Clayborne Carson

Zeiten des Kampfes

Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren

28,80 

Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) zählt zu den bedeutendsten Organisationen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Seine Kampagnen und direkten gewaltfreien Massenaktionen in den sechziger Jahren spitzten die Kämpfe der US-amerikanischen Schwarzen gegen die rassistische Diskriminierung zu und trieben sie voran.

Beschreibung

Clayborne Carson
Zeiten des Kampfes
Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren

Mit einem Nachwort von Heinrich W. Grosse
Aus dem Amerikanischen von Lou Marin

638 Seiten
ISBN 3-9806353-6-8

Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) zählt zu den bedeutendsten Organisationen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Seine Kampagnen und direkten gewaltfreien Massenaktionen in den sechziger Jahren spitzten die Kämpfe der US-amerikanischen Schwarzen gegen die rassistische Diskriminierung zu und trieben sie voran. Clayborne Carson beschreibt erstmals die gesamte Entwicklungsgeschichte des SNCC: Die Erfolge in den Anfangsjahren, als die AnhängerInnen des SNCC aus religiösen oder moralischen Motiven den Glauben in die Kraft der gewaltfreien direkten Aktion und den graswurzelrevolutionären Organisationsansatz teilten. Mit „Sit-Ins“, „Freiheitsfahrten“ und den Kampagnen zur Eintragung in die WählerInnenlisten griff die Organisation das System der Segregation in den Südstaaten an. Das SNCC stellte in dieser Zeit die dominierende Rolle von Martin Luther King in der Bürgerrechtsbewegung konstruktiv in Frage.

Im Laufe der sechziger Jahre wurden diese gewaltfreien Strömungen – einige von ihnen waren durch libertär-gewaltfreie Ideen geprägt – zurückgedrängt. Das SNCC wurde schließlich von AnhängerInnen eines militanten, separatistischen schwarzen Nationalismus dominiert. Carson stellt diese Entwicklung des SNCC im Gegensatz zu anderen Autoren, deren Bücher zur Geschichte des Widerstands der Schwarzen in deutscher Übersetzung erschienen sind, keineswegs als einen geradlinigen Prozeß der Radikalisierung, sondern vielmehr als Zerfall einer ehemals starken und einflußreichen Organisation dar.

Zeiten des Kampfes ist aber nicht nur die Geschichte einer Organisation der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die in der deutschsprachigen Literatur bislang kaum wahrgenommen wurde. Es ist auch ein Lehrstück über Erfolge und Abwege sozialer Bewegungen.

Carson war selbst Mitglied im SNCC und ist heute Professor für Geschichte an der Stanford University und Direktor des Martin Luther King, Jr., Papers Project. Für sein Buch wurde er von der Organization of American Historians ausgezeichnet.

Inhalt

Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) – ein Lehrstück!
Vorwort von Lou Marin

Einleitung des Autors

Teil I: Zusammenkunft

Sit-Ins
Gründung der Organisation
Freiheitsfahrten
Radikale Kader in McComb
Die Bewegung in Albany
Verankerung des Kampfes
Marsch auf Washington
Pläne für die Konfrontation
Herausforderung für Mississippi

Teil II: Innenschau

Rückzug nach Waveland
Auf dem Weg zu neuen Ufern
Die Neue Linke
Schwarzer Separatismus

Teil III: Zerfall

Black Power
Innere Konflikte
Die Repression der Weißen
Auf der Suche nach neuen Verbündeten
Niedergang des schwarzen Radikalismus

Epilog des Autors

Nachwort von Heinrich W. Grosse

Anmerkungen

Angaben zum Autor

Organisationsverzeichnis

Namens- und Organisationsregister

 

Vorwort

Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) – ein Lehrstück!

Spätestens seit 1999 ist mit den „Kindern von Seattle“ eine weltweite soziale Bewegung entstanden, die die Kriege, Ausbeutungsmechanismen und rassistischen Hierarchien des Weltstaatensystems nicht mehr hinnehmen will, und zwar weder in Europa, den USA, noch in den Ländern der „Dritten Welt“. Diese Bewegung hat die Fallstricke rigider nationalistischer Ideologien und separatistischer Identitätspolitiken des 20. Jahrhunderts weitgehend überwunden. Die in ihr aktiven Menschen arbeiten transnational und grenzübergreifend zusammen. In ihr ist die emanzipative Form der Integration verschiedener Kulturen und Hautfarben zum Teil bereits Wirklichkeit geworden, zumindest wird eine emanzipative Form der Kulturvermischung angestrebt. Jedes Gipfeltreffen der westlichen Staatenlenker wird durch alternative Aktionstage mehr oder weniger direkt behindert. Jeder rassistische Krieg der westlichen Industrienationen wird inzwischen in vielen Ländern der Erde durch Massenproteste auf breiter Linie kritisiert, was sich besonders stark bei der Mobilisierung gegen den Irak-Krieg 2002 verdeutlichte.

Diese aktuelle Massenbewegung gegen die kapitalistische Globalisierung ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Sie hat die Traditionen der neueren spontaneistischen und grenzübergreifenden Bewegungen seit den sechziger Jahren, der 68er Revolte, der Frauen-, der antimilitaristischen und der Ökologiebewegung produktiv aufgegriffen und in eine zeitgemäße Form verwandelt. Diese Bewegungen haben einen wesentlichen ihrer vielen Ursprünge in der antirassistischen Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den US-Südstaaten der sechziger Jahre. Die Bürgerrechtsbewegung war nicht nur zeitlich die früheste aller heute so genannten „neuen“ sozialen Bewegungen, sondern sie bewirkte durch ihre gewaltfreien Aktionen und ihren graswurzelrevolutionären Organisationsansatz einen Bruch mit traditionell hierarchischen Formen bürgerlicher wie auch parteikommunistischer Traditionen und prägte nachdrücklich alle darauf folgenden Bewegungen, und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und weiteren Teilen der Welt. „Sit-In“, „Go-In“, „Teach-In“ waren als Aktionsformen den europäischen und lateinamerikanischen StudentInnen bereits bekannt oder galten als Vorbild, als sie 1968 massenhaft die Universitäten besetzten und auf die Straße gingen.

Die Geschichte der afro-amerikanischen („african-american“, wie dort der heute gebräuchliche Begriff lautet) Bewegung in den USA und ihrer in den sechziger Jahren wichtigsten Organisation, des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC), ist beispielhaft für alle sozialen Bewegungen bis zur heutigen Zeit, im emanzipativen Sinne ebenso wie angesichts der Probleme, die sich dem SNCC bereits in exemplarischer Weise für alle nachfolgenden Bewegungen stellten. Wer deshalb dieses Buch von Clayborne Carson, Zeiten des Kampfes, liest und damit die Geschichte des SNCC kennenlernt, erfährt auch viel über Errungenschaften und Probleme der zeitgenössischen sozialen Bewegungen gegen den weltweit institutionalisierten Rassismus und Kapitalismus. Insofern ist die Geschichte des SNCC nicht einfach nur die Geschichte einer in der deutschsprachigen politischen Literatur weitgehend unbekannt gebliebenen Organisation aus den USA, sondern sie ist ein Lehrstück über Erfolge und Abwege sozialer Bewegungen in den letzten vierzig Jahren.

Erfolge I: Basisdemokratische Massenbewegung statt Dominanz einer Führungsperson

Ein verkürztes und heute glücklicherweise eher überwundenes Verständnis von Geschichte geht davon aus, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen von Personen geprägt, ja gestaltet werden. Selbst revolutionäre Massenbewegungen wurden in dieser Sicht auf die Biographien und Aktionen einzelner populärer oder charismatischer Führungspersonen verkürzt. Das galt selbst lange Zeit im aufklärerischen Milieu. Danach wurde die russische Revolution von Lenin gemacht, die spanische von Durruti, die indische Unabhängigkeit von Gandhi errungen und die US-Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King, Jr., geleitet. Eine solche Sicht auf diese Bewegungen war niemals richtig, trotzdem war die prägende Position dieser Führungspersonen ein historisches Faktum, wenngleich wie etwa im Falle Durrutis durchaus im Widerspruch zu der von ihm selbst vertretenen Idee des Anarchismus, nach der eigentlich eine Dominanz durch eine Führungsperson und damit neuerliche Autorität in den oppositionellen Reihen tunlichst vermieden werden sollte.

Die US-Bürgerrechtsbewegung ist vorläufig eine der letzten bedeutsamen sozialen Massenbewegungen, die dieses prekäre Verhältnis von prägender Führungsperson und unbekannten Massen noch einmal reproduzierte und gleichzeitig die erste, die es grundsätzlich in Frage stellte. Nach der US-Bürgerrechtsbewegung, ab der 1968er Revolte, gibt es weltweit immer weniger soziale Bewegungen im emanzipativen Sinne, die auf diese Weise mit einer alles dominierenden Einzelperson identifiziert werden könnten, und wenn, dann ist sie viel schneller interner Kritik ausgesetzt. Selbst bekannte politische Persönlichkeiten der heutigen Bewegung für eine andere Globalisierung, wie etwa der französische Larzac-Aktivist José Bové, sind weit davon entfernt, einen allein entscheidenden inhaltlichen Einßuss auf Ausrichtung, Entwicklung und Positionsbestimmung der weltweiten Gesamtbewegung auszuüben und können in keiner Weise mit den hier genannten Vorläufern verglichen werden.

Es war das SNCC, das mit seinen Kampagnen und direkten gewaltfreien Massenaktionen, zum „Cutting Edge“ (übertragen etwa: zur Speerspitze), wie es Clayborne Carson in der hier vorliegenden Geschichte des SNCC beschreibt, der US-Bürgerrechtsbewegung avancierte und die dominierende Rolle Martin Luther Kings konstruktiv in Frage stellte. King war gegen Ende der fünfziger Jahre durch den von ihm geleiteten Busboykott in Montgomery die unumstrittene Führungsfigur der Bewegung und nichts deutete darauf hin, dass seine entscheidende und die Bewegung dominierende Stimme hinterfragt werden könnte. Bei persönlichen Gesprächen, die ich mit Clayborne Carson, der u. a. auch aktueller Herausgeber der Schriften Martin Luther Kings ist, anlässlich der Übersetzung dieses Buches über den SNCC führte, wies er jedoch darauf hin, dass die von M. L. King geführte Bewegung in Montgomery sofort zusammenbrach, als er nach dem Busboykott die Stadt verließ, während erst die nachfolgenden Bewegungen in den Südstaaten dauerhaftere Graswurzelstrukturen aufbauen konnten.

Das grundsätzlich problematische Verhältnis einer Massenbewegung, die um ihre Emanzipation kämpft, und einer charismatischen Führungsperson, die die Inhalte der Emanzipation von oben herab dekretiert, schien sich nach dem Busboykott in den fünfziger Jahren nur ein weiteres Mal zu wiederholen. Doch dann kamen die Sit-Ins, die Freiheitsfahrten und die Gründung des SNCC. In der ersten Hälfte der sechziger Jahre konkurrierten das SNCC und King gegenseitig um die Initiative innerhalb der Bewegung. Es war eine konstruktive Konkurrenz, in der bald King, bald das SNCC durch eine besondere Aktion oder Kampagne die Massen mobilisieren konnte. Jeder fühlte sich durch den anderen herausgefordert und entscheidend war nicht, was die eine Person oder die andere Organisation sagte, sondern die Aktion und die Kampagne, die durchgeführt wurde. Es wurde auf der Straße entschieden, ob die Bewegung mehr dem SNCC oder mehr King folgte, oder oft auch beiden. Jedenfalls blieb der Führungsanspruch Kings innerhalb der Bewegung nicht mehr unangefochten und wurde durch eine basisdemokratische Organisation von AktivistInnen konstruktiv weiter entwickelt.

Gerade das aber machte die emanzipatorische Qualität dieser Bewegung aus: das SNCC zeigte mit der ihm eigenen Form der Organisierung, dass eine Führungsperson herausgefordert und zur basisdemokratischen Diskussion gezwungen werden konnte. Letztendlich zeigte es, dass eine emanzipative, basisdemokratisch organisierte Massenbewegung nicht von einer Führungsperson geleitet und befehligt werden muss, sondern dass sie die Entscheidungsprozesse selbst in die Hand nehmen kann. Diese Erfahrung legte den Grundstein dafür, dass in den folgenden sozialen Bewegungen von 1968 an die Rolle prägender Führungspersonen wie Dutschke oder Cohn-Bendit zurückgedrängt werden konnte und hierarchiefreie Entscheidungsprozesse Stück für Stück an Boden gewannen (neben autoritären Abirrungen in Richtung K-Gruppen oder Solidarität für Pol Pot, versteht sich). Für Martin Luther King spricht in diesem Zusammenhang allerdings, dass er sich vom SNCC tatsächlich herausfordern ließ, dass er trotz einzelner autoritärer Tendenzen und Maßnahmen keineswegs versuchte, seinen Führungsanspruch rücksichtslos durchzusetzen, und dass er sich bei einzelnen Aktionskampagnen wie etwa der Albany-Bewegung, die Clayborne Carson ausführlich beschreibt, in einen konstruktiven Dialog mit den AktivistInnen des SNCC begab.

Das SNCC war die Organisation einer graswurzelrevolutionären sozialen Massenbewegung. Die ursprüngliche Organisationsform des SNCC war eine basisdemokratische, in manchen Aspekten libertäre. SNCC-Gründerin Ella Baker, die bewusst und aus libertärem Protest aus Kings Organisation Southern Christian Leadership Conference (SCLC) ausstieg, nannte die Organisationsform des SNCC „group-centered“ im Gegensatz zur bisher üblichen organisatorischen Konzentration einer Gruppe oder Institution um eine Führungsperson, die unterstützt wurde. Das SNCC war anfangs eine Ansammlung von autonom entscheidenden Aktionsgruppen aus den vorwiegend von Schwarzen besuchten Colleges in den Südstaaten und koordinierte lediglich deren Aktivitäten und Aktionskampagnen, daher der Name „Koordinierungskomitee“.

Das SNCC war keine explizit anarchistische Organisation, aber in der ersten Hälfte der sechziger Jahre waren die gewaltfrei-libertären Strömungen innerhalb des SNCC programmatisch prägend. Ella Baker steuerte die libertäre Grundlage einer gruppenorientierten und damit basisdemokratischen Organisationsform bei. Der religiös-anarchistisch inspirierte James Lawson formulierte das ethisch-moralische Programm der gewaltfreien Revolution, der sich das SNCC in den ersten Jahren verpßichtet fühlte und zu der sich in einer säkularisierten Form John Lewis noch bei seiner Rede auf der großen Washingtoner Demonstration am 28. 8. 1963 zum Unmut anderer Bürgerrechtler bekannte. Die erste libertär-gewaltfreie Strömung im SNCC war identisch mit der Tendenz zur gewaltfreien Aktion und stand den folgenden Kampagnen zur Eintragung Schwarzer in die Wahllisten zunächst kritisch gegenüber. Das änderte sich erst, als gerade aus diesen Kampagnen durch ihren Initiator Bob Moses eine weitere rationalistische, humanistische Strömung des gewaltfreien Anarchismus im SNCC hervorging, die aus einer Auseinandersetzung mit den Schriften von Albert Camus und den eigenen Erfahrungen des Kampfes in den Südstaaten resultierte. Bob Moses und John Lewis hielten an den libertären Organisationsformen und gewaltfreien Aktionstaktiken so lange es ging fest und standen am Ausgangspunkt einer weiteren anarchistischen Strömung im SNCC, den sogenannten „Floaters“. Diese wurden jedoch schnell – und nicht immer ohne Grund – als unverantwortlich und individualistisch gebrandmarkt und verloren an Terrain gegenüber den organisatorischen „Hardlinern“, die die Organisation durch zunehmende Disziplin und Autorität restrukturieren wollten. Bob Moses, der insgesamt wohl bedeutendste Libertäre in den Reihen des SNCC, erkannte in dieser Phase die Gefahr, selbst entgegen seinem Willen zu einer charismatischen Führungsfigur aufzusteigen, und änderte sogar seinen Namen von Moses in Perrin, um dem Anbetungsbedürfnis seiner AnhängerInnen auszuweichen. Schließlich antwortete er auf das Problem mit seinem totalen Rückzug, wodurch er allerdings den autoritären Tendenzen im SNCC das Feld überließ.

