so viele farben

Schutzkonzept für geflüchtete Frauen

| Maria Braig

Seit einiger Zeit entdecken viele Zeitgenossen, von denen wir das gar nicht erwartet hätten, ihre kämpferische "feministische" Seite. Gleichberechtigung für Frauen (*) und Frauenbefreiung wird großgeschrieben - allerdings nur, solange es nicht darum geht, Frauen im eigenen Land gleich zu bezahlen wie Männer und ihnen überhaupt immer und überall die gleichen Möglichkeiten einzuräumen.

Kriege werden angeblich geführt, um Frauen in Afghanistan und anderswo vor Männergewalt und Unterdrückung zu retten. Und von den Menschen, die vor diesen Kriegen fliehen und bei uns Schutz suchen, wird das Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Frauen verlangt.

Wir leben in einem Land, in dem Männer und Frauen gleiche Rechte und Pflichten haben und wo sich alle mit dem gebührenden Respekt begegnen – heißt es. Diese christlichen und westlichen Werte wollen wir exportieren und wer zu uns kommt, muss von uns lernen und sich zu diesen Werten bekennen.

Neben den Lohnzetteln sprechen allerdings auch die Zahlen der deutschen Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser eine ganz andere Sprache.

Flüchtlingen / Geflüchteten wird nicht erst nach den Kölner Silvestervorkommnissen unterstellt, dass sie, weil sie aus anderen Kulturen kommen, keinen Respekt gegenüber Frauen hätten. In diesem Zusammenhang steht Flüchtling ganz eindeutig für Mann.

Flüchtlinge werden als Bedrohungspotenzial genutzt, vor dem deutsche Frauen geschützt werden müssen. Jeder frauenfeindliche Vorfall, in den augenscheinlich oder auch nur vorgeblich ein geflüchteter Mann verwickelt ist, wird von denen, die Deutschland für sich haben wollen, benutzt, um den Flüchtling als solchen zu diskreditieren und Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren, auch unter jenen, die aus Mitleid bisher aufgeschlossen waren. „Jetzt reicht es aber! Statt dankbar zu sein, bedrohen sie unsere Frauen.“ Gefordert wird dann eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen – die geflüchteten Frauen inbegriffen.

In dieser Situation ist es nicht einfach, für geflüchtete Frauen in den Gemeinschaftsunterkünften den Schutz einzufordern, den sie brauchen, ohne falsche Signale zu geben. Es muss immer und immer wieder betont werden: Geflüchtete Frauen brauchen besonderen Schutz, weil sie als Frauen unter Männern leben und dies in einer extremen Ausnahmesituation. Sie brauchen diesen Schutz nicht, weil sie unter geflüchteten Männern leben, unter Flüchtlingen.

Dieser Zwiespalt, sich für geflüchtete Frauen einzusetzen, ohne der Hetze gegen Geflüchtete allgemein Futter zu geben, bedeutet eine immerwährende Gratwanderung. Für die Frauen, aber nicht gegen die Geflüchteten müssen wir einstehen. Dieser feine Unterschied ist oft nur schwer zu vermitteln.

Die in diesem Zusammenhang von women in exile (https://www.women-in-exile.net/) verbreitete Parole „Keine Lager für Frauen“ führt bereits zur nächsten Stolperfalle im politischen Kampf für einen menschenwürdigen Umgang mit allen Geflüchteten: Auch für Männer sind Lager kein unterstützenswerter Aufenthaltsort. Auch für Männer muss es Alternativen, muss es vernünftige Wohnkonzepte geben.

Dennoch bleibt der Satz „Keine Lager für Frauen“ eine notwendige Forderung, denn in der aktuellen Situation sind wir nicht in der Lage, die Forderung „No Lager“ zeitnah durch- und umzusetzen. Und die Frauen in den Lagern leiden ganz aktuell und ganz besonders unter dem Leben in den Sammelunterkünften, unter dem Leben in der Ausnahmesituation als Frauen unter Männern.

