Rezensionen
Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau
IWW Rostock
Deutsche Anarchisten in Spanien: lachende Verlierer oder tragische Helden?
Micha Brumlik
Demonstrationen von Hunderttausenden, eine gerade abgewendete Verfassungskrise sowie Staunen über das Wiederstarken eines nationalen Selbstbewußtseins im vermeintlich postnationalen Europa: Die Bilder aus Barcelona, aus Katalonien rücken eine Region ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die lange Jahre vor allem als Urlaubsziel von Interesse war. Vergisst man indes einmal die hinreißende Großstadt am Meer, hält ein und wirft einen Blick auf die Geschichte, so wird man eines tragischen Panoramas gewahr, des Panoramas des spanischen Bürgerkriegs im Jahre 1936, als Katalonien und seine Hauptstadt nicht nur Zentrum einer sozialen und republikanischen Revolution, sondern auch die Hauptstadt einer politischen Bewegung war, die heute weitgehend vergessen ist, im besten Fall belächelt wird: des Anarchismus, genauer der anarchosyndikalistischen Bewegung. Vom Anarchismus, jener neben dem Kommunismus zweiten großen linksradikalen Strömung des späten neunzehnten, der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wird gerne gesagt, daß er „der lachende Verlierer“ der Geschichte sei; eine Sottise, die – liest man nun die von Dieter Nelles und anderen publizierte, umfangreiche Studie „Deutsche Antifaschistinnen in Barcelona 1933-1939“ mit der zwar bisweilen heldenhaften, aber ansonsten traurigen historischen Wahrheit wenig zu tun hat.
Der in zehn Kapitel, zwei Anhänge und sechzig Kurzbiographie gegliederte Band ruft Menschen in Erinnerung, die zu Unrecht vergessen sind und doch – rückt man den Widerstand gegen Nationalsozialismus und Frankofaschismus in den Blick – zu jenen gehörten, die aus Freiheitsdurst, Moral und dem Willen, die Verhältnisse zu ändern das taten, was die meisten deutschen nicht taten: sich aktiv zu widersetzen – und sei es als Milizionäre im Ausland, nachdem in Deutschland ihres Bleibens nicht mehr war – wollten sie nicht im Konzentrationslager enden. So schildert der vorliegende Band nicht nur die weitgehend vergessenen Einwanderungswellen von Deutschen nach Katalonien, sondern porträtiert einfühlsam und genau die Vereine und Gliederungen jeder jungen Männer und auch Frauen, die aus einem meist handwerklichen, sehr oft von der Textilindustrie geprägten Milieu in Deutschland entstammten und schließlich in Spanien zwischen der republikanischen Staatsregierung, der „Generalitat“ von Katalonien sowie den unterschiedlichen Parteien und Milizen eines oft stalinistischen Kommunismus zerreiben wurden.
Dabei ist es von bitterer Ironie, nachzuvollziehen, wie ausgerechner jene, die sich als Anarchisten grundsätzlich einem bürokratischen Politikverständnis bzw. allen Formen staatlicher Gewaltausübung entziehen wollten, unter Bedingungen von Krieg und Revolution zu dem wurden, was sie möglicherweise zutiefst verachteten: zu Polizisten, Spitzeln und Bürokraten. Der vorliegende Band, der vor allem durch seine sorgfältig aufgearbeiteten Quellen überzeugt, präsentiert etwa ein Schreiben aus dem Jahr 1936, in dem es heißt:
„Das ewige Theoretisieren der Deutschen und deren Verkopfung hat bisher keine Revolution fertig gebracht, aber eine Fülle von Parolen gezeitigt, die in ewiger Leier wiederholt werden,ganz gleich ob man sich in Spanien oder auf dem Mond befindet.“
Freilich wurde den deutschen Anarchisten nicht nur die Aufgabe aufgebürdet, sich mit den deutschen, nationalsozialistischen Agenturen und Parteigliederungen in Spanien auseinanderzusetzen; freilich sahen sie sich nicht nur dem Misstrauen und der Konkurrenz der Kommunisten ausgesetzt, auch sie selbst zerfielen schließlich ineinander erbittert bekämpfende Grüppchen, die sich am Ende stärker bekämpften als den gemeinsamen faschistischen Feind. Viele überlebten es nicht, manchen gelang schließlich die Flucht nach Skandinavien, am Ende, nach dem Krieg optierten nicht wenige der Überlebenden denn doch für die SED, für die DDR, also für jene Form eines verstaatlichten Sozialismus, dem sie doch eigentlich eine Alternative entgegensetzen wollten. 1950 schrieb Fritz Benner einem Freund, Albert de Jong:
„Mir fällt immer noch ein, lieber Albert, daß ich Dir in Spanien sagte: „Verlieren wir hier, versackt eine Generation von Revolutionären.“ Leider habe ich sehr weit recht behalten.Gewiss mit Hitler wurde man fertig. Das war gut und nötig; ich würde sonst längst tot sein. Aber der Faschismus wurde fast ausschließlich militärisch geschlagen, nicht durch den Kampf der Massen. Jetzt die Enttäuschung der ehrlichen Massen, nicht zuletzt in Deutschland, die an Russland und die Kommunisten glaubten. Deshalb dieser tote Punkt, den wir nicht überwinden können. Wir sterben langsam aus.“ Der von Dieter Nelles, Ulrich Linse, Harald Piotrowski und Carlos Garcia gemeinsam verfasste Band stellt die genaue und bestens aus den Quellen rekonstruierte Geschichte einer vergessenen politischen Minderheit dar und damit ein Werk, das mit seiner oft sehr kleinteiligen und in die Details gehenden Darstellung noch auf Jahre hinaus das jedenfalls deutschsprachige Standardwerk zum Thema bleiben wird. Freilich habe es sich die Autoren versagt, ihren Gegenstand zu beurteilen oder gar geschichtstheoretisch einzuordnen – da vertrauen sie ganz auf die Aussagekraft ihrer Quellen, die sich freilich einem Lesepublikum, das sich zum ersten Mal mit dieser Fußnote der Geschichte befasst, nicht auf den ersten Blick erschließen.
