Die jüngste Diskussion über Prostitution hat gezeigt, wie sehr politische Debatten hierzulande mit der Frage nach Gesetzen und Verboten gleichgesetzt werden.
So hat Alice Schwarzer gleich zu Beginn ihren (berechtigten) Appell dagegen, dass Prostitution zunehmend als normales und unausweichliches gesellschaftliches Phänomen betrachtet wird, unmittelbar mit einer Forderung nach gesetzlichen Verboten und Reglementierungen von Sexarbeit verknüpft. Die Gegenseite wiederum hat aus ihrer (ebenfalls richtigen) Beobachtung heraus, dass ein Prostitutionsverbot in erster Linie den anschaffenden Frauen schaden würde, ein unkritisches, ja fast kitschig positives Bild von Sexarbeit als selbstbestimmter Tätigkeit sexuell freier Menschen gezeichnet.
Doch wenn die Frage nach „gut/schlecht“ oder „freiheitlich/ausbeuterisch“ unmittelbar verknüpft wird mit der Schlussfolgerung „muss der Staat erlauben/verbieten“, dann wird der eigentliche Kern des Themas verfehlt. Dass ein gesetzliches Verbot von Prostitution vor allem den betroffenen Frauen schadet, lässt sich kaum bezweifeln. Deshalb haben sich nicht nur Vereinigungen von Sexarbeiter_innen und Pro-Sexarbeits-Feministinnen gegen den Schwarzer-Appell positioniert, sondern zum Beispiel auch viele soziale Beratungsstellen.
Im Übrigen ist das Engagement gegen die staatliche Reglementierung von Prostitution ein altes Thema der Frauenbewegung. Es geht zurück auf den Kampf gegen den so genannten „Contagious Diseases Act“ („Gesetz gegen ansteckende Krankheiten“) in Großbritannien von 1864, wonach die Polizei das Recht bekam, jedwede der Prostitution verdächtigte Frau zu inhaftieren und einer zwangsweisen Gesundheitsuntersuchung auszuliefern. Unter der Anführung von Josephine Butler haben damals auch zahlreiche bürgerliche Frauen und Frauenvereine gegen dieses offen frauenfeindliche Gesetz gekämpft.
Wenn Alice Schwarzer nun betont, der Kampf gegen Prostitution sei ein altes Anliegen der Frauenbewegung, dann ist das also nur teilweise richtig: Wahr ist, dass Feministinnen schon sehr früh forderten, für die gesellschaftlich schädlichen Folgen von Prostitution nicht die anschaffenden Frauen, sondern die Freier zur Verantwortung zu ziehen. Daran anknüpfend befürworten Schwarzer – und mit ihr viele andere Feministinnen – eine gesetzliche Regelung nach schwedischem Modell. Sie legen Wert darauf, dass sie gegen eine Strafverfolgung von Prostituierten seien, sondern lediglich die Freier ins Visier nähmen.
Allerdings geht es heute nicht mehr um die Verbreitung ansteckender Krankheiten, sondern um Prostitution generell. Die Nachfrage nach Sex gegen Geld soll, so die Forderung, als solche unter Strafe gestellt werden. Eine solche Illegalisierung würde aber zwangsläufig auch die Prostituierten rechtloser machen, denn Sexarbeiterinnen hätten es dann schwerer, sich abzusichern, sich zu wehren, soziale Hilfestrukturen in Anspruch zu nehmen, sich generell zu organisieren.
Ganz abgesehen davon, dass sie es schwerer hätten, Kunden zu finden. Bei Prostitution handelt es sich schließlich in erster Linie nicht um ein strafrechtliches, sondern um ein ökonomisches Thema: Frauen bieten Sexdienste an, weil sie darin eine bessere Möglichkeit sehen, zu Geld zu kommen, als in anderen Lebensoptionen, die ihnen offen stehen. Zu Recht weisen Pro-Sexarbeit-Aktivistinnen darauf hin, dass wirkliche Zwangsprostitution nur einen kleinen Anteil am Geschäft mit der Prostitution ausmacht.
Die überwiegende Mehrheit der Sexarbeiterinnen (und Sexarbeiter) wählt diese Tätigkeit, weil es angesichts ihrer konkreten Lebenssituation die am wenigsten schlechteste ist – weil sie zum Beispiel anders kaum Möglichkeiten haben, für sich oder ihre Kinder an Geld zu kommen. Und man kann ruhig davon ausgehen, dass sie sehr wohl in der Lage sind, ihre Situation und ihre Optionen realistisch einzuschätzen.
Paternalistische Besserwisserei ist hier ganz und gar fehl am Platz.
Dass die meisten Sexarbeiterinnen ihre Arbeit in diesem Sinne „freiwillig“ tun, kann jedoch andererseits kein Argument dafür sein, das Phänomen Prostitution als völlig okay einzustufen oder darin sogar einen Ausdruck sexueller Freiheit zu sehen.