Frauen fliehen anders

Für Frauen gelten vielfach die gleichen Fluchtursachen wie für Männer. Kriege, politische Verfolgung, Religion, sexuelle Orientierung, Hunger und Elend als Folge von wirtschaftlichen Entwicklungen und Klimaveränderung,…

Darüber hinaus gibt es geschlechtsspezifische Fluchtgründe. So fliehen Männer häufiger vor Zwangsrekrutierung oder vor der Verfolgung als Deserteure.

Für Frauen wiederum bedeuten Krieg und politische Verfolgung fast immer das Erleiden sexualisierter Gewalt (oder zumindest die ständige Bedrohung damit), die oft gezielt als Waffe, auch gegen die Angehörigen der Betroffenen, eingesetzt wird.

Frauen fliehen vor Genitalverstümmelung, vor Zwangsverheiratung (dies trifft immer mehr auch homosexuelle Männer), sie fliehen, weil sie keine Möglichkeit auf ein eigenständiges Leben ohne Mann haben.

Unterwegs sind Frauen gefährdeter als Männer. Neben den Gefahren, die eine Flucht auf dem Weg durch viele Länder und über das Wasser für alle Geflüchteten mit sich bringt, sind Frauen immer zusätzlich von sexualisierter Gewalt bedroht. Teilweise werden sie sogar bewusst als Zahlungsmittel „benutzt“, um für ganze Flüchtlingsgruppen die Weiterreise zu ermöglichen. (Emmanuel Mbolela: Mein Weg vom Kongo nach Europa, Mandelbaum Verlag 2014)

Im Zufluchtsland angekommen, sind sie noch lange nicht sicher. Ganz abgesehen von Berichten über sexualisierte Übergriffe durch Heimleiter, die es immer wieder gibt, stellt das Leben im Lager eine dauernde Gefahr dar. Besonders gefährdet sind allein reisende Frauen und Minderjährige. Häufig in unübersichtlichen alten und heruntergekommenen Gebäuden einquartiert, stellen Wege zur Gemeinschaftsküche, zur Dusche, zur Toilette immer eine Gefahr dar. Und dies nicht, weil geflüchtete Frauen unter Flüchtlingen leben, sondern weil Frauen in unerträglichen Verhältnissen zusammengepfercht mit zahlreichen gelangweilten, verzweifelten Männern hausen.

Schutzkonzept für Frauen

Ganz langsam scheint die Problematik auch in den Köpfen der Regierenden anzukommen. Aber anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie Lager insgesamt abgeschafft werden können und als ersten Schritt dazu Konzepte zu entwickeln, Frauen nicht mehr in Lagern unterzubringen, geht es nun um Schutzräume für Frauen innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte.

Das gerne angeführte Argument, da so viele Geflüchtete bei uns einträfen, ginge es nicht anders, wird nicht erst angesichts der Tatsache, dass beispielsweise für das Erstaufnahmelager Bramsche-Hesepe in Niedersachsen das Angebot von privaten Wohnräumen durch eine Initiative der Einheimischen ohne Begründung abgelehnt wurde, unglaubwürdig.

Ende 2015 wurde in Niedersachsen vom Sozial- und Innenministerium ein sogenanntes Schutzkonzept für Frauen vorgestellt. Empfohlen wird die separate Unterbringung von Familien, insbesondere von Müttern mit ihren Kindern. Wohlgemerkt, die separate Unterbringung innerhalb des Lagers. Mindestanforderung: „Es muss einen Platz geben, wo muslimische Frauen ihren Schleier ablegen und ihre Kleinkinder ungestört stillen können“ (Sozialministerin Cornelia Rundt, SPD). Wo bleiben hier allein reisende Frauen, Frauen, die keine Mütter sind, Frauen, die keine Muslima sind und/oder keinen Schleier tragen? Benötigen sie keine Rückzugsmöglichkeiten? Und was ist auf dem Weg zum Rückzugsort?

