nachruf

Fuck the World ist tot

Ein Nachruf auf den Hamburger Graffiti-Aktivisten Oz

| Nicolai Hagedorn

Das berüchtigte Hamburger Spießertum verliert seinen Lieblingsfeind. Der notorische Graffiti-Sprayer Oz, der seit Jahrzehnten nicht nur die Polizei, sondern auch die bürgerliche Justiz in Atem hielt, wurde beim Sprayen von einer S-Bahn erfasst und starb an seinen Verletzungen.

Über die 90er dichtete Funny van Dannen einmal:“Die Arbeitslosenzahlen stiegen weiter und es ging um Gentechnologie – die grauen Städte kämpften tapfer gegen Graffiti“ und wer den Song „Jan Ulrich“, aus dem dieser Vers stammt, heute noch einmal hört, wird sich wundern, wie wenig sich in der kapitalistisch deformierten und domestizierten menschlichen Gesellschaft in den letzten zehn bis zwanzig Jahren geändert hat.

Wo Nietzsche noch von der ewigen Wiederkunft des Gleichen philosophierte, scheint heute gar nichts mehr wiederkehren zu können, da ein Gleiches das letzte stetig ablöst, also nicht einmal eine ringförmige Prozesshaftigkeit, die früher oder später zu ihrem Anfang zurückkehren muss, mehr stattfinden kann, da auch der, der im Kreis laufen will, mindestens einmal losgehen muss.

Die wievielte Meisterschaft Bayern München gewonnen hat und mit wie vielen Punkten Vorsprung, ist weder einen Gedanken, noch eine Emotion wert. Keiner weiß mehr, wie die Spieler, Sänger, Maler, Musiker, Schriftsteller heißen, was einen vom anderen unterscheidet, wozu Tausende täglich neu produzierte „Werke“ der (Pop)Kultur überhaupt da sind, beitragen oder führen sollen.

Bezeichnender als die Austauschbarkeit der Kulturprodukte ist letztlich nur noch das Gemaule darüber, das „Früher war es besser“ und „Es geht alles den Bach runter“ derer, die im warmen Strom der kulturellen Verwertungsmaschine immer schon mitgeschwommen sind wo sie konnten und es für eine subversive Großtat halten, hin und wieder ein paar Meter Rückenschwimmen einzulegen, um zu zeigen, wie nonkonformistisch sie doch sind.

Jeder gierige Bankmanager, der das System nutzt, um sich daran zu bereichern ohne dabei vorzugeben, irgendwie links oder progressiv zu sein, ist im Vergleich zu all den pseudorebellischen Millionären von Campino bis Jan Delay oder Jonathan Meese geradezu eine ehrliche Haut.

Eine Kunst, die nicht frei ist von betriebswirtschaftlichen Beschränkungen, ist beschränkt und sie hat diese von außen, von den Umständen und Verhältnissen diktierte Beschränktheit gemein mit dem Leben an sich.

Die Erfordernisse der Wertverwertung machen vor dem Kulturbetrieb nicht halt und verwandeln jede freie Kunst ebenso wie jede lebendige Regung des Menschenmaterials in Ware, in tote, abstrakte Arbeit.

Das Gemälde hinter dem Millionärsschreibtisch ist so tot wie eines der Smartphones, das von der Firma hergestellt wird, die er leitet.

Der menschliche Drang nach Spiel und Ausprobieren, nach Sexualität, Genuss und Verwirklichung wird zu einer Funktion, zugunsten derer alle menschlichen Tätigkeiten nicht nur der Erzeugung von akkumulierbarem Mehrwert untergeordnet, sondern letztlich nur noch allein zu diesem Zweck angewendet werden, beziehungsweise in der so genannten Freizeit zwar ausgelebt werden können, aber eben immer unter der Bedingung, dass die eigene Arbeitskraft nicht darunter leidet und der Spaß nicht zu viel kostet. Diese Bedingung ist eine existenzielle und damit unhintergehbar. Wer unter solchen Bedingungen „als Künstler arbeitet“, unterscheidet sich nur hinsichtlich seines verwertbaren Outputs noch vom Versicherungskaufmann oder Kredithai.

Oz wusste das. Seine wenigen „legalen“ Werke malte er einzig, um die horrenden Anwaltskosten, die ihm seine eigentliche Kunst einbrachte, bezahlen zu können. Ins falsche Leben wechselte OZ nur, wenn die falsche Welt mal wieder mit Gefängnis drohte.

Doch selbst auf diesen Zwang, auf die Notwendigkeit Anwälte, Gerichtskosten und Geldbußen zahlen zu müssen, um sein richtiges Leben überhaupt außerhalb von Gefängnismauern führen zu können, pfiff er lange und wurde dafür von der bourgeoisen Justiz mit insgesamt acht Jahren Haft belegt. Für Oz war alles besser als Kooperation.