Tatsächlich sind Fußnoten oft interessanter als der Haupttext – das gilt auch für die Geschichte, auch für den internationalen Arbeiterwiderstand gegen den Faschismus. Gleichwohl wäre es mit Blick auf zumal für jüngere Leserinnen, die mit diesem Abschnitt der europäischen Geschichte noch nicht intensiv vertraut sind, sinnvoll gewesen, in einem einleitenden Abschnitt grundsätzliches sozial- und ideengeschichtliche Informationen über die Geschichte des Anarchismus, jenes vielleicht lachenden, aber auf jeden Fall vergessenen Verlierers der Geschichte mitzuteilen.
erschienen in: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau
Deutsche Libertäre im Spanischen Bürgerkrieg
Rolle und Bedeutung der Exilgruppe Deutsche Anarcho-Syndikalisten (DAS)
Die Primär- und Sekundärliteratur zum Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 bis April 1939) ist reichhaltig und breit aufgestellt. Zu schließende thematische Lücken finden sich dennoch allenthalben, zumal weiterhin Archivbestände, insbesondere in Russland, auf eine systematische Erschließung und Auswertung warten. Ein deutsch-spanischer Autorenkreis, dem Dieter Nelles, Ulrich Linse sowie das Autorenduo Carlos Garcia und Harald Piotrowski angehören, unternimmt mit einer Buchveröffentlichung den Versuch, eine der organisationsgeschichtlichen Forschungslücken zu schließen.
Mit dem im Herbst 2013 im Verlag „Graswurzelrevolution“ erschienenen Sammelband „Deutsche Antifaschistinnen in Barcelona 1933-1939. Die Gruppe ‚Deutsche Anarcho-Syndikalisten‘ (DAS)“ wird ein monografisches Werk in deutscher Sprache vorgelegt, welches 2010 zunächst auf der iberischen Halbinsel veröffentlicht wurde. Die Vorgeschichte dieses Bandes geht auf ein nicht abgeschlossenes Forschungsprojekt Ende der 1980er Jahre zurück, in dem vormals auch Hans-Jürgen Degen und Wolfgang Haug involviert waren. Für die deutsche Fassung wurden die Texte von Nelles und Linse durchgesehen und erweitert. Der Band mit über 400 Seiten enthält insgesamt zehn Beiträge, zwei Anhänge und ein Verzeichnis mit über sechzig Kurz-Biografien libertärer deutschsprachiger Spanienkämpferinnen, die eine direkte oder indirekte Beziehung zur DAS aufweisen.
Linse beschäftigt sich in seinem Beitrag im Schwerpunkt mit der Entstehung der DAS bis zum Beginn des Militärputsches und anschließenden Bürgerkriegs in Spanien. Nelles schließt zeitlich an Linses Aufsatz an und beschreibt neben der Politik der DAS in der Zeit von 1936-1939 das widersprüchliche Verhältnis zwischen dem internationalen Anarcho-Syndikalismus und der CNT-FAI bzw. der DAS. Des Weiteren liefert er einen Überblick über das Engagement deutscher Freiwilliger in den Milizen der CNT-FAI. Garcia und Piotrowski konzentrieren sich vornehmlich auf einzelne Fallstudien, in denen die Rolle und Bedeutung der DAS im Kontext der Machtkonstellationen im spanischen bzw. katalanischen Exil erläutert werden. Das Autorenduo schildert u.a. die Auseinandersetzung um die Hegemonie im öffentlichen Leben in der republikanischen Zone, die antifaschistische Politik der DAS gegen das „Nazi-Netz“ vorwiegend in Katalonien und die Entstehungshintergründe des „Schwarzrotbuchs“.
Die Ausführungen der Autoren sind einer der seltenen Erträge der geschichtswissenschaftlichen Unterdisziplin „Anarchismusforschung’1 im akademischen Betrieb, in der sich mit dem heterogenen Spektrum libertärer und verwandter Tendenzen befasst wird. Die zwei profilierten Anarchismusforscher Nelles („Es lebt noch eine Flamme“. Rheinische Anarcho-Syndikalisten/-innen in der Weimarer Republik und im Faschismus“) und Linse („Die anarchistische und anarcho-syndikalistische Jugendbewegung 1919-1933?) konstatieren eingangs, dass es eine Anarchismusforschung an den bundesrepublikanischen Universitäten – von rühmlichen Ausnahmen abgesehen – de facto nicht (mehr) gibt.
Das Ergebnis der Buchveröffentlichung kann sich – mit Abstrichen – sehen lassen. Die Autoren charakterisieren ihr Buchprojekt wie folgt: „Es ist ein Beitrag zum deutschen Exil in Spanien und zum Engagement deutscher Freiwilliger im spanischen Bürgerkrieg, ein Beitrag zur Geschichte des internationalen Anarchosyndikalismus in der Zwischenkriegszeit und ein Beitrag zur Geschichte der spanischen Revolution.“ (9) Zum einen befördert das Autorenquartett das Wirken einer weitgehend unbekannten Exilantlnnengruppe an die Oberfläche der Geschichts- und Exilforschung zur sozialen Revolution im Kontext des Spanischen Bürgerkriegs, zum anderen dokumentieren die Autoren mit ihrer Publikation einen spezifischen Beitrag deutscher Anarcho-Syndikalistlnnen im Sozialrevolutionären und antifranquistischen Widerstand.