Erfolge II: Erzwungene Reform statt militärischer Niederlage

1964 und 1965 wurden in den USA zwei entscheidende Bürgerrechts- und Wahlgesetze erlassen, welche die Segregation in den Südstaaten aufhoben und die Wahleinschreibung für Schwarze erleichterten. Damit waren die Bürgerrechte für Schwarze in den USA noch nicht verwirklicht und es brauchte noch Jahre, ja Jahrzehnte, und viele lokale Kämpfe, um die Gesetze überall und umfassend durchzusetzen, aber die Bedingungen waren andere geworden: schlimme Ku-Klux-Klan-Sheriffs und rassistische Beamte in Städten und Gemeinden im Süden konnten abgewählt werden, die inhumane Macht der Segregation war gebrochen! Die Reformgesetze waren Kompromisse zwischen der Bürgerrechtsbewegung und der Regierung, die das Kräfteverhältnis in diesen Zeiten des Kampfes widerspiegelten. Das Verblüffende in der Geschichte des afro-amerikanischen Widerstands ist jedoch, dass diese beiden Gesetze in den damaligen „Zeiten des Kampfes“ kaum als Erfolge wahrgenommen und in ihrer Dimension als solche begriffen wurden. So erwähnt etwa James Forman 1968 in einer Phase, in der er eine antigewaltfreie, militant-nationalistische Position übernommen hatte, in einem Abriss über die Geschichte des Widerstands der Schwarzen nur beiläufig: „Wahlbenachteiligung und die Segregation öffentlicher Einrichtungen waren nach Jahren des Protests im Süden allgemein verschwunden – jenem Protest, der das Bürgerrechtsgesetz von 1964 und das Wahlrechtsgesetz von 1965 bewirkt hatte.“

Forman hält sich bei dieser Feststellung jedoch gar nicht weiter auf und wie so viele schwarze Nationalisten der 1968er Generation ist ihm die Abschaffung der Segregation nur Anlass, auf die ausgebliebene ökonomische und kulturelle Emanzipation der Schwarzen hinzuweisen. Clayborne Carson beharrt jedoch in seiner Geschichte des SNCC darauf, diese erkämpften Erfolge als durchaus unfreiwillige Zugeständnisse des Systems wahrzunehmen und als Ergebnis emanzipativer Kämpfe zu werten und konfrontiert sie mit der Erfolg- und Perspektivlosigkeit der militanten Kämpfe der Schwarzen, die gegen Ende der sechziger Jahre folgten. Die Abschaffung der Segregation ist zusammen mit dem Rückzug der US-Armee aus Vietnam aufgrund des antimilitaristischen Widerstands in den USA in den siebziger Jahren der erfolgreichste Akt einer sozialen Massenbewegung in den USA im 20. Jahrhundert, auch wenn die praktische Umsetzung der Bürgerrechte für die Schwarzen noch lange Zeit in Anspruch nehmen sollte. Die Abschaffung der Segregation hat die Befreiung von der Sklaverei im 19. Jahrhundert erst verwirklicht und vollendet. Bei den SNCC-Kampagnen in den Südstaaten, besonders aber bei der hier von Clayborne Carson detailliert beschriebenen Kampagne in den ländlichen Gebieten von Mississippi im Sommer 1964 saßen tatsächlich Schwarze und Weiße in den Familien bunt gemischt gemeinsam an einem Tisch und praktizierten in diesen „Zeiten des Kampfes“ das, was Martin Luther King in seiner utopischen Rede ein Jahr zuvor in Washington prophezeiht hatte. Es war das erste Mal, dass die weißen Jugendlichen aus den Nordstaaten massenhaft ihre Elternhäuser verließen, auf Wanderschaft gingen und sich politisch engagierten. Vor dem „Summer of Love“ der Hippies 1967 kam der „Summer of Freedom“ 1964, der Sommer der antirassistischen Solidarität in Mississippi.

Trotz der enormen Schwierigkeiten, die sich aus diesem Experiment ergaben und die das SNCC letztendlich nicht lösen konnte, bleiben gerade die graswurzelrevolutionären Basiserfahrungen dieser gelebten sozialrevolutionären Integration das beeindruckendste Bild der historischen Darstellung, die Clayborne Carson in diesem Buch bietet.

Clayborne Carson besteht darauf, die Reformgesetze von 1964 und 1965 als Erfolge sozialer und gewaltfreier Kämpfe wahrzunehmen und sie in ihrer Dimension richtig historisch einzuordnen. Zu verstehen, wie sie zustande kamen, heißt die Bedingungen sozialrevolutionärer Kämpfe in den kapitalistischen Metropolen zu studieren und Lehren zu ziehen, wie Kämpfe erfolgreich geführt werden können und nicht in militärischen Niederlagen, ideologischen Sackgassen und letztlich in Verzweiflung enden. Dazu ist es wichtig, nicht nur die Erfolge der Kämpfe wahrzunehmen, sondern auch die Abwege, die Ursachen der Niederlagen, genau zu analysieren. Auch in dieser Beziehung ist die Geschichte des SNCC, das zeigt dieses Buch ebenfalls, ein Lehrstück.

Abwege I: Taktische Intervention der Bundesregierung oder Orientierung an den neuen Nationalstaaten in Afrika?

Im Zusammenhang mit dem emotionalen Unbehagen vieler Schwarzer mit den gewaltlosen Kämpfen in der ersten Hälfte der sechziger Jahre – mit der nur allzu verständlichen psychischen Tendenz, es satt zu haben, immer wieder geschlagen zu werden, und das auch noch nach einer Jahrhunderte langen Erfahrung von rassistischer Gewalt – ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die angewandte Taktik des SNCC, die US-Bundesregierung und ihre Institutionen, vom FBI bis zu polizeilichen und militärischen Truppenverbänden, dazu zu veranlassen, gegen die rassistischen Institutionen der Städte, Counties und Regierungen der einzelnen Bundesstaaten auf der Seite der Bürgerrechtsbewegung zu intervenieren, naiv gewesen sei und den repressiven Charakter der Bundesregierung unterschätzt habe. Auch Clayborne Carson weist in seiner Geschichte des SNCC deutlich auf das anfänglich gesetzeskonforme Bewusstsein vieler AktivistInnen hin, die ursprünglich aus der gehobenen schwarzen Mittelschicht stammten. Daneben, auch das wird in Carsons Buch deutlich, gab es jedoch immer auch einen parallel verlaufenden Prozess, in welchem libertäre Ansätze oder Radikalisierungen in den Biographien einzelner AktivistInnen schnell zu einer sehr kritischen Einstellung gegenüber den US-Bundesbehörden führten. James Lawson etwa machte sich als Anarchist keinerlei Illusionen über die Staatsgewalt und auch Bob Moses wollte weder Opfer noch Henker sein.

Wenn in den Anfangsjahren versucht wurde, diese Taktik, eine Intervention der Bundesregierung einzufordern, bis an den Rand auszureizen, dann also nicht einfach nur aufgrund der Naivität vieler AktivistInnen. Es gab andere Gründe, die diese Taktik verständlich machten und die mit der föderativen Verfassung der USA zu tun haben. Im Gegensatz zur föderativen Verfassung Deutschlands ist die USA von einer viel größeren Autonomie in der Gesetzgebung und Rechtsprechung der Einzelstaaten geprägt. So ist es zum Beispiel formaljuristisch falsch zu sagen, in den USA gelte die Todesstrafe, obwohl die USA im letzten Jahrzehnt weltweit hinter China die meisten Todesurteile vollstreckt haben. Aber die Souveränität über die Todesstrafe obliegt in den USA den einzelnen Bundesstaaten. Die Bundesregierung hat nur wenig rechtliche Möglichkeiten, in die Souveränität der Einzelstaaten einzugreifen. Die Widerstandsbewegung der Afro-AmerikanerInnen in den sechziger Jahren sah sich daher zunächst den relativ weit reichenden Befugnissen der einzelnen Bundesstaaten gegenüber, deren Beamte, Richter, städtische und bundesstaatliche Polizeitruppen allesamt mit weißen Rassisten der härtesten Sorte durchsetzt waren, meist gleichzeitig Mitglied im Ku Klux Klan (KKK, Ku Klux Klan). Deren alberne Maskerade, die Unkenntlichmachung der Person im KKK durch weiße Umhänge, ist ja gerade der Tatsache geschuldet, dass ihre Mitglieder in den Südstaaten vielfach öffentliche Ämter bekleideten oder Polizisten waren.

Um diese geballte rassistische Macht in den Einzelstaaten zu spalten und zu entmachten, schien die Taktik nahe liegend, die Ebene der Bundesregierung sozusagen gegen die Einzelstaaten in Stellung zu bringen. So verständlich also diese Taktik auch war, auch das zeigt Clayborne Carson in seinem Buch, so falsch war sie gleichwohl. Nicht nur, dass die Forderung nach Hilfe durch eine bewaffnete Zentralmacht im Gegensatz zur gewaltfreien Philosophie lag, der sich das SNCC verschrieben hatte, sondern gerade die SkeptikerInnen und KritikerInnen der Gewaltfreiheit konnten leicht darauf verweisen, dass die Bundesregierung den Appellen zum Eingreifen gegenüber insgesamt weitgehend taub blieb und sich daher im Gestus der Radikalisierung sonnen, wenn sie aufgrund erwiesenen Unwillens zur Intervention die Bundesregierung schließlich als ebenfalls rassistisch angriffen. Übersehen wird dabei ein weiteres Mal, dass die Bürgerrechtsgesetze von 1964/65 durchgesetzt wurden, obwohl die Bundesregierung nicht ausreichend auf der Seite der BürgerrechtlerInnen eingegriffen hat.

Diese sogenannte „Radikalisierung“, die die BefürworterInnen von Black Power, die schwarzen SeparatistInnen und NationalistInnen gegen die verbliebenen BefürworterInnen der Gewaltfreiheitsphilosophie der Anfangsjahre im SNCC schließlich durchsetzten, resultierte jedoch keineswegs in einer libertären Kritik aller Staaten. Zwar wurde nun die US-Bundesregierung kritisiert und jede Zusammenarbeit mit ihr abgelehnt, dafür jedoch wurde die Zusammenarbeit mit den neu entstandenen Nationalstaaten in Afrika intensiviert. Clayborne Carson zeigt, dass diese Haltung zwar einem ehrlichen Bedürfnis nach internationaler Solidarität entsprang, aber keine wirkliche Radikalisierung war: die innenpolitischen Verhältnisse in Afrika, die Entstehung neuer Diktaturen und autoritärer Militärsysteme wurden keiner herrschaftskritischen Einschätzung unterzogen. So übernahm etwa Stokely Carmichael in seiner militant-nationalistischen Phase den Panafrikanismus und die Ideologie Kwane Nkrumahs auf seiner Afrikareise im Jahre 1967 gerade zu einem Zeitpunkt, als Nkrumah selbst bereits im Exil in Guinea war, nachdem er ein Jahrzehnt Diktatur in Ghana mit groteskem stalinistischem Personenkult, Verfolgung von RegimegegnerInnen und Verbot aller Oppositionsparteien hinter sich gebracht, sein Land heruntergewirtschaftet und reif für aufeinanderfolgende Militärputsche und -diktaturen gemacht hatte. Dem gestiegenen Bewusstsein für die Kritik der US-amerikanischen Bundesregierung entspricht auf Seiten der schwarzen NationalistInnen die naive Idealisierung der neuen Nationalstaaten Afrikas und ihrer autoritären Führungspersonen. Allerdings: hier in Afrika hatten die Schwarzen Macht. Und wie übten sie sie aus? Leider sehr schnell auf ähnlich autoritäre Weise wie die Weißen auch! Neue Nationalismen entstanden, die jungen afrikanischen Nationen bekämpften sich gegenseitig oder wurden innenpolitisch repressiv. Die Vorstellung einer freien, anarchistischen, transnationalen und staatenlosen Gesellschaft entstand gerade nicht, nachdem die schwarzen NationalistInnen die frühe Generation der Gewaltlosen im SNCC und deren Taktik, die US-Bundesregierung zur Intervention auf der eigenen Seite zu bewegen, kritisiert hatten! Und genau darin lag eine Ursache des Scheiterns des SNCC gegen Ende der 1960er Jahre.

Abwege II: Bezahlte Kader oder Katalysator für soziale Bewegung?

Ein weiterer Abweg kann in der Entwicklungsgeschichte des SNCC zu einem sehr frühen Zeitpunkt ausgemacht werden. Bereits eineinhalb Jahre nach seiner Gründung änderte das SNCC seine organisatorische Struktur. An die Stelle des basisdemokratischen Koordinierungskomitees studentischer Aktionsgruppen, in denen nicht-bezahlte freiwillige AktivistInnen in ihrer Freizeit spontaneistische Kampagnen durchführten, traten die sogenannten „Full Time Workers“, für die es leider keine wörtliche und ihrem spezifischen Charakter genau entsprechende deutsche Übersetzung gibt: das waren die bezahlten Kader, die hauptamtlichen Community Organizers oder Field Secretaries, wie sie ebenfalls und in zum Teil sich überschneidender Bedeutung genannt wurden (So waren laut Carson alle bezahlten Kräfte gleichzeitig „Staff“ oder „Full Time Workers“. Alle bezahlten Kräfte, die in einem Aktionsprojekt und nicht in der SNCC-Zentrale in Atlanta arbeiteten, wurden ohne klare Abgrenzung entweder „Field Secretaries“ oder „Community Organizers“ genannt). Aufgrund der Gefahr für Leib und Leben, die mit ihrer kontinuierlichen Arbeit in den rassistischen Regionen der US-Südstaaten verbunden war, und aufgrund des hohen Idealismus, den sie trotz der geringen Bezahlung aufbrachten, stiegen sie unter den jugendlichen Schwarzen schnell im Ansehen und wurden auch von den studentischen AktivistInnen in den Aktionsgruppen bald als politische Vorbilder ehrfurchtsvoll betrachtet. Mit ihrer Heroisierung war jedoch gleichzeitig die schrittweise Übertragung von Entscheidungsmacht verbunden. In dem Maße, wie die Entscheidungsmacht von den Aktionsgruppen auf die Kader überging, verwandelte sich das SNCC von einer Massenorganisation zu einer Organisation von BerufsrevolutionärInnen. Die Umbenennung des Koordinierungskomitees in Zentralkomitee im Jahr 1966 schließt diesen Prozess ab. Er brachte trotz der idealistischen Grundlage des SNCC nicht zu verkennende bürokratische Tendenzen zum Vorschein: marginale Anfänge einer immer mehr um sich greifenden Angestelltenmentalität mit ihrer Forderung nach organisatorischer Disziplin und Unterwerfung der Mitglieder unter autoritär ver-
ordnete Leitlinien. Nicht mehr die spontaneistischen, gewaltfreien, freiwilligen FreizeitrevolutionärInnen, sondern die disziplinierteren Hauptamtlichen, die angestellten RevolutionärInnen übernahmen die Macht in der Organisation. In einem langen, verzweigten Weg setzte sich damit jedoch die Forderung nach Disziplin und Autorität gegenüber Spontaneismus, Basisbezug und Orientierung an direkten gewaltfreien Aktionen durch. Noch lange Zeit konnte sich eine Strömung halten, die an den ursprünglichen Organisationsvorstellungen des SNCC festhielt, nicht selbst Führungspersonen der sozialen Bewegung zu werden, sondern nur eine Art unsichtbarer Katalysator für die Selbstorganisation der Betroffenen. Die bezahlten Kader dagegen sorgten mit ihrer Betonung von Disziplin und kontinuierlicher Arbeit für eine Abkehr von bewegungsorientierter Aktion hin zu legalistischen Projekten wie der Eintragung Schwarzer in die Wahllisten oder den Aufbau schwarz-nationalistischer Parteien. Zuweilen kritisierten sie offen die Beteiligung der eher libertär orientierten AktivistInnen an Aktionskampagnen. Die an organisatorischer Disziplin orientierten Kader führten schließlich keine direkten gewaltfreien Aktionen mehr durch. Disziplin siegte über Individualismus, wobei nicht geleugnet werden soll, dass die Sprunghaftigkeit, mit der manche AktivistInnen ihre Projekte verließen und auf neue Vorkommnisse reagierten und die Clayborne Carson bei den sogenannten „Floaters“ festmachte, ein reales Problem darstellte. Letztlich spiegelte sich die disziplinarische und autoritäre Tendenz jedoch auch im Umgang und im Verhältnis der AktivistInnen untereinander wieder. An die Stelle der libertären, gewaltfreien, von Vertrauen geprägten Atmosphäre einer humanistischen Kampfgemeinschaft in der Anfangszeit des SNCC trat mit zunehmender Bürokratisierung, mit zunehmender Dominanz der bezahlten Kader über die Aktionsgruppen und dann der Hardliner über die Floaters, die Tendenz zur Rigidität, zum Dogmatismus der Positionen, zur Spaltung, zum Misstrauen gegenüber staatlichen Spitzeln und untereinander, und im Zuge des Getrieben-Werdens durch die Medien und der staatlichen Verfolgung schließlich der Vorwurf des Verrats. Die Basisorientierung wurde nicht bewusst aufgegeben, sondern sie verlor sich in einer Praxis der Propaganda und der verbalradikalen Phraseologie: am Ende war das SNCC eine Kaderorganisation von Kundgebungsrednern ohne basisdemokratischen Unterbau.

Abwege III: Militanz, separatistischer Nationalismus, Antifeminismus, Antisemitismus – oder transnationale Integration?

Fast alle zeitgenössischen linken historischen Darstellungen des Befreiungskampfes der Schwarzen in den sechziger Jahren beschreiben die Entwicklung der Gesamtbewegung und der in ihr aktiven Organisationen als geradlinige Form der Radikalisierung und damit der tendenziellen Hinwendung zu wie auch immer genannten „radikaleren“, „emanzipativeren“, „revolutionäreren“ Strategien und Inhalten des Kampfes. Als ein geradezu paradigmatisches Beispiel dieses linken Mainstreams in der Geschichtsschreibung von unten betrachte ich die Schriften von Peter Michels. Darin sind Statements wie die folgenden ebenso typisch wie zahllos:

„Die schwarze Jugend identifizierte sich ohnehin mehr mit den drohenden Forderungen von Malcolm X als mit den flehentlichen Bitten von Martin Luther King. Und die Radikalisierung der Bewegung ging weiter. Stokely Carmichael aus Trinidad wurde Führer der Studentenorganisation SNCC (sprich: Snick) – ‚Student Nonviolent Coordinating Comittee‘ – und gründete in Alabama eine unabhängige politische Partei, die den schwarzen Panther als Emblem bekam. – Für einige Jahre galt Carmichael als der beste und radikalste Sprecher der militanten Bewegung, die mehr und mehr für den bewaffneten Befreiungskampf eintrat.“

An keiner Stelle des Buches Black Perspectives von Peter Michels wird die Gründungsgeschichte des SNCC nacherzählt, Carmichael ist nur als Galionsfigur für die Black Panther interessant, nirgendwo wird die aus diesem Zitat doch ins Auge springende Frage behandelt, wieso Carmichael aus einer Organisation kommt, die sich „Nonviolent“ nennt, aber „mehr und mehr“ für den bewaffneten Kampf eintritt.