Aber es kommt noch schlimmer.

Es wird „empfohlen“, geschlechtergetrennte Sanitärbereiche sowie abschließbare nicht einsehbare Toiletten einzurichten.

Wer schon einmal eine Erstaufnahmeeinrichtung / ein Lager für Geflüchtete besucht hat, weiß um diese Zustände. Dennoch ist diese Situation kaum zu glauben und noch weniger zu ertragen: Keine geschlechtergetrennten Sanitäranlagen, keine abschließbaren und nicht einsichtigen Toiletten? In Deutschland sind getrennte Toiletten und Sozialräume seit vielen Jahren Grundstandard. Ich habe vor langer Zeit fast eine Stelle nicht bekommen, auf die ich mich beworben hatte, weil die entsprechende Toilette fehlte.

Und welche Frau, die nicht dem gängigen Rollenbild entspricht, kennt nicht die Situation, dass sie von anderen Frauen oder vom Personal aus öffentlichen Damentoiletten verwiesen wurde? Und in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete gibt es keine getrennten Sanitärbereiche? In Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete gibt es keine abschließbaren und nicht einsehbaren Toiletten? Menschen in unserer Gesellschaft, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen wollen oder können – auch diese gibt es unter den Geflüchteten und auch sie leiden sehr unter den Verhältnissen in den Lagern – kämpfen seit einigen Jahren für die (zusätzliche) Einführung von Unisex-WCs. Einzelduschen, Einzeltoiletten – abschließ- und nicht einsehbar! Diese Lösung würde schon ausreichen und damit wäre allen geholfen.

Dass so etwas überhaupt erst in ein Konzept übernommen werden muss, dass es jemand wagt, so etwas als neue Errungenschaft und die Lösung bestehender Probleme anzupreisen, macht sprachlos.

Was sind das für Leute, die es für „normal“ halten, andere Menschen auf eine öffentliche Latrine zu schicken, während sie selbst sogar in ihrem Einfamilienhaus die Toilettentür hinter sich abschließen? Was sind das für Menschen, die meinen, Gefahren, denen Frauen in Sammellagern ausgesetzt sind, durch Frauenbereiche innerhalb dieser Sammellager zu beseitigen?

Frauen raus aus den Lagern – sofort!

Geflüchteten Frauen fehlen Informationen über die Situation von bedrohten Frauen in Deutschland und über die Möglichkeiten, Hilfe zu erfahren.

Wohin können sie sich wenden, was können sie tun und dürfen sie überhaupt die Unterkunft verlassen, wenn sie sich bedroht fühlen?

Geflüchtete Frauen mit Gewalterfahrung haben mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die wir auch von deutschen Frauen mit Gewalterfahrung kennen: Sie schämen sich oft, über die Ereignisse zu sprechen, sie suchen die Schuld bei sich selbst, sie haben mit Retraumatisierung zu kämpfen, die schon allein durch harmloses Lärmen männlicher Jugendlicher auf den Fluren der Gemeinschaftsunterkunft ausgelöst werden kann.

Dagegen helfen keine Schutzbereiche und erst recht keine Rückzugsräume innerhalb der Sammelunterkünfte. Dagegen hilft einzig und allein: Frauen raus aus den Lagern – jetzt sofort! Und auf Dauer: Keine Lager – No Lager – für niemanden!

(*) Begriffsbestimmung

Der Begriff Frauen impliziert in diesem Text alle Menschen, die von anderen als Frauen und Mädchen kategorisiert und dementsprechend behandelt werden

Der Begriff Flüchtling - die Flüchtlingin gibt es nicht, nicht einmal in der genderangepassten Sprache - ist meist männlich belegt, Frauen müssen extra benannt werden, um sie sichtbar zu machen.

Geflüchtete, Asylsuchende - Begriffe, die kein grammatikalisches Geschlecht kennen und doch in erster Linie männlich gelesen werden.