antimilitarismus

Ist ein US-Feldzug gegen den Irak noch vermeidbar?

| Clemens Ronnefeldt, 14.3.2002

Recherchen in Zeiten des Krieges werden immer schwieriger, besonders in der Vorphase eines angekündigten Angriffes wie im Falle Irak: Welchen Quellen ist zu trauen? Wer übertreibt, untertreibt, testet aus oder manipuliert mit welchen Absichten?

Ich habe im folgenden GWR-Beitrag versucht, ein breites Spektrum von Pressemeldungen und Artikeln auszuwerten. Weil die Herkunft von Aussagen entscheidend ist, mache ich meine Informationsquellen ausgiebig transparent.

Je mehr der 11.9.2001 aus der Erinnerung verblasst, desto schwerer wird die Legitimation für einen Angriffskrieg samt Beseitigung Saddam Husseins für die Regierung Bush. Dass die US-Streitkräfte zu einem militärischen Sieg in der Lage sind, kann kaum bezweifelt werden. In den US-Denkfabriken stellt sich als größeres Problem, was nach einem Sturz des Regimes in Bagdad werden soll.

Die Entscheidung für oder gegen einen drohenden Irak-Krieg - der nicht mit den permanenten selektiven Bombardierungen verglichen werden kann - hat vielfältige Facetten, die im Folgenden beleuchtet werden.

Besonderes Gewicht möchte ich auf die Möglichkeiten zum Engagement für eine Verhinderung des Krieges am Ende des Artikels legen.

1. Zur aktuellen Lage im Irak

Der deutsche Diplomat Hans-C. von Sponeck, 1998-2000 UN-Koordinator für Irak, trat aus Protest über die humanitäre Situation im Zweistromland von seinem Posten zurück. „Die Lebensumstände der irakischen Bevölkerung sind erbärmlich.

Die Gründe für Verelendung und hohe Kindersterblichkeit liegen in der Sanktionspolitik“, lautet sein Fazit, gleichzeitig Titel der FR-Dokumentation am 7.2.02. Sponeck bestätigt, „dass 500.000 Kinder in diesem Zeitabschnitt (Anm.: 1990-99, C.R.) wegen verschmutztem Wasser, fehlender Medikamente und Unterernährung gestorben sind“, die Gesamtzahl der Opfer liegt bei über einer Million.

Während die Bevölkerung im Elend versinkt, kann sich eine kleine Oberschicht, zu der auch der Clan um Saddam Hussein gehört, durch Schmuggel und andere Geschäfte Luxus leisten.

Der in Köln lebende irakische Schriftsteller Hussein Al-Mozany beschrieb am 21.2.02 in der FAZ den „Tod des kulturellen Lebens im Irak“. Seine Aussagen sind schwer nachprüfbar:

„Allein in den letzten Wochen wurden dreizehn Offiziere hingerichtet, unter ihnen befanden sich zwei Generäle, Hussein Ali Hamad und Abdulkarim al-Hamadani. In der vergangenen Woche wurden mehrere Piloten der irakischen Luftwaffe festgenommen und ein Major hingerichtet. …Ein bekannter Buchhändler, Hashim Udafa, starb unter der Folter, weil er angeblich harte Devisen außer Landes geschafft hatte, doch der wahre Grund lag vermutlich in seiner Sympathie für die Untergrundliteratur“, schreibt Al-Mozany.

In irakischen Oppositionskreisen wird die Menschenrechtslage im Irak zuweilen noch drastischer dargestellt, als sie eh schon ist.

Anmerkungen zur irakischen Opposition

Der Präsident des „Irakischen Nationalkongresses“ (INC), der im Londoner Exil lebende Bankier Ahmed Chalabi, wird derzeit von der US-Regierung für eine „Nach-Saddam-Hussein-Zeit“ aufgebaut: Durch einen längeren Aufenthalt in Washington ebenso wie beim Aspen Institut in Berlin. Chalabi haftet allerdings der Makel verschwundener Gelder in Höhe von ca. zwei Millionen US-Dollar an, die von der US-Regierung eigentlich zur Stärkung der irakischen Opposition eingesetzt hätten werden sollen (vgl. FR, 8.3.02).

„In schwierigen Zeiten suchen die irakischen Schiiten Hilfe im Iran“, titelte die FAZ am 23.2.02. Mehr als die Hälfte der rund 23 Millionen Iraker sind Schiiten, Saddam Hussein aber Sunnit. Seit dem niedergeschlagenen Aufstand 1991 flohen bis in die zweite Hälfte der 90er Jahre „mehr als eine Viertel Million Einwohner des Südiraks in andere irakische Orte oder ins Nachbarland Iran“, so die FAZ. Eine der wichtigsten Oppositionsgruppen, der „Oberste muslimische Rat für die Islamische Revolution im Irak“ hat ihren Sitz in Teheran. „Die Vereinten Nationen und internationale Menschenrechtsorganisationen (wiesen) bis heute auf Hunderte von Hinrichtungen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen im Irak hin, von denen besonders viele Schiiten betroffen seien. …Mehrere führende Repräsentanten des Klerus wurden unter ungeklärten Umständen ermordet.“ (FAZ, 13.2.02).

Im Falle eines Krieges würde die schiitische Bevölkerung sich wahrscheinlich gegen das Regime in Bagdad stellen.