Von der DAS wurde in der deutschen Exilforschung bislang kaum Notiz genommen. Die Autoren nennen u.a. als einen gewichtigen Grund, dass sich die Anarcho-Syndikalistlnnen, die aus dem „Hitler-Deutschland“ entkommen sind, zuvorderst als Teil des internationalen Anarcho-Syndikalismus verstanden. Die Kontaktstränge zu den Exil-Communities deutscher NS-Gegnerinnen aller Couleur waren deshalb nur spärlich vorhanden. Die Geschichte und das Schicksal der ausländischen Freiwilligen, die sich der CNT-FAI oder auch dem revolutionär-marxistischen POUM anschlössen, sind im Gegensatz zu den Aktivistinnen in den Reihen der Internationalen Brigaden fast vollständig in Vergessenheit geraten. „Diese Freiwilligen gehörten zu den doppelten Verlierern des spanischen Bürgerkriegs“, so Nelles betonend, denn „[s]ie verloren nicht nur den Krieg, sondern waren auch im Kampf gegen die antirevolutionären Kräfte im republikanischen Lager unterlegen.“ (80)
Vorlauf und Anfänge der DAS
Das katalanische Barcelona avancierte für deutsche Oppositionelle – und demnach auch für Libertäre – zu einer der favorisierten Anlaufpunkte, um dem Zugriff des NS-Staats zu entgehen. Garcia/Pietrowski erwähnen, dass Ende 1934 bis zu 18.000 Deutsche allein in Barcelona ansässig gewesen sein sollen, (vgl. 17) Gleichzeitig sprechen sie von einer sich ausbreitenden „Nazifizierung der deutschen Kolonie“. (34)
Die Verkettungen zwischen deutschen und spanischen bzw. katalanischen Libertären zeigen sich aber auch in einer umgekehrten Laufrichtung. Linse verweist auf eine Anekdote, die die deutsch-spanischen Beziehungen im Anarcho-Syndikalismus bereits frühzeitig auf das Engste belegen. Als Diego Abad de Santillan (1897-1983), der spätere CNT-Wirtschaftsminister in Katalonien und Konstrukteur des Milizsystems während des spanischen Bürgerkriegs, Anfang der 1920er Jahre in Berlin weilte, ehelichte er eine Tochter von Fritz Kater (1861-1945) (vgl. 53). Kater, seines Zeichens Leiter der Berliner Geschäftskommission der FAUD, betätigte sich in erster Linie als Verleger lokalistischer und (anarcho-)syndikalistischer Literaturen.
Der Masseneinfluss und die Organisationsbreite der CNT-FAI erzeugten bei deutschen Libertären unterschiedlicher Linien teils enthusiastische Reaktionen. Bei dem aktionistisch orientierten Teil von Anarchistinnen, (Anarcho-)Syndikalistlnnen, aber auch von dissidenten Sozialistinnen und Kommunistinnen fand der von der CNT lancierte, aber fehlgeschlagene Aufstand am 8. Januar 1933 in der katalonischen Hauptstadt viel Anklang. In den ersten Monaten des Jahres 1933 spiegelte sich die Insurrektionsrhetorik in den Spalten des Arbeiter-Echo, dem FAUD-Nachfolgeblatt Der Syndikalist, wider. Eine ungeteilte Zustimmung wurde den CNT-FAI-Akteurlnnen in Katalonien seitens der deutschen Anarcho-Syndikalistlnnen allerdings nicht entgegengebracht, da sie den insurrektionistischen Kurs nicht für förderlich hielten, um einen „revolutionären Flächenbrand“ auf der iberischen Halbinsel zu entfachen. Diese reservierte Position wurde durch den zweiten, im Dezember 1933 initiierten Aufruhr der spanischen Anarcho-Syndikalistlnnen noch verstärkt, zumal dieser mit einer Schwächung der CNT-FAI-Strukturen endete. Massenhafte Inhaftierungen von Mitgliedern und Sympathisantinnen und die Illegalisierung der CNT-FAI waren die Bilanz.
Dennoch bildete Spanien für deutsche Anarcho-Syndikalistlnnen einen Silberstreif am Horizont der antifaschistischen Front gegen den vielerorts aufkeimenden Faschismus, und insbesondere die Sozialrevolutionären Kollektivierungsprozesse im rebellischen Katalonien lösten die Faszination einer gelebten Utopie aus.
Die Autoren schicken einleitend voraus, dass das Kürzel „DAS“ richtigerweise in „Gruppe Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland“ aufzulösen sei, sie aber die gebräuchlichere Bezeichnung „Deutsche Anarchosyndikalisten“ verwenden, (vgl. 8) Ein definierbares Gründungsdatum der DAS ist offenbar nicht ermittelbar, da die Angaben in dem Sammelband divergieren. Während sich Linse auf einen vermutlich von Helmut Rüdiger (1903-1966) verfassten geschichtlichen Abriss zur DAS stützt, wonach sich die anarcho-syndikalistische Exilantlnnengruppe unmittelbar nach der Machtübertragung an Hitler sammelte (vgl. 64), schreibt er hinsichtlich der DAS in Barcelona, dass „sie etwa im September 1933 [[g]egründet wurde].“ (70) Nelles erwähnt hingegen, dass sich die DAS 1934 konstituierte, (vgl. 80) Der organisatorische Schwerpunkt der DAS, die als Sektion innerhalb der (anarcho-)syndikalistischen Internationale, der IAA, wirkte, lag in Barcelona. Linse zitiert Rüdiger, der in einem Brief an Rudolf Rocker (1873-1958) aus dem September 1933 die „Erfolgsmeldung“ notiert: „Wir sind jetzt hier schon 11 Genossen der FAUD und haben auch so etwas wie eine Gruppe gegründet.“ (70) Des weiteren gibt er Rüdiger aus einem anderen Briefwechsel wieder, demzufolge sich seit 1935 in Barcelona „fast die ganze FAUD versammelt“ hätte. (71) Die DAS in Barcelona unterstand formal dem Regionalkomitee der CNT-FAI. Weitere DAS- existierten in den bevorzugten Exilorten Stockholm, Amsterdam und Paris, die in dem Sammelband aber nur am Rande berücksichtigt werden.