Nicht fehlen darf bei Michels natürlich das Bemühen um ein genüssliches Zitieren der Schmähungen von Malcolm X gegen Martin Luther King:

„Malcolm X hatte den Rückzug in eine separate schwarze Welt in den letzten Jahren vor seiner Ermordung verurteilt und mehr politische Aktion zur Verbesserung der Situation der Schwarzen gefordert. Die Sache der Afroamerikaner war für ihn kein internes Problem der USA, keine Bürgerrechtsfrage, sondern eine Menschenrechtsfrage, die er vor den Vereinten Nationen behandeln lassen wollte. Über die gemäßigten Führer der Bürgerrechtsbewegung, zum Beispiel Martin Luther King, machte er sich nur lustig. Dafür zu kämpfen, mit Weißen gemeinsam eine Bedürfnisanstalt benutzen zu dürfen, sei keine Revolution; bei der Revolution gehe es um Land.“

Der wirkliche Sachverhalt wird hier völlig verdreht: gerade in den letzten Jahren vor seinem Tod, als sich Malcolm X vom schwarzen Separatismus langsam wieder abkehrte, waren seine Äußerungen gegenüber M. L. King wieder von Annäherung und gegenseitigem Respekt geprägt, während die Denunziationen aus der Zeit stammten, in der Malcolm X Mitglied der rigide separatistischen Nation of Islam (NOI) gewesen war. Doch eine solche historisch korrekte Darstellung würde der expliziten Tendenz von Michels widersprechen, alle Formen des Integrationismus als bürgerlich, gemäßigt, reformistisch darzustellen, während sich im schwarzen Separatismus demgegenüber die „Radikalisierung“ der Bewegung zeige:

„Viele Entwicklungen zeigten auch, dass die Rassenintegration eher schädlich für die schwarze Gemeinde ist und ziemlich einseitig auf die Aufgabe aller kulturellen und sozialen Eigenständigkeiten der Schwarzen hinausläuft. Diese Opfer will ein großer Teil von ihnen nicht mehr bringen. Schwarznationalistische Gruppen sprechen gar von einem geplanten Völkermord an den Schwarzen in den USA und bekämpfen die Integrationsbestrebungen auf allen Ebenen.“

„Radikalisierung“ der Bewegung wird in solchen historischen Darstellungen des linken militanten Mainstreams immer wieder gleichgesetzt mit Übergang zur Militanz und Bewaffnung, Denunziation bis hin zur Lächerlichmachung der gewaltlosen Aktion und Ablehnung jeder Art von Integration. Als Alternativen werden diverse Varianten und geschichtliche Strömungen des Panafrikanismus, des schwarzen Islamismus, des schwarzen Separatismus und Nationalismus präsentiert. Ihnen eigen sind Forderungen nach einem Staat der Schwarzen auf dem Territorium der USA oder in Afrika, oder gar der Mythos einer Auswanderung und Rücksiedlung der Schwarzen aus den USA nach Afrika, gerade so, als wäre Liberia – ein Staat, der eben zu diesem Zweck gegründet wurde – heute ein leuchtendes Vorbild für den politischen Erfolg solcher Konzeptionen.

Clayborne Carson stellt mit seiner Geschichte des SNCC diese ganzen Versuche, Militanz und Separatismus mit Radikalisierung gleichzusetzen, dadurch infrage, dass er die Entwicklung des SNCC hin zur propagierten Militanz von 1968 nicht als geradlinigen emanzipativen Prozess darstellt, sondern im Gegenteil eher als Geschichte des Zerfalls, so auch der Titel des dritten Teils des hier vorliegenden Buches. Nach der historischen Darstellung Carsons gibt es in der Geschichte des SNCC einen inhärenten Zusammenhang zwischen zunehmender Militanz, zunehmender Rigidität des schwarzen Nationalismus und Separatismus, zunehmendem Antifeminismus der militanten Männer im SNCC und einem aufkommenden Antisemitismus, der die Zusammenarbeit mit jüdischen UnterstützerInnen der Bürgerrechtsbewegung in der ersten Hälfte der sechziger Jahre ersetzte. Die durch die propagierte Militanz und den separatistischen Nationalismus mit hervorgerufenen „Ghettoaufstände“ hinterließen ein Vakuum der Perspektivlosigkeit und der militärischen Niederlage, in das überhaupt erst wieder Vertreter klassisch liberal-reformistischer und parlamentarischer Konzeptionen vorstoßen konnten und dabei übrigens das Konzept „Black Power“ inhaltlich vor allem mit parlamentarischer Vertretung füllten. Zu ihrer Zeit konnten die militanten Aktivisten über die ökonomisch und sozial unzureichenden Erfolge der Bürgerrechtsbewegung den Stab brechen, doch die historische Darstellung von Carson zwingt zum praktischen Vergleich mit den Ergebnissen der militant-nationalistischen Kämpfe, die unmittelbar darauf folgten und sich selbst als radikale Alternative darstellten. Auch die zweite Hälfte der sechziger Jahre ist inzwischen Geschichte und ihre Ergebnisse unterliegen der Bewertung. Und hier zeigt sich, dass die „Ghettoaufstände“ – so verständlich und nachvollziehbar die Wut, die darin zum Ausdruck kam, auch immer gewesen sein mag – in der Praxis kaum zählbare materielle und erlebbare Erfolge hervorgebracht haben, auch nicht ihre Nachläufer in South Central Los Angeles Ende der achtziger Jahre. Ganz im Gegenteil: Die „bewusste selbstgewählte Segregation“ (Michels) vieler schwarz-nationalistischer Gruppen war in Wirklichkeit eine Regression, eine programmatische Rückkehr zur praktisch gerade überwundenen Segregation, ein Verrat somit an den emanzipatorischen Errungenschaften der gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung. An dieser Stelle kann nur daran erinnert werden, dass die Rassisten des Ku Klux Klan nichts so sehr fürchteten wie die kulturelle und angeblich „rassische“ Vermischung zwischen Schwarzen und Weißen und deshalb diejenigen Gruppen am schärfsten angriffen, bei denen der Integrationismus am weitesten fortgeschritten war, während sich weiße Nazis in den USA, das zeigt sogar ehrlicherweise Spike Lee in seinem Malcolm-X-Film zu Beginn der neunziger Jahre, Reden von Malcolm X und der NOI besuchten, in denen zur vollständigen räumlichen Trennung zwischen schwarzer und weißer „Rasse“ aufgerufen wurde. Clayborne Carson weist in diesem Buch deshalb immer wieder auf Ansätze und Konzepte einzelner AktivistInnen im SNCC hin, in denen Klassenanalysen und Bündnisse mit studentischen oder proletarischen Weißen konstruktiv mit Analysen des Rassismus verbunden wurden.

Das ungelöste Problem der Afro-AmerikanerInnen im Gegensatz zu den AfrikanerInnen war die Tatsache, dass die Schwarzen in den USA im Gegensatz zu den Schwarzen in Afrika eine gesellschaftliche Minderheit darstellen. Über die Grundlagen einer Situation, in der die eigene Bevölkerungsgruppe nur ungefähr elf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht und welche politisch-strategischen Konsequenzen das hat, wurde im schwarzen Nationalismus kaum je umfassend nachgedacht. Aufgrund des dominanten Nationalismus der Schwarzen galten auch in den siebziger und achtziger Jahren jegliche föderativen Ansätze des Integrationismus als desavouiert. Doch zentrale Inhalte einer Bewegung können nicht schon deshalb abgelehnt werden, weil das Establishment sie ständig im Munde führt und mit autoritären Inhalten belegt. Was etwa die „Freiheit“ anbelangt, haben die Schwarzen nie gezögert, diesen Begriff selbst zu benutzen und ihn selbstbewusst mit eigenen Inhalten zu füllen – auch wenn ihn die Regierung noch so oft für sich reklamierte. Im Falle der „Integration“ scheint dies nicht der Fall zu sein. Weil die Regierung ein bestimmtes Konzept der Integration propagiert, wird nicht etwa ein emanzipatives, alternatives Konzept der Integration auf der Basis eines schwarzen Selbstbewusstseins und der wechselseitigen kulturellen Durchmischung dagegen gesetzt, sondern „Integration“ im Namen eines fragwürdigen Minderheiten-Nationalismus ganz abgelehnt. Bis in die weltweiten Diskussionen um Identitätspolitik in den neunziger Jahren hinein hielt sich diese fatale Tendenz hartnäckig und erfuhr im jugoslawischen Bürgerkrieg ihre Feuerprobe.

Vor allem im Krieg um das zerfallende Jugoslawien entstanden aus Minderheiten kriegerische Nationalismen wie der katholisch-kroatische Nationalismus, der bosnisch-islamische Nationalismus oder der kosovo-albanische Nationalismus. Sicher ist die in den neunziger Jahren weit verbreitete, auch durch die Post-Colonial- und Cultural-Studies in den USA populär gewordene Identitätspolitik nicht die Ursache dieser Nationalismen, doch sie hat sie zweifellos ideologisch gestützt und von unten gefördert, wo gerade basisdemokratische, föderalistische und grenzübergreifende Alternativen gefragt gewesen wären: Es gibt nämlich auch eine Geschichte der „unterdrückten Nationen“ in Jugoslawien, eine opfer- und gewaltvolle Geschichte, bei der sich der Widerstand der Unterdrückten scheinbar nicht anders organisieren konnte als durch den Rückgriff auf die nationale Ebene und deren andere Nationen ausschließende Mythen. Die Parallele zum Widerstand der Schwarzen ist offenkundig. Dieser Prozess ist immer psychisch nur allzu verständlich, doch in seinen praktischen Auswirkungen katastrophal. Denn in den Phasen der Staatsgründung dieser ex-jugoslawischen separatistisch-nationalistischen Bewegungen bestimmten brutale Kriege das Geschehen, die nicht nur viele neue Opfer forderten, sondern auch zu keiner dauerhaften Lösung führten, wie die fortwährende NATO-Präsenz in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo beweist, wo jeweils die neu-nationalistisch aufgeputschte Bevölkerungsmehrheit bei Abzug der internationalen Truppen über die neue Minderheit herfallen würde.

Clayborne Carson zeigt, dass in jener Phase des SNCC, in welcher weiße AktivistInnen Mitglied sein konnten, kaum je praktisch die Gefahr bestand, dass die Schwarzen die Entscheidungskontrolle über die Organisation verloren, auch nicht nach der Kampagne in Mississippi 1964, als verhältnismäßig viele Weiße in die Organisation strömten. Was es gab, so erklärte mir Carson im Gespräch, war eine geradezu mythisch übersteigerte Angst der Schwarzen, dass die ihnen am wichtigsten erscheinende Organisation, das SNCC, das sie selbst aufgebaut hatten, von Weißen übernommen werden könnte. Und das Misstrauen gegen eloquent und als intellektuelle Redner auftretende weiße StudentInnen war zweifellos nicht nur an den Haaren herbeigezogen. Solche, im wesentlichen durch die lange Herrschaftsgeschichte des Rassismus erklärbaren Ängste haben jedoch verhindert, dass im SNCC vielleicht frühzeitig organisatorische Kriterien eingeführt hätten werden können, die eine Dominanz der Weißen institutionell verhindern konnten, anstatt später alle Weißen auszuschließen. Doch Spekulationen darüber sind müßig, das Experiment des schwarzen Separatismus musste wohl einmal gemacht werden, um die praktischen Lehren ziehen zu können. Aber nun sollten sie auch gezogen werden.

Auch in der Phase der Bürgerrechtsbewegung, in der die Schwarzen nahezu einmütig die Integration befürworteten, gab es immer wieder Räume und Gelegenheiten für die Kultivierung einer notwendigen Autonomie und des Selbstbewusstseins der Schwarzen, vor allem in den christlichen Kirchen der Schwarzen in den Südstaaten. Ein emanzipativer Integrationismus könnte auf solchen kulturellen Bereichen der Autonomie aufbauen und auf föderative und egalitäre Weise die Integration verschiedener Minderheiten in eine grundsätzlich zu revolutionierende Gesellschaft der USA anstreben. Bis Ende der neunziger Jahre war die Durchsetzung solcher revolutionär-föderalistischer Positionen in der afro-amerikanischen Bewegung in den USA nur undeutlich erkennbar. Der Kult um Spike LeeÕs Film sorgte in den frühen neunziger Jahren insgesamt sogar eher für ein Revival schwarz-nationalistischer Identitätspolitik. Und die Beteiligung von 500 000 schwarzen Männern am reaktionären „Million-Men-March“ der Nation of Islam um den islamistisch-nationalistischen Antisemiten Louis Farrakhan zur Propagierung einer paternalistischen Familienideologie in Washington im Jahre 1997 markiert einen vorläufigen Endpunkt der Regression, zu der die Ideologie des militanten, schwarzen Nationalismus geführt hat.

Schon 1999 deutete sich mit den Massenprotesten in Seattle jedoch ein emanzipativer Ausweg aus dieser Sackgasse an. Die neue Bewegung für eine andere Globalisierung greift wie selbstverständlich auf verschüttete Traditionen des Integrationismus und der vielfältigen Zusammenarbeit zwischen Schwarzen und Weißen zurück. Diese Zusammenarbeit ist jedoch zugleich nicht mehr – wie in den regierungsoffiziellen Konzeptionen – auf nationale Integration ausgerichtet, sondern sie ist weltweit, transnational und auf die Abschaffung nationalistischer Grenzziehungen orientiert. Ziel ist ein Integrationismus der „global citizenship“. Kulturen sollen sich vermischen, gegenseitig befruchten und sich dadurch kreativ bereichern. Wo aufgrund jahrzehnte- oder gar jahrhundertelanger Unterdrückungserfahrung ein gewisses Maß an Autonomie nötig ist, können sich autonomistische Strömungen mit anderen Gruppen und Bewegungen föderativ verbinden. Es ist die Widerstandspraxis dieser weltweiten Bewegung, die auf einen Schlag die Sackgassen der Identitätspolitik, die bis zum Ende der neunziger Jahre reichten, überwunden hat und die gleichzeitig eine Hierarchisierung von Antirassismus, Antisexismus, Antikapitalismus und Kampf gegen Antisemitismus ablehnt. Jedes Herrschaftsverhältnis muss gleichwertig analysiert und bekämpft werden, und wer sich im Kampf gegen Sexismus engagiert, begeht dadurch keineswegs Verrat am Antirassismus, wie ein gängiges Argument in der Phase des schwarzen Nationalismus lautete. Der emanzipative Integrationismus dieser transnationalen Bewegung setzt wieder auf die egalitär sich vollziehende kulturelle Befruchtung und Vermischung und steht dadurch auch im unverwechselbaren Gegensatz zu den bundesdeutschen regierungsoffiziellen Integrationsvorstellungen von der Dominanz einer angeblichen „Leitkultur“ der Mehrheit, der sich die Kultur der Minderheit unter Preisgabe ihrer Errungenschaften und Eigenständigkeit zu assimilieren hat. So, wie die Bewegung für eine andere Globalisierung trotz der Globalisierungspropaganda der Herrschenden eine selbstbestimmte Form der Globalisierung ja nicht ablehnt, so lehnt sie auch die Vermischung der Kulturen nicht ab, ja stellt sie als Konzept dem statischen „Kampf der Kulturen“ (Samuel P. Huntington) entgegen.

Als der autoritär-militant gewordene H. Rap Brown Mitte 1969 im für die sozialen Kämpfe irrelevant gewordenen SNCC putschte und die Namensänderung von „Student Nonviolent Coordinating Comittee“ zu „Student National Coordinating Comittee“ durchsetzte, war dies paradigmatisch gemeint. Clayborne Carsons Darstellung zeigt, dass dies folgerichtig und kein Zufall war.

„National“ hat heute im Gegensatz zu damals bei immer mehr transnational agierenden AktivistInnen einen negativen Beigeschmack erhalten. Und auch wenn sich H. Rap Brown heute noch einmal die radikale Attitüde seiner Rede vom 14. 8. 1967 in Watts/Los Angeles zulegen könnte, würde niemand mehr Reden wie diese als Ausdruck einer wie auch immer gearteten „Radikalisierung“ werten: „Ich meine, Lyndon Johnson ist der größte Verbrecher, den die Welt je erlebt hat. Und ich glaube, dass seine Mama eine Kommunistin war. Und für die von euch da draußen, die es nicht wissen (É) J. Edgar Hoover ist schwul. Er hat Nerven genug, um über Moral zu reden! Der höchste Polizist der Nation ist ein Schwuler! Worauf steuert Amerika zu? Eine Nation, so krank wie diese, kann nicht überleben. Ich will nichts als Gewalt, und ich werde sie anwenden, um mich zu befreien!“

Auch wenn berücksichtigt wird, dass Rap Brown solche Reden bewusst in der vereinfachten Sprache der „Ghetto-Kids“ gehalten hat, sind seine Inhalte – besonders für einen jahrelang aktiven Aktivisten des SNCC – nicht etwa Ausdruck von Authentizität, sondern von Regression in erschreckenden Ausmaßen. In einer zunehmend transnational von unten zu gestaltenden Welt haben rigide Nationalismen abgewirtschaftet und bilden keine ernstzunehmende Vision emanzipatorischer Politik mehr. Auch das ist eine Lehre aus der Geschichte des SNCC.

