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Angriff auf die anarchistische Bewegung in Griechenland

| Ralf Dreis

Die Situation im krisengeschüttelten Griechenland spitzt sich weiter zu. Rassistische Angriffe auf MigrantInnen sind an der Tagesordnung. Während die Neofaschisten weiter Zulauf haben, lässt die griechische Regierung Libertäre Zentren und besetzte Häuser räumen. Aus Griechenland berichtet Ralf Dreis. Der Griechisch-Übersetzer, FAU-Aktivist und freie Journalist schreibt seit Jahren für die Graswurzelrevolution über das politische Geschehen in Griechenland. Zwischen 1996 und 2001 in der anarchistischen Bewegung Thessalonikis aktiv, pendelt er seitdem zwischen Deutschland und Griechenland. (GWR-Red.)

Nach der brutalen rassistischen Repression gegen MigrantInnen unter dem zynischen Namen Xenios Zeus (gastfreundlicher Zeus), mit Massenverhaftungen, Folterungen und tausenden Abschiebungen seit Sommer 2012, hat die Regierung aus konservativer Néa Dimokratía, sozialdemokratischer Pasok und „linkem“ Feigenblatt Dimar (Demokratische Linke) nun zum Generalangriff auf die anarchistische Bewegung geblasen.

Ministerpräsident Antónis Samarás hatte im Herbst die Räumung der als „Zentren der Gesetzlosigkeit“ ausgemachten ca. 50 besetzten Parks, Räume und Häuser bis zum Jahresbeginn 2013 angekündigt. Ziel ist, die sozialen Zentren, besetzten Treffpunkte und Häuser, freien Radiostationen, Druckereien, indymedia athen – also die Infrastruktur der anarchistischen Bewegung – als widerständigsten Teil der Bevölkerung, zu zerschlagen.

Die Gesetzlosen: Repression und Widerstand – ein Überblick

Am Morgen des 20. Dezember 2012 überfallen Polizeitruppen unter dem Vorwand einer „anonymen Anzeige“ wegen Drogenhandels, das seit knapp 23 Jahren besetzte Haus Villa Amalias in Athen. Obwohl weder Drogen noch große Mengen Bargeld gefunden werden, wird das Haus geräumt und seitdem von starken Polizeikräften rund um die Uhr bewacht.

Die bürgerliche Presse verbreitet bereitwillig alle Polizeilügen über das „Terrornest“. Leere Bierflaschen in der Kneipe des Hauses und das Heizöl des Ofens gelten als schlagkräftige Beweise der „Demokraten“. Da Texte oft mehr Sprengkraft als Bomben besitzen wird die Druckerei der „Villa“ beschlagnahmt.

In über 30 griechischen Städten und Dörfern finden Solidaritätsdemos und Kundgebungen statt.

Faschisten greifen im Morgengrauen des 22.12.2012 den seit 2009 existierenden sozialen Raum Xánadu in der nordgriechischen Kleinstadt Xánthi an. Der Brandanschlag verursacht große materielle Schäden, der Wiederaufbau läuft.

23./24.12.2012. Viele Solidaritätsaktionen, u.a. wird das Athener Rathaus mit Farbbomben verschönert.

Am 28.12. ziehen staatliche Unterdrückungskräfte vor der Wirtschaftfakultät ASOEE in Athen auf. Erneut soll sich ein „anonymer Anrufer“ über Handel mit illegalen Waren beschwert haben. 16 Straßenhändler, die aufs Unigelände flüchten, werden verhaftet.

Die selbstverwalteten Räume politischer Gruppen, in der während der Feiertage leeren Universität, werden von Polizeikräften aufgebrochen und die Ausrüstung des anarchistischen Radiosenders radio98fm, der von dort seit über zehn Jahren sendete, beschlagnahmt.

Demonstrationen, Kundgebungen, Plakat- und Sprühaktionen in vielen griechischen Städten. Parteibüros von ND und Pasok werden entglast, im Athener Stadtteil Sepólia ein Brandanschlag auf ein staatliches Bürgerzentrum und in der Nacht des 30.12.2012 ein Brandanschlag auf das Gericht im Stadtteil Chalándri verübt.

