Vielen unserer LeserInnen wird die mittlerweile 26jährige Geschichte der Zeitung Graswurzelrevolution recht unbekannt sein. Als Vorabdruck bringen wir daher in einer leicht gekürzten Fassung folgenden Beitrag, der die Geschichte unserer Zeitung von außen beleuchtet. (Red.)
„Die Gruppierung, die die Herausbildung eines Wurzelwerks am konsequentesten vorangetrieben hat und zugleich der anarchistischen Ethik am nächsten kommt, ist die ‚Gewaltfreie Aktion‘. Nicht zufällig trägt ihre recht verbreitete Zeitung den Namen Graswurzelrevolution.“ (1)
Im Jahre 1972 erschien erstmals die Graswurzelrevolution. Ihre Geschichte muß im politischen und historischen Kontext mit der Entwicklung des libertären Pazifismus gesehen werden:
In den zwanziger Jahren hatte die anarchistisch-pazifistische Bewegung in Deutschland zahlreiche Periodika wie Junge Anarchisten (1923-1931) und Die Schwarze Fahne (1925- 1929) (2) hervorgebracht. 1933 wurde die Bewegung zerschlagen, die libertär-antimilitaristische Literatur, wie z. B. „Krieg dem Kriege“ von Ernst Friedrich, das meistverbreitete antimilitaristische Buch der zwanziger Jahre, war unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verboten worden, fiel den Bücherverbrennungen zum Opfer und wurde erst nach 1968 wieder neu entdeckt und aufgelegt. Nach 1945 war die Tradition des libertären Antimilitarismus weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Nazis hatten nicht nur zahllose Menschen, sondern auch viele Erinnerungen vernichtet. So verfügte die, u. a. durch den indischen Politiker Mahatma Gandhi beeinflußte, gewaltfreie Bewegung im Nachkriegsdeutschland über wenig libertäre Anknüpfungspunkte. Die Geschichte einer anarchistisch-pazifistischen Bewegung in Deutschland war ihr nicht bewußt. In der Zeit des kalten Krieges entstand in der Bundesrepublik zwar eine Massenbewegung gegen Remilitarisierung, Aufrüstung und Atombewaffnung. Der Einfluß anarchistischer Gruppen auf die pazifistische Bewegung war aber kaum wahrnehmbar. Die gewaltfreien AktivistInnen in der Bundesrepublik waren in den fünfziger und sechziger Jahren zum großen Teil entweder christlich oder etatistisch-sozialistisch orientiert. Das begann sich erst ab Mitte der sechziger Jahre zu ändern, mit der Gründung der ersten Graswurzelgruppen. Sie wurden nicht zuletzt durch französische, schweizerische, britische und US-amerikanische AktivistInnen und Publikationen aus dem Umfeld der international vernetzten War Resisters‘ International (WRI) (3) beeinflußt. (4) Nach einer umstrittenen These des Anarchismusforschers Günther Bartsch, gründeten sich die Graswurzelgruppen in der Bundesrepublik als Teil der in den USA entstandenen und auf den Dichter Walt Whitman zurückzuführenden grassrootsmovement. (5)
„(…) daß ‚grassrootsmovement‘ auf Walt Whitman zurückzuführen ist, ist eine Spekulation von Günther Bartsch, die innerhalb der GWR-GründerInnen keine Rolle gespielt hat. Die Frage woher Graswurzelrevolution als Begriff tatsächlich kommt oder wo es aufgegriffen wurde, ist (..) uns selbst nicht klar. Wolfgang Hertle führt die Herkunft auf eine Aktivistin aus Prag ’68 zurück (…), andere Gründer bezweifeln, daß der Begriff dort entstand und glauben, daß mit den ersten Schriften von Theodor Ebert der Begriff schon aus dem Angloamerikanischen entlehnt wurde, aber ohne direkten Bezug auf Walt Whitman. Jedenfalls entspricht der direkte Bezug auf Walt Whitman nicht der Realität.“ (6)
Im Jahre 1965 gründete Wolfgang Zucht (7) gemeinsam mit anderen Menschen aus Hannover die libertär- pazifistische Direkte Aktion, „Blätter für Anarchismus und Gewaltlosigkeit“ (Untertitel). Dieses hektographierte „Organ gewaltfreier Anarchisten“ (Untertitel) wurde monatlich bis 1966 als Zeitschrift zur Theorie und Praxis des gewaltfreien Anarchismus publiziert. Zucht verließ Ende der sechziger Jahre gemeinsam mit Helga Weber die Bundesrepublik. Sie zogen nach Großbritannien und leisteten dort als Aktive der WRI einen wichtigen Beitrag zur internationalen Vernetzung der GraswurzelaktivistInnen. (8) Nach ihrer Rückkehr bauten beide die Ende 1974 in Kassel gegründete Graswurzelwerkstatt auf.
Zwei Jahre vorher hatte Wolfgang Hertle (9) gemeinsam mit anderen gewaltfrei-libertären SozialistInnen die Graswurzelrevolution gegründet. Die Nullnummer erschien im Sommer 1972 in Augsburg. In Konzept und Ausrichtung wurde das neue Blatt inspiriert u.a. durch die im frankophonen Sprachraum von der gleichnamigen Gruppe verbreitete gewaltfrei-anarchistische Anarchisme et Nonviolence (Lausanne), durch die heute noch in London erscheinende Peace News und durch die Direkte Aktion (Hannover). (10)
Das erste Redaktionskollektiv orientierte sich an Bewegungen in anderen Ländern, z.B. in Großbritannien und den USA. Dort hatte Mahatma Ghandis Instrumentarium im Kampf gegen die Atombombe und für die BürgerInnenrechte eine Weiterentwicklung erfahren und „the grassrootsmovement“ war bereits stärker ausgeprägt. Die Redaktion der Graswurzelrevolution bemerkte im Sommer 1972 selbstkritisch:
„(…) die erste Nummer hat erstens den Fehler, mehr Nachrichten aus dem Ausland zu bringen als aus Deutschland, zweitens fast nur über antimilitaristische Arbeit zu berichten.“ (11)
Zu dieser Zeit funktioniere die internationale Zusammenarbeit in der gewaltfreien Bewegung außerhalb der Bundesrepublik besser als die Zusammenarbeit deutscher Gruppen untereinander.