Carson sagte zu mir im Gespräch, dass solche Entwicklungen wie die von Rap Brown auch eine nicht zu vernachlässigende psychologische Erklärungskomponente haben. Schwarze waren durch die lange Herrschaftsgeschichte des Rassismus so eingeschüchtert, dass sie Radikalität mit dem Aussprechen dessen verwechselten, was noch nie ein Schwarzer öffentlich zu sagen wagte. Das ist eine Erklärung, keine Entschuldigung. Es sei nicht die real ausgeübte Gegengewalt der Schwarzen, so Carson weiter, die nachteilige Folgen für die weitere Entwicklung in den USA gezeitigt habe, denn die reale Gegengewalt sei marginal und in ihren Ausmaßen insgesamt gering gewesen. Wirklich schädlich sei dagegen die Gewaltrhetorik gewesen, der Verbalradikalismus vieler militanter schwarzer Redner. Die Rhetorik sei von den Medien und Regierungen der Weißen ausgebeutet worden, um unter den Weißen irreale Ängste zu schüren, um Mechanismen sozialer Abschottunng zu verstärken und vor der liberalen Öffentlichkeit immer neue Gesetze und Methoden der Repression gegen Schwarze zu legitimieren. Der wirkliche Schaden war der, dass durch den Verbalradikalismus den Herrschenden ein wohlfeiles Instrument der Legitimation von Regierungsgewalt in die Hand gelegt wurde. Mit solcher Legitimation und der sie begleitenden Angstpropaganda haben konservative Parteien in den USA bis heute immer wieder Wahlen gewonnen und die Öffentlichkeit in ihrem Sinne beeinflusst.

Eine notwendige Korrektur linker Geschichtsschreibung

Die Anwendung bewaffneter Gewalt ist in den USA nicht etwa Ausweis einer besonderen Form der Illegalität. Waffenbesitz und bewaffnete Verteidigung des eigenen Grund und Bodens sind seit den Gründungszeiten der USA legal. Schwarze auf dem Land hatten schon immer Gewehre in ihren Häusern, um sich gegen Angriffe weißer Rassisten zu verteidigen. Nach „Ghettoaufständen“ in den nördlichen Städten der USA stieg regelmäßig der Waffenkauf der Weißen, um sich gegen halluzinierte Angriffe der Schwarzen zu verteidigen. Dass die bewaffnete Gewalt tief in die Entwicklungsgeschichte der USA eingebrannt ist, bestreiten weder VertreterInnen des Establishments noch Oppositionelle.

Umso erstaunlicher ist es, dass nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Massenorganisationen der Schwarzen entstanden, die innerhalb dieses extrem gewaltsamen kulturellen Umfelds und gegen die über Generationen hinweg tradierte Anwendung privater und kollektiver bewaffneter Gewalt zur Selbstverteidigung die direkte gewaltfreie Aktion mit dem Ziel der radikalen und umfassenden Gesellschaftsveränderung propagierten und praktizierten. Im wesentlichen betrifft dies die Organisationen Congress of Racial Equality (CORE), SCLC und SNCC. Der US-Historiker Maurice Isserman spricht in einer außergewöhnlichen Darstellung der Bedeutung dieser Organisationen in der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den sechziger Jahren von der „Amerikanisierung Gandhis“ und sieht in ihnen einen Ausgangspunkt des Übergangs von der in bürokratisch-hierarchischen Parteistrukturen erstarrten alten Linken zur spontaneistischen, aktions- und bewegungsorientierten Neuen Linken in den USA. Diese drei radikal-gewaltfreien Organisationen der Afro-AmerikanerInnen bilden somit einen wichtigen Bestandteil der modernen Geschichte des Widerstands der Schwarzen.

Über jede dieser großen gewaltfreien Organisationen CORE, SCLC und SNCC sind in den USA inzwischen umfassende historische Darstellungen zu ihrer Bedeutung, Praxis und Organisationsgeschichte erschienen. Welche dieser Darstellungen haben inzwischen linke Verlage ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht? Die Frage ist rhetorisch und die Antwort heißt: keine!

Wer sich die Veröffentlichungspraxis historischer Darstellungen zur afro-amerikanischen und antirassistischen Bewegung in den USA, die in den neunziger Jahren in deutscher Übersetzung in linken Verlagen erschienen sind, vor Augen führt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass als historische Überlieferung augenscheinlich nur zählt, was aus den Gewehrläufen kam. Das überrascht um so mehr, als gerade der historische Abstand zu den „Zeiten des Kampfes“ den Blick aufklären und nicht trüben sollte. Dass in den bürgerlichen Verlagen Deutschlands keine Studien zu den gewaltfrei-revolutionären Massenorganisationen der Schwarzen erschienen sind, verwundert nicht, der Grad, in dem sich linke Verleger in der BRD auf die Geschichte bewaffneter Organisationen konzentrieren, ist jedoch erschreckend. Bei genauerem Hinsehen auf die linke Veröffentlichungspraxis historischer Studien oder Übersetzungen in den neunziger Jahren wird deutlich, dass die Frage der Bewaffnung nahezu das einzige Kriterium zu sein scheint, nach dem Bücher zur Widerstandsbewegung in den USA übersetzt oder Gesamtdarstellungen von Organisationen veröffentlicht worden sind. Dadurch können sich bis heute jüngere interessierte deutschsprachige LeserInnen lediglich über diejenigen Organisationen der schwarzen Widerstandsbewegung informieren, die fast durchweg autoritärer strukturiert, weniger bedeutsam, weniger langlebig und weniger mitgliederstark waren als CORE, SCLC oder SNCC. Das beginnt für die Geschichte der durch und durch – das wird auch bei Clayborne Carsons Darstellung der Fusionsversuche der Panther mit dem SNCC in seiner späten, militanten Phase deutlich – autoritär strukturierten Organisation Black Panther Party (BPP), geht weiter mit den Veröffentlichungen zur Solidarität mit dem von der Todesstrafe bedrohten Ex-Panther Mumia Abu Jamal und endet bei Darstellungen des Weatherman und des Weather Underground sowie den panafrikanischen und schwarz-nationalistischen Strömungen der Bewegungen in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren. Die bei dieser Veröffentlichungspraxis zum Ausdruck kommende antigewaltfreie Fixierung auf Bewaffnung macht etwa die Tatsache deutlich, dass mit dem Weatherman und dem Weather Underground heute bereits die Geschichte einer Organisation von Weißen in deutscher Übersetzung vorliegt, die ihre Aktionen anfangs lediglich als Solidarität und Unterstützung für den Kampf der Schwarzen verstanden, während andererseits keine ausführliche Darstellung über Massenorganisationen der Schwarzen selbst veröffentlicht wird, wenn sie sich auch nur zum Teil – wie etwa beim SNCC, deren zweite Hälfte ihrer Geschichte ja eine militante war – gewaltfrei verstanden. Besonders ärgerlich ist die Ignoranz gegenüber der Geschichte des SNCC im Buch von Peter Michels, der historische Personen, Bewegungen und Ideologien des Widerstands der Schwarzen im 19. und 20. Jahrhundert beschreibt und es schafft, das SNCC, das hier von Carson immerhin als bedeutendste Organisation der Schwarzen in den sechziger Jahren beschrieben wird, fast vollständig zu übergehen, wenn von gelegentlichen Namensnennungen ohne weitere Erklärung abgesehen wird. Dadurch verschiebt sich natürlich der Eindruck der LeserInnen darauf, welche Kämpfe in der Geschichte der Schwarzen als relevant wahrgenommen werden und wie sie rezipiert werden.

Diese Praxis linker Übersetzungs- und Veröffentlichungspolitik führt zu gravierenden Einseitigkeiten und letztlich einem falschen Bild von der Geschichte des afro-amerikanischen Widerstands. So wie aus der Perspektive der Geschichte – sagen wir – der Roten Armee Fraktion (RAF) kein zutreffendes Bild der in seiner ganzen Vielfältigkeit bestehenden Widerstandsbewegung der Neuen Linken und der sozialen Bewegungen in der West-BRD seit 1968 erwachsen kann, so ist es unmöglich, ein unverzerrtes Bild der afro-amerikanischen Widerstandsbewegungen ohne die ausführliche historische Würdigung von CORE, SCLC oder SNCC zu zeichnen.

Die Übersetzung von Clayborne Carsons Buch über die am stärksten basisdemokratisch strukturierte Organisation der Schwarzen in den sechziger Jahren, das SNCC, kann in dieser Hinsicht nur ein erster Schritt sein, um die gewaltfreien Organisationen der afro-amerikanischen Bewegung in ihr historisches Recht zu setzen und das veröffentlichte Bild zu korrigieren. Lediglich einige Übersetzungen aus der Frauenbewegung können von dieser Kritik der Veröffentlichungspraxis linker deutschsprachiger Verlage in den neunziger Jahren ausgenommen werden. So werden zum Beispiel in Gloria Josephs Buch Schwarzer Feminismus die SNCC-Aktivistinnen Ella Baker, Fannie Lou Hamer oder Gloria Richardson erwähnt und gewürdigt. Diese insgesamt trostlose aktuelle Lage an deutschsprachigen Veröffentlichungen über die Aktions- und Organisationsgeschichte der großen prägenden Organisationen des gewaltfreien Massenwiderstands der Schwarzen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg war neben der aktuellen politischen Bedeutung der Geschichte des SNCC als Lehrstück für die Abwege des Nationalismus unterdrückter Minderheiten und ihrer Konsequenzen ein zweiter Beweggrund dafür, dass wir die Übersetzung dieser bedeutenden historischen Arbeit von Clayborne Carson in Angriff genommen haben. Mögen sich die LeserInnen durch die Veröffentlichung dieser materialreichen und historisch genauen Arbeit von Carson ein umfassenderes und dem historischen Geschehen eher gerecht werdendes Bild vom Widerstand der Afro-AmerikanerInnen in den USA machen. Wir danken alle Beteiligten, die dieses umfangreiche Projekt möglich gemacht haben, besonders Heinrich W. Grosse für sein lesenswertes Nachwort und Ursula G. für ihre großzügige und selbstlose Spende, ohne die die Übersetzung nicht hätte finanziert werden können.

Lou Marin für die Herausgeber im Verlag Graswurzelrevolution

Einleitung

Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC, Studentisches Gewaltfreies Koordinierungskomitee, die Abkürzung SNCC wird im Amerikanischen „Snick“ ausgesprochen, d. Ü.) entstand in der scheinbar sterilen politischen Landschaft der fünfziger Jahre. Die gewaltfreie Organisation blühte in den Massenkämpfen der sechziger Jahre auf und verschwand in den Sackgassen der von Repression, Spaltungen und individuellem Rückzug gekennzeichneten, unfruchtbaren Atmosphäre der frühen siebziger Jahre.
Als die antirassistischen Widersprüche und Unzufriedenheiten die Fassade der Anpassung an die Verhältnisse der von McCarthy geprägten fünfziger Jahre durchbrachen, war es zunächst eine Welle einzelner Widerstandsaktionen, die den modernen Freiheitskampf der Afro-AmerikanerInnen auslöste. Die AktivistInnen des SNCC, die seit langem im Graswurzelmilieu verankert waren und sich der Überwindung rassistischer Unterdrückung verschrieben hatten, veranschaulichten die exemplarischen Werte dieser Kämpfe. So lange das SNCC die wechselnden Erfordernisse einer wachsenden sozialen Bewegung vorwegnahm, war sein spezifischer Radikalismus für diese Bewegung fruchtbar. Das SNCC war im Zentrum einer Bewegung, die die US-amerikanische Nation veränderte, und viel tiefer gehend noch die an der Bewegung Beteiligten. Der rasche Aufstieg und Niedergang des SNCC, seine internen Debatten über Taktik, Strategie und langfristige Ziele spiegelten als Mikrokosmos die Veränderungen afro-amerikanischer Politik während der sechziger Jahre.

Das SNCC wurde von den schwarzen College-StudentInnen aus den Südstaaten der USA gegründet, die auch die Sit-In-Bewegung in den Restaurants der sechziger Jahre initiiert hatten. Es entwickelte sich zu einer kleinen, aber wachsenden Gemeinschaft idealistischer AktivistInnen, weißer wie schwarzer, Studierender wie Nicht-Studierender, aus dem Norden der USA wie aus dem Süden. Stück für Stück überwanden die AktivistInnen des SNCC die eng gesteckten Grenzen des erlaubten Protests in der Zeit des Kalten Krieges. Sie eröffneten neue Perspektiven auf die US-amerikanische Gesellschaft und ihren von der Mittelklasse dominierten „Way of Life“. Weil es viele aktive Jugendliche anzog, die die eskalierenden Kämpfe der sechziger Jahre ausfochten, verkörperte das SNCC auf lebendige Weise und wie wohl kaum eine andere Organisation die aufkeimenden Werte einer wachsenden sozialen Bewegung.

Als die radikale Kompromisslosigkeit der studentischen FreiheitsfahrerInnen (Freedom-Riders: eine Aktionskampagne, bei der die schwarzen StudentInnen für Weiße reservierte Plätze in Überlandbussen und Busstationen besetzten, d. Ü.) im Frühjahr und Sommer 1961 die Regierung von Präsident John F. Kennedy in die Defensive brachte, verließ eine kleine Gruppe von AktivistInnen ihre Universität oder ihre Berufsausbildung, um BerufsaktivistIn im SNCC zu werden. Mit nicht viel mehr als ihrer Begeisterung, ihrer Kreativität und jugendlichen Energie griffen diese SNCC-AktivistInnen die Hochburgen des Rassismus in den Südstaaten frontal an. Während sie die schwarze Gemeinschaft mobilisierten, bildete sich ihre entschieden radikale Perspektive durch wechselnde Erfahrungen und Erwartungen. Zunächst bestanden sie nur darauf, dass die US-Bundesregierung und deren liberale Führungspersönlichkeiten ihre Macht zum Schutz und als Unterstützung der SNCC-Aktiven und der Schwarzen im Süden einsetzt, mit denen sie zusammenarbeiteten. Ab Mitte der sechziger Jahre begannen die SNCC-Kader jedoch nicht nur die Zurückhaltung der Liberalen, sondern auch die konventionellen Strategien der Gesellschaftsveränderung in der US-amerikanischen Gesellschaft in Frage zu stellen. Sie beobachteten, dass die Anführer traditioneller Organisationen die bedeutsamsten Kämpfe vor Ort ignorierten, während gerade innerhalb dieser Kämpfe neue, authentischere AktivistInnen öffentlich hervortraten und ihnen Kontinuität verliehen. Indem sie Organisationstechniken entwickelten, die bei den Schwarzen im Süden das Vertrauen in ihre Fähigkeit stärkten, Unterdrückungssituationen zu überwinden, wurden unterdrückte Traditionen des antirassistischen Radikalismus wieder belebt. Die erfolgreiche Mobilisierung von Gemeinden der Schwarzen im Süden durch das SNCC ermutigte auch andere Bewegungen. Die Formen eines Selbstbewusstseins als schwarze „Rasse“, die im SNCC Mitte der sechziger Jahre entstanden, waren Archetypen der Ideen, die später in der Frauenbefreiungsbewegung und anderen Identitätsbewegungen auftauchten.

Dieses Buch ist eine Studie der Ideen, die innerhalb des SNCC lebendig wurden. Sein zentrales Thema ist die Entwicklung des Radikalismus im SNCC. Dieser Prozess beinhaltete sowohl Konflikte als auch eine Reihe von gemeinsamen Auffassungen, denn das SNCC war keine homogene Sekte, die nur einem einzigen Glaubenskanon verpflichtet war. Seine AktivistInnen hinterfragten nicht nur die Bedingungen des gesellschaftlichen Status Quo, sondern auch die Voraussetzungen, die ihrer eigenen Rebellion gegen die Autorität zugrunde lagen. Sie waren sich zwar darin einig, dass das Ziel ihres Kampfes die Erweiterung menschlicher Freiheit sei, ihnen wurde jedoch zunehmend die Begrenztheit individualistischer Werte bewusst, wenn sie einer Bewegung mit kollektiven Zielen dienen sollten. Die OrganisatorInnen forderten – mehr noch als immer militantere Aktionsformen – eine starke, festgefügte Organisation, die nötig sei, wenn das SNCC über bloße Reformen im Bereich der Bürgerrechte hinausgehen solle. Der kompromisslose Ton in den öffentlichen Kritiken des SNCC an der US-Bundesregierung und am US-amerikanischen Liberalismus verdeckte die lebhaften internen Diskussionen über Taktik, Strategien und Ziele. Während dieser Diskussionen stellten die SNCC-AktivistInnen ihre eigenen Erfolge in Frage. Wie viele idealistische ReformerInnen und RevolutionärInnen in der Geschichte stellten auch sie die Frage, ob es möglich ist, eine Freiheitsbewegung aufzubauen, die nicht gleichzeitig eine neue Quelle für Unterdrückung darstellt.

