Das Agieren der Polizei zu Silvester in Köln war angemessen. Da waren sich Anfang Januar 2017 die rechtspopulistische Gruppierung Pro Köln, die CDU, die FDP und die Mehrheit der Grünen unisono einig. Schließlich habe der Polizeieinsatz sexistische Vorkommnisse verhindert, die Silvester 2015 weltweit als Beweis herhalten mussten, dass eine Gesellschaft, die ihre Grenzen nicht schützt, nur in Terror und Gewalt enden könnte.
Im Vorfeld des Jahrestages haben auch Feministinnen der linken Bewegung vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Kölner Silvesternacht die Opfer im Stich gelassen zu haben.
Dabei fällt auf, dass die Übergriffe von Köln eine Dimension bekommen, die sie heraushebt aus dem alltäglichen Sexismus, mit dem Frauen in der patriarchalen Gesellschaft immer wieder besonders dann konfrontiert sind, wenn sich viele Männer irgendwo zusammenrotten. Besonders die Publizistin Hannah Wettig wandte sich in einem Beitrag in der „Jungle World“ dagegen, dass die sexistischen Übergriffe von Köln mit frauenfeindlichen Angriffen auf dem Münchner Oktoberfest oder ähnlichen Großevents mit Männerbesäufnissen verglichen werden.
Explizit wandte sich Wettig dagegen, dass feministische Initiativen schon wenige Wochen nach den Kölner Silvesterereignissen im Bündnis #ausnahmslos mitarbeiteten, in dem sie sich gegen jeglichen Sexismus aussprachen, egal welche Herkunft die Täter haben. Für Hannah Wettig führte eine solche Initiative zu einer Abwehrdebatte, die für die betroffenen Frauen verheerend sei. „Sie müssten Angst haben, als Rassistinnen zu gelten, wenn sie berichteten, was ihnen geschehen ist.“ Seltsamerweise klammert Wettig aus, dass die Kölner Silvesternacht und die Folgen von Anfang an von rechten Webseiten und Initiativen genutzt wurden, für die Geflüchtete und Vergewaltiger synonym sind.
Schon wenige Tage nach Köln tauchten die ersten rechten Aufkleber auf, auf denen aus Refugees „Rapeugees“ wurden. Die rechte Kampagne gegen dunkle Männer, die sich an deutschen Frauen vergreifen, hat eine historische Parallele. Als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die französische Armee, zu der auch nordafrikanische Soldaten gehörten, das Ruhrgebiet und andere westdeutsche Städte besetzten, initiierten völkische Kreise die Kampagne von der Schwarzen Schmach. Für sie war es ein besonderes Zeichen von Kulturverfall, dass jetzt schon Soldaten aus Afrika gleichberechtigt in der Armee agieren dürfen.
Die rechten Stimmen über die Kölner Silvesternacht hörten sich so an, als würde an diese Kampagne wieder angeknüpft. Nicht der (aus emanzipatorischer, linker Sicht immer und ohne Ausnahme zu bekämpfende) Sexismus ist in den Augen der RassistInnen das Problem, sondern dass die Täter keine Deutschen waren.
Apartheid in Köln
Wenn nun selbst in linken Kreisen Antirassismus plötzlich als Täterschutz bezeichnet wird, ist es nur konsequent, dass es kaum Kritik gibt. wenn in der Kölner Silvesternacht gleich alle Männer, die nicht in das Bild der deutschen Leitkultur passten, in Polizeikontrollen hängenblieben.
„Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden in der Silvesternacht in Köln stellt einen Verstoß gegen das im deutschen Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot dar.
Amnesty International fordert eine unabhängige Untersuchung“, erklärte der Sprecher der Menschenrechtsorganisation Amnestie International, Alexander Bosch, der streng rechtsstaatlich argumentierte.
Danach hat die Polizei in der Silvesternacht eben nicht nur die Aufgabe, Frauen vor sexistischer Gewalt zu schützen, betont Bosch.
„Gleichzeitig ist es auch Aufgabe der Polizei, Menschen vor Diskriminierung zu schützen – und diese Aufgabe hat die Polizei Köln ignoriert. Hunderte Menschen sind allein aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten nordafrikanischen Herkunft eingekesselt und kontrolliert worden.