Hamid Majid Mousa, seit 1993 Sekretär der Irakischen Kommunistischen Partei, fordert den Sturz Saddam Husseins, allerdings nicht über eine Militärintervention von außen: „Nein zum Krieg. Nein zur ausländischen Einmischung. Ja zum Kampf des irakischen Volkes gegen dieses System und für die Errichtung einer demokratischen Alternative“, lautet seine Parole (in: junge Welt, 9./10.3.02). „Wir werden in keinem Fall die Rolle der ‚Nordallianz‘ übernehmen. Auch die kurdischen Parteien nicht“, meint Mousa, der bei einem Angriff der USA, den er für wahrscheinlicher hält „als alle anderen Optionen“, mit einem Volksaufstand und einem Auseinanderfallen der irakischen Armee rechnet.

„Amerika mobilisiert Kurden“ titelte der Spiegel am 9.2.2002 (S.125) und führte aus, dass bei einem Aufstand die dreieinhalb bis vier Millionen irakischen Kurden in der nördlichen Schutzzone „die Hauptlast“ zu tragen hätten: „Um die strategisch wichtige Allianz mit den Kurden zu sichern, versprachen US-Emissäre den prominenten Kurdenführern Massud Barsani und Dschalal Talabani, eine ‚international garantierte, nationale Heimstätte‘ zu schaffen“. Diese würde die türkische Regierung gerne verhindern, ebenso die iranische.

Die von Barzani geführte Demokratische Partei Kurdistans/Irak ebenso wie die Patriotische Union Kurdistans (PUK) unter ihrem Chef Talabani „haben jetzt den Amerikanern bedeutet, sie seien nicht bereit, im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den internationalen Terrorismus sich an einer amerikanisch geführten Militäraktion gegen den Irak zu beteiligen“ (FAZ, 23.2.02).

Die PKK erklärte, „sie werde ihre Tätigkeit fortan ganz auf den Irak konzentrieren. Der Irak werde das Zentrum neuer Konstellationen und Strukturen im Nahen Osten sein“ (ebd.).

Ob die kurdische Bevölkerung nach den Erfahrungen mit den USA sich noch einmal aufstacheln lässt, mit dem Risiko, wie 1991 ebenso wie die Schiiten im Süden von der US-Regierung im Stich gelassen zu werden und einen hohen Blutzoll zu zahlen, ist ungewiss.

„Die Jahre nach 1991 zeigten, dass sich Saddam nicht in einen gefügigen Paladin verwandeln ließ. Washington aber wollte die Kontrolle über die Ölquellen“, schrieb Heiko Flottau in der SZ (20.2.02).

Deshalb habe der Iraqi National Congress in London gemeinsam mit der CIA und kurdischen Kräften in Erbil 1996 einen Putsch geplant, der ebenso fehlschlug wie ein Umsturzversuch des „Iraqi National Accord“.

Der im dänischen Exil lebende frühere Generalstabschef der irakischen Armee, General Nisar al-Chasradschi und der in Jordanien lebende Najib al-Salhi werden als mögliche Nachfolger Saddam Husseins in den Medien genannt.

Chasradschi antwortete im Spiegel-Interview (47/2001, S.168) auf die Frage: „Fordern Sie als Iraker etwa ernsthaft US-Bombenangriffe auf das eigene Land?“ mit: „Bei Gott, ich denke: ja. Die Zeit ist reif“.

Die dänische Polizei hält Chasradschi derzeit faktisch unter Hausarrest, weil die dänische Justiz ihn als Generalstabschef für den Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabdscha 1988 als Kriegsverbrecher verantwortlich macht. Der General blieb bis 1996 Berater Saddam Husseins, bis beide sich überwarfen.

Die irakischen Oppositionsgruppen sind untereinander zerstritten und tun sich schwer, ein gemeinsames Vorgehen gegen Saddam Hussein zu koordinieren.

2. Irak und die Terrorismusfrage

„Es gibt bis heute keine ernst zu nehmenden Beweise über eine Förderung des muslimischen Terrorismus durch Irak. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, der israelische und selbst der amerikanische Geheimdienst haben eingeräumt, dass es keine konkreten Informationen gebe, die Saddam Hussein mit den Terroranschlägen vom 11.9. in Verbindung bringen. Und auch Nato-Generalsekretär George Robertson erklärte dieser Tage lakonisch: ‚Die Amerikaner haben erklärt, dass sie zurzeit keine Informationen haben, nach denen eine Verbindung zwischen Al Qaeda und Irak besteht'“, schrieb der CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer (FR, 28.2.02).

Am 6.2.2002 begann in der „New York Times“ ein Leitartikel mit den Worten: „Die CIA hat keinerlei Beweise dafür, dass Irak seit nunmehr fast einem Jahrzehnt irgendwelche terroristischen Operationen gegen die Vereinigten Staaten unternommen hat“. Die CIA, so hieß es weiter, sei zu der Überzeugung gelangt, „dass Präsident Saddam Hussein keine chemischen oder biologischen Waffen weder an die Al-Quaida noch an sonstige terroristische Gruppen gegeben hat“.

Die New York Times berichtete unter Berufung auf die CIA weiter, dass „der Plan zur Ermordung von Präsident Bush Senior anlässlich seines Besuches 1993 in Kuwait die letzte terroristische Operation des Irak gegen die USA“ gewesen sei.

Nach CIA-Angaben sei der angebliche Mordplan aufgedeckt und der Anschlag rechtzeitig verhindert worden.