Von der BILD-Zeitung bis zur Hamburger Morgenpost, von Polizei bis Justiz hatten sich die Organe des Bürgertums längst auf ihn eingeschossen. Ein gewisser vom Hamburger Volk ins Amt gewählter Innensenator namens Ronald Schill erklärte wenige Tage nachdem Oz von Mitarbeitern der Hamburger S-Bahnwache krankenhausreif geprügelt worden war: „Ich habe mit mehreren Menschen gesprochen, und keiner konnte eine gewisse Schadenfreude verbergen.

Das partielle Versagen der Justiz fordert Selbstjustiz also geradezu heraus.“ Die BILD-Zeitung sekundierte: „Wann wird dieser Mann endlich eingesperrt?“ Und meinte damit nicht einen der prügelnden Bahnwächter, sondern selbstverständlich das halbtote Opfer.

Oz errregte Hass und im Umgang mit ihm zeigte sich das rachsüchtige, das unbarmherzige, das wahre Gesicht einer Gesellschaft, die ihre eigenen Triebe, ihre erste Natur, ihr Wesen nicht zwecks eines vernünftigen, humanen Umgangs miteinander unterdrückt, welcher die entgangene Befriedigung in sozialer Freiheit aufheben könnte, sondern nur um sich am nächsten Tag wieder mit Haut und Haaren der Anhäufung toter Arbeit widmen zu können.

Er bringt das intuitiv auf den Punkt, als er während eines Prozesses zu Protokoll gibt, er sei Jude und ein anderes Mal mit einem Pappschild im Gerichtssaal erscheint, auf das er „Ich OZ“ gemalt hat – mit einem „K“ im „O“:

Oz war ein Mann, der in seinem ganzen Leben jede „anständige“, also bezahlte Arbeit zur eigenen Bereicherung verweigert hat. Einer, der, wo immer möglich, den Kontakt zum falschen Leben, zur kapitalistischen Gesellschaft gemieden und auf ihre Honorare, Anerkennungen und Preise geschissen hat, genauso wie darauf, dass diese Gesellschaft die Tatsache, dass er die hässlichen grauen Wände einer hässlichen grauen Großstadt mit Smileys, Tags und manchmal schönen, bunten Bildern verziert hat, als Straftat bezeichnet und aburteilt. Selbst als man ihm Geld und Ruhm anbot, ihn zum Künstler machen und in den Kulturbetrieb integrieren wollte, lehnte er dankend ab und sprayte weiter.

Ein Richter, der ihn für über zwei Jahre ins Gefängnis schickte, belehrte OZ: „Ihre Steuerungsfähigkeit ist tatsächlich eingeschränkt, das vermitteln Sie mit Ihrem Verhalten.“ Die Steuerungsfähigkeit eines sozialen Gefüges, das sich eine solche Sprache schafft, wirft zwar mehr Fragen auf, als die eines Mannes, der bunte, lächelnde Gesichter an Hauswände malt. Der Weltgeist jedoch zeigte sich in diesem Zusammenhang von seiner grinsenden Seite: Der Vertreter der Staatsmacht, der hier sprach, trägt den folgerichtigen Namen Graue.

Der Hamburger Galerist Christoph Tornow indes erklärte OZ einmal so: „Die Studententypen, die – ohne sie jetzt anmachen zu wollen – noch eine Zukunft vor sich haben mit Frau, Auto, Kindern und am besten einem Job als Künstler, die haben einen anderen Mindset als der alte Typ, der einfach nichts zu verlieren hat. Er hat keine Frau, kein Auto, keine Kinder, keine Wertgegenstände, vielleicht auch gar keine Zukunft. Der Typ ist fuck the world. Er versucht einfach nur so lange durchzumachen, bis er irgendwann alle Viere von sich streckt. Das ist tough. Das ist Kampf. (…) Er ist auf alle Fälle der Ritter der Dunkelheit und nicht der Ritter des Lichts. Er kann einem auch Angst machen. Das weiß er und das will er auch. Diese Angst ist ja auch das Heilsame für seine Adressaten. Weil er durch sein Handeln einfach unser gesamtes System in Frage stellt. (…) Er hinterfragt die Sinnhaftigkeit unserer Sozialisation.“ (1)

Fuck the world wurde am 25. September 2014 gegen 22:30 Uhr von einer S-Bahn erfasst und im Alter von 64 Jahren getötet. „Die Bundespolizei stellte ein frisches Graffito auf der Abdeckung einer Stromschiene fest und fand dort eine Dose und einen Rucksack“, meldet Wikipedia.

(1) Andreas Blechschmidt, KP Flügel, Jorinde Reznikoff (Hrsg.): Free OZ!: Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz. Assoziation A, Hamburg 2014, ISBN 978-3-86241-424-6; S. 81

Richtigstellung 9.11.2014

In der Druckfassung sowie einer früheren Online-Version war von einer Freundschaft zwischen Christoph Tornow und OZ die Rede. Diese Darstellung war nicht korrekt.