feminismus

Prostitution zwischen Arbeit und Missbrauch

Die Debatte um den von der EMMA lancierten "Appell gegen Prostitution" strotzt vor Verallgemeinerungen und Diskriminierungen

| Kerstin Wilhelms

Der Appell

In dem „Appell gegen Prostitution“, der in der November/Dezember-Ausgabe der EMMA erschienen ist, (1) fordert die Redaktion mit ihren 90 UnterstützerInnen die Abschaffung der Prostitution.

Neben Forderungen nach Gesetzesänderungen zur Eindämmung von Frauenhandel, zur Präventions- und Ausstiegshilfen steht die Forderung nach Ächtung und damit nach Bestrafung der Freier, „also der Frauenkäufer, ohne die dieser Menschenmarkt nicht existieren würde“. So berechtigt sich die Forderungen der EMMA und ihrer UnterstützerInnen auf den ersten Blick anhören mögen, sie sind zutiefst problematisch.

Vor allem die übergeneralisierende und kriminalisierende Rhetorik des Textes führt dazu, dass Menschen in der Prostitution diskriminiert werden. So zum Beispiel der gleich im ersten Absatz aufgebaute Vergleich der Prostitution mit Sklaverei („Doch genau das [die Sklaverei zu tolerieren oder gar zu propagieren] tut Deutschland mit der Prostitution: Es toleriert, ja fördert diese moderne Sklaverei“]. Solche Vergleiche entmündigen alle Menschen in der Prostitution, auch solche, die ihren Job freiwillig und selbstbestimmt ausüben, die sozialversichert und z.B. bei Ver.di oder in eigenen Lobbygruppen organisiert sind.

Prostitution und kommerzialisierter Missbrauch

Noch einen Schritt weiter geht die schwedische Verbotsbefürworterin Kajsa Ekis Ekman mit ihrer Definition von Prostitution:“Prostitution bedeutet, dass zwei Personen Sex haben, von denen die eine das will und die andere nicht.“ (2)

Was Ekman hier definiert ist jedoch nicht etwa Prostitution. Diese Definition trifft für nichts anderes als eine Vergewaltigung zu. Prostitution ist aber keine Vergewaltigung. Jedenfalls nicht per se.

Diese pauschale Gleichsetzung stilisiert die Freier zu Tätern (und nicht etwa die Frauenhändler und Zuhälter) und die Prostituierten zu Opfern. Diese Unfähigkeit zu differenzieren scheint mir ein Grundproblem der gegenwärtigen Debatte zu sein.

Sonia Dolinsek führt eine meiner Ansicht nach wichtige Unterscheidung ein in ihrem lesenswerten Beitrag auf www.menschenhandelheute.net: „Eine Frau, die ungewollt in die Prostitution gebracht wurde, ist keine Prostituierte, die sexuelle Dienste anbietet, sondern eine Person, die sexuelle Gewalt erfährt, womit jemand anders Geld verdient – jedoch nicht sie selber. Wer nie in die Prostitution wollte und trotzdem dort ausgebeutet wird, ist von kommerziellem sexuellem Missbrauch betroffen. Diese Person „prostituiert sich“ nicht, sondern sie wird vergewaltigt und eine Vergewaltigung ist keine Dienstleistung. […] Auch ‚Kinderprostitution‘ gibt es in dem Sinne nicht – denn Kinder prostituieren sich nicht, sondern sie erfahren kommerzialisierten sexuellen Missbrauch.“ (3)

Dass dieses Maß an Differenzierungsfähigkeit von AutorInnen wie der EMMA-Redaktion zugunsten ihres Arguments vernachlässigt wird, zeigt ein weiteres Zitat aus dem Appell: „Weltweit sind Frauenhandel und Prostitution, beides untrennbar miteinander verbunden, heute neben dem Waffen- und Drogenhandel das Geschäft mit der höchsten Profitrate (über 1000 Prozent). Profit nicht für die Frauen.“

Mit der Gleichsetzung von Frauenhandel und Prostitution ignoriert die EMMA die wichtige Unterscheidung zwischen sexueller Dienstleistung und kommerziellem sexuellem Missbrauch.

Die Übergeneralisierung des definitiv zu ächtenden Vorgehens von Schlepperbanden, Loverboys und Zuhältern etc. auf alle Formen von Prostitution führt nicht nur an der realen Vielfalt der Szene und der Motivationen für diese Tätigkeit vorbei, sie führt die Debatte zudem auf ein Niveau, das sich nur kaum noch von dem der Bild-Zeitung unterscheidet.

Prostitution im Hinterzimmer – Prostitution als Arbeit

Ähnlich verhält es sich mit der Forderung, die Freier für den Konsum sexueller Dienstleistungen zu bestrafen. Eine derartige Kriminalisierung der Prostitution würde wahrscheinlich lediglich dazu führen, dass Dienstleistungen „im Hinterzimmer“ angeboten würden, was auf keinen Fall zu einer Verbesserung der Arbeits-, Lebens- und Hygienebedingungen der SexarbeiterInnen führen würde.