„Eine Verbindung zwischen den Terroristen des 11. September und dem Bagdader Regime ließ sich bis auf einen vagen Kontakt des Chefattentäters Mohammed Atta mit irakischen Geheimagenten in Prag bislang nicht nachweisen“, bilanzierte die Welt am 23.2.02. Die SZ weiß nur von „einem irakischen Agenten“, den Atta in Prag getroffen haben soll und nannte die Hinweise „widersprüchlich“ (20.2.02).

Staatssekretär Ludger Volmer (B90/Grüne) warnte die USA vor einem Militärschlag mit den Worten: „Es gibt keine Anzeichen und keine Beweise dafür, dass der Irak in den Terrorismus, über den wir seit einigen Monaten reden, involviert ist“ (dpa, 4.2.02).

3. Irak und die Erdölfrage

Die irakischen Ölreserven wurden lange Zeit auf 112 Mrd. Barrel geschätzt, was sich als „konservativ“ erwiesen hat. Aufgrund neuerer geologischer Daten und Berichte kommt Brendan Qinn, irischer Experte für Öl- und Gasvorkommen, zu einer Zahl von rund 330 Mrd. Barrel. (www.mbendi.co.za/smi/pubs/iq_oilg/). Die Reserven Saudi-Arabiens werden auf ca. 260 Mrd. Barrel veranschlagt.

Auf Nachfrage beim deutschen Orient-Institut bestätigte ein Mitarbeiter, dass Irak tatsächlich über die größten Reserven weltweit verfügen könnte. Aufgrund dieser Schätzungen stellt das irakische Potenzial einen Faktor dar, den die US-Außenpolitik nicht vernachlässigen möchte.

Im Rahmen des Öl-für-Lebensmittel-Programms wurde in Nordirak die Pipeline von Kirkuk über Mosuo nach Ceyhan in der Türkei wieder eröffnet. Die türkische Erdölgesellschaft TPAO hat bereits Planungen im Gange, Ölfelder im Nordirak zu erschließen (Die Zeit, 14.2.02).

Vor allem russische, französische und chinesische Ölkonzerne haben schon länger milliardenschwere Verträge über die Ausbeutung irakischer Öl- und Gasfelder unterzeichnet. Insgesamt mehr als 60 ausländische Ölunternehmen aus rund 30 Ländern der Erde zeigen ein großes wirtschaftliches Interesse an einer Aufhebung des Embargos. Die irakische Regierung möchte den Gewinn aus 25 neu zu erschließenden Ölfeldern mit Unternehmen aus jenen Staaten teilen, die öffentlich für die Aufhebung von Sanktionen eintreten. Auf der Länderliste der Vertragspartner mit Irak fehlen bisher: die USA und Großbritannien (vgl. „Milliardenaufträge aus Bagdad“, FAZ, 13.1.98).

Wie die FAZ am 17.1.02 berichtete, „ist Russland jetzt der größte Handelspartner des Irak und kontrolliert über seine Energieunternehmen schon rund ein Drittel des lukrativen Ölexportmarktes dieses arabischen Landes. Wie die Zeitung ‚Washington Post‘ am Mittwoch unter Berufung auf vertrauliche Zahlen der Vereinten Nationen (UN) berichtete, soll Moskau allein in den vergangenen sechs Monaten Verträge mit Bagdad im Wert von 1,4 Milliarden Dollar geschlossen haben und damit sowohl Frankreich als auch Ägypten übertroffen haben“.

Solange das Embargo besteht, muss Bagdad wegen der Folgeschäden des Kuwait-Überfalls 1990 erhebliche Reparationszahlungen leisten. „Irak blutet in Milliardenhöhe. Fast 50 Milliarden Dollar hat die UNO bisher von Iraks Öleinnahmen abgezweigt und als Entschädigung für die irakische Besetzung Kuwaits ausbezahlt“, schrieb Andreas Zumach (taz, 17.12.01).

Die Forderungen an Irak belaufen sich auf insgesamt 300 Milliarden US-Dollar.

Die US-Politik bezüglich Iraks ist auch verbunden mit der des Nachbarlandes Iran, beides nicht zufällig nach Präsident Bush Länder der „Achse des Bösen“. Eine Annäherung beider Staaten soll aus US-Sicht unter allen Umständen vermieden werden. Bei einer Auswechslung des Regimes in Bagdad hin zu einer US-freundlicher gesonnenen Regierung könnte die US-Administration ihre Öl-Politik gegenüber Iran mit dem dann neu geschaffenen Stützpunkt Irak einfacher durchsetzen. Während in Irak der Ölreichtum selbst das Interesse Washingtons weckt, liegt im Nachbarland Iran das US-Augenmerk stärker auf der Pipelinefrage und den verlockenden Durchleitungsmöglichkeiten, die das Land bietet.

