Hendrik Wallat, Staat oder Revolution. Aspekte und Probleme linker Bolschewismuskritik, edition assemblage, Münster 2012, Hardcover, 288 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 978-3-942885-17-1
„Staat oder Revolution“, so der Titel von Hendrik Wallats Buch über „Aspekte und Probleme linker Bolschewismuskritik“, ist eine Bezugnahme auf Lenins Schrift „Staat und Revolution“. Bezugnahme insofern, als dass die frühzeitig von links artikulierte Kritik und von vielen praktizierte Ablehnung des von Lenin propagierten Politik- und Revolutionsmodells dargestellt wird.
Allerdings bedarf es eines erheblichen philosophischen Wissens, um die theoretischen Positionen mancher linker KritikerInnen erfassen zu können.
Etwa, wenn es im Kapitel über Georg Lukács heißt: „Die irreduzible Eigenständigkeit der Relata ist dabei als unhintergehbar gefasst, auch wenn diese nur in Relation zu denken sind.“ (S. 135)
Schon die Darstellung der praktischen Politik der Bolschewisten würde indes reichen, um festzustellen, dass eine positive und kritiklose Bezugnahme auf die Oktoberrevolution schlichtweg unmöglich ist. Oder noch weiter ausgeholt, die Beleuchtung des Streits zwischen Marx und Engels auf der einen und Bakunin auf der anderen Seite würde deutlich machen, wie wichtig frühzeitige Weichenstellungen sind.
Interessant sind die Portraits rätekommunistischer und anarchistischer Positionen am Beispiel von u.a. Anton Pannekoek, Franz Pfemfert, Otto Rühle und Rudolf Rocker.
Auch das Kapitel über Isaak Steinberg, den in Vergessenheit geratenen russischen linken Sozialrevolutionär und bis Frühjahr 1918 Volkskommissar der Justiz, streift das Dilemma bzw. die „Tragik jeder Revolution“, die nach Steinberg „darin bestehe, dass sie, konfrontiert mit der alten Herrschaft, selbst nicht auf Gewaltanwendung wird verzichten können…“. (S.205)
Aufschlussreich sind die Lebensläufe und Brüche von Karl Korsch und Simone Weil oder zu sehen, dass z.B. die Anarchistin Emma Goldman „die tödliche Mischung aus brutaler Gewalt und blanken Zynismus, welche die bolschewistische Diktatur kennzeichnete“ (S. 204), frühzeitig beschrieb und sich vom Bolschewismus nicht gefangen nehmen bzw. instrumentalisieren ließ.
Aktuell wäre zu fragen, was diese katastrophale Geschichte für eine an emanzipatorischer Theorie und Praxis orientierte Linke bedeutet bzw. wie mit diesem desaströsen Erbe umgegangen werden kann, das immer noch nachwirkt. Und warum die libertäre Alternative immer gescheitert ist?
Daher stimme ich Wallat zu, wenn er im Abschlusskapitel „Back to the future!?“ schreibt: „Die versprengten libertären Kommunisten der Gegenwart sind nicht gut beraten, sich über die Erbärmlichkeit der Sozialdemokratie zu freuen… . Die Praxis der Freiheit muss fatalerweise die Herrschaft unter Bedingungen attackieren, die ihr von dieser diktiert werden.“ (S. 267 f)
Um dies aber reflektiert tun zu können, ist die Kenntnis der bisher verschütteten Bolschewismuskritik von links eine unabdingbare Bedingung.
Anmerkungen
Die vollständigen libertären buchseiten 2012 gibt es auch als PDF zum Download.