Die DAS in Barcelona befand sich logistisch und materiell in einer besonders prekären Situation, da die CNT-FAI infolge der Aufstandsversuche im Januar und Dezember 1933 illegalisiert wurde. Damit war die Kontaktaufnahme oder gar das Herstellen offener Verbindungen zu den örtlichen Anarcho-Syndikalistlnnen und ihren Strukturen derart erschwert, dass eine effektive gegenseitige Bezugnahme und Unterstützung verunmöglicht wurde. Linse konstatiert zudem, dass „die sprachliche und mentale Anpassung an das Gastland und das Verhältnis zur CNT [[n]icht unproblematisch war]“. (67) Diese Umstände brachten es mit sich, dass die exilierten Anarcho-Syndikalistlnnen eine starke Binnenstruktur ausprägten. Dies, obwohl viele von ihnen CNT-Mitglieder waren und sich, wie es in der FAUD-Satzung fixiert wurde, den Berufssyndikaten der CNT-Kolleglnnen anschlossen.
Eine aktive materielle Unterstützungsleistung der CNT für die sich seit Ende 1933 in größerer Anzahl in Katalonien aufhaltenden anarcho-syndikalistischen Emigrantinnen blieb aus, so dass sich die IAA verantwortlich zeigen musste. „Die CNT weigerte sich überhaupt“, so Linse, „ihre Beiträge an die IAA abzuführen […].“ (74) Die CNT ließ es an einer praktisch gewordenen internationalistischen Haltung vermissen und offenbarte ihr Desinteresse, eine Boykottkampagne gegen den NS-Staat im Rahmen der IAA voranzutreiben.
Eines der zentralen publizistischen Projekte der DAS in der Zeit vor den Ereignissen des Bürgerkriegs war die Herausgabe eines Theorieorgans. „Rüdiger nannte“, lässt uns Linse wissen, „die Zeitschrift in Erinnerung an das frühere theoretische Diskussionsorgan der FAUD ‚Die Internationale. Anarchosyndikalistisches Organ, herausgegeben vom Sekretariat der I.A.A. Neue Folge'“. (72) Die Auftaktnummer erschien Anfang August 1934. Diesem Presseerzeugnis war allerdings aufgrund der desaströsen Finanzlage kein langes Leben beschert, denn nach der fünften Nummer im Mai 1935 musste die Einstellung des Blatts verkündet werden. Problematisch war die Aufgabe der Internationale auch deshalb, weil diese als ins nationalsozialistische Deutschland geschmuggelte Tarnschrift eine Verbindung zwischen den Exilstrukturen und dem inländischen libertären Widerstand herstellen sollte.
Bis zum Militärputsch nationalistischer und protofaschistischer Kräfte am 17. Juli 1936 führte die DAS ein Schattendasein. „[…] die Gruppe hat bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs nur leidlich oder gar nicht funktioniert“, so Linses ernüchterndes Resümee. (70) Die persönlichen Animositäten unter den DAS-Mitgliedern, die unverkennbar intensiv kultiviert wurden, und die sich im Kreise drehenden Diskussionen über die spanischen Vorgänge führten zu einer Degradierung der DAS auf den Stand einer bloßen „‚Informationsquelle'“ (Rüdiger). (72)
Die Tätigkeitsfelder der DAS im Spanischen Bürgerkrieg
Der Frente Populär, der vor den Neuwahlen im Februar 1936 als Gegengewicht zum Frente National (Nationale Front) gegründete Block der Volksfront, umfasste die moderaten Republikanerinnen der Izquierda Republicana und der Union Republicana, die Sozialistinnen des PSOE und der ihr nahestehenden Gewerkschaft UGT, die Kommunistinnen des PCE sowie der als „trotzkistisch“ etikettierte POUM. Unterstützt wurde die Volksfront-Allianz von der katalanischen ERC sowie den Anarcho-Syndikalistlnnen und Anarchistinnen der CNT-FAI. In der Volksfront, die sich auf einen (bürgerlichen) antifaschistischen Konsens verständigte, sollten schnell die Sollbruchstellen und Gegensätze zu Tage treten. Vor dem Hintergrund dieser Heterogenität waren Fraktionierungen beinahe naturnotwendig zu erwarten. Infolge ihrer offiziellen Regierungsbeteiligung befand sich die CNT-FAI in einem Dilemma, aus dem es kein Entrinnen geben konnte. Zwischen der Regierungsloyalität gegenüber der republikanisch gesinnten Mehrheit in Madrid und der Generalität, der Regionalregierung Kataloniens, in Barcelona sowie dem Revolutionselan der libertären Basis pendelte die Politik der CNT-FAI hin und her. Es entstand eine „Machtdualität“ zwischen Juli 1936 und Mai 1937, die insbesondere zu einem sich forcierenden „Kampf um die Kontrolle der öffentlichen Ordnung“, wie es Garcis/Piotrowski nennen, führte: „Die Konfrontation zwischen einer im Entstehen begriffenen neuen revolutionären Ordnung, die sich trotz allem auf den Feldern, in den Fabriken und auf den Straßen der Städte und Dörfer durchsetzte, und der republikanischen Legalität der Generalität ging durch alle Instanzen des öffentlichen Lebens von Katalonien.“ (204)
Nelles skizziert den Bedeutungsgewinn, den die DAS zu Beginn der sozialen Revolution und der Bürgerkriegswirren in Spanien erfuhr: „Aus einer kleinen, isolierten Gruppe war die DAS zur politisch einflussreichsten deutschen Exilgruppe in Barcelona avanciert.“ (109) Einer der gestalterischen Höhepunkte war, dass im August 1936 „[u]nter maßgeblichen politischem Einfluss der DAS“ (104) die Gründung des Internationalen Komitees Antifaschistischer Emigranten (CIDEA) erfolgte. Vom von der CNT-FAI dominierten Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen (CCMA) wurde der DAS-Gruppe der Auftrag der Kontrolle über alle deutschsprachigen Ausländerinnen in Barcelona erteilt, was den Grenz-, Post, Hafen-und Eisenbahnverkehr umfassen sollte, (vgl. 101) Mit den aufgestellten Informations- und Ermittlungsgruppen ging es vor allem um das Aufdecken und Zerschlagen von NS-Strukturen in der katalanischen Hauptstadt. Diese faktische Funktion einer „Ausländerpolizei“ musste mit einer schmalen infrastrukturellen und personellen Basis ausgefüllt werden, denn selbst zu ihrer Hochzeit soll die DAS in Barcelona lediglich einen Spitzenwert von 45 Mitgliedern erreicht haben, (vgl. 109)