In der Sylvesternacht demonstrieren 1500 Menschen am Athener Knast Korydallós. Auch das neue Jahr startet mit Demonstrationen, Kundgebungen, Solidaritätsaktionen in Griechenland und verschiedenen europäischen Ländern.

Chrysí Avgí fordert im Parlament die Räumung des besetzten Hauses Skaramangá.

Am 9. Januar überraschen morgens um 7 Uhr knapp 100 Menschen die um die „Villa“ postierten Polizeitruppen.

Die Wiederbesetzung gelingt. Sofort riegeln starke Polizeikräfte das Viertel ab, Hubschrauber kreisen über der Innenstadt, Tränengasgranaten werden ins Haus geschossen. Um 9 Uhr 30 stürmen so genannte Antiterroreinheiten das Gelände. 93 GenossInnen werden verhaftet.

Im Stadtteil Metaxourgío besetzen rund 40 solidarische Menschen die Parteizentrale von Dimar (Demokratische Linke) und werden nach Anzeige geräumt. Um 15 Uhr treten vermummte Terroreinheiten die Tür des seit 2009 besetzten Hauses Skaramangá ein und stürmen das Gebäude. Sieben Anwesende werden verhaftet.

Mit den Räumungen der Häuser Villa Amalías und Skaramangá gehen die einzigen Flucht- und Schutzräume für Flüchtlinge in diesem an die Nazihochburg Agios Panteleímonas grenzenden Stadtteil verloren. Rund um die Häuser war es bei rassistischen Pogromen immer wieder zu Auseinandersetzungen von AnarchistInnen/AntirassistInnen mit Nazihorden und der Polizei gekommen.

Auf Grund der nicht abreißenden Solidaritätsaktionen lädt die Athener Stadtregierung zur Pressekonferenz. Dort kündigt Bürgermeister Kamínis an, die einst als Schule genutzte Villa Amalías wieder zur Schule umzuwandeln.

Um die Unverfrorenheit dieser Lüge zu verstehen muss man wissen, dass die ehemaligen Schulgebäude vor der Besetzung 1990 mehr als 20 Jahre leer standen und auf Grund des kapitalistischen Spardiktats seit 2011 ca. 1300 Schulen in Griechenland geschlossen wurden. Um 19 Uhr formiert sich ein Protestzug von 2000 Menschen vor der Polizeihauptwache.

Noch in der gleichen Nacht finden Demonstrationen in vielen Städten statt. In Thessaloníki greifen Polizeischläger diese mit Knüppeln und Blendschockgranaten an. In Iráklion und Ioánnina bewerfen die DemonstrantInnen die Rathäuser mit Steinen und Farbbeuteln. In Exárchia kommt es zu Auseinandersetzungen.

Am 10./11.1.2013 besetzen AnarchistInnen Radiostationen in Xánthi, Thessaloníki, Athen, Arta, Chaniá, Préveza, Pátras, Chalkída, Agrínio und einen Fernsehsender in Mytilíni, um der staatlichen Propaganda und der Hetze der bürgerlichen Presse eigene Inhalte entgegen zu setzen. In Athen versucht die Polizei die 50 BesetzerInnen zu verhaften, was durch solidarische JournalistInnen des Senders verhindert wird.

In der Nacht zuvor war bei Brandanschlägen auf die Privathäuser von fünf als üble Hetzer bekannten Fernsehjournalisten Sachschaden entstanden. Betroffen waren der Chef der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Ana, Antónis Skyllákos, sowie Moderatoren des staatlichen Fernsehsenders NET und der Privatsender Mega und Alpha.

Die linkspluralistische Athener Tageszeitung Efimerída ton Sintaktón kommentierte die Anschläge unaufgeregt: „Die Willkür der Arbeitgeber (Kündigungen, Kürzungen, Abschaffung der Tarifverträge) hat nicht nur zu heftigen Erschütterungen im gesamten Arbeitsbereich geführt, sondern auch in der Berufsethik von Journalisten, die, um nicht ihre Arbeit zu verlieren ohne den geringsten Widerspruch bereit sind, Errungenschaften von Jahren zu verraten. Sie unterlassen es kritisch zu hinterfragen, nachzuforschen, etwas aufzudecken und jene zu schützen die keine Stimme haben und mutieren zu Lautsprechern ihrer Arbeitgeber. So dienen sie bewusst oder unbewusst dem Interessengeflecht ihrer Chefs mit den Machtmenschen der Großunternehmen.“

In mehreren Städten kommt es zu Attacken auf Banken, staatliche Einrichtungen und Parteibüros von ND und Pasok. Die Wirtschaftsfakultät ASOEE wird von StudentInnen besetzt.