„Deshalb: Überwindet Eure Trägheit und helft mit, den Kontakt zwischen möglichst allen Gruppen in unserer Richtung herzustellen ohne den eine Zusammenarbeit nicht möglich ist.“ (12)
Von Anfang an bemühte sich die Graswurzelrevolution, Theorie und Praxis der gewaltfreien Revolution zu verbreitern und weiterzuentwickeln. Dabei wurde versucht, neben der Kritik an den bestehenden Verhältnissen, sich „heute zumindest schon in Ansätzen so zu organisieren, wie später die Gesellschaft insgesamt sein soll.“ (13)
Ein erklärtes Ziel der Graswurzelrevolution war und ist es, den Zusammenhang zwischen Gewaltfreiheit und freiheitlichem Sozialismus aufzuzeigen und dazu beizutragen, „daß die pazifistische Bewegung libertär sozialistisch und die linkssozialistische Bewegung in ihren Kampfformen gewaltfrei“ (14) werde.
Mit Graswurzelrevolution werde eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung bezeichnet, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden sollen.
„Wir kämpfen für eine Welt, in der die Menschen nicht länger wegen ihres Geschlechtes oder ihrer geschlechtlichen Orientierung, ihrer Sprache, Herkunft, Überzeugung, wegen einer Behinderung, aufgrund rassistischer oder antisemitischer Vorurteile diskriminiert und benachteiligt werden. Wir streben an, daß Hierarchie und Kapitalismus durch eine selbstorganisierte, sozialistische Wirtschaftsordnung und der Staat durch eine föderalistische, basisdemokratische Gesellschaft ersetzt werden.“ (15)
Seit der Nr. 53/1981 erscheint das anfangs alle zwei bis drei Monate herausgebrachte Periodikum monatlich mit einer Sommerpause im Juli/August und seit 1989 mit einer achtseitigen Beilage „libertäre Buchseiten“ im Oktober. Produziert wurde es von wechselnden Redaktionen in Augsburg (Nr. 0/Sommer 1972 bis Nr. 4/5/1973), Berlin (Nr. 8/1974 – Nr. 19/1976), Göttingen (Nr. 20/21/1976 – Nr. 28/1978), Hamburg (Nr. 29/1978 bis Nr. 123/Feb. 1988), Heidelberg (Nr. 124/Mai 1988 bis Nr. 167/Sommer 1992), Wustrow (Nr. 168/Sept. 1992 bis Nr. 201/Okt. 1995) und seit November 1995 (Nr. 202 ff.) wird sie in Oldenburg herausgegeben. Dabei prägten die wechselnden Redaktionskollektive jeweils einen eigenen Layoutstil. Von Nr. 47 (April 1980) bis Nr. 121 (Nov. 1987) erschien die Zeitschrift „für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft“ (Untertitel) als Magazin mit durchschnittlich 40 Seiten im Format DIN A4, statt als Streifbandzeitung mit 20 bis 30 Seiten in Tageszeitungsformat. Im Vergleich zu vielen anderen – häufig chaotisch wirkenden und zum Teil nur schwer lesbaren Szeneblättern – fiel die GWR von Anfang an auf durch ein „sauberes, gekonntes Layout, das das Lesen zur Freude macht.“ (16) Seit Dezember 1995 erscheint sie mit einem neuen Layout im Stil der Berliner taz.
Die verkaufte Auflage blieb bis heute relativ konstant: Es wurden in der Regel nicht weniger als 3 000 und nicht mehr als 5 000 Exemplare verkauft. (17)
„5 000 waren es auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Nachrüstung.“ (18)
Im Handverkauf wurde und wird sie nicht nur auf politischen Veranstaltungen angeboten, sondern vor allem dort, wo die sozialen Bewegungen sichtbar werden: bei einer antirassistischen Fahrradtour entlang der deutsch-polnischen Grenze genauso wie beim Castor-Transport im Wendland. Als Verkaufsstellen fungierten und fungieren auch zahlreiche linke Buch- und Infoläden und seit September 1995 wird die GWR auch an Kiosken in Berlin und anderen Großstädten verkauft.
Die presserechtliche Verantwortung rotierte und rotiert innerhalb des HerausgeberInnenkreises. Bis auf ein bis zwei bezahlte MitarbeiterInnen (19), die sich u.a. um Druck, Layout und Vertrieb kümmern, arbeiten bis heute alle RedakteurInnen ehrenamtlich. Die Redaktion war und ist dezentral organisiert.
„Fünfzehn Frauen und Männer im Alter zwischen Mitte 20 und 60 arbeiten gegenwärtig im Herausgeberkreis mit und kommen regelmäßig aus allen Teilen der Bundesrepublik zusammen. (…) Wer in der Graswurzelrevolution publiziert, kann sich nicht einmal einen Namen machen (…).“ (20)
Die meisten Artikel erscheinen bis heute unter Pseudonymen.
„Wenn ein Pseudonym oft wiederkehrt, wird es gewechselt. Nicht die Personen, sondern die Inhalte sollen im Vordergrund stehen. Prominenz, und sei es nur die in der Szene der Gewaltfreien oder Anarchisten, steht eben im Widerspruch zur Abschaffung jedweder Herrschaft.“ (21)
Auf den Graswurzelrevolution-Bundestreffen, die in den siebziger Jahren von der Graswurzelwerkstatt organisiert und offiziell vom Netzwerk gewaltfreier Aktionsgruppen und nach ihrer Gründung von der FöGA zweimal im Jahr ausgerichtet wurden und werden, waren und sind vor allem Totalverweigerer, Gewaltfreie aus der Anti-AKW-Bewegung und AnarchistInnen präsent. Eingeladen wurden und werden dazu alle der Graswurzelbewegung nahestehenden Projekte und Personen sowie alle Gewaltfreien Aktions- und Graswurzelgruppen. Die Graswurzelbundestreffen waren und sind dazu da, Diskussionen über Gewaltfreie Theorie, Aktion und Revolution zu führen und voranzubringen, aber auch um an konkreten Aktionen und Kampagnen zu arbeiten.