Die Entwicklung des SNCC kann in drei Abschnitte unterteilt werden. Im ersten Abschnitt kamen junge MenschenrechtsaktivistInnen im SNCC zusammen und bildeten eine Gemeinschaft innerhalb eines sozialen Kampfes. Die SNCC-AktivistInnen suchten nach ideengeschichtlichen Anknüpfungspunkten für ihre Aktionen, in dem sie einzelne Bestandteile aus dem gandhianischen Unabhängigkeitskampf und aus den US-amerikanischen Traditionen des Pazifismus und des christlichen Idealismus aufgriffen, wie sie im Congress of Racial Equality (CORE, Kongress für „Rassen“gleichheit), im Fellowship of Reconciliation (FOR, Versöhnungsbund) und in der Southern Christian Leadership Conference (SCLC, Christliche Leitungskonferenz der Südstaaten; die Organisation Martin Luther Kings, d. Ü.) formuliert wurden. Die SNCC-OrganisatorInnen waren jedoch weniger als die Repräsentanten anderer Bürgerrechtsgruppen gewillt, ihre Ideen schwarzen Führungspersönlichkeiten auf lokaler Ebene aufzudrängen oder die Militanz der Schwarzen im Süden einzuschränken. Die SNCC-AktivistInnen galten als die „Stoßtruppen“ der Bürgerrechtsbewegung und verfolgten ihre Projekte sogar in Regionen wie dem ländlichen Mississippi, die von anderen Organisationen als zu gefährlich eingeschätzt wurden. Als sich die Zielrichtung der Aktionen des SNCC von der Abschaffung der Segregation (der rassistischen räumlichen Abtrennung von Schwarzen und Weißen, d. Ü.) weg und auf die Erkämpfung politischer Rechte zubewegte, veränderte sich sein philosophisches Bekenntnis zur direkten gewaltfreien Aktion zu einem säkularen, humanistischen Radikalismus, der von Marx, Camus, Malcolm X und vor allem von den eigenen Erfahrungen der SNCC-OrganisatorInnen (Community Organizers) in den schwarzen Gemeinschaften des Südens beeinßusst war. Im Sommer des Jahres 1964 erregten die einzigartigen Qualitäten des SNCC landesweites Aufsehen, als es bei der Mobilisierung Hunderter StudentInnen aus dem Norden der USA nach Mississippi führend in Erscheinung trat, um in dieser Hochburg südstaatlicher Segregation eine entscheidende Schlacht für das Wahlrecht der Schwarzen zu schlagen.

Der zweite Abschnitt in der Entwicklung des SNCC begann mit dem Scheitern eines Versuches der Mississippi Freedom Democratic Party (MFDP, Demokratische Freiheitspartei Mississippis), die normalerweise rein-weiße Delegation aus diesem Bundesstaat für den nationalen Parteitag der Democratic Party (Demokratische Partei) im August 1964 mit einer eigenen Delegation zu ersetzen. Zu jener Zeit war das SNCC bereits ein Trainingsfeld für AktivistInnen geworden, die später an der Free Speech Bewegung in Berkeley, den Protesten gegen den Vietnamkrieg und der Frauenbefreiungsbewegung teilnahmen, aber die SNCC-OrganisatorInnen wurden zusehends unsicherer, was die Grundprinzipien ihrer Arbeit betraf. So wurden die folgenden zwei Jahre zu einer Innenschau benutzt, in der sie sich fragten, ob mit ihren gegenwärtig verfolgten Strategien die grundlegenden sozialen Veränderungen erreicht werden konnten, die sie nun als notwendig ansahen. Die hauptamtlichen OrganisatorInnen diskutierten darüber, ob die Schwarzen im Süden wirklich dauerhafte Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen erreichen konnten, wenn sie weiter auf die Unterstützung der liberalen Weißen hofften und auf Interventionen der US-Bundesregierung. Und sie diskutierten darüber, ob das SNCC den Kampf der Schwarzen ausweiten könne, wenn es gleichzeitig an einen Antirassismus mit weißer Beteiligung und direkter gewaltfreier Aktion gebunden bliebe. Sie fragten sich zudem, ob ihre Ziele am besten durch ständige Konfrontation mit den bestehenden oder durch den Aufbau alternativer Institutionen, die von den Armen und Machtlosen selbst verwaltet werden, erreicht werden konnten.

Die dritte Phase der Entwicklung des SNCC bestand aus den Anstrengungen seiner Mitglieder, ihre Differenzen durch die Forderung nach Black Power (Schwarze Macht) und schwarzem Bewusstsein zu lösen. Weiße AktivistInnen wurden aus dem SNCC ausgeschlossen und Institutionen aufgebaut, die von Schwarzen selbst geleitet wurden. Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des SNCC im Mai 1966 verbreitete Stokely Carmichael die neue separatistische Orientierung der Organisation, aber weder er noch andere AktivistInnen konnten eine tragfähige ideologische Grundlage entwickeln, die die Schwarzen vereinigt hätte. Als die SNCC-Kader versuchten, das schwarze Bewusstsein auf die möglichen politischen und kulturellen Alternativen zu lenken, scheiterten sie in ihrem Bemühen, lokalen schwarzen Bewegungen eine dauerhafte Grundlage zu vermitteln und wurden in bittere Kämpfe zwischen verschiedenen Strömungen verwickelt. Ähnlich selbstzerstörerische Kämpfe spalteten die schwarzen Gemeinden im ganzen Land. Durch die inneren Spaltungen geschwächt, wurde das SNCC durch Taktiken zerrieben, die sowohl allmähliche Systemintegration als auch rücksichtslose Repression beinhalteten und die schließlich den gesamten Kampf der Schwarzen erstickten.

Als einer von vielen Schwarzen, die durch das SNCC geprägt wurden, habe ich dieses Buch zum Teil auch deshalb geschrieben, um eine Schuld zurückzuzahlen. Ich habe unschätzbar viele Lehren aus den Erfolgen wie auch den Fehlern des SNCC gezogen. Als ich 1963 als Neuling an der Universität von New Mexico zum ersten Mal SNCC-AktivistInnen traf, zeichneten sie mir ein Bild von der Bürgerrechtsbewegung des Südens, das anders und verlockender war als das, was ich durch die Presseberichte von den Sit-Ins, den Märschen und von Martin Luther King Jr. erfahren hatte. Ich staunte über die intellektuelle Kühnheit von Stokely Carmichael, der Gedanken ausdrücken konnte, die in meinem Bewusstsein noch verborgen waren. Ich bewunderte den Humanismus von Bob Moses, der intellektuelle Analyse mit selbstlosem Engagement verband. Obwohl sie nicht älter waren als ich, hatten beide Personen wichtige soziale Rollen übernommen und lebten auf eine Weise, die ich gleichermaßen aufregend wie auch vorbildlich fand. Obwohl ich der Versuchung widerstand, SNCC-Kader zu werden, wurde ich schnell Teil „der Bewegung“. Ich entschied mich, das vom antirassistischen Widerstand relativ isolierte New Mexico zu verlassen und schrieb mich an der University of California in Los Angeles ein, wo ich Kontakt zu den BürgerrechtsaktivistInnen der Stadt aufnahm.

Da es mir nicht reichte, nur zu protestieren, und ich andererseits noch nicht zum Community Organizer ausgebildet worden war, folgte ich meinen Neigungen und wurde Journalist, der für eine „Underground“-Zeitung schrieb. Als teilnehmender Beobachter der Bürgerrechtsaktionen sympathisierte ich mit dem SNCC und wurde gleichzeitig zunehmend der Schwierigkeiten gewahr, in die es verstrickt wurde, als die Forderungen nach Bürgerrechten von Forderungen nach wirtschaftlicher und politischer Macht verdrängt wurden. Wie viele andere selbst ernannte AktivistInnen war ich Zeuge der gewaltsamen Aufstände und Riots der Schwarzen in vielen Stadtteilen von Los Angeles im August 1965, ohne sie wirklich zu verstehen. Obwohl ich die Notwendigkeit für die darauf folgenden Forderungen nach Black Power nachvollziehen konnte, wurde ich den Verdacht nicht los, dass viele SNCC-AktivistInnen genauso unsicher wie ich waren, was den zukünftigen Kurs des Freiheitskampfes der Schwarzen anbetraf.

Je mehr das SNCC zu einer geschichtlichen Etappe wurde, desto deutlicher ersetzte das Verständnis von der historischen Bedeutung des SNCC meine frühere emotionale Nähe. Nicht nur sind meine Studien zur afro-amerikanischen Geschichte ein Ergebnis der Veränderungen, die das SNCC in meinem Bewusstsein bewirkt hat, sondern die internen Diskussionen des SNCC haben mir auch einen Maßstab für die Einschätzung von dessen historischer Bedeutung geliefert. Durch die organisatorische Arbeit des SNCC wurde deutlich, dass der Kampf der Schwarzen in den sechziger Jahren keine von Persönlichkeiten wie Martin Luther King oder Malcolm X begonnene und angeführte Veranstaltung war, sondern eine Massenbewegung, die ihre eigenen dominierenden Persönlichkeiten und Ideen hervorbrachte. Und wirklich: die wichtigsten Ereignisse dieses Jahrzehnts, vom Busboykott in Montgomery über die Sit-Ins bis zu den gewaltsamen Aufständen in den Städten, bestätigen die Ansicht des SNCC, dass Menschen Reichtümer oder besondere Ausbildung eine entscheidende Rolle beim Prozess der Gesellschaftsveränderung spielen konnten.

Doch die SNCC-AktivistInnen lernten auch die Schwierigkeiten kennen, die durch unvereinbare Ansprüche auf individuelle Freiheit und ideologische Geradlinigkeit entstanden, nach sozialer Gerechtigkeit und kollektiver Macht. Beredter als jede äußere Kritik, die auf das SNCC abzielte, war die Kritik, die innerhalb der Organisation selbst formuliert wurde. Wenn ich diese Kritik darstelle, will ich damit das SNCC keineswegs diskreditieren, sondern meinen tiefen Respekt gegenüber denjenigen bezeugen, die gewillt waren, das Risiko eines experimentellen Lebens auf sich zu nehmen. Wenn die SNCC-BerufsaktivistInnen keinen Weg gefunden haben, um ihr Engagement für soziale Gerechtigkeit mit ihrem Wunsch nach individueller Freiheit zu versöhnen, um wie viel weniger ist es uns gelungen, die wir das Privileg haben, über solche Fragen in ruhigeren Zeiten nachzudenken? Das SNCC hat ein intellektuelles Erbe hinterlassen, das für alle entscheidend ist, die dessen Arbeit fortsetzen und dabei seine Fehler vermeiden wollen.

Dieses Buch basiert auf den Grundlagen, die SNCC-Mitglieder selbst in ihren eigenen kritischen Untersuchungen über die Organisation gelegt haben. Als ich diese Arbeiten durchforstet habe, musste ich enorme Hürden überwinden, denn SNCC-Kader besaßen selten die bürokratischen Gewohnheiten, von denen HistorikerInnen abhängig sind. Der Kern meines Interesses war die intellektuelle Entwicklung des SNCC, doch die SNCC-AktivistInnen waren weitaus stärker auf die Aktionen konzentriert als darauf, sich über ihre Ideen Rechenschaft abzulegen. Obwohl ich die Methoden der „Oral History“ bei der Rekonstruktion der Geschichte des SNCC verwendet habe, blieben mir die Grenzen der Erinnerung stets bewusst. Schließlich muss sie den psychologischen Abgrund überwinden, der die Ex-SNCC-OrganisatorInnen von den Ereignissen der sechziger Jahren trennt. Deswegen bezog ich mich hauptsächlich auf traditionelle Formen primärer historischer Quellen – Protokolle von AktivistInnentreffen, Positionspapiere, anderes Publikationsmaterial -, um ein tieferes Verständnis einer entschieden unkonventionellen Organisation zu vermitteln. Diese Quellen ermöglichen es den LeserInnen, die politischen Themen so wahrzunehmen, wie sie die SNCC-AktivistInnen damals erlebten.

Vieles bleibt nach wie vor zu schreiben über die Bürgerrechtsbewegung und das schwarze Erwachen in den sechziger Jahren. In den sozialen Kämpfen der Zeit, und vor allem im SNCC, entstand eine neue Sensibilisierung, die fortschrittliche Bewegungen bis zum heutigen Tag beeinflusst. Indem wir die Versuche des SNCC betrachten, Antworten auf komplexe Fragen zu geben, können wir vielleicht eine neue Form der Verantwortung für unsere persönliche und kollektive Zukunft gewinnen. Obwohl die SNCC-AktivistInnen viele Probleme, mit denen sie konfrontiert waren, nicht lösen konnten, soll daran erinnert werden, dass es ihnen viel früher als den meisten anderen ihrer Generation gelang, über den Horizont hinauszublicken.

Clayborne Carson, November 1994

Rezensionen

Jungle World
Frankfurter Allgemeine Zeitung
DISS-Journal
Ossietzky
konkret
H-Soz-u-Kult
Das Historisch-Politische Buch
Graswurzelrevolution
Contraste
Sozial.Geschichte
ak – analyse + kritik

Freundliche Panther

Ein neues Buch beschreibt die Geschichte der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. von jens kastner

Die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA ist geprägt von gewaltfreien Aktionen und zivilem Ungehorsam. Sit-In und Teach-In sind in diesem Kontext erfunden worden, und die ein oder andere Busfahrt in den Südstaaten machte mehr Furore als so mancher Riot ein paar Jahre später. Dennoch ist die Geschichte der Organisationen, die diesen Widerstand gegen die rassistische Unterdrückung gebündelt und getragen haben, im deutschsprachigen Raum bisher kaum erzählt worden. Vor allem die Faszination für die militanten Gruppen wie die Black Panther Party hat hier das Publikationswesen bestimmt, obwohl – und das glaubt man dem Autor Clayborne Carson gerne – die gewaltfreien AktivistInnen mindestens ebenso schlagfertig und dazu noch besser organisiert, antiautoritär strukturiert und massenkompatibler waren.

Carsons Studie beschreibt die Geschichte des afroamerikanischen Aufbruchs in den sechziger Jahren anhand des »Student Nonviolent Coordinating Committee« (SNCC). Er schildert den Beginn einer Bewegung, deren Aktivismus sich vor allem auf Gandhis Gewaltfreiheit berief. Anfangs nur die studentischen Proteste in den Südstaaten koordinierend, wuchs das SNCC im Laufe der frühen sechziger Jahre zu einer Massenorganisation an. Vor allem mit den Methoden des organisierten zivilen Ungehorsams wurde das System der Segregation herausgefordert. Die Regierung Kennedy galt dabei zunächst noch als legitime Instanz, an die Forderungen gerichtet wurden und von der Hilfe erwartet wurde. Doch bereits ab 1962 wurden auch die Demokraten in Washington als Komplizen der rassistischen Unterdrückung in den Südstaaten denunziert, ohne allerdings als Bündnispartner vollkommen diskreditiert zu sein.

Die Radikalisierung wurde aus der Sicht Carsons nicht durch die Autorität und das Charisma radikaler Einzelner ausgelöst, die eine aktive Masse hinter sich zu scharen wussten, sondern die Bewegung selbst war es, die die Einzelnen inklusive ihrer späteren Anführer radikalisiert hat. Die Ursache für diese Radikalisierung war ein Konglomerat aus sozialer Ausgrenzung und kultureller Bewusstwerdung. Nicht zuletzt die starke christliche Motivation vieler AktivistInnen der Anfangszeit sorgte dafür, dass auch die später formulierten sozialrevolutionären Ziele immer an die moralische Integrität Einzelner gebunden blieben. Die Entwicklung von der Anti-Segregation über die Bürgerrechtsforderung zu Black Power und dem schwarzen Nationalismus erscheint in Carsons Perspektive nicht wie eine logische Radikalisierung, sondern als ein widersprüchlicher, umkämpfter Prozess. Und als ein Weg, auf dem sich die direkte gewaltfreie Aktion im Gegensatz zu später hegemonialen Aktionsformen – bzw. den Ideen dazu – nicht nur als die basisdemokratischere, sondern auch als die wirkungsvollere erwiesen hat. Allerdings wurde die spätere gesetzliche Durchsetzung von Bürgerrechtsforderungen, wie Carson erstaunt feststellt, von der Bewegung selbst kaum als Erfolg wahrgenommen.

Als das SNCC sich ab Mitte der sechziger Jahre gegen den Vietnamkrieg stark machte, geschah dies nicht mehr nur »vor dem Hintergrund eines Bekenntnisses zur Gewaltfreiheit«, sondern war durchaus antiimperialistisch motiviert. Dennoch war das Bündnis mit linksradikalen Weißen ein sehr labiles. Denn die kulturellen Grundlagen des Rassismus wurden von diesen nur selten thematisiert. Die ersten separatistischen Stimmen innerhalb des SNCC stellten ihn vor eine Zerreißprobe: Ging es den einen um die Erweiterung des aktionsbezogenen Kampfes, plädierten die anderen mehr und mehr für die Entwicklung nationalistischer Werte.

Diesen Konflikt schildert Carson sehr ausführlich am Beispiel der Auseinandersetzungen um den scheinbar so griffig einfachen Slogan »Black Power«. Verhinderte dieser eine klassenbasierte Bündnispolitik mit weißen Liberalen, so war er auch nicht dazu geeignet, die schwarze Community zu einen. Zum einen als Aufruf zur bewaffneten Rebellion gegen das System interpretiert, konnten sich doch auch »schwarze Kapitalisten« damit identifizieren. Ein Gegensatz, dem die Black Panthers später perspektivisch mit einem ethnisch gleich-gültigen Sozialismus begegneten, der im SNCC aber umstritten blieb und sich in verschiedenen Flügel- und Fraktionskämpfen äußerte.

Deutlich wird, dass sich die Widersprüche hier nicht in erster Linie zwischen gewaltfreien und militanten Aktionsformen entwickelten, sondern eher Schwarze aus dem ländlichen Süden den StädterInnen aus dem Norden oder PanafrikanistInnen den VertreterInnen lokaler Klassenbündnisse gegenüberstanden. Mit der Durchsetzung der an den antikolonialen Kämpfen in Afrika orientierten Mitglieder schien die Identitätspolitik im SNCC ab 1966 endgültig gesiegt zu haben. Gleichzeitig und nicht ohne inhaltlichen Zusammenhang nahm die Repression der weißen Staatsmacht gegen die Organisation zu.