Am 12.1.2013 finden Großdemonstrationen und Kundgebungen in vielen Städten statt: 12.000 demonstrieren in Athen, 2000 in Thessaloníki, 1500 in Lárissa, 1000 in Pátras, hunderte in Irákeion, Rethímnon, Chaniá, Ioánnina… Im Athener Stadtteil Vyronas werden abends brennende Barrikaden errichtet.

Inzwischen fliegen auch im Parlament die Fetzen. Die Regierungsparteien ND, Pasok, Dimar sowie die Nazis von Chrysí Avgí beschuldigen Syriza (Allianz der radikalen Linken) der „mangelnden Distanz zur Gewalt“ und der „Zusammenarbeit mit Terroristen“. Sprecher von Syriza entgegnen, solcherart „Junta-Rhetorik“ und die Räumungen besetzter Häuser sollten von der „katastrophalen, gegen die Bevölkerung gerichteten Politik“ ablenken.

Große Teile der regimetreuen Presse heizen mit Bürgerkriegsszenarien die explosive Stimmung an und geraten förmlich in einen hysterischen Wahn als in der Nacht zum 14.1.2013 Schüsse aus einer Kalaschnikow auf das nachts leere, zentrale ND-Parteibüro abgegeben werden. AnarchistInnen auf indymedia athen gehen in großer Mehrzahl von einem parastaatlichen Angriff aus, der nach der beeindruckenden Großdemonstration Angst verbreiten solle. Die Sozialforscherin María Logothéti und ihr Kollege Níkos Soúzas analysieren in der Efimerída ton Sintaktón vom 14.1. die zugespitzte Situation: „In der Villa Amalías und den anderen besetzten Häusern Griechenlands wird ein politischer Gegenvorschlag zum Herrschenden umgesetzt: Das Ziel einer anderen Gesellschaft nimmt dort im hier und jetzt Gestalt an. (…) Die Villa Amalías hat großen Anteil daran, die Idee der Selbstorganisierung und Selbstverwaltung, das Modell der Entscheidungsfindung in offenen Plena, die direkte Demokratie, in der griechischen Gesellschaft zu verbreiten.

Vom Staat als autoritäre Schule aufgegeben, verwandelte sich die besetzte Villa in eine andere, eine freiheitliche Schule, vielleicht sogar in das öffentlichste und offenste Gebäude der ganzen Stadt. (…) Man könnte sagen, dass die feindliche und repressive Herangehensweise der Herrschenden der Tatsache geschuldet ist, dass die besetzten Häuser den Kern ihrer Politik angreifen. (…) Der Angriff auf die besetzten Häuser hat auch mit einem Krieg auf dieser Ebene zu tun. Diese Infrastruktur zu erschaffen, die lebenswichtig für die tägliche Arbeit der Bewegung ist, hat sehr viel Kraft gekostet. Die Bedeutung der Häuser ist für die Bewegung von daher riesig und ihre Verteidigung selbstverständlich.“

In der Nacht vom 15.1.2013 werden Anschläge auf Parteibüros von ND und Pasok, Banken, Konzerne und staatliche Einrichtungen verübt.

Am Mittag des 15.1. räumen MAT-Kommandos das älteste, seit 1988 besetzte Athener Haus, Lela Karagiánnis und verhaften die 14 Anwesenden. 200 bis 300 AnwohnerInnen und GenossInnen sammeln sich um das Haus. Um 15 Uhr gelingt die Widerbesetzung.

In Berlin besetzen solidarische Menschen die griechische Botschaft.

Die Gesetzestreuen – ein Ausschnitt

Ein Drittel aller GriechInnen, fast dreieinhalb Millionen Menschen, haben kein Geld für eine vernünftige Ernährung, für Arzneimittel, zum Bezahlen von Rechnungen, zum Heizen und auch nicht für Urlaub. Sie alle sind namentlich unbekannt.