„Die Bundestreffen bieten die Möglichkeit über den Tellerrand der eigenen Gruppe, Stadt oder sozialen Bewegung hinauszuschauen, die nicht nur am selben Thema, z.B. Atomkraft, Rassismus oder Militarismus, arbeiten, sondern dies auch auf die selbe Weise und mit dem selben Ziel, einer gewaltfreien und herrschaftslosen Gesellschaft, tun.“ (22)
Wichtiger als der Austausch von Erfahrungen und die Weitergabe von Wissen, sei das Knüpfen politischer und persönlicher Kontakte. Denn durch das aus diesen Kontakten gesponnene Netz gewaltfreier AktivistInnen, Gruppen und Projekte würden die meisten Aktionen und Kampagnen erst möglich, so die Kölner Graswurzelwerkstatt in der GWR Nr. 220.
Die ersten Aktionen der GraswurzlerInnen lagen im antimilitaristischen Bereich; erste Kontakte zwischen den verschiedenen gewaltfreien Gruppen im Graswurzelzusammenhang entstanden 1972 über Unterstützungsaktionen für inhaftierte, spanische Kriegsdienstverweigerer. Für diese Kampagnen ebenso wie für die Unterstützung der Aktionen gegen die französischen Atomwaffentests im Pazifik wurde damals in der Graswurzelrevolution mobilisiert.
Im Jahre 1974 nahmen GraswurzlerInnen an der Internationalen Widerstandskampagne teil, einem Zusammenschluß von Kriegsdienstverweigerern aus verschiedenen Ländern, die die Wehrpflicht und jeden staatlichen Zwangsdienst ablehnten. Aus dieser Gruppe ging die Gründung der Totalverweigererorganisation Kollektiver gewaltfreier Widerstand (KGW) hervor. (23)
Weitere Aktivitäten von GraswurzlerInnen im antimilitaristischen Bereich waren z.B. Wehrpaßverbrennungen als Protest gegen die Einschränkung des KDV-Rechts 1977, die Mitorganisation der antimilitaristischen Märsche seit 1976, die Beschäftigung mit dem Thema „Frauen und Militär“, Aktionen gegen die Militärparade der alliierten Truppen in West-Berlin, gegen Waffenausstellungen und Rekrutenvereidigungen. Die, dem Anarchismus nicht gerade wohlgesonnene Ostberliner Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED bescheinigte den Graswurzel-AnarchistInnen eine große Rolle innerhalb der Friedenbewegung:
„Anarcho-Pazifisten waren (…) in den letzten Jahren auch vielfach mit Hauptorganisatoren von ‚Internationalen Gewaltlosen Märschen für Entmilitarisierung‘ in westeuropäischen Staaten, mit denen gegen das weitere Drehen an der Rüstungsschraube protestiert werden sollte.“ (24)
Im Februar 1978 erschien die – 1997 neu aufgelegte – Broschüre „Feldzüge für ein sauberes Deutschland“ als Beilage der Graswurzelrevolution Nr. 34/35. In dieser „Politische(n) Erklärung gewaltfreier Aktionsgruppen in der BRD zu Terrorismus und Repression am Beispiel der Mescalero- Affäre“ (Untertitel) hatten die GraswurzlerInnen eine ausführliche gewaltfrei-anarchistische Positionsbestimmung zur RAF formuliert, die Politik im „Deutschen Herbst“ 1977 und die Repression am Beispiel der „Mescalero-Affäre“ (25) analysiert. Die „staatliche Terroristenhatz“, so die AutorInnen der „Feldzüge“, würden hauptsächlich als Vorwand dienen, um repressive Tendenzen vorbeugend gegen potentiell gefährliche soziale Bewegungen, allen voran die Anti-AKW-Bewegung, durchzusetzen. (26)
Die Graswurzelrevolution und ihr Umfeld hatte in den siebziger Jahren großen Einfluß auf die entstehende Anti-AKW-Bewegung. So konstatierte ein Redakteur der GWR im Juni 1997 rückblickend:
„Insbesondere die erste Platzbesetzung in Wyhl wurde vom Konzept her von der GA Freiburg mit den BI’s ausgearbeitet. Bauplatzbesetzungen sind also originär von uns erstmals propagierte und organisierte Aktionsformen gewesen.“ (27)
Im Umfeld der Graswurzelrevolution entwickelte sich ein Netz Gewaltfreier Aktionsgruppen, das aus Gruppen und Einzelpersonen bestand, die ihren Arbeitsschwerpunkt überwiegend in der Anti-AKW-, in der antimilitaristischen und später auch in der antisexistischen Bewegung hatten. Aus diesem Netzwerk bildete sich 1980 eine verbindlichere Struktur, die Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA). Die Graswurzelrevolution wurde ab 1981 von der FöGA herausgegeben. Bedingt durch die Krise der FöGA sank die Auflage der GWR 1987 auf 2 400 Exemplare und die Redaktion kündigte im Dezember 1987 an, das angeschlagene Projekt einzustellen. (28) Daraufhin reaktivierte sich der explizit anarchistische Flügel der nicht nur aus AnarchistInnen bestehenden Graswurzelbewegung, um die Zeitschrift zu retten. Dies führte zu Konflikten innerhalb der u.a. aus AnarchistInnen, PazifistInnen und Feministinnen bestehenden FöGA. (29) Zu einem offenen Bruch kam es zwar nicht, seit Juni 1988 wird die Graswurzelrevolution jedoch nicht mehr von der FöGA, sondern von einem unabhängigen HerausgeberInnenkreis herausgegeben, dessen MitarbeiterInnen der FöGA unterschiedlich nahestehen.