In den von Nelles wiedergegebenen Passagen aus dem Protokoll über die Tätigkeit der DAS-Gruppe im Monat Juli-August [1936] werden die Stoßrichtungen des „Zweifronten-Kampfs“ der DAS deutlich: „Es ist im wesentlichen ein Abwehrkampf gegen zwei illegale Fronten. Einerseits gegen die Kriegsspionage der nationalsozialistischen und anderen ausländischen faschistischen Organisationen, andererseits gegen die numerische Überschwemmung Spaniens mit ausländischen Kommunisten und Sozialisten, die vielleicht eine noch stärkere Gefahr für die freiheitliche Entwicklung der spanischen Revolution werden kann.“ (110) Mit dem Abzug deutscher NS-Mitglieder und der mit dem NS sympathisierenden Deutschen aus Barcelona „war das erste Handlungsfeld der DAS abgeschlossen.“ (110)
Um an der Propaganda-Front Erfolge zu erzielen, richtete die CNT-FAI einen mehrsprachigen Informationsdienst ein. Die deutsche Ausgabe wurde von Rüdiger redigiert. Enthalten waren in erster Linie Reportagen, informative Nachrichten und offizielle Statements aus libertären Bewegungen aus aller Welt. Des Weiteren sollte mit der Herausgabe von „Die soziale Revolution“, die vom Januar bis Juni 1937 als „Frontzeitung“ in insgesamt dreizehn Ausgaben (Nelles spricht von 12 Nummern [vgl. 106]) erschien, die Brücke von den deutschen Freiwilligen in Spanien zum libertären deutschen Exil im Ausland geschlagen werden. „Die Seiten von Die Soziale Revolution“, so Garcia/Piotrowski den Blattinhalt umreißend, „boten auch Raum für ideologische Debatten und Artikel über die Revolution, die Kollektivierungen sowie Kritiken der konterrevolutionären Abweichung des republikanischen Lagers, außerdem Ankündigungen zeitgenössischer Literatur […].“ (271)
Eine publizistische Stärkung erfuhr die exilierte anarchosyndikalistische Szenerie mit der Wiederbelebung des Asy-Verlags. Die Erstellung und Herausgabe des „Schwarzrotbuch. Dokumente über den Hitlerimperialismus“, das im Juli 1937 in dem besagten alten FAUD-Verlag erschien, kann als die „Examensarbeit“ der DAS bezeichnet werden. Die spanische Ausgabe ging erstmals im März 1938 in Umlauf; zu weiteren fremdsprachigen Übersetzungen kam es nicht mehr. (Abweichend hierzu nennt Nelles als Erscheinungsdatum für die deutsche Erstveröffentlichung den Juni 1937 und für die spanischsprachige Fassung unspezifisch das Jahr 1937 [vgl. 108]) Zur Charakteristik des Bands, der einen (schmalen) Ausschnitt von über 40.000 konfiszierten Dokumenten beinhaltet, schreiben Garcia/Piotrowski: „Das DAS-Buch versammelte Dokumente, die an verschiedenen Orten und bei verschiedenen Personen beschlagnahmt worden waren, die schon vor dem Juli 1936 als Nazis bekannt waren und von den anarchistischen Ermittlungsgruppen noch am Tag nach dem Militärputsch überrascht wurden, was in vielen Fällen verhinderte, dass die Dokumente versteckt werden konnten.“ (317)
Die politische Betreuung der deutschsprachigen Freiwilligen in den Milizen der CNT-FAI zählte ebenso zum DAS-Aufgabenbereich. Hierzu wurden sog. Frontdelegierte ernannt, die in verschiedenen Milizen agierten. Exakte Zahlen über das Potential anarchistischer Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg abzugeben, ist allein aufgrund der kriegsbedingten Lageveränderungen und der teils hohen Fluktuation in den Miliz-Einheiten überaus kompliziert. Nelles macht folgendes Rechenexernpel auf: „Rechnet man zu diesen 200 Freiwilligen noch die 50 Freiwilligen hinzu, die in der Gruppe DAS oder in anderer [siel] Funktionen für die CNT-FAI in Spanien aktiv waren, kommt man auf eine Gesamtzahl von 250 Freiwilligen auf anarchistischer Seite. Dies entsprach ca. 8% aller deutschen Freiwilligen.“ (164) In Relation dazu stellte das deutsche Kontingent bei den Interbrigadisten ca. 3000 Freiwillige und bis zu 500 sonstige Freiwillige waren auf republikanischer Seite im Einsatz. Das Verhältnis zwischen den DAS-Frontkämpfern und der Gruppe DAS in Barcelona gestaltete sich zwischenzeitlich diskrepant. Hintergrund war die Kontroverse um die Frage nach der Bildung von Soldatenräten in den Reihen der Milizkolonnen, (vgl. 147 ff.)
Die internen Reibereien innerhalb der DAS führten Anfang 1937 ferner zu der Herausbildung einer Querfrontgruppe, die laut Nelles als (unbedeutende) „Konkurrenzorganisation“ (113) zur DAS auftrat und sich unter dem Signet Sozialrevolutionäre Deutsche Freiheitsbewegung (SRDF) öffentlich präsentierte. Einer ihrer Mentoren war der sich von der DAS getrennte Ferdinand Götze, dessen Frau Elli Götze bis zu ihrer Abwahl im April 1937 DAS-Gruppenvorsitzende in Barcelona war. Für libertäre Aktivistinnen, die sich im Zuge der Sozialrevolutionären Prozesse in Katalonien der CNT anschließen wollten, wurde Anfang 1937 eine Organisation für Sympathisantinnen gegründet, die unter dem Namen Anarchosyndikalistische Kampfgemeinschaft (ASYK) firmierte.