Der Weg von den massenhaften gewaltfreien Aktionen, die in den Südstaaten der frühen sechziger Jahre ihren Höhepunkt erreichten, hin zum Streit zwischen kulturellen NationalistInnen und BefürworterInnen des bewaffneten Kampfes erscheint so eher als ein langsamer Niedergang denn als selbstbewusster Aufstieg, als der er ansonsten meist rezipiert wird. Während der über Klassengrenzen hinaus vorhandene Wunsch, der Unzufriedenheit in Massenaktionen Ausdruck zu verleihen, die Basis für das Engagement und die Erfahrung der AktivistInnen des SNCC war, habe er, sagt Carson, von den spontanen und militanten Aufständen der späten Sechziger nicht befriedigt werden können. Die Balance zwischen individueller Rebellion und organisierter, kollektiver Aktion habe aber zu diesem Zeitpunkt auch das SNCC nicht mehr zu Stande gebracht.

Carson, der auch der Herausgeber der Schriften Martin Luther Kings ist, beschreibt die Geschichte des SNCC quasi als Urgeschichte neuer sozialer Bewegungen. Denn seine Studie offenbart schon Dilemmata, mit denen bis hin zur globalisierungskritischen noch alle relevanten sozialen Bewegungen zu kämpfen hatten. Die Fragen sind immer noch dieselben: Sollte man eher auf medienwirksame Führer oder auf konsequente Basisdemokratie setzen, auf die Konfrontation mit den Verhältnissen oder den Aufbau eigener Alternativstrukturen?

Etwas unklar bleibt bei Carson, welche Rolle die Frauen in der Bürgerrechtsbewegung spielten. Obwohl es auch Frauen unter den GründerInnen und in einflussreicheren Positionen gab, tauchen sie, mit Ausnahme Ella Bakers, in der Studie kaum auf. Ob das SNCC also als Anstoß oder Alternative zum martialischen Gebaren der Black Panthers gelesen werden kann, ist leider nicht zu erfahren. Was Carson jedoch prinzipiell anmahnt, gilt aber ganz allgemein auch heute noch, nämlich die Geschichte des SNCC »als einen Fundus der Inspiration und der Erfahrung für die Neue Linke zu betrachten«.

erschienen in: Jungle World 30/2004, 14. Juli 2004

Gegen Diskriminierung

Die Geschichte des SNCC in den sechziger Jahren

Die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts markierten für die Vereinigten Staaten einen mächtigen Umbruch. Während der traditionelle Südstaaten-Rassismus noch eine große Rolle spielte, nahmen die Schwarzen ihr Schicksal immer selbstbewußter in die Hand. Einen bedeutenden Anteil an dieser Bewegung hatte das im Frühjahr 1960 gegründete „Student Nonviolent Coordinating Committee“ (SNCC). Die Geschichte dieser Institution, die ihre Inspiration aus den Traditionen des religiösen Radikalismus zog und mit den Ideen Mahatma Gandhis den Weg nach Amerika gefunden hatte, wurde von Clayborne Carson bereits im Jahr 1981 geschrieben, mehrfach neu aufgelegt und liegt jetzt erstmals in deutscher Übersetzung vor. Carson stammt selbst aus dem SNCC und ediert inzwischen als renommierter Historiker an der Stanford University die Akten Martin Luther Kings.

Mit kritischer Sympathie beschreibt Carson in drei thematischen Abschnitten den Weg dieses Studentenverbandes von Schwarzen, die durch zivilen Ungehorsam und das Prinzip der Gewaltlosigkeit gegen die Rassendiskriminierung vorgingen. Keimzelle des friedlichen Protests waren die „Sit-ins“. Gutgekleidete schwarze College-Studenten hatten sich erstmals im Februar 1960 in Greensboro in North Carolina an die nur für Weiße reservierte Theke eines Restaurants gesetzt und es erst bei Ladenschluß nach einem Gebet wieder verlassen – ein Beispiel, das schnell Nachahmer fand und ausgesprochen erfolgreich das Segregationssystem aushebelte. Das SNCC war bei der Schaffung lokaler Aktionszentren im ländlichen „Black Belt“ des Südens erfolgreicher als die weitgehend kirchlich dominierten Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King. Nach erfolgreichen Protestmärschen und Sit-ins in Alabama und Mississippi geriet das SNCC seit 1964/65 in den Sog einer weltweiten Radikalisierung, die die Emanzipation der Schwarzen als Teil eines internationalen Befreiungskampfes interpretierte. Vor allem für die bald führende Gestalt Stokey Carmichael wurden die Schwarzen in den Ghettos die Speerspitze eines Aufstands der Unterdrückten in aller Welt. Der eskalierende Vietnam-Krieg diente als Katalysator, um diesen Machtkampf zu forcieren. 1966 stand die „Black Panther Party“ als radikaler Mitstreiter und Konkurrent neben dem SNCC, das sich immer mehr von seinen pazifistischen Wurzeln löste.

Das abschließende Drittel der Darstellung Carsons ist „Zerfall“ betitelt und beschreibt in kritischen Worten den Niedergang der Bürgerrechtsbewegung seit dem tumultartigen Jahr 1968 und einer Radikalisierung, die in Unruhen in den Ghettos der Großstädte mündete. Anstatt sich die Erfolge der Bewegung zunutze zu machen, ging der SNCC „den Weg so vieler Organisationen in der Geschichte sozialer Bewegungen und versuchte, seine Weltsicht Menschen aufzuzwingen, die gerade dafür kämpften, für sich selbst denken zu können“. Diejenigen älteren Schwarzenführer, die sich gegen die revolutionären Dogmen wehrten, wurden an den Rand gedrängt. An die Macht gelangten statt dessen Persönlichkeiten, die revolutionäre Disziplin forderten – für Carson ein Zeichen für „intellektuelle Arroganz“, die den willkürlichen Gebrauch von Herrschaft legitimieren sollte.

Besonders nach dem gewaltsamen Tod von Martin Luther King im April 1968 fehlte eine politische Koordinierung, die die Gewalteskalation und die Polarisierung zwischen Schwarzen und Weißen hätte verhindern können. Der Niedergang des SNCC war durch Grabenkämpfe und langwierige interne Machtkämpfe gekennzeichnet. Stokey Carmichael war einer der ersten, der schließlich im Sommer 1968 der Auseinandersetzungen müde wurde und das Handtuch warf. Zeichen der kontinuierlichen Radikalisierung war eine signifikante Namensänderung im Juli 1969: Das Kürzel SNCC wurde zwar beibehalten, aber das „Student Nonviolent Coordinating Committee“ in ein „Student National Coordinating Committee“ umgewandelt. Mit der zunehmenden Militanz ging eine Mitgliederfluktuation einher, die es dem FBI erleichterte, Informanten in die Organisation einzuschleusen, was den Bedeutungsverlust nur noch beschleunigte und das in sich zerstrittene SNCC weitgehend paralysierte. Im Dezember 1973 berichtete das FBI-Büro in New York: „Angesichts der Tatsache, daß das SNCC kein bundesweites Büro mehr hat, keine nationalen Funktionäre, seit Jahren an keinen bedeutenden Aktivitäten beteiligt ist und dahin gehende Zukunftsperspektiven kaum auszumachen sind, schließt das New Yorker Büro den Fall ab.“

Trotz aller Mißerfolge und des Abgleitens vieler Mitglieder in die doktrinäre Gewalt war das SNCC, wie der Verfasser betont, letztlich doch erfolgreich. Insofern ist ihre Geschichte eine typische amerikanische success story und ein Beispiel für die Selbstheilungskräfte einer Demokratie, der es gelang, auf einem steinigen Weg die Emanzipation einer bislang marginalisierten Bevölkerungsgruppe zu ermöglichen. Die Veränderungen der amerikanischen Gesellschaft erwiesen sich als irreversibel. Selbst wer nicht an den Protestaktionen teilnahm oder heute nicht einmal von deren Existenz weiß, profitiert von den Aktionen der damaligen Aktivisten. Carson zitiert einen von ihnen mit den Worten: „Schwarze, die in Schlips und Kragen herumlaufen und gute Jobs haben, sind ein Resultat des SNCC.“ Die abenteuerlichen einleitenden Thesen der deutschen Herausgeber, die versuchen, die Erfolge des SNCC für die Zwecke heutiger „Globalisierungsgegner“ aller Couleur einzuspannen, kann man sich allerdings sparen und mit der Lektüre des Werkes auf Seite 35 beginnen.

Joachim Scholtyseck

erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Oktober 2004

Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes

Jedem renommierten Verlag mit anspruchsvollem historiographischem Problem hätte es gut angestanden, Clayborne Carsons Studie „Zeiten des Kampfes“ über die Geschichte des Student Nonviolent Coordination Committee (SNCC) in deutscher Übersetzung herauszubringen. Doch mit fast einem Jahrzehnt Verspätung erschien das mit dem Frederick Jackson Turner Award der Organization of American Historians ausgezeichnete Werk nun sorgfältig ediert im Verlag Graswurzelrevolution, dem Verlag der libertären Gewaltfreien um die Monatszeitung Graswurzelrevolution.

Inhaltlich passt das Buch zu deren Programm, schildert es doch Entstehung, Kampagnen und die direkten gewaltfreien Massenaktionen des SNCC im Kampf der US-amerikanischen Schwarzen gegen die rassistische Diskriminierung. Mit Sit Ins, Freiheitsfahrten und Kampagnen zur Eintragung in Wahllisten kämpften die Aktivisten des SNCC gegen das Segregationssystem in den Südstaaten und stellten zugleich in basisdemokratischer Organisation die Dominanz Martin Luther Kings in Frage.

Carson, einst Mitglied im SNCC, lehrt heute Geschichte in Stanford und ist Direktor des Martin Luther King, Jr., Papers Project. Sein Buch, das auf Interviews, Insider-Materialien wie Protokollen und unveröffentlichten Diskussionspapieren sowie den erst seit einigen Jahren zugänglichen FBI-Akten basiert, ist ein Muss für antirassistische Akteure. Nicht zuletzt, da es den Militanz-Fetischismus des Kults um Malcolm X und der Gewaltästhetisierung in Teilen des Hiphop zu zersetzen vermag.

Alfred Schobert

erschienen in: DISS-Journal, Zeitung des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), Nr. 13 (2004)

Es begann mit einem Sit-in

»Angesichts der Tatsache, daß das SNCC kein bundesweites Büro hat, keine nationalen Funktionäre, seit Jahren an keinen bedeutenden Aktivitäten beteiligt ist und dahingehende Zukunftsperspektiven kaum auszumachen sind, schließt das New Yorker Büro den Fall ab.« Mit dieser Mitteilung vom 11. Dezember 1973 beendete das Federal Bureau of Investigation (FBI) die Ausforschung, der das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) seit seiner Gründung im Jahre 1960 ausgesetzt war.

Die Buchstaben SNCC waren in den 1960er Jahren für unzählige Schwarze, vor allem in den Südstaaten der USA, ein Zeichen der Hoffnung. Die weiße Mehrheit der US-Amerikaner, die die brutale Rassentrennung verteidigte oder als gottgewollt hinnahm, empfand sie als Provokation, die bei ihnen Angst und Abwehr erzeugte.

Entstanden war das SNCC fast zufällig, und zwar in einem Restaurant in Greensboro, North Carolina: Vier schwarze Collegestudenten setzten sich an die Theke, die nur für Weiße reserviert war, und baten, bedient zu werden. Als ihnen das nach den Vorschriften der Rassentrennung verweigert wurde, blieben sie sitzen, einfach sitzen. Dieses »Sit-in« war wie ein Fanal, das in Windeseile von unzähligen weiteren schwarzen Studenten in den Südstaaten aufgenommen wurde: Eine Massenbewegung schwarzer Studenten zur Abschaffung der Rassentrennung war geboren.

Wie es weiterging und wie das SNCC neben der bei uns bekannteren SCLC, der Southern Christian Leadership Conference um Pastor Martin Luther King, zur bedeutendsten Organisation der Schwarzen in den 60er Jahren werden konnte, schildert Clayborne Carson in seinem Buch »Zeiten des Kampfes«. Carson, seinerzeit selbst Mitglied des SNCC, lehrt heute Geschichte an der Stanford University in San Francisco und ist zugleich Direktor des Martin Luther King, Jr., Papers Project. Als bester Kenner der US-Bürgerrechtsbewegung konnte er zu einem Prozeß und zu einem Film über die Ermordung Martin Luther Kings das beitragen, was man heute mit Sicherheit weiß: King war Opfer einer Verschwörung, an der auch der Regierung zugeordnete Institutionen beteiligt waren, zum Beispiel das FBI. Der Prozeß fand 1999 statt, mehr als 30 Jahre nach dem Mord, der Dokumentarfilm wurde 2004 fertiggestellt (Arte zeigte ihn Ende Oktober).

In der Geschichte des SNCC erkennt Carson drei Abschnitte: Der erste war gekennzeichnet durch Mobilisierung schwarzer Gemeinden mittels gewaltfreier direkter Aktionen (beispielsweise Kampagnen zur Eintragung von Schwarzen in die Wählerlisten). Diese Arbeit an der Basis, und zwar von schwarzen und weißen AktivistInnen gemeinsam, war erfolgreich und trug auch zu den Wahlrechtsgesetzen zugunsten der Schwarzen bei. Den zweiten Abschnitt versteht der Verfasser als »Innenschau«. Es war die Zeit der Weichenstellung zu einem »schwarzen Separatismus«, der dann in einem dritten Abschnitt unter anderem durch die Agitation der »Black Power«, die Trennung von den weißen AktivistInnen und zunehmende Militanz nach außen und innen schließlich zum Zerfall führen mußte. Geradezu spannend erzählt Carson vieles, an das sich europäische Leser noch von ferne erinnern, zum Beispiel den berühmten Marsch von Selma nach Montgomery, die Geschichte des kurzzeitigen SNCC-Vorsitzenden Stokely Carmichael und die der Black Panther Party.

Darüber hinaus ist das Buch mehr als nur die Geschichtsdarstellung einer Bürgerrechtsorganisation. Da die »aktuelle Massenbewegung gegen die kapitalistische Globalisierung« einen »wesentlichen ihrer vielen Ursprünge« im SNCC hat, kann man, wie der Übersetzer und deutsche Herausgeber des Buches, Lou Marin, zu Recht meint, diese Geschichte auch als ein »Lehrstück« für heutige soziale Bewegungen lesen, zur Ermutigung und als Warnung vor »Abwegen«.

Hartwig Hohnsbein

erschienen in: Ossietzy 24/2004 (27. November 2004)

Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes

Unter den US-amerikanischen Bürgerrechtsorganisationen nahm das Student Nonviolent Coordination Committee (SNCC) stets den Platz der Avantgarde ein. Seine Aktivisten standen im Ruf eines besonderen Radikalismus, egal ob sie neue Formen des zivilen Ungehorsams erprobten oder später einer entsetzten weißen Öffentlichkeit drohten, Amerika „niederzubrennen“. Der afroamerikanische Historiker Clayborne Carson hat in seiner bereits 1981 veröffentlichten Studie die wechselvolle Geschichte des SNCC nachgezeichnet. Das preisgekrönte Werk versteht sich als „Studie der Ideen“. In der Entwicklung des SNCC, die der Kriegsdienstverweigerer Carson selbst als sympathisierender „teilnehmender Beobachter“ begleitete, sieht der Autor rückblickend eine Reflexion der allgemeinen Veränderungen, die die afroamerikanische Politik während der sechziger Jahre durchlief.

Als Herausgeber der Schriften Martin Luther Kings ist Carsons eigene Perspektive deutlich dessen universalistischem Vermächtnis verpflichtet. Das Aufkeimen eines separatistischen schwarzen Nationalismus in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre begreift Carson nicht als Strategie der Selbstermächtigung, sondern als Niedergang einer ethnische und soziale Grenzen transzendierenden Reformkoalition. Erfolge der Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten waren die Abschaffung der Segregation und der rassistischen Wahlrechtsbeschränkungen.

Im Moment des Triumphs zerbrach die Bewegung: Mit dem Ende der gesetzlichen Diskriminierung verlagerte sich der Protest in die Großstädte des Nordens. Der enge Zusammenhang von Rassismus und sozioökonomischer Benachteiligung, der dabei deutlich zutage trat, machte auch eine Neuorientierung des SNCC erforderlich. Statt Klassenanalyse und Bündnispolitik dominierte jetzt aber eine Sichtweise, „die ‚Rasse‘ stärker betonte als Klasse und Bündnisse mit der ‚Dritten Welt‘ gegenüber Bündnissen mit verarmten Weißen bevorzugte“. Unterdessen spalteten sich die SNCC-Kader über ideologische und politische Grundsatzfragen. Zugleich verlor das SNCC die im Süden entwickelte Fähigkeit, als Katalysator der politischen Selbstorganisation schwarzer Gemeinden zu dienen.

Befremdlich ist die deutsche Einleitung der Studie. Sie stilisiert ausgerechnet die globalisierungskritische Bewegung völlig unkritisch zur Erbin des libertären und pazifistischen Politikverständnisses des frühen SNCC. Geradezu bösartig ist es, der hiesigen linken Literatur über die Bürgerrechtsbewegung eine Fetischisierung der Gewalt zu unterstellen. So wird der Kampf um Emanzipation eine Frage der Etikette.