Im Rahmen der von der „Deutschen Gesellschaft für Internationale Politik“ herausgegebenen „Berliner Schriften zur Internationalen Politik“ haben Sherman W. Garnett, Alexander Rahr und Koji Watanabe eine aufschlussreiche Studie mit dem Titel: „Der Kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung. Die Verantwortung der Trilateralen Staaten für die Stabilität der Region“, verfasst, die die Energiepolitik auch der USA gegenüber der Gesamtregion Zentralasien und angrenzender Gebiete beleuchtet. Einige Passagen lassen generelle Rückschlüsse auch auf die derzeitige Öl-Politik der USA gegenüber Irak und Iran zu und schaffen einen größeren Überblick:

„Eine Voraussetzung für Stabilität in der Region ist die Beendigung des afghanischen Bürgerkrieges, der sich zerstörerisch auf Zentralasien auswirkt. Die zentralasiatischen Regierungen sprechen vom ‚Islamischen Terrorismus‘, wie auch viele Offizielle in Moskau. Zumindest solange Afghanistan eine eiternde Wunde bleibt, sprechen maßgebliche Quellen in Zentralasien offen von der Unvermeidbarkeit eines künftigen Krieges gegen islamische Kräfte. Zur Zeit der Fertigstellung dieses Kapitels im August 2000 mehrten sich tödliche Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Regierungstruppen“ (S. 96).

Sherman W. Garnett schreibt: „Wenn die Politik sich in vielen dieser Länder nicht radikal verändert, wird der Energiereichtum die sozialen Übel und die politische Instabilität nur verstärken. … Führende Vertreter von Energieunternehmen sind auch über politische Faktoren sowohl in der Region als auch in Washington besorgt. Sie machen sich Sorgen über das Fehlen erkennbarer Nachfolger für die heutigen alternden Führer der Region, und sie ärgern sich über Bemühungen der amerikanischen Regierung, bei der Festlegung von Pipeline-Strecken geopolitische Gesichtspunkte über die kommerzielle Rentabilität zu stellen. … Diese Unternehmen sind es durchaus gewohnt, mit hohen Risiken und politischen Instabilitäten umzugehen. Sie wollen aber keine zusätzlichen Missionen und Verantwortlichkeiten auf sich nehmen, wie sie sich aus der umfassenden amerikanischen Politik ergeben. Es gibt daher ein Spannungsverhältnis zwischen führenden amerikanischen Wirtschaftsakteuren in der Region und der amerikanischen Regierungspolitik. Dieses Spannungsverhältnis war zeitweise abgeschwächt oder verdeckt, bleibt aber bestehen, vor allem in bezug auf Pipelines. Die meisten privaten Akteure heben die am wenigsten kostspieligen Pipeline-Lösungen ohne Rücksicht auf Geopolitik hervor, einschließlich Leitungen durch Russland. Sie weisen auf die kommerzielle Logik eventueller Routen in den Iran hin. … Eine Normalisierung der Beziehungen zum Iran ist möglicherweise der langfristig wichtigste Faktor in der Energietransport-Gleichung“ (S. 56f.).

4. Positionen der Nachbarn Iraks

Im Falle eines Krieges gegen den Irak könnte die Türkei zum Aufmarschgebiet und „Flugzeugträger“ werden.

Würde bei einem Sturz Saddam Husseins der Irak zerfallen, könnte dies die kurdische Bevölkerung in Nordirak ermutigen, einen eigenen Staat zu gründen.

Dies wiederum würde die Regierung in Ankara vermutlich nicht zulassen und gleichzeitig womöglich versucht sein, die Kontrolle über den erdölreichen Norden Iraks zu erlangen.

Der türkischen Ökonomie hat das Embargo gegen Irak geschadet. Bei einem neuen Krieg wäre die Türkei zusätzlich durch massive Einbußen beim Tourismus betroffen. Der bekannte türkische Kommentator Mehmet Ali Birand formulierte deshalb sogar ein öffentliches Stoßgebet: „Wir flehen zu Allah, dass Amerika den Irak nicht angreift“ (Die Zeit, 14.2.02).

Während seines Deutschland-Besuches Ende Februar 2002 kritisierte der iranische Außenminister Charrasi „einen möglichen militärischen Angriff gegen Irak, von dem der amerikanische Präsident bisher niemals direkt gesprochen hat, ihn aber als Option erscheinen lässt“ (FAZ, 28.2.02).

Teheran habe „große Probleme“ mit Bagdad, mit dem Irak habe man „bittere Erfahrungen“ gemacht, dennoch sei eine Lösung „nur unter dem Dach der UN und nicht über militärische Gewalt herbeizuführen“.

Für den Fall, dass Iran angegriffen werden sollte, hatte Saddam Hussein dem Nachbarland seinen Schutz versprochen. Sollten US-Emissäre weiterhin den Kurden im Norden Iraks Autonomieversprechungen machen, könnte dies die iranische Regierung, die wegen der kurdischen Bevölkerung auf eigenem Boden diese Autonomie fürchtet, stärker zu einer Zusammenarbeit mit Bagdad bewegen.

Der stellvertretende irakische Präsident Ramadan, spricht von „unbegrenzten Möglichkeiten“, die die Beziehungen zu Syrien böten. Irak liefert an Syrien „offenbar rund 200.000 Barrel Öl am Tag zu einem Vorzugspreis“ (FAZ, 19.2.02).

Die saudische Regierung lässt den wirtschaftlichen Beziehungen mit Irak – dem Embargo und den USA zum Trotz – erhebliche Spielräume. Für das Jahr 2001 wird das Handelsvolumen zwischen Irak und Saudi-Arabien auf mehr als eine Milliarde US-Dollar geschätzt, so ein Mitarbeiter des deutschen Orient-Institutes in Hamburg. „Der Irak ist ein arabisches Land und hat das Recht, Versöhnung unter den Arabern zu verlangen“ (SZ, 31.1.02), sagte Kronprinz Abdallah, der Regent Saudi-Arabiens. Besonders „gelte dieses Recht im Hinblick auf sein Land und auch auf Kuwait“.