An dieser Stelle wurde in der Debatte deutlich, wie weit neoliberale Begründungsmuster bereits in linke und feministische Denkweisen vorgedrungen sind: Hauptsache freiwillig, dann ist alles erlaubt. Folgerichtig fand kaum jemand etwas dabei, wenn sich Allianzen zwischen Feministinnen, Freierverbänden und Bordellbetreibern bildeten.
Aber natürlich ist nicht alles, was freiwillig geschieht, auch okay. Und auch wenn die Entscheidung, mit Prostitution Geld zu verdienen, von den Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern nicht unter Zwang getroffen wird, sondern auf rationalen und selbstbestimmten Überlegungen basiert, muss die Frage erlaubt sein, wie dieses Phänomen zu bewerten und einzuschätzen ist.
Allerdings ist das eine Diskussion, die nur sinnvoll geführt werden kann, wenn man das Thema „Gesetzgebung“ verlässt. Es geht hier nämlich nicht einfach um „richtig/falsch“, sondern um die Frage, was wir wollen. Eine Positionierung ist erforderlich, die „zutreffende“ Lösung liegt nicht „in der Natur der Dinge“.
Sicher ist es prinzipiell möglich, Sex als Ware, als Dienstleistung zu verstehen. Mehr noch: In einer durchkapitalisierten Welt, die inzwischen den Anspruch erhebt, alles und jedes warenförmig zu organisieren, erscheint es vielen geradezu altbacken und moralisch, wenn man bestimmte Aspekte des Lebens, zum Beispiel sexuelle Beziehungen zwischen Menschen, nicht in diese Mühle geben will. Wer sich mit der Normalisierung von Prostitution nicht abfindet, gerät schnell in den Verdacht, sexuell prüde und „von gestern“ zu sein.
Dabei wird jedoch übersehen, dass das Modell „Sex als Dienstleistung“ in Wahrheit eine alte patriarchale Vorstellung von Sexualität propagiert, nämlich die, dass Sex nicht etwas sei, das zwei (oder mehr) Menschen aufgrund von gegenseitigem Begehren miteinander tun, sondern etwas, das einer (in aller Regel ein Mann) mit einem anderen (in aller Regel eine Frau oder ein jüngerer Mann) tut, und zwar, ohne Rücksicht auf deren oder dessen eigenes sexuelles Begehren.
Dieses traditionell-patriarchale Verständnis von Sex als hierarchische Beziehung kann heute nicht mehr so ohne weiteres in der heterosexuellen Ehe oder in anderen Abhängigkeitsverhältnissen ausgelebt werden.
Mit dem Feminismus haben die Frauen aufgehört, den alten viktorianischen Ratschlag, „schließ die Augen und denk an England“, als natürliche Pflicht von Ehefrauen zu akzeptieren. Dass eine Frau für „ihren Mann“ die Beine breit machen muss, ohne selbst sexuell erregt zu sein oder Lust auf Sex zu haben, ist in emanzipierten und gleichgestellten Zeiten nicht mehr gesellschaftsfähig, von der gesellschaftlichen Akzeptanz von Pädophilie ganz zu schweigen.
Doch wenn die Bereitstellung eines weiblichen oder jugendlichen Körpers zur Befriedigung der sexuellen Lüste eines erwachsenen Mannes nicht im Rahmen „ehelicher Pflichten“ oder sonstiger hierarchischer Verhältnisse geschieht, sondern im Rahmen eines geregelten Konsumverhältnisses – dann scheint plötzlich wieder alles paletti zu sein. Was sich verkauft, ist erlaubt und gut, das ist der Kern des neoliberalen Weltbildes. Doch in Wirklichkeit ist es eben nur dasselbe in Grün: Männer haben das Recht, sich mithilfe der Körper anderer Menschen zu befriedigen ohne Rücksicht auf deren eigenes Begehren nehmen zu müssen – solange sie sich dabei an gewisse Regeln halten und nicht über die Stränge schlagen.
Entsprechend hat sich die Idee ausgebreitet, „Consent“ sei als formale Zustimmung für sexuelle Handlungen ausreichend. Diese Sichtweise betrifft nicht nur das Feld der Prostitution, sondern auch etwa die Debatten um Vergewaltigungen: Wer nicht verstehbar und eindeutig (und im Zweifelsfall gerichtsfest beweisbar) den „Consent“ verweigert, muss hinnehmen, dass ein Mann seinen Penis in die eigenen Körperöffnungen steckt, denn dieser ist nicht dazu verpflichtet, sich vorab zu vergewissern, ob das Gegenüber überhaupt Lust dazu hat.