Dominik Nagel

erschienen in: konkret 2/2005

Rezension zu: Carson, Clayborne: Zeiten des Kampfes

Clayborne Carsons Werk zur Geschichte des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC sprich „Snick“) gehört in den USA zu den Standardwerken zur Bürgerrechtsbewegung. Mehr als 25 Jahre nach der Erstauflage des Buches im Jahr 1981 ist nun auch eine deutsche Übersetzung beim Verlag Graswurzelrevolution erschienen. Dass es nach so langer Zeit zu einer solchen Übersetzung gekommen ist, ist dem Verlag und dem Übersetzer Lou Marin hoch anzurechnen. Denn obwohl fast 30 Jahre seit seiner Abfassung vergangen sind, bleibt In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, so der amerikanische Titel, eine herausragende Studie einer der einflussreichsten und radikalsten Bürgerrechtsgruppierungen der Sechziger Jahre.

SNCC begann als eine lose Organisation afroamerikanischer Studenten aus dem Süden der USA, die sich der Abschaffung der in dieser Region vorherrschenden Rassensegregation verschrieben hatten. Wie der Name der Organisation verrät, sollte das Komitee der besseren Koordination und dem Erfahrungsaustausch im Bezug auf Protestaktionen dienen. Doch sehr bald entwickelte sich im SNCC ein Kader professioneller Organisatoren und Aktivisten, die sich bemühten den Protest in die ländlichen Regionen des tiefen Südens zu tragen. In der ersten Hälfte des Jahrzehnts verschaffte sich das SNCC so den Ruf einer Bürgerrechtsavantgarde, die auch in Regionen vorstieß, in der traditionellere Bürgerrechtsorganisationen kaum vertreten waren und die in der Verfolgung ihrer Ziele kompromissloser und radikaler war als andere Organisationen. Das SNCC wurde so zum Vorläufer und Vorbild der Neuen Linken und der Antikriegsbewegung in den USA.

Clayborne Carson gliedert seine Geschichte der Organisation in drei Teile, Zusammenkunft, Innenschau und Zerfall, wobei Teil I, Zusammenkunft, den größten Raum einnimmt. Er umfasst in etwa die Periode zwischen 1960 und 1965. Carsons Schwerpunkt liegt dabei immer auf der Eigenperzeption der Mitglieder des SNCC und den praktischen, philosophischen und ideologischen Fragen, mit denen sie sich auseinandersetzten. Carson zeigt, dass SNCC außer im Bekenntnis zur Gewaltfreiheit keine einheitliche Philosophie entwickelte. Stattdessen herrschte ein hohes Maß an Individualität und Autonomie unter den Aktivisten vor. Es zählte vor allem das Engagement in der Sache. Ziel der Organisationsarbeit in den Gemeinden des Südens war die Heranbildung lokaler Strukturen und Organisationen, die es einheimischen Afroamerikanern ermöglichen sollten, eigenständig politische und soziale Ziele zu verfolgen. Für Carson ist dies die erfolgreichste Zeit des SNCC. Auseinandersetzungen innerhalb des SNCC gab es vor allem in Bezug darauf, ob die direkte Aktion Projekten wie der Wählereinschreibung vorzuziehen sei, und inwieweit weiße Aktivisten in die Arbeit des SNCC einbezogen werden sollten. Die Debatten um letztere Frage, zeigt Carson, sollte später entscheidend zum Zerfall des SNCC beitragen.

1965 begann laut Carson die Phase der Innenschau. Trotz der von der Regierung Lyndon B. Johnsons durchgesetzten Bürgerrechtsgesetze wuchs die Frustration unter den Aktivisten der SNCC ob der zurückhaltenden und von politischen Erwägungen geprägten Haltung der Bundesregierung und des liberalen Establishment im Norden der USA. SNCC distanzierte sich zunehmend von den Liberalen des Nordens, die bisher zu seinen Unterstützern gehört hatten, aber auch von den anderen gemäßigten Bürgerrechtsorganisationen, die den Mitgliedern des SNCC zu kompromissbereit erschienen. Auf der Suche nach neuen Themen konzentrierten sich die Aktivisten des SNCC zunehmend auf die Zustände in den urbanen Ghettos des Nordens. Die Desillusionierung führte zu einer Intensivierung der Debatte, ob der Einsatz weißer Aktivisten und Freiwilliger den Zielen der Organisation zuwiderlief. Es gab Befürchtungen, dass weiße Aktivisten aufgrund ihrer besseren Vorbildung und ihres privilegierten Status zu leicht in Führungsrollen schlüpfen und dadurch Afroamerikaner hemmen und in alte Rollenmuster drängen könnten. Die Schwierigkeiten des SNCC neue Themen zu besetzen, führten dazu, dass Rufe nach einer einheitlichen Philosophie lauter wurden. Außerdem wurde die Autonomie mit der individuelle Aktivisten an Projekten arbeiteten zunehmend als Schwäche empfunden, die die Arbeit der Organisation ineffektiv und chaotisch machte.

Carson zeigt aber, dass ironischerweise die größere Kohärenz, die auf die Debatten der Innenschau folgte, letztendlich auch den Zerfall des SNCC herbeiführte. 1966 bekam SNCC mit seinem neuen Vorsitzenden Stokeley Carmichael eine charismatische Identifikationsfigur und mit dem mit ihm identifizierten Konzept der „Black Power“ eine Idee, die in der afroamerikanischen Bevölkerung starken Widerhall fand. Doch mit dem neuen „starken“ Mann an der Spitze der Organisation gewannen Separatismus und schwarzer Nationalismus die Überhand im SNCC. Die „richtige“ revolutionäre Ideologie war nun wichtiger als das Engagement. Die letzten verbliebenen weißen Aktivisten wurden ausgeschlossen und ältere Aktivisten aus den Anfangsjahren fühlten sich durch das doktrinäre Auftreten jüngerer Mitglieder verprellt. Viele Projekte im ländlichen Süden verwaisten und wurden eingestellt. Es gelang der SNCC nicht, um die Idee des „Black Power“ realisierbare Projekte zur dauerhaften Mobilisierung der afroamerikanischen Bevölkerung ins Leben zu rufen. SNCC verlor sich zusehends in ideologischen Positionskämpfen zwischen seinen Mitgliedern. Die Mitglieder sahen sich immer mehr als Revolutionäre und verloren mehr und mehr den Bezug zu ihrer Basis. SNCC existierte zwar noch bis in die 1970er-Jahre hinein, spielte aber spätestens nach 1968 keine wichtige Rolle mehr.

Auch wenn Carsons Werk nicht den neuesten Forschungstand zur Bürgerrechtsbewegung repräsentiert, so wirkt es dennoch alles andere als veraltet. Dies liegt mit Sicherheit auch daran, dass Carson für seine Forschung eine Fülle von Primärquellen, vor allem Protokolle und Schriftverkehr des SNCC, sowie eine Reihe von Interviews mit den Akteuren der Zeit verwendete. Obwohl Clayborne Carson selbst als Aktivist in den 1960er-Jahren tätig war, ist sein Rückblick auf SNCC niemals verklärt. Carson bleibt stets distanziert. Er ist in seiner Vorgehensweise sicherlich eher deskriptiv als analytisch. Trotzdem mangelt es dem Buch nicht an einer kritischen Auseinandersetzung mit SNCC.

Die Übersetzung von Lou Marin liest sich sehr gut. Einzelne Begriffe und Institutionen, die dem deutschen Laien unbekannt sein könnten werden zumeist befriedigend erklärt. Allerdings erscheint es in diesem Zusammenhang als nicht ganz akkurat, das FBI mit dem Bundesnachrichtendienst zu vergleichen. Auch benutzt Marin zuweilen den etwas umgangssprachlichen Begriff Knast anstatt Gefängnis. Die Einführung von Marin und das Nachwort von Heinrich W. Grosse dienen vor allem dazu, Carsons Werk in den Kontext linker Debatten zu stellen. Vor allem Grosse trägt dabei wenig Erhellendes zu Carsons Werk bei. Marins These, dass Carson herkömmliche linke Interpretationen der Bürgerrechtsbewegung und ihrer „natürlichen“ Radikalisierung in Frage stellt, ist durchaus interessant. Leider fehlt dem Anhang eine ausführliche Bibliographie. Es werden lediglich einige deutschsprachige Werke zu Martin Luther King Jr. und der Bürgerrechtsbewegung aufgeführt. Die Liste der Abkürzungen ist leider unvollständig, bei der Fülle der verwendeten Abkürzungen ein erheblicher Mangel.

Insgesamt hat der Verlag Graswurzelrevolution mit Zeiten des Kampfes der deutschsprachigen Historiographie eine gelungene Übersetzung eines wichtigen Standardwerks zur Geschichte der Bürgerrechtsbewegung hinzugefügt.

Alexander Vazansky

erschienen: H-Soz-u-Kult, 23.05.2007

Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes

An diesem Buch sind wenigstens zwei Dinge bemerkenswert. Zum einen legt das Erscheinen der gelungenen deutschen Übersetzung dieses erstmals 1981 veröffentlichten, 1996 in zweiter Auflage erschienenen und bis heute nicht übertroffenen Standardwerks zur Geschichte einer der wichtigsten schwarzen Bürgerrechtsorganisationen der 1950er/60er Jahre ein beredtes Zeugnis von dem beklagenswert unterentwickelten Interesse an US-amerikanischer Geschichte in Deutschland ab. Zum anderen ist es geschichtspolitisch interessant, dass sich ein dezidiert linker, seinem Selbstverständnis nach nicht-bürgerlicher Verlag dieses Buches angenommen hat. In seinem Vorwort begründet Lou Marin als Verleger und Übersetzer die Bedeutung, die eine historisch informierte Auseinandersetzung mit dem Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) für die Selbstverständigungsdebatten des linken Lagers in Deutschland und überhaupt in der Welt haben könne. Auch ein eher belangloses Nachwort von Heinrich W. Grosse bemüht sich darum, die Gegenwartsrelevanz des geschichtlichen Themas herzustellen. Grosse lässt die Geschichte von SNCC und die Rezeption der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in Deutschland Revue passieren, um dann die Inspiration freizulegen, die das Erbe von Martin Luther King, Jr., von dem sich SNCC-Aktivisten im Laufe der 1960er Jahre immerhin zunehmend entfremdeten, für einen gewaltfreien Kampf gegen „die Übel des Rassismus, der wirtschaftlichen Ausbeutung und des Militarismus“ (S. 566-567) bereithält. Im Rezeptionskontext der deutschen Linken wird die Geschichte von SNCC mithin zu einem Lehrstück über Erfolge und Abwege einer sozialen Emanzipationsbewegung, aus der die „aktuelle Massenbewegung gegen die kapitalistische Globalisierung“ (S. 7) etwas für den eigenen Kampf lernen könne. Das ist mit Friedrich Nietzsche gesprochen monumentalistische Geschichtsschreibung in Reinkultur. Ob man mit dieser Funktionalisierung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung für den eigenen politischen Kampf dieser selbst historisch gerecht wird, sei dahingestellt. Auswirkungen auf die Vollständigkeit und Qualität der Übersetzung des Werkes von Clayborne Carson hat die monumentalistische Absicht zum Glück nicht, sodaß man dem Verlag insgesamt dankbar sein muß, dass er die Übersetzung dieses wichtigen Werkes unternommen hat. Mit seinem Buch erforscht Clayborne Carson als Historiker das Phänomen einer Zeit, die er als Aktivist in der Bürgerrechtsbewegung selbst miterlebt hat. Gleichwohl verlässt er sich weder allein auf die eigene Erinnerung noch auf die Selbst- und Geschichtsdarstellungen anderer Aktivisten. Vielmehr ergänzt er die vielgestaltige Erinnerungsliteratur mit von ihm selbst geführten oral history-Interviews und einer breiten Vielfalt an schriftlichen Quellen (Protokolle der verschiedenen Sitzungen, Positionspapiere, Schriftverkehr und anderes Publikationsmaterial des SNCC, FBI Akten). Herausgekommen ist eine von kritischer Distanz getragene, grundsolide, detail- und farbenreiche, oft aber auch in epische Breite drängende Darstellung, die eine dicht beschriebene Rekonstruktion der Aktivitäten des SNCC im Kontext der schwarzen Bürgerrechtsbewegung leistet. Die Entwicklung des SNCC wird in drei Phasen geteilt: (1) Zusammenkunft (1960-65), (2) Innenschau (1965/66) und (3) Zerfall (1966-1968). Damit zeichnet Carson plausibel die Geschichte einer Bürgerrechtsorganisation nach, die als spontaner und anfangs eher lockerer Zusammenschluß von zumeist afroamerikanischen Studenten, die die gegen die Segregationspolitik gerichteten Protestaktionen im Süden der USA besser koordinieren wollten, begann. Im Laufe der 1960er Jahre verwandelte sich SNCC in eine zunehmend fester gefügte, von professionellen Kadern geführte Organisation, die deutlich radikaler war als andere Bürgerrechtsorganisationen. Dieser ab 1966 im Zeichen des „Black Power“ stehende militante Radikalismus, der immer mehr auf Separation als auf Integration der Afroamerikaner setzte, war selbst innerhalb der afroamerikanischen Gemeinde nicht mehrheitsfähig und ein Grund dafür, warum der Einfluss des SNCC nach 1968 rapide verfiel.

Volker Depkat

„Das Historisch-Politische Buch“, 55. Jg., Heft 5/2007, S. 527f. 

Ich wünsche mir bedrucktes Papier

Jahresendzeit bedeutet oft „Wünsch Dir was“, warum also dem Drängen der fernen und nahen Verwandtschaft,. FreundInnen & KollegInnen nicht nachgeben und sich was wünschen, womit man sich selbst, dem örtlichen linken Buchhandel sowie den Verlagen einen Gefallen tun kann – nämlich ein Buch, oder mehrere. Wer keine Buchhandlung in der nähe hat, kann ja den Versandhandel unterstützen Und wer jetzt noch nicht weiß, welches Buch er sich wünschen könnte/sollte/würde, dem oder der soll hier ein paar Angebote unterbreitet werden.

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Ein anderes, ein etwas ins Hintertreffen geratene, aber deshalb nicht weniger spannendes Kapitel US-amerikanischer Geschichte ist der gewaltfreie schwarze Widerstand in den 1960er Jahren. Hierzu liegt jetzt aus kompetenten VerlegerInnenhänden die Organisationsgeschichte vor: Clayborne Carson; Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstandes in den sechziger Jahren. (Verlag Graswurzelrevolution Heidelberg 2004 / 638 S. / 28,80 Euro). Der Autor, nicht wie so oft lediglich aus theoretischem Interesse an der Sache engagiert, sondern selbst von der Bürgerrechtsbewegung geprägt, sowie der Herausgeber der Schriften von Martin Luther King, legt hier ein umfangreiches Buch vor, welches die Strukturen, Diskussionen usw. aus den Anfängen der Widerstandsbewegung beschreibt. In Amerika wurde das Buch mit einem HistorikerInnen-Preis geehrt, und liegt nun erstmals in Deutsch vor.

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So, das war nun ein Teil des Bücherberges der Neuerscheinungen, die im Laufe des Jahres sich hier so angesammelt haben, und denen ich viele LeserInnen wünsche.

Jochen Knoblauch

erschienen in: Contraste Heft 243, Dezember 2004

Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes

In der populären wie wissenschaftlichen Publizistik über die internationale Sozialrevolte der 1960er und 1970er Jahre setzt sich immer stärker die Tendenz durch, das Augenmerk auf ihre Führungsfiguren zu konzentrieren oder mit ihrer gewalttätigen Spätphase abzurechnen. Dieser Blick auf das Spektakuläre schiebt die Auseinandersetzung mit den sozialen und mentalen Grundlagen der durch die sozialen Bewegungen erkämpften Umbrüche immer stärker beiseite. Um so mehr ist es zu begrüßen, dass ein kleiner libertär-anarchistischer Verlag nun gegensteuert und eine schon Mitte der neunziger Jahre erschienene Studie über das US-amerikanische Student Nonviolent Coordinating Committee in deutscher Übersetzung vorlegt, die sich am Beispiel dieser bedeutendsten Initiativgruppe des afro-amerikanischen Aufbruchs um eine integrierende Analyse eines der turbulentesten Jahrzehnte der US-amerikanischen Sozialgeschichte bemüht. Für diese Aufgabe war der Verfasser auch bestens qualifiziert. In den 1960er Jahren war er selbst SNCC-Anhänger gewesen und ist infolgedessen »Insider«; als professioneller Historiker – er lehrt heute an der Stanford University – ist er jedoch mit den Fallstricken der Zeitzeugenschaft und der Oral History zu gut vertraut, als dass er nicht auch um die Distanz wüsste, die für eine systematisch abwägende und gewichtende Analyse unverzichtbar ist.

Carson rekonstruiert die Geschichte des SNCC und seiner Kontexte in ihren drei wichtigsten Entwicklungsetappen. In den Jahren 1960 bis 1964 konstituierte das »Snick« sich als Assoziation afro-amerikanischer College-Studenten in den Südstaaten, die gewaltlose Massenaktionen gegen die Rassensegregation organisierten und sich in den ländlichen Gemeindestrukturen des Black Belt verankerten. (S. 45 ff.) In dieser Etappe wurden die AktivistInnen des SNCC von den Liberals des Westens und der Ostküste unterstützt. Ihre Bemühungen wurden 1964/65 durch die bundesgesetzliche Aufhebung der Rassensegregation und der die Schwarzen diskriminierenden Wahlrechtsbestimmungen gekrönt.