Der strukturelle Umbau der bewaffneten Einheiten im Rahmen der sog. Militarisierung der Milizen sollte zu einer Schwächung des libertären Impetus im weiteren Verlauf des Bürgerkrieges und des anvisierten sozialen Transformationsprozesses führen: „Die Auflösung des CCMA am 1. Oktober 1936, der Kontrollpatrouillen am 3. März 1937 und die Militarisierung der Arbeitermilizen an den Fronten waren“, Garcia/Piotrowski zufolge, „einige Marksteine im Restaurierungsprozess der Generalität.“ (198) Mit diesen Einschnitten wurden letztlich auch die Kompetenzen der DAS erheblich beschnitten, wenn nicht gar komplett ausgehebelt. Zudem waren diese Maßnahmen ein deutlicher Fingerzeig der sich vertiefenden „stalinistisch-republikanischen Allianz“. (200)
Der Militarisierung der Milizen stimmte die Leitung der CNT-FAI im November 1936 zu, um im Gegenzug von angekündigten Waffenlieferungen zu profitieren. Diese Umstrukturierung zog sich bis zum Sommer 1937 hin. „Sie [die Milizen, Anm. OR] wurden geschlossen in Brigaden und Divisionen des Volksheeres umgewandelt, und nicht“, so Nelles einwerfend, „wie es die Kommunistinnen verlangt hatten, in gemischten Brigaden mit Wehrpflichtigen neu zusammengesetzt.“ (136) Diese Militarisierung war innerhalb der anarchistischen Milizen ein großer Streitpunkt, da damit der herkömmliche militärische Autoritarismus in den konföderalen Miliz-Kolonnen Platz greifen konnte. Als Vortrupp der Militarisierung auf anarchistischer Seite fungierten die Milizen der Zentralfront in Madrid, die „mit der geballten faschistischen Kriegsmaschinerie konfrontiert [waren].“ (136) Um einiges resistenter zeigten sich die Milizverbände dagegen an der Aragonfront.
Die Frage der Organisierung der Gefangenenbetreuung und -hilfe gelangte regelmäßig auf die Agenda der Auseinandersetzungen der Libertären. Insbesondere beklagten sich nach den konflikthaften Mai-Tagen 1937 in Barcelona ausländische anarchistische Gefangene über die völlig unzureichende Unterstützung durch die CNT-FAI. Sie fühlten sich von den spanischen Anarcho-Syndikalistlnnen und deren Solidaritätskomitees förmlich im Stich gelassen, wie Nelles anführt. (123) Der Internationalen Roten Hilfe (IRH), die als Einheitsfrontorganisation der Antirepressions- und Solidaritätspolitik im Zuge des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale 1922 aus der Taufe gehoben wurde, standen die inhaftierten Libertären allerdings ablehnend gegenüber. Garcia/Piotrowski erklären: „Das Misstrauen gegenüber der SRI [span. Abk. für IRH, Anm. OR] war gerechtfertigt wegen deren Treue zu den Direktiven der Komintern, was zur Gründung eines Hilfskomitees für die Gefangenen aus Organisationen außerhalb des stalinistischen Einflussbereichs führen sollte.“ (330)
Die DAS war im Sommer 1937 faktisch als organisatorischer Zusammenhang in Barcelona nicht mehr interventionsfähig. Inhaftierungen, Ausweisungen und eine Exilierung aus dem Exil machten die „Marginalisierung der Gruppe“ (355) total. „Durch die Repression der stalinistischen Kommunistinnen [sic!]“, so Nelles, „fanden die Aktivitäten der DAS im Juni 1937 ein abruptes Ende.“ (80) Geflohene, verschleppte DAS-Mitglieder, die in Frankreich festgesetzt wurden, engagierten sich nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs im französischen Internierungslager Gurs, in dem ehemalige Spanienkämpferinnen vorzugsweise interniert wurden.
Ein Teil der DAS-Aktivistlnnen, die sich den vielfältigen Repressalien entziehen konnten, konnte Nelles gemäß in Stockholm weiterhin eine Struktur aufrechterhalten, bis auch in der schwedischen Hauptstadt „die DAS 1940 stillschweigend aufgelöst worden war.“ (178)
Dissonanzen innerhalb des internationalen Anarcho-Syndikalismus
In der Ende 1922 in Berlin gegründeten Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA), dem weltweiten Verbund syndikalistischer, anarcho-syndikalistischer und unionistischer Organisationen, gruppierte sich auch die CNT als mitgliederstärkste Formation. Von einem harmonischen Zusammenwirken der einzelnen Sektionen der IAA konnte allerdings nicht die Rede sein, denn „[…] das Verhältnis zwischen IAA und CNT [war] voller Spannung“, wie Nelles schreibt. (81) Die CNT-FAI geriet zu Beginn der 1930er Jahre auf dem Parkett des internationalen Anarcho-Syndikalismus zunehmend in die Schusslinie der Kritik. Nach Nelles Angaben kritisierte speziell der lAA-Sekretär Alexander Schapiro (1882-1946) „die reformistisch-politische Haltung“ der CNT „als auch die insurrektionelle Taktik der FAI.“ (81)
Mit dem Eintritt der CNT in das antifaschistische Volkfrontbündnis in Madrid und die Generalität Kataloniens ging praktisch eine Anpassungsleistung an die Erfordernisse staatstragender Regierungspolitik einher. Garcia/Piotrowski vermerken zu dieser Zerreißprobe, in der sich die CNT befand: „Die CNT-FAI stellte […] ihre […] proklamierte Frage der sozialen Revolution zurück und wurde formal zu einer gewöhnlichen antifaschistischen Organisation innerhalb der Volksfront. Formal, denn diese taktische Wende des spanischen Anarchosyndikalismus zum liberalen Antifaschismus war ziemlich problematisch und riss tiefe Gräben innerhalb der libertären Bewegung auf.“ (211) Oppositionelle Tendenzen fanden ihren Ausdruck beispielsweise in der Verbreitung klandestiner Zeitungsprojekte, in denen sich von der Hauptlinie der CNT-FAI offen distanziert wurde. „Anarquia“ war eine dieser Zeitungen, (vgl. 353) Die CNT-FAI changierte zwischen sozialreformerischen und Sozialrevolutionären Momenten, was dazu führte, dass der Anarcho-Syndikalismus in Spanien deutlich an augenfälliger politischer Kontur einbüßte.