Es ist diese „Consent“-Kultur in Bezug auf Sex, die die Zweite Frauenbewegung im Visier hatte und die feministisch zu kritisieren wäre. Denn auch die Ehefrau, die die Augen schloss und an England dachte, hatte ja formal ihre Zustimmung zum „Vollzug“ gegeben. Sie war eben selber davon überzeugt, dass ihr Ehemann das Recht hat, sich unter Benutzung ihres Körpers sexuelles Vergnügen zu bereiten (schließlich hatte er sie im Gegenzug geheiratet).
Und ebenso ist die selbstbestimmte Prostituierte von heute davon überzeugt, dass sie einen Kunden unter Einsatz ihres Körpers sexuell befriedigen muss (schließlich hat sie das angeboten und er hat sie dafür bezahlt).
Beides natürlich nur ohne Zwang und Gewaltanwendung und in den Grenzen des Anständigen, versteht sich.
Es ist aus meiner Sicht mehr als wünschenswert, die Frage nach dem gegenseitigen Begehren als Voraussetzung für legitimen Sex ins Zentrum der Debatte zu rücken. Warum zum Beispiel haben Freier überhaupt Lust, mit einer Frau oder einem Mann Sex zu haben, die oder der das nur für Geld macht? Warum legen sie so wenig Wert darauf, von ihrem Gegenüber begehrt zu werden? Wie wirkt sich diese Geringschätzung des Begehrens der anderen über den Aspekt der Sexualität hinaus auf das Verhältnis der Geschlechter aus? Oder auf das Verhältnis zwischen Reichen und Armen, zwischen denen „da oben“ und denen „da unten“?
Beginnt Vergewaltigung wirklich erst dort, wo eine Frau gegen ihren ausdrücklichen Protest „gefickt“ wird? Oder schon dort, wo ein Mann sich nicht darum schert, ob sie (oder der junge Mann, dessen „Kunde“ er ist), selbst auch Lust auf Sex hat?
Wie absurd es ist, solche Fragen unter Verweis auf bloßen „Consent“ auszublenden, wurde an einer anderen in den letzten Wochen zuweilen vorgetragenen Parallele deutlich, nämlich der, wonach schließlich auch andere „körpernahe Dienstleistungen“ als gesellschaftlich akzeptabel gälten, zum Beispiel in der Altenpflege. Ist es nicht genauso „eklig“, so wurde argumentiert, einem inkontinenten Menschen den Hintern zu reinigen wie einem geilen Mann einen runterzuholen?
Unter neoliberaler Ägide ist offenbar völlig aus dem Blick geraten, dass sich der Sinn von Arbeit nicht daran bemisst, ob sie „Spaß macht“, sondern in erster Linie daran, ob sie nützlich und sinnvoll ist. Die Sorge um pflegebedürftige Menschen ist ja wohl unbestreitbar gesellschaftlich notwendig. Es sagt viel über die Anspruchshaltung von Männern aus, wenn sie allen Ernstes die Befriedigung ihrer sexuellen Wünsche mit der körperlichen Bedürftigkeit alter oder kranker Menschen gleichsetzen.
Sicher, in Einzelfällen mag es vorkommen, dass Menschen, etwa mit schweren körperlichen oder geistigen Einschränkungen, keine Möglichkeit haben, außerhalb der Prostitution Sexualpartner_innen zu finden.
Aber dies als generelle Begründung für die Legitimität von Prostitution ins Feld zu führen, ist absurd. In aller Regel ist es nämlich nicht der Wunsch nach überhaupt irgendeiner Form von Sexualität, die Männer zum Kauf von sexuellen Diensten bewegt. Sondern es ist der Anspruch, Sexualität exakt so ausleben zu können, wie es den eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht, und mit solchen Menschen, die den eigenen „Qualitätsansprüchen“ an akzeptable Sexualpartner_innen genügen. „Normale“ Frauen – und so wird es in Freierforen auch ganz offen diskutiert – stellen Ansprüche, außerdem sie sind zu dick, zu alt oder zu hässlich. Oder sie lassen sich nur ungern in den Arsch ficken und fesseln. Oder sie wollen nicht nur Sex, sondern auch noch Zuwendung und Aufmerksamkeit, und am Ende hat man dann noch ein Kind an der Backe.
Prostituierte hingegen machen das, was sie versprochen haben und wofür man bezahlt hat, und stellen keine weiteren Ansprüche. Ist das nicht toll?
Prostitution, so könnte man auch sagen, ist die institutionalisierte Idee vom Recht des Mannes auf sexuellen Egoismus. Und deshalb bestärkt sie eine Vorstellung von Männlichkeit, deren schädlicher Einfluss auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen wirksam ist und die deshalb dringend revidiert werden müsste.
Möglich ist ein solcher Paradigmenwechsel allerdings nur, wenn wir die dafür notwendige Debatte offen führen und nicht mit dem Ruf nach staatlicher Reglementierung von Prostitution vermischen.