Buchbesprechung

Ein Stück linke Geschichte

Roman über den Tod des Verlegers Feltrinelli

| Peter Nowak

Nanni Balestrini: Der Verleger, Verlag Assoziation A, Berlin / Hamburg 2020, 151 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-86241-480-2

Sein Tod sorgte 1972 für großes Aufsehen, viele Spekulationen und auch Verschwörungserzählungen. Schließlich war Giangiacomo Feltrinelli ein bekannter linker Verleger, als er am 12. März 1972 tot neben einem Hochspannungsmasten in der Nähe von Mailand aufgefunden wurde. Die Meldung erschütterte auch die diversen linken Gruppierungen Italiens und Europas. Schließlich war Feltrinelli über Italien hinaus bekannt. Mit der Herausgabe des Romans „Doktor Schiwago“ von Boris Pasternak mag er sich den Zorn der damals noch prosowjetischen Kommunistischen Partei Italiens zugezogen haben. Doch der Roman sanierte nicht nur den Verlag finanziell. Damit erwarb sich Feltrinelli auch einen Ruf als undogmatischer Linker, der sich nicht von irgendwelchen Parteidirektiven kommandieren ließ. Am 12. März 2022 jährt sich Feltrinellis Tod zum 50. Mal. Daher war es eine gute Entscheidung des Verlags Assoziation A, das lange vergriffene Buch „Der Tod des Verlegers“ von Nanni Balestrini erneut herauszugeben.

Fesselnd ab der ersten Seite

„Die Neuauflage dieses Romans, dessen deutschsprachige Übersetzung wir erstmals 1992, dann 2009 erneut im Rahmen der Trilogie ‚Die große Revolte‘ veröffentlichten, ist eine Hommage an unseren Autor und Compagno Nanni. Und zugleich die Erinnerung an einen Verleger, der seine Existenz in die Waagschale warf, im Versuch, die Welt zu verändern und die Ideen umzusetzen, an die er glaubte“, schreibt Theo Bruns vom Verlag Assoziation A im Vorwort zur dritten Neuauflage.
Gerade viele junge Leser*innen, die sich nicht mehr vorstellen können, wieso sich ein weltweit bekannter Verleger dem bewaffneten Widerstand anschloss, werden gleich vom Balestrini-Sound gefangen genommen, dem man sich bis zur letzten Seite schwer entziehen kann.
Gleich im ersten Abschnitt werden wir in die Halle geführt, in der der tote Körper von Feltrinelli seziert wird. „Vierzehn Uhr dreißig der Leichnam ruht auf einen Tisch aus weißen Majolikakacheln durchzogen von langen Rillen in denen das Blut abfließen kann der Körper ist nackt die Haut ist außergewöhnlich blass elfenbeinfarben gegen den gräulichen Hintergrund ist dies der erste äußere Hinweis darauf dass der Tod durch Verbluten eingetreten ist“. So wird über zehn Seiten ohne Punkt und Komma über die Untersuchung von Feltrinellis Leiche berichtet, bis sie um 19.30 Uhr ins Leichenschauhaus gebracht wird. „Er ist nun mit einem Tuch bedeckt weiß wie ein leeres Blatt auf das man jetzt schreiben kann was man will wie auf ein großes weißes Stück Papier das sich über das stumme elfenbeinfarbene Gesicht legt“.

Panorama linker Bewegungen

Die nächsten elf Szenen widmen sich den Reaktionen von Feltrinellis engerem und weiterem Freund*innenkreis. Wir erleben mit, wie die unterschiedlichen Zeitungen den Tod des Verlegers kommentieren. Gleichzeitig gehen die linken politischen Kämpfe in Italien und anderen Ländern weiter, wie wir durch die Schlagzeilen der Zeitungen erfahren. Wir erfahren von linken Gewerkschaftsgruppen in Italien, die sich mit den linken Studierenden koordinieren, ebenso wie vom blutigen Terror der Unionist*innen in Nordirland. Gleichzeitig lesen wir von den unterschiedlichen Spekulationen und Verschwörungserzählungen, die es auch schon damals gab. Manche wollten nicht glauben, dass der erfolgreiche Verleger am Rande von Mailand zerfetzt wurde, als er eine Sprengstoffladung an einen zentralen Strommasten anbringen wollte. Wir erfahren aber auch von antifaschistischen Partisan*innen, die sich Ende der 1940er-Jahre der Linie der Führung der stalinistischen Kommunistischen Partei widersetzten und sich nicht in den kapitalistischen Staat integrieren wollten. Einige von ihnen spielten noch bei der Formierung der Neuen Linken in den 1970er-Jahren eine Rolle. Feltrinelli war von diesen alten Partisan*innen beeindruckt.
Das von Christel Fröhlich und Andreas Löhrer exzellent übersetzte Buch gibt einen Einblick in ein Stück linke Geschichte.