Die Auslöser der Meinungsverschiedenheiten unter dem „Spitzenpersonal“ des internationalen Anarcho-Syndikalismus gehen nicht selten in die „Urzeit“ zurück. Rüdigers intern vehement vorgetragene Missbilligung der taktischen Elemente und der strategischen Linie der CNT-FAI basierte darauf, dass seine „Einstellung zur CNT von Anfang an distanziert und kritisch [war]“, wie Linse hervorhebt. (61) Nelles spitzt zu, in dem er mitteilt, dass „[f]ür Rüdiger die CNT geradezu eine ’nationale sozialistische Bewegung‘ [war], die sich nur dem Buchstaben, aber nicht der Substanz nach zur syndikalistischen Internationale bekenne […].“ (77)
Die Einflussnahme der IAA hinsichtlich der Ausrichtung der CNT-Politik scheiterte nicht nur daran, dass sich die CNT gegenüber außerspanischen Lektionen sperrte, „[d]ie Sektionen der IAA waren“, wie Nelles festhält, „politisch zu schwach, um eine wirkungsvolle Solidaritätsarbeit für die CNT-FAI zu mobilisieren, während diese sich gezwungen sah, sich auf eine antifaschistische Position zurückzuziehen.“ (98) Seitens der CNT wurde gegenüber den ausländischen Freiwilligen moniert, dass diese sich nicht genügend mit den spanischen Verhältnissen konkret auseinandergesetzt hätten und als eine Art Revolutionstouristinnen kaum einen effektiven Beitrag für den politischen und militärischen Kampf beisteuerten. Dies führte dazu, dass „die CNT-FAI im September 1936 in der libertären Presse des Auslands [erklärte], dass man Waffen, aber keine weiteren Freiwilligen benötige“, worauf Nelles hinweist. (128)
Die verstärkt wahrzunehmende Distanzierung zwischen der CNT und der IAA resultierte nicht nur aus der gegenseitigen Kritik; die Tendenz der CNT, solidarische Beziehungen zu Gruppierungen außerhalb der IAA aufzubauen, führte zu einem sich vertiefenden gegenseitigen Entfremdungsprozess. Ausdruck dieses Auseinandergehens war u.a., dass die CNT in Eigenregie und unabhängig von der IAA eine Unterstützungsstruktur aufzog, die unter dem Titel Solidarite internationale antifasciste (SIA) figurierte und von Emma Goldman in England organisiert wurde.
Souchy wurde nach dem Beginn der Sozialrevolutionären Prozesse in Teilen Spaniens zum Leiter der Auslandspropaganda der CNT-FAI ernannt und Rüdiger zeichnete für die deutsche Propaganda der CNT-FAI verantwortlich. Der informelle „Außenminister“ der CNT, Souchy, versuchte im Rahmen seiner umfangreichen Reiseaktivitäten die Positionen des Nationalkomitees der CNT, welches „vollkommen von den FAI-isten beherrscht“ sei, wie es in einer von Nelles wiedergegebenen Passage eines Lehning-Briefs an Rocker heißt, zu stärken. Nelles gibt Lehnings trostloses Fazit seiner zweijährigen Beschäftigung als lAA-Vertreter im republikanischen Spanien wieder: „Die CNT sei eine ‚Bewegung ohne Köpfe und Intelligenz‘, die gegen die IAA eine ‚absolut feindliche Haltung‘ zeige und ihren ‚finanziellen Verpflichtungen‘ nicht nachkomme.“ (82)
Aufgrund des spannungsreichen Verhältnisses zwischen den beiden Exponenten des deutschen Anarcho-Syndikalismus („Rüdiger und Souchy verband schon in Deutschland eine tiefe Feindschaft“, wie Nelles notiert [93]) zogen sich die Bruchlinien quer durch die Reihen der ehemaligen FAUD-Kombattanten. Die interfraktionellen Linien der deutschen anarcho-syndikalistischen Community in Spanien, die sich sowohl aufgrund sachlicher Differenzen, als auch aufgrund persönlicher Ressentiments ergaben, schwächten die Exil-Strukturen der Libertären zusehends. Souchy wurde in einem Antrag der DAS für den außerordentlichen lAA-Kongress im Dezember 1937 in Paris als der „Hauptverantwortliche für die bestehende Spaltung zwischen CNT und IAA“ ausgemacht. (94)
Nelles führt drei Aspekte an, die die CNT-FAI in ihrem internationalen Wirkungsgrad zum Teil massiv einschränkte: „Die internationale Propaganda der CNT-FAI war durch drei entscheidende Faktoren begrenzt. Erstens waren die Vorurteile gegenüber der CNT-FAI in der internationalen Öffentlichkeit sowohl in der Arbeiterbewegung als auch in liberalen Kreisen weit verbreitet. Zweitens waren sie ihren Gegnerinnen im republikanischen Lager bei der internationalen Propaganda unterlegen. Besonders von den Kommunistinnen, aber auch von den Sozialistinnen und Republikanerinnen wurden alle Informationen über die soziale Revolution in Spanien streng zensiert. Drittens hatte die CNT-FAI keine klare internationale Strategie und ihre Bündnispartner waren außerhalb Spaniens zu schwach, um ein wirksames Gegengewicht zur kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung zu bilden. Sie verfügten nicht im Entferntesten über einen internationalen Propagandaapparat wie die Komintern.“ (86-87)
Als Quintessenz, die aus dem bürgerkriegsbedingten Niedergang der sozialen Revolution in Spanien zu ziehen ist, hält Nelles fest, dass „[d]er Anarchosyndikalismus nach dem spanischen Bürgerkrieg weder in Deutschland noch international eine Massenbasis [fand].“ (181)
Anmerkungen und Einwände
Der Sammelband „[ist] keine Arbeit aus einem Guss“ (10), wie die Autoren in ihrer Einleitung vorbeugend und einschränkend anführen. Da die einzelnen Beiträge nicht immer inhaltlich aufeinander abgestimmt scheinen (u.a. Gründungsverlauf der DAS, Anzahl erschienener Nummern von „Die Soziale Revolution“, Erscheinungsdaten des „Schwarzrotbuches“), kommt es verschiedentlich zu Wiederholungen (u.a. die Ausführungen zum CIDEA) und mitunter zu abweichenden Akzentuierungen (u.a. in der Einschätzung der Rolle von Augustin Souchy).