Der ägyptische Präsident Mubarak warnte die USA eindringlich davor, den Irak anzugreifen. „Wir müssen da sehr vorsichtig sein“, meinte Mubarak in einem Interview der Washington Post, 5.3.02. Als im Februar 2001 Präsident Bush Irak bombardieren ließ, hielt sich gerade eine hochrangige ägyptische Wirtschaftsdelegation in Bagdad auf – in Washington interpretiert als Solidaritätsgeste Ägyptens mit Irak.

Zu Beginn der Nahost-Reise von US-Vizepräsident Dick Cheney machten arabische Verbündete der USA deutlich, „dass eine Ausweitung des so genannten Anti-Terror-Feldzuges gegen Irak nach ihrer Einschätzung den gesamten Nahen und Mittleren Osten destabilisieren würde. Mit einem Krieg gegen Irak könnten die USA ihre Erfolge in Afghanistan gefährden, warnte der jordanische König Abdullah“ (FR, 14.3.02).

Nur noch drei Staaten der näheren Region empfinden die USA als „Schutzmacht“ und können von Washington als bedingungslose Bündnispartner bezeichnet werden: Bahrein, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Gleichwohl weist der Emir von Katar, Scheich Hamad bin Chalifa, darauf hin: „Mein Land ist nicht die Zapfsäule Amerikas“ (Le Monde Diplomatique, Dez. 2001).

„Zwar ist Saddam Hussein auch in der arabischen Welt nicht sonderlich beliebt, aber im Irak lebt immer noch ein Brudervolk, was der Ägypter Amr Mussa, Generalsekretär der Arabischen Liga, mit seinem Besuch in Bagdad unlängst klar machte. Ein Angriff der amerikanischen ‚Kreuzritter‘ würde eine große panarabische Solidarität auslösen, die gemäßigte Regime ins Wanken, wenn nicht zum Sturz brächte“, berichtete die Welt am 23.2.02.

Die israelische Regierung sieht in der Möglichkeit einer Beseitigung Saddam Husseins eine Chance, die irakische Bedrohung loszuwerden.

5. Zur Politik der US-Regierung

Die US-Regierung ist wie keine zuvor mit der Öl- und Energiewirtschaft personell verflochten, was erhebliche Auswirkungen auf die Irak-Politik der einzigen Supermacht hat. George W. Bush ist „selbst Mitglied des texanischen Ölclans“, Vizepräsident Dick Cheney war zuvor „Vorstandschef von Halliburton, dem weltgrößten Materialzulieferer der Ölindustrie“, US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice „saß zehn Jahre lang im Aufsichtsrat des Chevron-Konzerns, der 1995 sogar seinen größten Tanker auf ihren Namen taufte. Nach heftiger Kritik gegen die enge Verbindung von Bush’s Sicherheitsberaterin zu dem Ölmulti wurde die unter bahamaischer Flagge fahrende ‚Condoleezza Rice‘ mittlerweile in ‚Altair Voyager‘ umbenannt“ (alle Zitate: Die Woche, 19.10.2001). Wirtschaftsminister Donald Evans hat eine Karriere in der Erdöl-Branche hinter sich, ebenso Energieminister Spencer Abraham. Kathleen Cooper, Staatssekretärin für wirtschaftliche Angelegenheiten im Handelsministerium, war zuvor Chefökonomin bei Exxon (vgl. Jean-Charles Brisard und Guillame Dasquie, Die verbotene Wahrheit. Die Verstrickungen der USA mit Osama bin Laden, Zürich, 2002, S. 60).

Rund 80 Prozent aller Spenden des US-Wahlkampfes 2000, insgesamt 33,3 Millionen US-Dollar, stammten aus der Öl- und Energiebranche.

Der Politikwissenschaftler Chalmers Johnson, während des Kalten Krieges CIA-Berater und Strategieexperte, Autor des Buches „Ein Imperium verfällt“, schrieb im „Spiegel“, warum George W. Bush am 16.2.01 Irak bombardieren ließ: „Der neue Präsident ist in Wahrheit eine Bauchrednerpuppe. Ihre Stimme gehört ehemaligen hohen Amtsinhabern aus der Administration seines Vaters. Es hat sie ernannt, weil ihre Erfahrung angeblich seinen eigenen Mangel ausgleicht und weil sein Vater es so wollte. … All diese Leute (Anm.: Cheney, Powell, Rice; C.R.) schäumen vor Zorn, dass Saddam Hussein den Blitzkrieg überlebte, den sie 1991 gegen ihn inszenierten. Sie fürchten außerdem, dass ihr Hauptanspruch auf Geschichtsruhm, der Sieg im Krieg gegen den Irak, als erfolgreiches Mittel der Gewalt zur Erreichung politischer Ziele einmal der historischen und vergleichenden Analyse nicht standhalten wird. Zu den Hauptabsichten der neuen Administration gehört es, dafür zu sorgen, dass bei der Bewertung des Golfkrieges nicht die Revisionisten unter den Historikern die Oberhand behalten. Das Golfkriegssyndrom, der Einsatz von Uran-Munition, das Niedermetzeln irakischer Soldaten nach dem Waffenstillstand durch General Barry McCaffreys 24. Infanteriedivision und Saddam Husseins ungebrochene Macht in Bagdad lassen den Golfkrieg ohnehin schon anders aussehen als die lehrbuchreife Übung, für die General Powell ihn gerne hält. George W. Bush hat den Präsidentenposten gewissermaßen von seinem Vater geerbt. … Der Luftangriff auf Bagdad war George W.s erstes Geschenk als Präsident an Daddy, eines von vielen, die da wohl noch kommen werden“ (Der Spiegel, 9/2001, S. 141).