Die Prinzipienerklärung der FöGA spiegelt nicht nur die üblichen anarchistischen Prinzipien wider, sondern blieb bis heute ein konzeptioneller Leitfaden für die Ausrichtung der Graswurzelrevolution. Folglich wird jede nationalstaatliche Grenzziehung abgelehnt, eine selbstverwaltete sozialistische Wirtschaftsordnung angestrebt und die Ersetzung des Staates durch ein Gemeinwesen gefordert, in dem „Minderheiten und Menschenrechte sowie Formen direkter basisdemokratischer Entscheidungsfindung verwirklicht“ sind. Ziel ist eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer ihr Leben frei gestalten können.
„Deshalb kämpfen wir gegen Strukturen, in denen Männergewalt allgegenwärtig und die Unterdrückung von Frauen alltäglich sind.“ (30)
Frauenbefreiung heiße, daß Frauen um ihre Selbstbestimmung kämpfen. Als ein Weg des Frauenwiderstandes befürworten die GraswurzlerInnen die Schaffung von separaten Räumen von und für Frauen, in denen Schutz gewährleistet, Widerstand organisiert und Stärke entfaltet wird.
„Männer wehren sich gegen die patriarchale Gesellschaft und Kultur, um sich von dem herrschenden Männlichkeitsideal zu befreien.“ (31)
In diesem Sinne sei der Kampf der Männer gegen das Patriarchat für sie in erster Linie Männerbefreiung.
„Wir bemühen uns, innerhalb unserer Gruppen und Strukturen männliche Bevormundung und Gewalt gegenüber Frauen zu beseitigen.“ (32)
Ein wirklicher Schutz von Lebewesen und gesellschaftlichen Errungenschaften sei nur durch soziale, gewaltfreie Formen der Verteidigung möglich. Durch einseitige und bedingungslose Abrüstung sollten daher das Militär und die Rüstungsproduktion vollständig abgeschafft werden.
Verglichen mit „the grassrootsmovement“ im anglo-amerikanischen Raum, füllten die GWR und die sie tragenden Gewaltfreien Aktionsgruppen in der Bundesrepublik den Begriff Graswurzelrevolution im Laufe der Zeit mit radikaleren Inhalten. (33)
„Unsere Ziele sollen – soweit es geht – in unseren Kampf- und Organisationsformen vorweggenommen werden. Um Herrschafts- und Gewaltstrukturen zurückzudrängen und zu zerstören, setzen wir gewaltfreie Aktionsformen ein.“ (34)
Zu den direkten gewaltfreien Aktionen wurden und werden u.a. Besetzungen, Hungerstreiks, Boykotts, Blockaden, ziviler Ungehorsam und Sabotage gezählt. Die GraswurzelaktivistInnen lehnten und lehnen personenverletzende Gewalt ab, nicht jedoch „Gewalt gegen Sachen“. (35)
„Sachen erleiden keine Gewalt. Sabotage an kriegsrelevanten Gütern als direkte gewaltfreie Aktion ist daher ein legitimes Mittel.“ (36)
Das Propagieren direkter Aktionen brachte der Graswurzelrevolution mindestens zwei Ermittlungsverfahren nach § 111 StGB (37) wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ ein. Wegen des in der Graswurzelrevolution Nr. 110 (Dez. 1986) abgedruckten Artikels unter der Überschrift „Wenn der Strommast fällt … – Überlegungen zu Sabotage als direkte gewaltfreie Aktion“ wurde im April 1987 das erste Verfahren eingeleitet. In dem inkriminierten Artikel hatte der Graswurzelanarchist „G. Waltfrei“ detailiert seine Erfahrungen beim Aufbau einer der – nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in vielen Orten entstandenen – „Sägefisch“-Gruppen beschrieben. „Wir haben einen Hochspannungsmasten umgesägt. Ich verstehe diese Aktion als gewaltfrei und will im folgenden von meiner Erfahrung ausgehend eine Einschätzung des Verhältnisses von persönlichen Risiko zum Nutzen geben.“ (38)
Mit dem umfangreichen Artikel wolle er u.a. die Frage der „Perspektive von Sabotage“ diskutieren, für eine Einbettung von Sabotageaktionen als Unterstützung von gewaltfrei-libertären Kampagnen Zivilen Ungehorsams plädieren und die für die Widerstandsperspektiven problematischen und fruchtbaren Seiten von Sabotage benennen, so der Graswurzel-Anarchist.
Im Juli 1987 wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.
Neben der Anti-AKW-Politik blieb in den achtziger und neunziger Jahren der Kampf gegen Krieg, Waffenhandel, Armee und die Totalverweigerung von Kriegs- und Ersatzdienst, der als Teil der militaristischen Gesamtstrategie verstanden und abgelehnt wird, eines der wichtigsten Aktionsfelder der bundesrepublikanischen Graswurzelbewegung. Im Jahre 1987 waren die Aktivitäten gegen die NATO-Stabsrahmenübung Wintex/Cimex ein Arbeitsschwerpunkt der Graswurzelgruppen und ein Ziel der Graswurzelrevolution war es,
„(…) die Einplanung der Zivilbevölkerung in die militärische Kriegsführungsstrategie aufzuzeigen.“ (39)
Die Graswurzelrevolution organisierte mehrere antimilitaristische Kongresse und brachte 1987 mit der Sondernummer „Soziale Verteidigung“ alternative Verteidigungskonzepte bundesweit in die Diskussion. Der antimiltaristische Arbeitsschwerpunkt wurde und wird nicht nur in den monatlichen GWR-Ausgaben und besonders bei aktuellen Anlässen offenbar – etwa dem 2. Golfkrieg 1990/91 oder dem Krieg in Ex- Jugoslawien – sondern auch in einigen Extranummern, so dem Graswurzelrevolution Sonderheft Nr. 113/114 „Widerstand gegen die Wehrpflicht“ (Hamburg, August 1987), dem Sonderheft Nr. 117/118 „Sozialgeschichte des Antimilitarismus“ (Hamburg, 1988) und dem Sonderheft Nr. 208/209 zum 75jährigen Bestehen der War Resisters‘ International „Vom Widerstand gegen den Krieg zur gewaltfreien Revolution?“ – Perspektiven internationaler gewaltfreier Vernetzung gegen globale Gewaltstrukturen“ (Oldenburg, Mai 1996).