Es sei denn, sie begehen Selbstmord und erheben sich so zumindest für einen Tag aus ihrer Bedeutungslosigkeit und werden zur Meldung jener Massenmedien, die ihnen zuvor Tag für Tag die Unumgänglichkeit der herrschenden Politik verkauft haben. Medien, im Besitz einer Oligarchie, die seit Jahrzehnten die Geschicke des Landes bestimmt – die Namen sind bekannt.

Wie Giorgos Bóbolas, dessen Konzerne nicht nur Land und Rechte zum Goldabbau auf Chalkidikí oder zum Bau der Mülldeponie in Keratéa für ein Trinkgeld zugeschachert bekamen. Der Medienmogul sorgt auch mit seinen Zeitungen Ta Néa und To Víma, dem Fernsehkanal Mega und mehreren Radiostationen dafür, den Widerstand gegen die Projekte zu diskreditieren und die Regierung zu stützen. Heute, wo Banken kaum einen Kredit vergeben, bekam sein Sender Mega-TV einen 98 Millionen Euro Kredit.

Oder Giánnis Alafoúzos, der vor wenigen Monaten den Fußballverein Panathinaikós Athen kaufte und Spross einer traditionellen Reederfamilie ist.

Erfolgreich beschäftigt sich der gesamte Clan mit der per Verfassungsdekret steuerfreien Schifferei. Außerdem kontrolliert Alafoúzos mit seinem Medienkonzern ebenfalls einen Teil der öffentlichen Meinung. Täglich propagieren Skai TV, Skai Radio und die einflussreiche Zeitung Kathimeriní, die Notwendigkeit von Lohn- und Sozialkürzungen, hetzen gegen AnarchistInnen und Linke oder fordern die Räumung besetzter Häuser. Skai TV war im Übrigen der erste große Sender, der Chrysí Avgí ein Podium bot.

Alafoúzos persönliches Einkommen liegt laut der vom Finanzamt 2012 akzeptierten Steuererklärung bei genau 26.160,40 Euro. (Diese und folgende Zahlen: Wassilis Aswestópoulos, 10.1.2013, www.heise.de)

Noch schlechter geht es Andreas Vgenópoulos, einem Mitbesitzer von Panathinaikós. Nur 18.217,41 Euro soll der Vorstandsvorsitzende des Investmentunternehmens Marfin Investment Group im kompletten Jahr 2011 verdient haben. Das jedenfalls besagt die vom Finanzamt akzeptierte Steuererklärung. Nebenjobs, wie den des Vizepräsidenten von Olympic Air übernimmt Vgenópoulos offenbar für einen feuchten Händedruck. Seine auf Zypern registrierte Marfin Bank gehört zu den Instituten, die nun auf den Euro-Rettungsschirm für die geteilte Insel hoffen.

Verarmt ist auch Sokrátis Kókkalis, der sich als Software-, Elektronik-, Lotterie- und Bauunternehmer gerne mit Eintragungen in die Forbes-Liste der Milliardäre schmückte.

Noch 2010, nachdem die Kinder die Nachfolge im Unternehmen antraten, besaß er den Fußball- und Basketballserienmeister Olympiakós Piräus, sowie ein geschätztes Vermögen von 200 Millionen.

Mit 26.870,11 Euro Jahreseinkommen zählt er heute nur noch zum unteren Mittelstand. Dass schon eine konservative Geldanlage des Vermögens ein Vielfaches an Zinserträgen einbringt stört weder Finanzamt noch Politik.

Wohl aus Mitleid hat Finanzminister Giánnis Stournáras (ND) sein Herz für die verarmte Elite des Landes entdeckt und zu Weihnachten die Luxussteuer auf Pools, Privatflugzeuge, Luxuslimousinen, Yachten und luxuriöse Villen abgeschafft. Die Begründung: „Die erhobene Steuer bringt nichts und war nur eine außerordentliche Belastung zur Bewältigung der Krise.“

Anmerkungen

PS: Solidarität ist eine Waffe - lassen wir uns was einfallen!