Die Auswahl der Chefs der US-Teilstreitkräfte durch Präsident Bush spricht Bände:

James Roche vom Rüstungsunternehmen Northrop Grumman wurde Luftwaffenminister, Chef des Heeres Thomas White von Enron Energy, dem größten Konkurs- und Wirtschaftsskandal-Unternehmen in der Geschichte der USA, in den die Regierung Bush tief verstrickt ist, Marineminister wurde der Vizepräsident des Rüstungsunternehmens General Dynamics (vgl. FR, 26.4.01).

„Die laufenden Militärkosten der amerikanischen Regierung im arabischen Raum liegen bei 100 Dollar pro von dort geliefertem Barrel (Anm.: 159 Liter, C.R.) Öl. Die Rohstoffsicherung kostet also das Mehrfache seines wirtschaftlichen Wertes“, rechnet Eurosolar in einer FR-Anzeige vom 9.3.2002 vor.

Die Regierung Bush versucht mit der größten Erhöhung des Militärhaushaltes in den letzten 20 Jahren – und zwar um 48 Mrd. auf 379 Mrd. US-Dollar – massiv der Rezession im Lande zu begegnen.

„Für 40 Mrd. US-Dollar könnten laut UNDP alle Menschen mit Wasser und Kläranlagen versorgt, eine Gesundheitsbetreuung für Schwangerschaften und Geburten organisiert, die Grundversorgung in Nahrung und Gesundheit gewährleistet und die Grundausbildung der Kinder gesichert werden“, heißt es in einem Aufruf der IPPNW, abgedruckt in der FR, 9.2.02.

Bereits am 12.10.01 berichtete die New York Times von Plänen des von Richard Perle geleiteten American Defense Policy Board (ADPB), ein das Pentagon in Sicherheitsfragen beratender „think-tank“, „den südlichen Irak und die Erdölfelder von Basra zu besetzen und mit den Petroerlösen Aufstände im Süden und im kurdischen Norden zu finanzieren“ (WoZ, 12.11.01). In der gleichen WoZ-Ausgabe wurde das Wall Street Journal zitiert: „Amerika und seine Alliierten werden sich dabei wiederfinden, zumindest zeitweilig verstockte terroristische Staaten nicht nur mit Truppen zu besetzen, sondern sie auch zu verwalten. Dazu gehören eventuell nicht nur Afghanistan, sondern auch der Irak, Sudan, Libyen, Iran und Syrien.

Am 10.10.01 fasste Martin Wolf in der Financial Times zusammen, was wohl derzeit offizielle US-Politik gegenüber Irak ist: Er wählte als Titel: „Es braucht einen neuen Imperialismus“.

Das Washingtoner Center for Strategic Studies (CSIS) warnt in einer Studie, „ein Luftkrieg (der USA gegen Irak) könnte nicht so präzise geführt werden, dass ‚hohe Kollateralschäden und viele Ziviltote vermieden‘ werden könnten“ (FR, 28.2.02). Um Protest und Widerstand an der Heimatfront vorzubeugen, hat die US-Regierung neue Ideen im Kampf um „Herzen und Hirne“ entwickelt.

Damit die öffentliche Meinung in den USA neue Feldzüge mitträgt, hat das US-Außenministerium die erfolgreichste Werbefrau (Uncle Ben’s Reis, Hoover-Staubsauger) der USA, Charlotte Beers, für „Public Diplomacy“ eingestellt.

Während ausgebildete, professionelle Journalisten teilweise mit US-Waffengewalt an der Ausübung ihres Berufes in Afghanistan gehindert werden, hat das Pentagon eine Hollywood-Produktionsfirma „mit nachgewiesener patriotischer Legitimation Zugang zu solchen Einheiten in Afghanistan, Somalia und auf den Philippinen“ gewährt, „um eine 13 Teile lange so genannte Reality Show mit dem Titel ‚Profile von der Front‘ zu drehen. ‚Wir werden natürlich eine promilitärische Haltung haben‘, erläuterte einer der Produzenten“ (FR, 28.2.02). Die TV-Anstalt ABC hat die Serie bereits ungesehen gekauft und für die beste Sendezeit vorgeplant. Ob sie noch vor einem Irak-Feldzug fertig wird, ist unklar.

6. Zur Politik der Europäer

Der neue irakische Außenminister Sabri sucht den Dialog mit der Europäischen Gemeinschaft. Großbritannien, Dänemark und die Niederlande allerdings verwehren sich dagegen.

Russlands Präsident Putin hat mehrfach die US-Führung vor einem militärischen Vorgehen gegen Irak gewarnt. Bei einem Ende des Embargos hofft Russland, einen Teil seiner Altschulden in Höhe von bis zu zehn Milliarden Dollar von der irakischen Regierung eintreiben zu können. Frankreich hat ähnliche Motive und hofft ebenfalls auf Rückzahlungen.

Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon sagte Anfang März 2002 den USA Unterstützung für einen Militärschlag zu, sollten „die Bedingungen stimmen“ (FR, 2.3.02). Hoon dachte bei den „Bedingungen“ an Fragen des internationalen Rechts sowie an die Rückkehr von Waffeninspektoren.

Tony Blair droht eine „Kabinettsrebellion“ (FR, 9.3.02), wenn er weiterhin dem US-Kriegskurs folgt. Seine größten Widersacher sind Ex-Außenminister Robin Cook, Entwicklungshilfeministerin Clare Short sowie mehr als 60 Labour-Abgeordnete, die einen öffentlichen Appell an Blair gerichtet haben, Angriffspläne nicht zu unterstützen.

Als erster kündigte der französische Außenminister Hubert Védrine der US-Regierung die Gefolgschaft bei der Ausdehnung des Krieges auf Irak auf: Sein Wort von der „Simplistischen“ Art der US-amerikanischen Terrorbekämpfung ermutigte Joschka Fischer ebenfalls zu Widerspruch: „Bündnispartnerschaft unter freien Demokraten reduziert sich nicht auf Gefolgschaft. Bündnispartner sind nicht Satelliten.“ (Zeit, 14.2.02)

Am 8.2.02 berichtete die „junge Welt“ über angebliche Pläne, die deutsche Botschaft in Bagdad wieder zu eröffnen. Erfahren haben wollte die Zeitung dies aus „führenden SPD-Kreisen“.

Die Proteste aus Europa wegen der Ankündigung eines Krieges gegen Irak lösten in den USA wiederum ein heftiges Echo aus.

Die Gründe für den Protest aus europäischer und insbesondere deutscher Sicht sind weniger humanitärer als ökonomischer Natur:

„In der Berliner Koalition wird längst über die weitreichenden finanziellen und wirtschaftlichen Folgen neuer US-Militärschläge nachgedacht. (Gernot, Anm. C.R.) Erler sieht den Westen mit dem Wiederaufbau Bosniens, Kosovos und Afghanistans an den Grenzen des Möglichen angelangt. Ein weiteres internationales ‚Versorgungsprotektorat‘ in Irak, wo nicht einmal eine regierungsfähige Opposition vorhanden sei, könne sich die westliche Welt ’nicht leisten‘. Und ein Mitglied verweist auf die ökonomischen Folgen für Europa: Ein US-Krieg in Irak mit den Folgewirkungen auf das Verhältnis zur arabischen Welt werde mit Gewissheit massiv den Ölpreis steigen lassen und zu einer tiefen Rezession führen, mehr noch in Europa als in den USA. Ein Krieg sei, auch wirtschaftlich betrachtet, geradezu ein ‚unfreundlicher Akt‘ gegen Europa. Alle hochgeschraubten Wachstumsprognosen von Rot-Grün, an denen die Wiederwahlchancen der Regierung Schröder und das politische Programm für die nächste Legislaturperiode hängen, wären dann Makulatur“ (FR, 16.2.02).

„Wir verteidigen unsere Art zu leben, und das ist unser gutes Recht“, hatte der Bundeskanzler noch zum Krieg gegen Afghanistan gesagt (FR, 17.10.01). Solange in der Charta der UN die Würde jedes Menschen auf dieser Erde festgeschrieben ist und die derzeitige Art des westlichen Lebens für einen Großteil der Menschheit mit Hunger, Verelendung und Krieg verbunden ist, ist dem Kanzler mit Vehemenz zu widersprechen, insbesondere auch bei allen Planspielen zur deutschen Mitwirkung an einem Irak-Einsatz.

Ende Februar 2002 kündigte Rudolf Scharping an, dass die 250 ABC-Kräfte der Bundeswehr „Mitte März“ zum größten Teil aus Kuwait heimkehren sollen, „das Gerät aber zunächst vor Ort bleiben“ werde. „Es sei sinnvoll, die Spürpanzer für den Fall eines ‚Terroranschlages‘ bis auf weiteres in Kuwait zu belassen, sagte Scharping nach einer Sitzung des Verteidigungsausschusses“ (Welt, 28.2.02). Die Grenzen dessen, was der Verteidigungsminister dem Parlament und der Öffentlichkeit zumuten zu können glaubt, scheinen nach oben hin offen zu sein.

„Befürchtungen, die Übung könne in Zusammenhang mit einem möglichen US-Angriff auf den Irak stehen, wies Scharping zurück. Der deutschen Regierung seien ‚keine derartigen Pläne‘ bekannt. FDP-Chef Wolfgang Gerhard äußerte gegenüber der WELT Zweifel an der Äußerung Scharpings: ‚Es ist schwer vorstellbar, dass deutsche Soldaten in Kuwait an einem Manöver teilnehmen und dies nicht mit dem wenige Kilometer entfernten Irak zu tun hat'“ (Welt, 28.2.02).

Weil der Kuwait- und auch der KSK-Einsatz in Afghanistan nicht vom Bundestagsmandat gedeckt seien, kündigte die PDS eine Verfassungsklage an.

Die FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper forderte den Abzug der Deutschen aus Kuwait. „Ein Bundeswehr-Experte sagte der WELT, bei der ABC-Übung handele es sich ‚um alles andere als eine Katastrophenschutzübung'“ (Welt, 27.2.02). „Die FDP geht in diesem Zusammenhang auf in Berlin kursierende Gerüchte ein und will wissen, ob ein Verkauf der Panzer an Kuwait geplant ist“, berichtete die Welt weiter.