Inhaltlich ist vor allem eine These von Garcia/Piotrowski kontrovers, die die vermeintliche „Mission“ der Internationalen Brigaden betrifft. Die beiden Autoren behaupten in einer recht verschachtelten Form, dass „[…] nachdem die Internationalen Brigaden ihre von der Komintern diktierte Mission erfüllt hatten, das heißt den revolutionären Impuls vom Juli 1936 zu neutralisieren und die spontane Antwort Tausender antifaschistischer Freiwilliger, die nach dem 19. Juli nach Spanien gekommen waren, als die Hegemonie der Bewegung in den Händen der Anarcho-Syndikalistlnnen und der radikalisierten Sozialistinnen lag, in die geostrategischen Interessen des stalinistischen Russlands zu kanalisieren, die Internationalen Brigaden aufgelöst werden [konnten].“ (333)
Garcia/Piotrowski unterstellen hiermit, dass die Angehörigen der Interbrigaden im Kern gewissermaßen eine Auftragsarbeit der Stalin-Bürokratie ausgeführt haben, um die Sozialrevolutionären Bestrebungen während des spanischen Bürgerkriegs zu sabotieren. Diese Auslegung der Rolle der interbrigadistischen Freiwilligenverbände ist zu reduktionistisch angelegt und vernachlässigt die wechselwirkenden endogenen und exogenen Faktoren, die zum Scheitern der sozialen Revolution im Kontext der Bürgerkriegssituation auf der iberischen Halbinsel geführt haben. Das Abweichen vom „Konzept des freiheitlichen Kommunismus“, das im Mai 1936 im sog. Zaragoza-Programm der CNT-FAI manifestiert wurde, ist zumindest ebenso auf die internen Linienkämpfe und Desorganisiertheit der spanischen Anarcho-Syndikalistlnnen sowie die regierungsamtliche Gegnerschaft in Madrid und Barcelona der republikanischen Zone zurückzuführen.
Auffallend ist weiterhin, dass der Duktus der Beiträge innerhalb der Autorenschaft differiert. Linse und Nelles legen einen nüchternen sozialwissenschaftlichen Schreibstil an den Tag, während in den Texten von Garcia und Piotrowski gelegentlich agitatorische Kraftausdrücke (bspw. „braune Horde“ [24S], „kollaborationistische Linie“ [354]) Eingang in die Darstellungen finden, die in der (förmlichen) Forschungsliteratur eher untypisch sind. Stellenweise bedient sich das Autorenduo Garcia/Pitotrowski einer totalitarismustheoretischen Argumentationsfolie, wenn es z.B. heißt: „Genau wie bei der Nazi-Propaganda war für das stalinistische System die Lüge und die Verdrehung der Tatsachen in ihr Gegenteil umso effektiver, je übertriebener und absurder sie waren.“ (344)
Dem realisierten Buchprojekt hätte man von Verlagsseite eine bessere Ausstattung gewünscht. Vor allem beeinträchtigt das relativ kleine Buchformat die Prägnanz der in dem Band abgedruckten Abbildungen, die in ihrer gedrängten Anordnung kaum zur Geltung kommen können. Auch die Bildauswahl für das Buchcover erschließt sich nicht so recht. Das Motiv zeigt eine Szene von Milizionären der italienisch dominierten Ascaso-Division in Huesca in der Region Aragonien, in der zwar auch eine Gruppe deutscher Freiwilliger kämpfte, aber ein unmittelbarer Bezug zum Buchtitel ist keinesfalls auszumachen.
Der vorgelegte Band zur DAS berührt ein bisher vernachlässigtes Segment in der Exil- und Anarchismusforschung und trägt die Resultate einer Jahrzehnte währenden Forschungstätigkeit zusammen. (Interessant ist, dass in dem Standardwerk „Anarchismus und Bürgerkrieg. Zur Geschichte der Sozialen Revolution in Spanien 1936-1939? von Walther L. Bernecker die DAS lediglich zweimal auftaucht) Dennoch vermögen es die vier Autoren nicht, die Darstellung zur Rolle und Bedeutung der DAS überzeugend abgeschlossen zu haben. Zum einen werden die Wechselwirkungen und Dynamiken, die den Beginn und Verlauf des Spanischen Bürgerkriegs einschließlich ihrer Sozialrevolutionären Impulse kennzeichnen, nur angetippt, wenn z.B. die außenpolitische Interessenlage der SU weitgehend unterbelichtet bleibt. Zum anderen wurde die sowjetische/russische Archivlandschaft nicht umfassend genug berücksichtigt. Herangezogen wurde von den Autoren des Bandes lediglich der Archivfonds 545 des RGASPI, des sog. Komintern-Archivs, der als elektronische Ressource überwiegend im Internet abrufbar ist. Dagegen fehlt die Auswertung themenspezifischer Materialien aus dem RGVA, dem sog. Rote Armee Archiv ebenso wie die Sichtung von Beständen des Russisches Staatsarchivs (GARF), was nur vor Ort in Moskau unternommen werden kann.
Herauszustreichen bleibt, dass mit dem publizistischen Gemeinschaftsprojekt der vier Autoren eine wichtige Etappe der Sichtbarmachung libertärer Spuren deutschsprachiger Anarcho-Syndikalistlnnen im Spanischen Bürgerkrieg absolviert wurde. Damit diese Verlaufspuren nicht wieder zu versanden drohen, gilt es, an den dargebotenen Forschungsstand der Autoren anzuschließen.
Oliver Rast, z.Zt. JVA Tegel, Seidelstr. 39,13507 Berlin
erschienen auf: Industrial Workers of the World (IWW), Ortsgruppe Rostock