Aber dieser langfristig so bedeutsam politische Teilerfolg wurde von den Militanten des SNCC kaum wahrgenommen, denn durch ihn war die sozioökonomische Gleichstellung der Schwarzen noch keineswegs gesichert. Auf das erste Jahrfünft des Aufschwungs der Massenbewegung folgte 1965/66 eine Phase der »Innenschau« (S. 255 ff.), in der die afro-amerikanischen Militanten nach neuen Orientierungen jenseits ihrer bisherigen bürgerrechtlichen Zielstellungen suchten. Die aber waren im Wesentlichen durch zwei äußere Faktoren bestimmt, denen sie sich nicht entziehen konnten: Die Getto-Revolten der afro-amerikanischen Armen und Jugendlichen in den von den Weißen dominierten Großstädten und den sich ausbreitenden Widerstand gegen den Vietnamkrieg. Um ihnen gerecht zu werden, testeten sie zwei alternative Richtungen: Erstens ihre Annäherung an die von Weißen dominierte New Left, die seit den Erfolgen des Free Speech Movement und ihrer Kampagne gegen die Wehrpflicht inzwischen ebenfalls über einen Massenanhang verfügte und von einer alle Hautfarben umfassenden antikapitalistischen Sozialrevolte träumte; und zweitens den Zusammenschluss mit den Avantgarden der afro-amerikanischen Getto-Aufstände, für die die SNCC-Aktivisten seit der Proklamation eines selbstbewussten Black Power zunehmend attraktiv wurden. Für welche Richtung sie sich dabei auch entschieden: In beiden Fällen war der Verlust der bisherigen Unterstützung durch die Liberals sicher, die sich zwar für universelle politische Bürgerrechte einsetzten, aber an den etablierten sozioökonomischen Machtstrukturen festhielten. Carson zeichnet detailliert nach, wie und warum nach der politischen Überwindung der Rassensegregation das Pendel schließlich zugunsten eines schwarzen Separatismus ausschlug. Diese Entscheidung ging mit einem inneren Umschlag zur hierarchisch strukturierten Kaderpolitik einher und wurde nach außen durch autoritäre Führungspersönlichkeiten vermittelt. Man rückte von der überwiegend weißen New Left ab und kompensierte die zunehmende innenpolitische Isolierung durch den Schulterschluss mit dem Panafrikanismus und den antiimperialistischen Befreiungsbewegungen. Aber es gelang den Führern und »Hauptamtlichen« des SNCC seit 1966/67 nicht mehr, aus diesen Weichenstellungen eine konsistente Politik zu machen. (S. 391 ff.) Die Fusion mit der 1966 gegründeten Black Panther Party scheiterte, und die bis 1968 eskalierenden Getto-Revolten konnten sich nicht in Institutionen der politischen Gegenmacht stabilisieren. Besonders fatal wirkte sich der Versuch aus, den sich immer deutlicher abzeichnenden Niedergang durch eine wortradikale Phraseologie zu kompensieren: Sie lieferte die Vorwände, die das FBI benötigte, um das SNCC 1967 in seine Counter Intelligence-Projekte einzubeziehen und die inneren Widersprüche und Krisentendenzen zu verstärken. Knapp zehn Jahre nach seiner Gründung war das SNCC nur noch ein Schatten seiner selbst und verlor genau so wie die übrigen Organisationen des Black Power und der New Left den Kontakt zur sozialen Wirklichkeit.

Clayborne Carson ist es auf hervorragende Weise gelungen, den innerhalb eines dramatischen Zehnjahreszyklus erfolgten Aufstieg und Niedergang der afro-amerikanischen Emanzipationsbewegung der USA zu rekonstruieren. Er gewichtet ihre Erfolge und Rückschläge genauso wie die heute manchmal schwer nachvollziehbaren Fehler und Irrwege in einer bewundernswerten Mischung von Distanz und Einfühlungsvermögen, und so gelingt ihm ein historisches Verstehen, dem die nachträgliche Häme genauso fremd ist wie die affektive Identifizierung. Im dritten Teil seines Triptychons hätte man sich in Fortsetzung der Analyse für die Jahre 1964 bis 1966 ein Kapitel über die Beziehungen des SNCC/Black Panther-Komplexes zur New Left gewünscht. Infolgedessen fehlt in dem ansonsten so »runden« Buch die Auseinandersetzung mit der 1967 vom SNCC, den Black Panthers und den Students for a Democratic Society (SDS) gemeinsam getragenen Entscheidung, ihren Kampf gegen die Wehrpflicht zu einer Desertionskampagne auszuweiten, was wegen der fast weltweiten Dislozierung der U.S. Army weitreichende Folgen für die internationale Sozialrevolte hatte. Auch eine Reflexion darüber, was wohl geschehen wäre, wenn sich das SNCC alternativ zum schwarzen Separatismus für einen transkulturellen Schulterschluss mit der New Left entschieden hätte, hätte die Untersuchung zweifellos noch weiter abgerundet.

Mit diesen kritischen Hinweisen möchte ich jedoch die Bedeutung dieser Studie nicht schmälern. Leider ist die Übersetzung dem Originaltext nicht immer gewachsen und schwankt manchmal zwischen zu naher Wörtlichkeit und zu freier Paraphrasierung hin und her. Problematisch ist auch das Vorwort des Übersetzers. Durch den Versuch, die basisdemokratische Frühphase des SNCC »graswurzelhaft« zu ideologisieren, verstellt Lou Marin den Blick auf die Zugzwänge, mit denen die Aktivistinnen und Aktivisten des SNCC seit dem Ende der bürgerrechtlichen Phase der afro-amerikanischen Massenbewegung konfrontiert waren.

Karl Heinz Roth, Sozial.Geschichte Heft 1/2005

Das Erwachen des afroamerikanischen Widerstands

Carsons monumentale Studie auf deutsch erschienen

Obwohl das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC, sprich „Snick“) eine der bedeutendsten afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisationen des 20. Jahrhunderts war, ist es in Deutschland bisher relativ unbekannt. Mit dem Buch des Stanforder Geschichtsprofessors und früheren SNCC-Mitglieds Clayborne Carson ist es nun jedoch auch hierzulande möglich, sich eingehend mit der wechselvollen Entwicklung des SNCC vertraut zu machen.

Den ersten Teil seiner Studie widmet Carson der Beschreibung der Gründungsphase des SNCC. Die BürgerrechtaktivistInnen, die im April 1960 in Raleigh, North Carolina, zur Gründungskonferenz zusammentrafen, einte die Empörung über die eklatante Diskriminierung, denen AfroamerikanerInnen ausgesetzt waren. Besonders im Süden der USA waren seit den 1880er Jahren öffentliche Einrichtungen und Plätze wie Restaurants, Kinos und Schulen nach Hautfarben segregiert. Darüber hinaus wurde den Schwarzen ihr verfassungsmäßig garantiertes Wahlrecht systematisch verweigert: Um in den USA wählen zu können, ist es notwendig, sich in das Wahlregister seines Wahlkreises einzutragen. Allerlei Schikanen und die Einschüchterung durch rassistische Wahlhelfer, Ku Klux Klan und Polizei bewirkten aber, dass sich ein Großteil der AfroamerikanerInnen nicht registrieren lassen konnte.

Die StudentInnen, die sich deshalb im SNCC organisierten, strebten eine Organisation an, die die Protestaktivitäten der BürgerrechtsaktivistInnen koordinieren sollte. Sehr großer Wert wurde von Anfang an darauf gelegt, dass diejenigen, die in die verschiedenen Städte des Südens fuhren, um dort Aktionen gegen den institutionalisierten Rassismus durchzuführen und die ansässige Bevölkerung zu mobilisieren, nicht als abgehobene politische Avantgarde agierten. Vielmehr verband die im SNCC Organisierten ein basisdemokratischer Anspruch; die Aktionen sollten im Einklang mit den in den jeweiligen Communities lebenden Menschen stehen. Die Protestformen waren äußerst vielfältig, kreativ und dabei von den Grundsätzen der Gewaltfreiheit und der Strategie des zivilen Ungehorsams inspiriert.

Wellen von Sit-Ins und Freedom-Rides

Am 1. Februar 1960 starteten vier Studenten die Protestbewegung, die dann zur Gründung des SNCC führen sollte, als sie sich in Greensboro, North Carolina, in ein nur für Weiße vorgesehenes Restaurant setzten und darauf warteten, bedient zu werden. Dieses erste Sit-In löste eine ganze Welle weiterer Sit-Ins in anderen Südstaaten aus, so dass sich Mitte April um die 50.000 Aktive an den diversen Protestaktionen beteiligten. Rassisten reagierten darauf mit physischer Gewalt; die jeweiligen Landesregierungen der Südstaaten versuchten mit polizeilicher Repression die AktivistInnen einzuschüchtern. Diese intensivierten daraufhin jedoch den praktizierten zivilen Ungehorsam, war dies doch Teil ihrer Strategie. Durch die von Presse und Fernsehen dokumentierte enorme Brutalität des rassistischen Mobs, oftmals flankiert von den nicht weniger rassistischen Polizeikräften, die die TeilnehmerInnen der Sit-Ins inhaftierten, wurde die Bundesregierung unter Kennedy großem Druck, auch auf internationaler Ebene, ausgesetzt.

Die Kritik an der Bundesregierung wurde schärfer, als die Gewalt gegen die BürgerrechtlerInnen anlässlich der sogenannten Freedom-Rides (Freiheitsfahrten) im Jahr 1961 weiter eskalierte. Die Freedom-Rides hatten zum Ziel, lokale Protestaktionen in den Südstaaten zu unterstützen, indem StudentInnen aus dem Norden dorthin fuhren und sich an direkten gewaltfreien Aktionen beteiligten. Die ersten Busse der Freedom-Riders nach Montgomery und Birmingham in Alabama wurden bei ihrer Ankunft vom rassistischen Pöbel sogleich demoliert und die AktivistInnen brutal verprügelt, während die Polizei untätig zusah. Aber obgleich nur wenige hundert Menschen das Risiko der Freiheitsfahrten auf sich nahmen, war diese Protestform ungemein öffentlichkeitswirksam und bewog viele Menschen, sich aktiv in der Bürgerrechtsbewegung zu engagieren.

Carson zeichnet in seiner Studie die kontroversen Diskussionen innerhalb des SNCC nach, die von den Mitgliedern über die zukünftige organisatorische und ideologische Ausrichtung geführt wurden. Die Gründungsmitglieder James Lawson und Bob Moses wollten sowohl den anfänglich stark von religiös-gandhianischen Motiven geprägten Charakter wie auch die dezentral- basisdemokratische Organisationsstruktur beibehalten. Andere verlangten nach einer Kaderorganisation, die die wachsende Zahl der BürgerrechtsaktivistInnen effektiver einsetzen könnte. Schließlich obsiegten die Adepten der Effektivität gegenüber den Leuten, für die das Festhalten an den in der Gründungsphase formulierten Prinzipien oberste Priorität hatte. Diese Spannung zwischen Prinzipientreue und Effektivität kennzeichnete die gesamte Geschichte des SNCC. Der Autor sieht in der mangelnden Vermittlung beider Pole eine wesentliche Ursache für dessen späteren Niedergang.

Zwischen Prinzipientreue und Effektivität

Wie Carson anschließend darstellt, war ein wesentliches Element der Arbeit des SNCC seine Kooperation mit anderen Organisationen wie der NAACP(National Organisation for the Advancement of Colored People), CORE (Congress for Racial Equality) oder der SCLC (Southern Christian Leadership Conference), Martin Luther Kings Organisation. Selbst wenn die Zusammenarbeit infolge der unterschiedlichen politischen Ansichten auch nicht immer ohne Friktionen ablief, konnte die Bürgerrechtsbewegung ihren Einfluss durch die Bündelung der Kräfte doch erheblich steigern.

An der im Herbst 1960 in Atlanta stattfindenden SNCC-Konferenz nahmen auch Vertreter radikaler sozialistischer Gruppen teil und leiteten eine weitere Vernetzung mit linken Gruppen ein. Die Radikalisierung des SNCC setzte sich Anfang des Jahres 1963 fort, als die AktivistInnen sich vermehrt auf die Mobilisierung von Schwarzen aus der Unterschicht mit geringer Schulbildung im ländlichen Süden konzentrierten. Viele im SNCC Organisierte sahen die moderaten Bürgerrechtsgruppen wie NAACP und SCLC mit zunehmender Skepsis, weil diese nach wie vor unkritisch auf eine Zusammenarbeit mit der Bundesregierung setzten. Demgegenüber wurden im SNCC nun stärker soziale Fragen und der Zusammenhang zwischen Rassismus und Klassengegensätzen debattiert.

Von „Nonviolent“ zu „National“

Mitte der 1960er Jahre machte der SNCC-Kader und spätere Vorsitzende Stokely Carmichael den Slogan „Black Power“ populär. Darunter verstand er die Notwendigkeit, die kulturelle und politische Autonomie der Schwarzen in ihren Communities zu erlangen. Wann immer Carmichael auch betonte, dass „Black Power“ kein Bekenntnis zu einem anti-weißen „reverse racism“ sei, wurde er in der konservativen US-amerikanischen Presse dafür scharf angegangen. Bewusst ausgeblendet wurde, dass Carmichael sich von der Gruppe der schwarzen Separatisten unter Bill Ware aus Atlanta distanzierte, die den Ausschluss der Weißen aus dem SNCC forderten. Die BefürworterInnen des Ausschlusses kritisierten, dass einige weiße BürgerrechtlerInnen aufgrund ihres privilegierten Bildungshintergrundes eine dominierende Stellung in Führungspositionen eingenommen hätten. Darüber hinaus wurde moniert, dass die ohnehin schon existierende Einschüchterung der schwarzen ländlichen EinwohnerInnen des Südens durch die SNCC-Kader mit Universitätsabschluss infolge der Präsenz von Weißen noch größer wurde.

Doch trotz des Umstandes, dass diejenigen, die sich für einen Rauswurf der Weißen einsetzten, nur eine zahlenmäßig unbedeutende und lediglich medial gepushte Minderheit waren und die Zahl der weißen SNCC-Mitglieder ohnehin gering und rückläufig war, wurde auf einem Treffen der hauptamtlichen Mitarbeiter in New York im Dezember 1966 deren Ausschluss beschlossen. Diese sehr knappe Entscheidung kam allerdings auch nur dadurch zustande, dass die meisten TeilnehmerInnen aufgrund der sich mehrere Tage hinziehenden enervierenden Diskussionen frustriert abreisten und somit bei der Abstimmung nicht mehr anwesend waren. Ironischerweise wurden die schwarzen Separatisten kurze Zeit später selbst aus dem SNCC verbannt.

Anfang 1967 wurde Hubert „Rap“ Brown zum neuen Vorsitzenden gewählt. Unter seinem Vorsitz wurde die stetige Radikalisierung vieler AktivistInnen in Bezug auf die Gewaltfrage dadurch deutlich, dass das „Nonviolent“ im Namen der Organisation gestrichen und durch „National“ ersetzt wurde. Von Rassisten begangene Morde und Polizeibrutalität hatten bei vielen Schwarzen Wut erzeugt – und das Bedürfnis, sich zur Selbstverteidigung zu bewaffnen. Die Ende 1966 von Huey Newton und Bobby Seale gegründete Black Panther Party for Self-Defense (BPP) genoss durch das ostentative Gewehre Tragen schnell große Sympathien in weiten Teilen der Black Community. Die vor allem von Stokely Carmichael forcierten Versuche der Fusion zwischen SNCC und BPP scheiterten jedoch.

Richtungskämpfe erleichtern FBI die Arbeit

Neben internen Differenzen des SNCC über die weitere ideologische und organisatorische Zielsetzung war nicht zuletzt die massive Repression von Seiten staatlicher Behörden wie dem FBI ein wichtiger Faktor für die Schwächung und den schließlichen Niedergang der radikalen Schwarzengruppen. Das geheime „Counter Intelligence Programm“ (COINTELPRO) des FBI sah allerlei perfide und illegale Maßnahmen gegen SNCC und BPP vor: verdeckte Ermittler wurden eingeschleust, Anklagen gegen Führungskader fingiert, Zwietracht zwischen den verschiedenen Gruppen gesät und sogar Mord war Teil des Programms. Clayborn Carson hat für sein Buch einige Archive der Bundesregierung mit COINTELPRO-Akten durchforstet, kommt jedoch zu dem Schluss, dass das Ausmaß an Verheerungen, welches dieses Programm angerichtet hat, bisher noch schwer abgeschätzt werden kann.

Was Carson in seiner 1996 im Original erschienenen Studie leider nicht mehr berücksichtigen konnte, ist der im Jahre 2000 von dem Historiker Ward Churchill herausgegebene Dokumentenband The COINTELPRO Papers, in dem der Grad der staatlichen Repression noch deutlicher zu Tage tritt. Vor diesem Hintergrund müssen wohl auch viele interne Differenzen des SNCC als vom FBI noch massiver beeinflusst angesehen werden, als dies Carson angenommen hatte. Dem Autor ist indessen darin zuzustimmen, dass politische Richtungskämpfe und Autoritarismus zur politischen Marginalisierung und dem schließlichen Niedergang des SNCC in nicht unerheblichem Maße beitrugen und die Arbeit des FBI bei der Zerstörung der radikalen schwarzen Organisationen erleichterten.

Insgesamt ist „Zeiten des Kampfes“ also ein sehr lohnendes Buch, weil es ein wichtiges Kapitel der usamerikanischen Bürgerrechtsbewegung kenntnisreich aus einer kritisch-solidarischen Perspektive anschaulich und spannend darstellt.

Philipp Dorestal

erschienen in: ak – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 498 (16.9.2005)