Das wichtigste Entscheidungskriterium der Polizisten ist das Merkmal der angenommenen Herkunft gewesen: Jeder Mensch, den die Beamten für einen Nordafrikaner gehalten haben, wurde in einen separaten Bereich geführt, viele von ihnen mussten dort laut Medienberichten stundenlang ausharren.
Bei dem Einsatz der Polizei Köln handelt es sich also um einen eindeutigen Fall von Racial Profiling. Damit hat die Polizei gegen völker- und europarechtliche Verträge und auch gegen das im deutschen Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot verstoßen.“
Der Kampf gegen Racial Profiling hat eine lange Tradition
Tatsächlich gehört der Kampf gegen Racial Profiling seit Jahren zu den Aktivitäten von Organisationen, in denen sich Schwarze in Deutschland und anderen Ländern engagieren. Sie wurden dabei zunehmend von antirassistischen Gruppen unterstützt.
Es war eine zähe, aber nicht erfolglose Arbeit. 2012 wurde von Johanna Mohrfeldt und Sebastian Gerhard aufgezeigt, wie sehr Racial Profiling zur normalen Polizeiarbeit auch in Deutschland gehörte (1).
Erst neueren Datums sind Empfehlungen von Menschenrechtsorganisationen an die Polizei (2), wie eine solche Praxis zu verhindern oder zumindest zu minimieren ist. Deshalb ist es ein Rückschlag für diese Bemühungen einer möglichst diskriminierungsarmen Polizeiarbeit, wenn nun dem Racial Profiling offen das Wort geredet wird.
In der konservativen Tageszeitung „Die Welt“ wurde Racial Profiling als notwendig für die Polizeiarbeit erklärt und der umstrittene Begriff „Nafri“ als Abkürzung aus der Polizeiarbeit relativiert. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, dass andere Begriffe, die viele der davon Betroffenen als diskriminierend bezeichnet haben, so wieder offiziell in die alltägliche Behördenarbeit zurückkehren. Inoffiziell waren sie nie verschwunden.
Nun wird die berechtigte Empörung über die sexistischen Übergriffe von Köln genutzt, um hart erkämpfte Fortschritte im Bereich des Antirassismus zu schleifen.
Der Shitstorm, der auf die Grünen-Vorsitzende Sabine Peters niederging, als sie es wagte, Kritik am Kölner Polizeieinsatz zu äußern, hat noch einmal deutlich gemacht, dass es in bestimmten Zeiten zumindest politisch gefährlich sein kann, wenn eine Oppositionspolitikerin ihren Job macht. In der Taz hat Inlandsredakteur Daniel Bax noch einmal daran erinnert, dass Kritik an rassistischen Polizeikontrollen Bürger_innenpflicht sein sollte.
Kampf gegen Sexismus und Rassismus
Für Linke verbietet es sich, auf einer Party zu feiern, auf der Menschen ausgesondert werden, weil sie die falsche Hautfarbe und das falsche Aussehen haben.
Das Aussehen und nicht ein konkreter Verdacht, war der Grund für die Durchsuchungen. Für eine außerparlamentarische Linke dürfte es keinen Zweifel geben, dass die Kämpfe gegen Rassismus und Sexismus zusammen gehören.
Dafür hat die außerparlamentarische Linke bereits einige Diskussionsbausteine geliefert, die für ein Zusammendenken einer antirassistischen und antisexistischen Praxis nützlich sein können. Dazu gehört der Triple Oppression-Ansatz (3), der davon ausgeht, dass Rassismus, Sexismus und kapitalistische Ausbeutung drei Unterdrückungsverhältnisse seien, die unabhängig voneinander von unterschiedlichen Gruppen ausgeübt werden und nicht einander bedingen.
Dieser Ansatz der in sich verzahnten dreifachen Unterdrückung grenzt sich von traditionslinken Vorstellungen ab, dass die kapitalistische Ausbeutung der Hauptwiderspruch und Rassismus und Patriarchat Nebenwidersprüche seien.
Nach dem Triple-Oppression-Ansatz können Männer, die selber rassistisch unterdrückt sind, sexistische Unterdrückung ausüben, wie in Köln und in anderen Städten geschehen.
Frauen, die Opfer sexistischer und patriarchaler Gewalt sind, können selber wiederum rassistische Unterdrückung ausüben und verstärken.
Peter Nowak