Am 17. Juli 1991 wurden die GWR-Redaktionsräume und die Privatwohnung des offiziellen GWR-Verlagsvorsitzenden in Heidelberg von zwei Staatsanwälten und vier Beamten der Heidelberger Staatsschutzabteilung durchsucht. (40) Anlaß für die Durchsuchungen war ein Artikel in der GWR Nr. 154 (März 1991), die das zweite Golfkriegsflugblatt des Aktionsbündnisses „Kein Krieg am Golf“ beinhaltete, welches neben der 4 500er Auflage der GWR noch einmal 30 000mal extra gedruckt worden war, um der Antigolfkriegsbewegung bundesweit eine Orientierung auf Aktionen gegen Bundeswehr und Rekrutenzüge nahezulegen und um eine Aktionsperspektive über den 2. Golfkrieg hinaus zu eröffnen. (41) Beschlagnahmt wurden die Druckvorlagen der Flugschrift und verschiedene Zeitschriften und Flugblätter, die sich mit dem 2. Golfkrieg und Kriegsdienstverweigerung beschäftigten, die Blockade von Rekrutenzügen propagierten oder Bundeswehrsoldaten zur Desertion aufriefen.
Auch dieses zweite § 111 StGB Ermittlungsverfahren wurde nach einigen Monaten eingestellt.
Arbeitsschwerpunkte der Graswurzelrevolution waren und sind auch in den Bereichen Ökologie, alternative Projekte, Anarchismus und Frauenbewegung auszumachen.
Sonderhefte mit jeweils rund 100 DIN A4 Seiten Umfang und Auflagen von 6 000 bis 7 000 Exemplaren erschienen zum Thema „Alternative Ökonomie“ (GWR Nr. 90/91, Kassel, Winter 1984) und „Zur Kritik der parlamentarischen Demokratie. ‚Wer wählt, hat die eigene Stimme bereits abgegeben!'“ (Nr. 146/47/48, Heidelberg, Herbst 1990).
Zudem wurden zu bestimmten Anlässen Extraausgaben mit Auflagen von jeweils 40 000 Exemplaren publiziert: Zur Bundestagswahl 1994 erschien „Wenn Wahlen was verändern würden, wären sie verboten – Eine Sonderveröffentlichung der Zeitung Graswurzelrevolution zum ‚Superqualjahr‘ 1994″; im April 1995 erreichte die „Aktionszeitung für die sofortige Stillegung aller Atomanlagen ATOMKONSENS IST NONSENS“ viele Menschen auch außerhalb der anarchistischen Bewegung und trug zur Mobilisierung gegen Atomtransporte bei.
In einer Selbstdarstellung etikettierte sich die GWR als „anarchistisch, gewaltfrei, antisexistisch“ und skizzierte ihre Themen:
„Theorie und Praxis des gewaltfreien Anarchismus, soziale Bewegungen, Utopien und Projekte (…), Staat und Krieg, Befreiung im Alltag, Ökologie, Widerstand mit Phantasie, anarchistischer Antifaschismus, gewaltfreie Bewegungen weltweit, anarchistische Kommentare zur aktuellen Politik, (…) Kampf gegen Rassismus und Sexismus, Portraits historischer Personen (…).“ (42)
Historisch bezogen sich die zahlreichen AutorInnen der Graswurzelrevolution einerseits auf bekannte und weniger bekannte AnarchistInnen, z.B. Emma Goldman, Michail Bakunin, Erich Mühsam, Ernst Friedrich, Gustav Landauer und Rudolf Rocker. Andererseits aber auch auf Feministinnen wie Clara Wichmann und Pazifisten, wie den u.a. durch die Schriften von Tolstoi und Kropotkin beeinflußten indischen Politiker Mahatma Gandhi und den nicht anarchistisch orientierten afro-amerikanischen Bürgerrechtler und Christen Martin Luther King.
„Gemeinsamer Nenner dieser Vielfalt, in der sich auch viele Nicht-Anarchisten wohl fühlen, ist das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit.“ (43)
Mehr als zwanzig Jahre nach Erscheinen der Nullnummer, zog die Redaktion der Graswurzelrevolution auf 92 DIN A4 Seiten der Sondernummer 171/72/73 („Texte zu Anarchismus und Gewaltlose Revolution heute“) eine Bilanz und erläuterte die gewaltfrei-anarchistischen Vorstellungen: Der Kampf um Befreiung müsse immer ein Kampf gegen Gewalt sein.
„Gewalt verstehen wir dabei nicht nur als direkte, personale Gewalt, die Menschen bedroht, foltert, verletzt oder tötet. Es ging uns immer um die Gewalt der Strukturen, die oft so zivilisiert erscheint, so unmerklich und gewohnheitsmäßig auf Menschen lastet.“ (44)
Das Leiden an Ungerechtigkeit, fehlenden Möglichkeiten freier Entfaltung, an Armut und Entwürdigung sei ebenso Gewalt wie die offen bewaffnet auftretende.
„Wir haben immer die Sicht zurückgewiesen, die Gewalt der Strukturen pazifiere die Menschen und hindere sie so an blutiger direkter Gewalt. Und wir haben die Erwartung kritisiert, durch bewaffnete Gegengewalt (…) werde die strukturelle Gewalt von Ausbeutungsverhältnissen wirksam bekämpft.“ (45)
Die Moral der Revolte schließe den Mord aus, und der Mord zerstöre die Moral der Revolte. Allzu häufig seien aus bewaffneten Befreiungsbewegungen neue Herrschaftsverhältnisse hervorgegangen; die Verkriegung der Revolution, die hierarchische Organisation, die allein effektive militärische Aktionen ermögliche, beeinträchtige die befreienden Ziele. In diesem Sinne habe Bart De Light recht, der seine gewaltfrei-anarchistische Haltung in dem Satz zusammenfasste: „Je mehr Gewalt, desto weniger Revolution“. Für RevolutionärInnen sei Gewalt nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.
