Hans Jürgen Degen: Anarchismus in Deutschland 1945 - 1960. Die Föderation Freiheitlicher Sozialisten, Verlag Edition AV, Lich 2015, 523 S., 24,50 Euro, ISBN 978-3-86841-115-9
Bei dem Buch von Hans Jürgen Degen handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Fassung seiner Arbeit über die Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS) aus dem Jahr 2002. Auf einer breiten Quellenbasis hat er die Organisationsgeschichte der seiner Meinung nach "bedeutendsten libertären Organisation nach 1945" (S. 15) verfasst.
In mehreren Orten Deutschlands hatten sich nach Kriegsende ehemalige Mitglieder der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) zusammen gefunden. Mit Unterstützung aus dem Ausland, vor allem von Helmut Rüdiger, Gustav Doster und Fritz Benner aus Stockholm sowie Rudolf Rocker aus Crompond/USA gründeten 30 Delegierte aus 15 Orten Pfingsten 1947 die FFS. Rocker verfasste 1947 auch eine wichtige Broschüre für die FFS – „Zur Betrachtung der Lage in Deutschland“ -, die, so Degen, „eine Bündelung der vorhandenen theoretischen und organisatorischen Vorstellungen der deutschen Anarchosyndikalisten im Nachkriegsdeutschland“ darstellte (S. 108). Rocker nahm darin zwar eine Revision anarchosyndikalistischer Prinzipien vor, aber seine Ausführungen zum Gemeinde- und Genossenschaftssozialismus boten zu wenige Anhaltspunkte für den Aufbau einer neuen Bewegung.
Und so sollten sich die großen Hoffnungen, die mit der Gründung der FFS verbunden waren, nicht erfüllen. 1952 resümierte der Geschäftsführer Alfred Leinau auf der letzten Landeskonferenz der FFS: „Heute sind wir auf dem Nullpunkt angelangt. Das Organisationsleben ist völlig still.“ (S. 93). Die FFS hatte zum damaligen Zeitpunkt noch ca. 150 Mitglieder, 1948 waren es ca. 350 Mitglieder gewesen. Der FFS war es nicht gelungen, neue Kreise für den freiheitlichen Sozialismus zu gewinnen, wenn man von einer wichtigen Ausnahme absieht. In Köln hatte die FFS 1948 mit 113 Mitgliedern mehr als die FAUD am Ende der Weimarer Republik – und 1949 wurde die Jugendgruppe „Föderation freiheitlicher Jung-Sozialisten“ gegründet. Deren Kopf, der Gärtner Heinz W. Wolf, war gleichzeitig Betriebsrat und machte später eine Karriere beim DGB.
Die organisatorischen Anstrengungen der FFS hatten sich zuletzt fast ausschließlich auf die Herausgabe der finanziell defizitären Zeitschrift „Die Freie Gesellschaft“ konzentriert. Dies war intern nicht ohne Widerspruch geblieben. Der 1949 aus Schweden zurückgekehrte Fritz Benner brachte dies folgendermaßen auf den Punkt: „Die Genossen werden es leid, alles nur für die Zeitschrift zu opfern, keine Versammlungen, nichts. ( ) Die Gen. Im Industriegebiet wollen werben. Sie halten die Zeitschrift dafür nicht geeignet. Sie haben ja früher eine andere Sprache gesprochen und können den Kontakt mit grösseren Massen nicht mehr herstellen.“ (S. 368).
Hans Jürgen Degen zeichnet die organisatorische und ideologische Entwicklung der FFS, ihre Aktivitäten und Beziehungen zu anarchistischen Organisation in Deutschland und im Ausland akribisch nach. Seine Arbeit wird noch lange ein Standardwerk bleiben. Gleichwohl stellt die FFS, wie er im Vorwort schreibt, nur einen Teilaspekt der Geschichte des Nachkriegsanarchismus dar.
Nicht wenige Mitglieder der ehemaligen FAUD schlossen sich nach 1945 nicht der FFS an, sondern waren in der KPD oder der SPD aktiv.
Dies gilt insbesondere für das Gebiet der ehemaligen DDR, in dem die Hochburgen der FAUD in Dresden, Leipzig und Sömmerda lagen. Man kann nur hoffen, dass der Nachlass von Andreas Graf, der in dieser Hinsicht sehr viel geforscht hat und nicht mehr zu Ende bringen konnte, bald öffentlich zugänglich ist, damit auch diese Forschungslücke geschlossen werden kann.