Rehzi Malzahn (Hg.): dabei geblieben. Aktivist_innen erzählen vom Älterwerden und Weiterkämpfen, Unrast, Münster, September 2015, 256 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-89771-576-9
Vielversprechend hörte es sich an. Ein Interview-Buch mit dabei Gebliebenen. Mit radikalen politischen Menschen, die dem Politischen nicht den Rücken gekehrt haben.
Die ersten Interviews hatte ich gelesen, als ich anfing, meine Gedanken in Worte zu fassen.
Ich begann zu schreiben, was mir an dem Buch fehlte, realisierte, wie hoch meine Erwartungen an das Buch gewesen sein mussten, denn sonst hätte es mich nicht enttäuschen können.
Die immer gleichen Fragen nach dem Verhältnis zum Tod und zur Revolution sowie dem Selbstbild als AktivistIn wirkten spätestens ab dem vierten Interview etwas nach einem abgearbeiteten Soziologie-Fragebogen, und manche der Interviews behandeln das eigentliche Thema nicht, sondern erzählen primär die Lebensgeschichte von Menschen in Form von Kurzbiografien. Aus meiner Sicht zudem bedauerlich: Von den einunddreißig interviewten Personen ist der allergrößte Teil zwischen 48 und 59, die allermeisten Interviewten kommen aus Berlin, Hamburg oder Köln, lediglich zwei Interviews sind nicht mit Großstädter_innen.
Erstmal legte ich das Buch beiseite, hatte genug von Geschichten über Ruhe, Haustiere, Kunst, Mitläufer und Konsumverzicht und überlegte, was das Thema denn für mich bedeutet hätte.
Debatten über Schutz vor Entpolitisierung, Solidarität und Perspektiven widerständigen Lebens kenne ich. Über gemeinsame Ökonomie und solidarischen Umgang mit Geld, Infrastruktur und Wohnraum als Gegenmodell zu individualisierter Lohnarbeit. Ich wurde selbst konfrontiert mit vormaligen Mit-Aktiven, die mich fragten, ob bei mir diese Phase nicht auch mal vorbei gehen würde, ich nicht auch langsam mal „normal“ werden wollen würde. Ich habe enge Vertraute und Mit-Aktivist_innen dabei beobachtet, wie sie von Castorblockierenden innerhalb weniger Jahre zu Lobbyist_innen wurden. Ich habe erlebt, wie schwer es ist, immer neuen Leuten zu vertrauen und mich auf neue Zusammenhänge einzulassen, weil ich oft enttäuscht worden war.
Mit deutlich geringerer Erwartungshaltung las ich weiter und wurde positiv überrascht.
Die Interviews behandelten nun tatsächlich das aus meiner Sicht eigentliche Thema, facettenreich und angenehm widerständig. Auseinandersetzungen im Betrieb, Widerstand gegen Zwangsräumungen, Beteiligungen an den Protesten im Gezi-Park tauchten als selbstverständliche Bestandteile widerständigen Älterwerdens auf. Interviews mit mehreren Personen gleichzeitig ließen eine dynamische Debatte um die Frage, was entscheidend war und ist im Leben, um politisch zu bleiben, lebendig werden, und auch Kontroverse wurde abgebildet. Ich freute mich über die erfrischende Deutlichkeit, mit der beispielsweise Samira auf die Frage nach den Gründen für das Dabei Bleiben antwortet: „Weil sich nix geändert hat“ und „Es gibt doch gar keinen Grund, nicht weiterzumachen!“
Was bleibt, ist das Gefühl, dass die von Rehzi Malzahn empfundene Bedeutung von „dabei geblieben“ deutlich weiter ist als meine. Zudem wirkt es, als habe die Autorin mit diesem Buch vergeblich versucht, ihre eigene verlorene Motivation wieder zu finden. Sie antwortet z.B. auf die Ausführungen Wolfgangs, es mache Spaß, gemeinsam anders zu sein, und neben dem Aktivismus seien ja auch Bier und Liebe Klebstoff zwischen den Menschen, mit Ausführungen zu Sinnverlust, Resignation, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Sie ist damit nicht nur an dieser Stelle, sondern bedauerlicherweise weitgehend nicht in der Lage, sich mitreißen und motivieren zu lassen von den Menschen, die an das glauben, wofür sie kämpfen.
Dazu passend schreibt die Autorin auch im Vorwort direkt, dass sie Rebellion als eine Zuständigkeit der Jugend begreift und für etwas Kindliches hält und nach einer erwachseneren Art des Widerspruchs zur Gesellschaft sucht. Erfreulicherweise sehen das nicht alle Interviewten so, und der eine oder die andere widerspricht solchen Einschätzungen der Autorin angenehm deutlich.