire“ Attacken gegen einzelne Führungskräfte oder gegen die Führungsebene von Seiten der „Beschäftigten“. Absicht kann der Ruin einzelner Vorgesetzter, des gesamten Stabes oder der gesamten Personal- und Unternehmenspolitik sein. Die öffentlichste Form ist das Whistleblowing. Wird dies nicht aus persönlicher Enttäuschung und Rache betrieben, kann dem durchaus ein politischer Charakter zukommen, den viele Unternehmen durch Maulkorberlasse zu vermeiden suchen und der übrigens zu vielen Unterlassungsklagen bei LabourNet oder chefduzen u.a. führt.
Doch auch Sabotage als kollektive Arbeitskampfmaßnahme kann Politisierungspotential beinhalten. Dann meint sie die strategische Vereitelung eines Ziels durch gewollte geheime Gegenwirkung, z. B. absichtliches Langsamarbeiten oder Verursachung von Fehlern, ferner die vorsätzliche Beschädigung, Zerstörung oder Unbrauchbarmachung z. B. von Arbeitsmitteln und Waren oder auch der Entzug von Energie. Damit soll planmäßig, entweder auf die Quantität oder die Qualität von Produktion und Dienstleistung gerichtet, die Effektivität einer Person oder einer Organisation lahm gelegt werden. Für solche kollektiven, strategischen Arbeitskampfmaßnahmen der Sabotage gibt es durchaus viele geschichtliche Beispiele. Die meisten Politisierungspotentiale entfaltet Sabotage allerdings als ausdrückliche Arbeitskampfform dann, wenn sie nicht nur betrieblich – aus unterschiedlichsten Gründen – Vorteile gegenüber einem Streik hat, sondern die Produkte des zu bekämpfenden Unternehmens und damit auch die eigene Rolle in diesem Wirtschaftsunternehmen zugleich als gesellschaftliche begreift. (6)
Auch hierfür gibt es viele internationale Beispiele, wie auch kollektiv und ausdrücklich als Arbeitskampfmaßnahme verstanden nach sozialen und/oder politischen Gesichtspunkten unterschieden werden kann, für wen die Arbeitsverweigerung gilt und für wen ausdrücklich nicht.
Während in Deutschland Streiks im Transportwesen immer noch nur als erfolgreich gelten, wenn niemand transportiert wird (egal, ob zur Maloche oder zur Liebe), gibt es in Frankreich eine Tradition sozialer Arbeitskämpfe statt strikter Arbeitsverweigerung, in der Gratis-Mobilität angeboten und dabei über sie diskutiert wird. Soziale Differenzierung der Leistungserfüllung ist auch z.B. bei der Briefzustellung (Erwerbslosenchecks ja, Unternehmenspost nein) oder bei der Stromversorgung (Strom für Arme an, für Reiche aus) erfolgreich durchgeführt worden und sicherte zudem den Aktionen die Akzeptanz und Solidarität der übrigen Teile der Lohnabhängigen, die sonst gerne und leicht durch die bürgerliche Presse als empörte Kunden gegen die Streiks gehetzt werden.
Kapitalismus und Repression leben vom Akzeptieren und Mitmachen
Ob solcher Widerstand der persönlichen Gesundheit gilt und/oder sich an der Grenze zur strategischen/politischen Sabotage bewegt, hängt von vielen Faktoren ab: politisches Bewusstsein, Grad der Individualisierung/Kollektivierung, strategische Zielsetzung. Es gibt verschwimmende Grenzen zwischen individueller Rache und kollektivem Arbeitskampf – politisch können nämlich auch durchaus individuelle Verhaltensweisen am Arbeitsplatz (und als Kunde) sein, zumal wenn sie NachahmerInnen finden.
Noch wird ohne Erfolg die deutsche Fabienne gesucht, also die ARGE-Sachbearbeiterin, die Repression verweigert und offen dazu aufruft. Doch wer genau hinschaut, trifft fast täglich auf ungehorsame Zugschaffner, ein Auge zudrückende Behördenangestellte oder mit der Kassiererin solidarische KundInnen. Sabotage fängt im Kleinen an und kann dennoch Großes bewirken.
Wie gesagt: Kapitalismus und Repression leben vom Akzeptieren und Mitmachen und jede noch so kleine Konformitäts- und Wettbewerbsverweigerung, jede geübte Solidarität mit den Schwachen und Unterdrückten – am liebsten kollektiv – kann zum ersten Schritt jenseits dieses inhumanen und ohne unser Akzeptieren und Mitmachen bankrotten Systems führen.
Allerdings setzt Sabotage Mut und Selbstbewusstsein und als Arbeitskampfmittel auch die Selbstermächtigung der ArbeiterInnen gegen die Macht der Gewerkschaftsbürokratie voraus – stärkt diese aber bereits im Prozess und lässt eine echte, alltägliche Demokratisierung durchscheinen.
(1) Siehe dazu die Rubrik im LabourNet Germany "neue Kampfformen" (Diskussion > Gewerkschaftsstrategien > (intern.) Erfahrungen > Kampfform): www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/erfahrung/kampform.html
(2) Siehe z.B. Reinker, Susanne: Rache am Chef - Die unterschätzte Macht der Mitarbeiter. Berlin 2008.
(3) Als Sabotage bezeichnet man lt. Wikipedia "die absichtliche Störung eines wirtschaftlichen oder militärischen Ablaufs zur Erreichung eines bestimmten (oft politischen) Zieles. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist mit Sabotage oft auch die gewaltsame Beschädigung und Zerstörung von Geräten, Maschinen, Infrastruktur usw. zugunsten eines höheren Zweckes gemeint (Gewalt gegen Sachen). Sabotage kann auch Fertigungsprozesse, Dokumentation und andere, festgelegte Abläufe treffen. Menschen, die Sabotage betreiben, werden als Saboteure bezeichnet."
(4) G. Günter Voß und Kerstin Rieder: Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden, Frankfurt a.M., New York : Campus 2005
(5) Adams, Scott: Das Dilbert-Prinzip. Die endgültige Wahrheit über Chefs, Konferenzen, Manager und andere Martyrien. Landsberg/Lech 1997
(6) Für weitere Beispiele siehe Wompel, M. (2008): Sabotage - Arbeitskampf mit Strategie und Spaß, in: Torsten Bewernitz (Hg.): Die neuen Streiks. Geschichte. Gegenwart. Zukunft. ISBN-13: 9783897714809, Unrast-Verlag Münster 2008, S. 140-150