„Das wird heute, nach dem Niedergang des Staats’sozialismus‘ und dem vorhersehbaren Ende vieler nationaler Befreiungsbewegungen im Nationalen, von mehr Menschen verstanden als vor zwanzig Jahren, als wir gegen den Strom der Begeisterung für antiimperialistische Revolutionen in der Dritten Welt und marxistisch-leninistische Konzeptionen schwimmen mußten.“ (46)
Allerdings würden heute weniger Menschen als damals die Kritik der staatlichen und kapitalistischen Gewalt nachvollziehen. Daß Lohnarbeit ein Skandal sei, monopolisierte und legitimierte Gewalt der Staaten nichtsdestoweniger Gewalt, sogar eine industrialisierte und zu umfassender Vernichtung fähige, das gelte heute als eine höchst unpraktische Erkenntnis. Da ein Absterben des Staates nur wenigen noch vorstellbar sei und die Bürokratie alle Lebensbereiche durchdringe, ideologisiere man die bestehenden Strukturen lieber vor der Negativfolie von Militärdiktatur und Stalinismus zur „Zivilgesellschaft“. Daß Demokratie in direkten Formen möglich sei, daß Parlamente die Verantwortlichkeit und direkte Entscheidung der Menschen gerade nicht zulassen, werde heute nur noch von wenigen Menschen so gesehen. Mit der Partei der Grünen hätten „Lernprozesse“ zurück in die staatlichen Strukturen bei vielen Menschen stattgefunden, die eine radikale Kritik an den kapitalistisch-etatistischen Gesellschaften, an Kriegsvorbereitungen und Umweltzerstörung geübt hatten. Aber die Hoffnung auf eine „Anti-Partei“ sei ebenso praktisch widerlegt wie anderswo Erwartungen an eine „befreiende Gewalt“. Die Strukturen seien stärker als gute Absichten und Wünsche. Statt der direkten Demokratie, der auch-parlamentarischen Vertretung von Bürgerinitiativen sei ein „ganz normaler Apparat“ entstanden. Diesem Realismus habe sich die Graswurzelrevolution verweigert. Gerade in der Krise des ökonomischen und politischen Systems, in der Krise der kapitalistischen Kultur sei eine Opposition notwendig, die nicht Teil herrschender Strukturen geworden ist und Gegenpole setze zu nationalistischen, rassistischen und frauenfeindlichen Diskursen. Der Kampf gegen Herrschaft, als Ziel und auf dem ganzen Weg, müsse als Alternative zur „Rebarbarisierung der kapitalistisch-etatistischen Ordnungen öffentlich sichtbar sein. „Weder befehlen, noch gehorchen“ bleibe das Ziel, so die Redaktion der Graswurzelrevolution.
Im September 1995 feierte sie ein Jubiläum, die LeserInnen konnten die 200. Ausgabe erwerben. Nachdem dort in der vorherigen Ausgabe unter dem Titel „Klassische Schriften des gewaltfreien Anarchismus“ schon Albert Camus‘ „Der Mensch in der Revolte“ breit vorgestellt worden war, widmete die Jubiläumsnummer unter der Rubrik „Theorie“ eine DIN A3 Seite „Leo Tolstois gewaltfreiem Anarchismus“. Das Schwergewicht aber legte die Graswurzelrevolution auch in dieser Ausgabe auf Hintergrundanalysen und Kommentare zu aktuellen politischen Ereignissen. Der Aufmacher „Boykottiert die Bundeswehr!“, galt dem Einsatz bundesdeutscher Kampfflugzeuge in Bosnien. Auf insgesamt sechs Seiten kritisierten die Gewaltfreien die Aufrüstung Kroatiens durch die Bundesrepublik, den Schulterschluß zwischen Joschka Fischer und Heiner Geissler in der Bosnienpolitik, berichteten über Kriegsdienstverweigerung und Zwangsrekrutierung in Serbien.
Die taz widmete dieser Jubiläumsausgabe der Graswurzelrevolution einen Bericht:
„‚Was ist Befreiung?‘ (…) oder auch ‚Partner der Ausbeutung‘ – so lauten die Schlagzeilen der Monatszeitung, die da im ersten Stock der ‚Kurve‘ produziert wird. Die ‚Kurve‘ ist ein Fachwerkhaus im wendländischen Wustrow, eine ‚Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion‘, die so heißt, weil sie (…) in der Kurve, der Hauptstraße von Wustrow liegt. Die Monatszeitung (…) wird dort seit Jahren in einem einzigen Raum hergestellt: ein PC, eine Menge Papierstapel und natürlich alle Ausgaben von Anfang an. (…) In einer Zeitung, die seit über 20 Jahren ‚über Theorie und Praxis des gewaltfreien Anarchismus‘ berichtet, darf natürlich (…) auch eine Seite ‚Kritik am Staat‘ nicht fehlen. ‚Die Regierung des Menschen über den Menschen ist die Sklaverei‘, wird darin der alte Proudhon zitiert.“ (47)
Kritik erntete die Graswurzelrevolution aus der anarchistischen Bewegung. Die Redaktion des Schwarzen Fadens kritisierte 1989, die Graswurzelrevolution würde oft „‚Vorbilder‘ hochhalten.“ (48) Häufig wurde und wird den GraswurzlerInnen auch vorgeworfen, sie würden „dogmatisch gewaltfreie“ Positionen vertreten. (49) Eine weitere Kritik zielte 1996 auf die fehlende Solidaritätsarbeit der GWR zur kriminalisierten radikal:
„Obwohl sie selbst schon Ärger mit der Staatsgewalt hatten, gingen die dogmatisch gewaltfreien GraswurzlerInnen mit keiner Zeile auf die 55 bundesweiten Razzien vom 13.6.1995 und die Kriminalisierung der radikal ein. Ein Armutszeugnis für die ansonsten für Anti-AKWlerInnen und AntimilitaristInnen wichtige GWR.“ (50)
Trotz dieser und anderer Kritik identifizieren sich mit dem Begriff Graswurzelrevolution bis heute zahlreiche Gruppen und Bewegungen, die die Gesellschaft von unten, also von der Basis – und nicht als Partei oder staatliche Organisation verändern wollen.