Im Gegenteil sagen befragte Prostituierte aus, die Legalisierung ihres Berufs hätte positive Auswirkungen gehabt: „Ich halte es auf jeden Fall für sinnvoll, dass die Sittenwidrigkeit und die Förderung der Prostitution abgeschafft worden sind. Das sind Aspekte, die ganz wichtig sind, vor allen Dingen auch dahingehend, dass jetzt eine Betreiberin einen Laden aufmachen kann, wo Frauen geschützt unter sauberen, hygienischen Bedingungen arbeiten können. […] Als Verbesserung für meine eigne Situation sehe ich, dass ich zum Beispiel sagen könnte, ich mache ein Studio oder eine eigene Terminwohnung auf und habe dann nicht das Gefühl, mit einem Bein im Knast zu stehen.“ (4)

Anstatt Stammtischparolen zu verbreiten, würde man sich also eine differenzierte und an der Lebensrealität der Betroffenen orientierte Debatte wünschen.

So sollte man sich klar machen, dass Prostitution als Dienstleistung – und nicht als kommerzielle Vergewaltigung – eine Arbeit ist, mit der man mal mehr oder mal weniger zufrieden sein kann, die über gesetzliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen gestaltet werden kann und deren Ausübende nicht per se Opfer, aber auch nicht per se devote Promiskuitive sind.

Wenn Ekman sagt, dass „die allermeisten Prostituierten mit der Prostitution aufhören wollen“, fragt man sich nicht nur, woher sie das weiß, sondern auch, aus welchen Gründen diese Frauen aussteigen wollen. Denn wenn sie das Gefühl haben, bedroht, ausgebeutet oder unterdrückt zu sein, müssen wir diese Debatte völlig anders führen, als wenn mehrheitlich Gründe wie Angst vor Altersarmut und mangelnde Absicherung, sowie gesellschaftliche Stigmatisierungen genannt werden. Dann nämlich stehen wir vor einer gesellschaftlichen Aufgabe, dieses Stigma aufzuheben. Versuche, die Prostitution zu re-kriminalisieren stehen dem diametral entgegen.

Prostitution und Kapitalismus

Das gesellschaftliche Stigma ist es denn auch, was den Ausstieg so besonders schwer macht und was dazu führt, dass die Prostitution vermutlich niemals als ein ‚Job wie jeder andere‘ angesehen wird.

Wir bewerten die Tatsache, dass jemand seinen Körper als Ware verkauft traditionell anders als den Verkauf der eigenen Arbeitskraft. Es ist für die meisten von uns etwas anderes, ob ich unfreiwillig und aus Not in einem Call Center arbeite oder als ProstituierteR.

Das hat nicht zuletzt mit unseren Vorstellungen von körperlicher Integrität und Souveränität zu tun – und das ist gut so! Doch wird in der Prostitution unter den Bedingungen der kapitalistischen Marktwirtschaft der Körper eine Ware, die materialisierte Arbeitskraft.

Die Ausbeutung dieser Arbeitskraft deutet damit auf die Verfasstheit kapitalistischer Arbeit per se. Prostitution ist damit die Radikalisierung und Ausstellung der ansonsten verschleierten Ausbeutungsverhältnisse im Kapitalismus. Kein Wunder also, dass sich die Gesellschaft mit diesem Berufszweig schwer tut. Natürlich würde sie lieber verdrängen, ausblenden, kriminalisieren.

Aber gerade weil uns Prostitution vor Augen führt, wie wir arbeiten, ist es wichtig, hier die richtigen Weichen zu stellen. Nicht die Kriminalisierung von KonsumentInnen und ArbeiterInnen ist nötig, sondern die von Profiteuren und Ausbeutern, die einer Selbstverwirklichung in der Prostitution – und dazu gehört auch ein Ausstieg aus der Prostitution – verhindern.

Ebenso ist es dringend nötig, das gesellschaftliche Bild von Menschen in der Prostitution zu hinterfragen, sie nicht von vornherein als Opfer darzustellen, sondern als ArbeiterInnen und dadurch die gesellschaftlichen Stigmata, die mit diesem Beruf verbunden sind, abzubauen. Anstatt ihnen immer wieder, wie es die EMMA tut, Steine in den Weg zu legen, muss es darum gehen, den Menschen in der Prostitution die Bildung von Organisationen, Rahmenbedingungen und Strukturen zu erleichtern, die es ihnen ermöglichen, einen selbstbewussten Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen. Und anstatt Freier zu bestrafen, wäre es für eine kurz- bis mittelfristige Verbesserung der Lage von Prostituierten sinnvoller, an ihre Funktion als Konsumenten zu appellieren und sie – auch zu ihrem eigenen Schutz – auf die sauberen Häuser zu verweisen, in denen Menschen nicht missbraucht werden.

Natürlich wünsche ich mir, genau wie Ekman, eine „Befreiung der Sexualität vom Kommerz“. Selbstverständlich. Ich wünsche mir eine Befreiung aller Lebensbereiche vom Kommerz.

Dennoch muss es zugleich darum gehen die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen im Sinne der ArbeiterInnen zu verbessern. Dabei helfen Verbote, Kriminalisierung und Stigmatisierungen nicht weiter.