GWR-Mitarbeiter Jochen Stay konstatierte 1995, daß auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Nachrüstung in den achtziger Jahren in der Friedensbewegung noch genauso wie in der Anti- AKW-Bewegung heftig über den Sinn gewaltfreier Sitzblockaden gestritten wurde. Daß heute etwa bei den wendländischen AtomkraftgegnerInnen die gewaltfreie Blockade der Castor-Transporte selbstverständliche Protestform ist, wertete er als „Erfolg der Ideen der Graswurzelrevolution.“ (51)
Die taz bescheinigte dem anarchistischen Projekt 1995:
„Die Graswurzelrevolution hat einen langen Atem bewiesen. (…) Wie der Anarchismus hat sie die Chance, in Ehren alt zu werden.“ (52)
Die GWR war und ist neben dem internen, seit 1979 erscheinenden FöGA-Rundbrief und dem jährlichen Graswurzelkalender das wichtigste Periodikum der dezentralen Basisbewegungen an den „Wurzeln“ der Gesellschaft. Abgesehen von der 1948 in Mülheim gegründeten und 1978 in Köln eingestellten Befreiung ist sie das langlebigste Sprachrohr des deutschen Nachkriegsanarchismus. Sie gehört neben dem 1980 gegründeten Schwarzen Faden und der seit 1977 erscheinenden anarcho- syndikalistischen direkten aktion zu den drei bekanntesten explizit anarchistischen Blättern in Deutschland. (53) Gemessen an der Akzeptanz innerhalb breiter Kreise der Gesellschaft und gemessen am Einfluß auf die sozialen Bewegungen ist sie die wohl einflußreichste anarchistische Zeitschrift im deutschsprachigen Raum.
(1) Horst Stowasser: Freiheit pur, a.a.O., S. 358.
(2) Zur Geschichte von Die Schwarze Fahne und Junge Anarchisten siehe III.3.2.
(3) Die WRI (War Resisters' International/Internationale der Kriegsdienstgegner) wurde 1921 gegründet. Sie verabschiedete folgende bis heute gültige Erklärung als gemeinsame Plattform aller WRI-Sektionen: "Der Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller seiner Ursachen mitzuarbeiten." Die WRI ist bis heute ein Dachverband für gewaltfreie Gruppen von KriegsdienstgegnerInnen verschiedener Motive und Auffassungen. Deutsche WRI-Sektionen sind z. B. die pazifistische Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) und die anarchistische Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA). WRI-Mitglieder sind u.a. deutsche und belgische SozialdemokratInnen, katalanische und baskische AnarchistInnen, Liberale aus Italien, amerikanische Quäker, schwedische SyndikalistInnen und Libertäre aus der indischen WRI-Sektion. Durch gewaltfreie Aktionen und Entmilitarisierung der Gesellschaften wollen die WRI-Gruppen Ziele wie z. B. Abschaffung der Wehrpflicht und jeglicher Zwangsdienste, bis hin zur Abschaffung der Armeen erreichen.
(4) Vgl. Wolfgang Hertle: Eine Quelle der Inspiration. Zur Bedeutung der WRI für die Entstehung der Graswurzelbewegung in der BRD, in: Graswurzelrevolution Nr. 208/209, Oldenburg/Heidelberg, Mai 1996, S. 15 ff.
(5) Zur Geschichte der Graswurzelbewegung vgl. Günther Bartsch: Die Graswurzel-Revolutionäre - Eine neue Internationale? Anarchismus und Gewaltfreiheit", in: Studien von Zeitfragen - Links, 14. Jhg., Nr. 20/1975, S. 2 - 21.
(6) Rael/Graswurzelrevolution-Redaktion Süd, Brief an den Verfasser dieser Arbeit, Heidelberg, Juni 1997, S. 1.
(7) Wolfgang Zucht, geb. 1929, Buchhändler, gewaltfreier Anarchist, war 1965/1966 Mitarbeiter der libertär-pazifistischen Direkten Aktion in Hannover. Ab 1973 gab er in Kassel über Jahre hinweg den Informationsdienst für gewaltfreie Organisatoren heraus. Gemeinsam mit seiner Frau Helga leitet er heute den libertären Verlag Weber, Zucht & Co., von dem in den Jahren 1992 bis 1995 u.a. der Graswurzelrevolution Kalender herausgegeben wurde. Zuvor war der Kalender ab 1986 und seit 1996 wird er wieder von einer autonomen Kalendergruppe herausgegeben (worden).
(8) Vgl. Wolfgang Hertle: Eine Quelle der Inspiration, a.a.O.
(9) Wolfgang Hertle, geb. 1946, Politologe und Publizist, Mitbegründer der Anfang 1969 entstandenen Graswurzelgruppe Gewaltfreie Aktion Augsburg (GAA) und der seit 1972 erscheinenden Graswurzelrevolution, arbeitete in den achtziger Jahren in der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion in Wustrow und betreut heute das Archiv Aktiv in Hamburg.
(10) Vgl. Wolfgang Hertle: Eine Quelle der Inspiration, a.a.O.
(11) Die Zeitung ist so gut wie eure Mitarbeit!, in: Graswurzelrevolution Nr. 0, Augsburg, Sommer 1972, S. 3.
(12) Ebd.
(13) Graswurzelrevolution Nr. 1, Augsburg 1972, S. 1.
(14) Uwe Brodrecht: Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen / Graswurzelrevolution (FöGA), in: Lexikon der Anarchie, a.a.O.
(15) Graswurzelrevolution Nr. 216, Oldenburg, Feb. 1997, S. 3.
(16) Ralf G. Landmesser: Wegweiser durch den anarchistischen Blätterwald, a.a.O.
(17) Vgl. Jürgen Voges: Jubiläum der Gewaltfreien, in: taz Nr. 4737, Berlin, 2. Okt. 1995, S. 5.
(18) Ebd.
(19) Vgl. Jenrich, a.a.O.
(20) Voges, a.a.O.
(21) Ebd.
(22) Einladung zum Graswurzelbundestreffen, in: GWR Nr. 220, Oldenburg, Sommer 1997, S. 3.
(23) Die Gruppe Kollektiver Gewaltfreier Widerstand gegen Militarismus (KGW), ein Zusammenschluß von totalen Kriegsdienstverweigerern in der Bundesrepublik. 1981 verabschiedete die u.a. mit der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) und der War Resisters International (WRI) assoziierte KGW eine Plattform: "wir verstehen uns als radikale antimilitaristen. unser kampf richtet sich nicht nur gegen das militär, sondern gegen gewalt überhaupt. wir treten für die abschaffung jeglicher armee (sei es eine wehrpflicht- oder berufsarmee) ein. wir lehnen die wehrpflicht und alle ihre auflagen ab, insbesondere den ersatzdienst." Zur Geschichte von KGW siehe: Kapitel XI.9. OHNE UNS.
(24) Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (Hrsg.): Linksradikalismus, a.a.O., S. 115.
(25) Im Frühjahr 1977 war der Generalbundesanwalt Siegfried Buback von einem Kommando der RAF getötet worden. Am 27. April erschien in den Göttinger Nachrichten, der Zeitschrift des AStA ein Nachruf, in dem ein anonymer "Mescalero", ein Angehöriger der Göttinger Spontigruppe gleichen Namens, seine "klammheimliche Freude" über das Attentat zum Ausdruck brachte, gleichzeitig aber die Praxis der RAF aus gewaltfrei-anarchistischer Sicht kritisierte: "Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), eine Gesellschaft ohne Zwangsarbeit (...), ohne Justiz, Knast und Anstalten (wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschriften oder besser: Empfehlungen) (...) heiligt eben nicht jedes Mittel, (...). Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden. (...) Damit die Linken, die so handeln, nicht die gleichen Killervisagen wie die Bubacks kriegen." (aus: "Buback - Ein Nachruf", in: Schwarze Texte, a.a.O., S. 55.)
(26) Vgl. "Feldzüge" gegen den Deutschen Herbst, in: Graswurzelrevolution Nr. 220, Oldenburg, Sommer 1997, S. 14 f.
(27) Rael/Graswurzelrevolution-Redaktion Süd, Brief an den Verfasser dieser Arbeit, Heidelberg, Juni 1997, S. 2.
(28) Vgl. Graswurzelrevolution am Ende?, in: Graswurzelrevolution Nr. 122, Hamburg, Dez. 1987, S. 2.
(29) Vgl. Uwe Brodrecht, a.a.O.
(30) Graswurzelrevolution für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, zweiseitiges Flugblatt der Redaktion, Wustrow, 1994.
(31) Ebd.
(32) Ebd.
(33) Vgl. Uwe Brodrecht: Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen / Graswurzelrevolution (FöGA), in: Lexikon der Anarchie, a.a.O.
(34) Ebd.
(35) Der Verfassungsschutz unterstellte den Gewaltfreien Aktionsgruppen, sie würden den Begriff der Gewaltfreiheit ins Gegenteil verkehren, da sie zwar personenverletzende Gewalt ablehnen, nicht jedoch Gewalt gegen Sachen. Vgl. Anarchistische "Gewaltfreie Aktionsgruppen", in: Verfassungsschutzbericht 1991, a.a.O.
(36) Perspektiven einer Antikriegsbewegung, in: Graswurzelrevolution Nr. 153, Heidelberg, Feb. 1991, S. 17.
(37) Siehe Anhang des Buches.
(38) G. Waltfrei: Wenn der Strommast fällt... Überlegungen zu Sabotage als direkte gewaltfreie Aktion, in: Graswurzelrevolution Nr. 110, Hamburg, Dez. 1986. Hier zitiert nach: Schwarze Texte, a.a.O., S. 105 ff.
(39) Antimilitaristische Graswurzelarbeit, in: Graswurzelrevolution Nr. 113/114 Sonderheft Widerstand gegen die Wehrpflicht, Hamburg, 1987.
(40) Vgl. Presseerklärung - Hausdurchsuchungen wegen angeblicher Aufforderung zu Rekrutenzugblockaden, in: Unfassba Nr. 9, Münster, Sept. 1991, S. 29.
(41) Vgl. Durchsuchungsbefehl!, in: Graswurzelrevolution Nr. 158, Heidelberg, Sept. 1991, S. 3.
(42) Wenn Wahlen was verändern würden, wären sie verboten - Eine Sonderveröffentlichung der Zeitung Graswurzelrevolution zum "Superqualjahr" 1994, Wustrow, 1994, S. 4.
(43) Horst Stowasser: Freiheit pur, a.a.O., S. 359.
(44) In eigener Sache, in: Graswurzelrevolution Nr. 171/72/73 - Texte zu Anarchismus und Gewaltlose Revolution heute, Wustrow, Dez. 1992, S. 6 f.
(45) Ebd.
(46) Ebd.
(47) Jürgen Voges: Jubiläum der Gewaltfreien, a.a.O., S. 5.
(48) Siehe: XI.5.1. Schwarzer Faden.
(49) Vgl. X-tausendmal Gewaltbereit, in: Interim Nr. 413, Berlin, 20. März 1997, S. 12 f.
(50) Subversives Blätterrauschen - Stand und Zustand autonomer Printmedien, in: 20 Jahre radikal. Geschichte und Perspektiven autonomer Medien, Verlag Libertäre Assoziation, Unrast Verlag, Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Rote Straße, Edition ID-Archiv, Hamburg, Münster, Berlin, 1996, S. 192.
(51) Jürgen Voges: Jubiläum der Gewaltfreien, a.a.O.
(52) Ebd.
(53) Siehe Kapitel XIX. Anarchismus und libertäre Presse in der Bundesrepublik 1993 / Vgl. Umfrageergebnis "Welche anarchistischen Zeitungen/Medien kennst Du?, in: Libertäre tage '93 in Frankfurt Dokumentation, a.a.O., S. 71.
Vorabdruck aus: Bernd Drücke: Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland, ca. 700 S., ca. DM 49,90, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm, ISBN: 3-932577-05-1. Das Buch erscheint voraussichtlich im Juli 1998.