Die am 11.3.02 vom deutschen Stützpunkt Nordholz aus ins kenianische Mombasa gestarteten vier Seefernaufklärer vom Typ „Breguet Atlantic“ „sollen nach Überzeugung des Militärfachmanns Frieder Bauer russische Atom-U-Boote am Horn von Afrika aufspüren. … Ein Grund für den Einsatz könnte sein, dass ‚ein Krieg gegen Irak‘ bevorstehe, sagte Bauer“ (FR, 14.3.02). Die vier Maschinen der Bundeswehr „seien einem atomar bewaffneten Flottenverband in Norfolk, US-Staat Virginia, unterstellt. Der kommandierende Admiral unterstehe nur mit einem Teil des Verbandes der Nato, erklärte Bauer weiter. Geschützt würden die ‚Breguets‘ von Awacs-Aufklärern, Satelliten und vom französischen Flugzeugträger ‚Clemenceau‘, der weiter südlich operiere. Zu sagen hätten die Deutschen ’nichts'“ (FR, 14.3.02). Die offizielle Erklärung für den Einsatz des Verteidigungsministeriums lautet, „Nachschub- und Fluchtwege terroristischer Organisationen aufzuspüren“.

Als am 16.2.2001 britische und amerikanische Kampfflugzeuge Einrichtungen in der Nähe von Bagdad bombardierten, titelte der Spiegel (9/01): „Breitseite ins Bündnis“. Auch wenn manche Nato-Politiker vermutlich noch nicht realisieren wollen, dass die Allianz faktisch bedeutungslos geworden ist: Spätestens bei der Durchführung des Irak-Feldzuges wird deutlich werden: Das Bündnis ist de facto am Ende.

Am 14.2.02 bezog „Die Zeit“ in bemerkenswerter Klarheit Stellung: „Amerika im Blindflug. Ein Militärschlag gegen den Irak wäre der falsche Krieg aus falschem Grund zur falschen Zeit“.

In Analogie zum „Zeit“-Titel könnte der Besuch des Rechtspopulisten Jörg Haider bei Saddam Hussein im Februar 02 als Treffen des falschen Politikers mit dem falschen Mann zum falschen Zeitpunkt bezeichnet werden.

FAZ-Redakteur Klaus-Dieter Frankenberger vermutet: „Am Ende wird es wieder so sein, dass die amerikanische Regierung entscheidet und ihre europäischen Verbündeten zähneknirschend hinterherziehen“ (FAZ, 4.3.02).

7. Zur Frage der UN-Beobachter und der Rolle der UNO

Im Kontrast zu den Horrorbildern mancher westlicher Medien bezüglich des irakischen ABC-Waffen-Arsenals standen offizielle Berichte der UN-Spezialkommission Unscom zur Abrüstung des Irak aus der Vergangenheit. Darin war nachzulesen, dass nach den mehrjährigen Sprengarbeiten „das irakische Potenzial an Massenvernichtungswaffen zerstört und die Möglichkeit der Verschleierung nur noch gering sei“ (Le Monde Diplomatique, Dez. 97). Weil dem US-Außenministerium diese Aussagen zu weit gingen, wurde der Wortlaut dieser offiziellen UN-Berichte auf Drängen der USA nachträglich verändert (ebd.).

Nachdem die mit der Unscom zusammenarbeitende Internationale Atomenergieorganisation in Wien bereits 1997 offiziell verkündet hatte, dass der Irak weder Atomwaffen besitzt noch über Möglichkeiten verfügt, sie zu bauen, hätte zumindest dieser Bereich seinerzeit mittels eines Berichtes abgeschlossen werden können. Weil wiederum die USA ihre Zustimmung zum Abschlussbericht verweigerten, setzten Inspektoren bis zu ihrem Einsatzende wegen des Viertagekrieges vom 16.-19.12.1998 ihre offenbar abgeschlossene Arbeit fort – auf Kosten des Irak, der diese Tätigkeit aus dem Erlös des Öl-für-Lebensmittel-Abkommens bezahlen musste.

Ende Januar 2002 „fand im Rahmen des Vertrages über die Nichtverbreitung von nuklearen Waffen eine Inspektion der Internationalen Atomenergieagentur im irakischen Tuweitha statt. Bereits sichergestelltes Nuklearmaterial wurde überprüft. Nichts Auffälliges“, so Hans Leyendecker in der SZ, 20.2.02.

Statt für die UNO zu arbeiten, nutzten Unscom-Mitarbeiter die Mission zur Spionage für die amerikanische Regierung und bereiteten durch ihre Vermessungen vor Ort dank der gewonnenen Koordinaten spätere Bombardierungen der angloamerikanischen Luftwaffen vor. „‚Landvermessen‘ im Irak ergibt auch Zielkoordinaten für Marschflugkörper“, titelte die FAZ damals (16.1.1998). Scott Ritter, US-amerikanischer Unscom-Mitarbeiter, gab offen zu, sein gewonnenes Wissen dem israelischen Geheimdienst weitergegeben zu haben (taz, 12.11.98).

Seit dem Abzug der Unscom dürfte die irakische Führung die Zeit für neue Aufrüstungen genutzt haben. Dennoch ist die militärische Stärke erheblich geringer als vor dem Golfkrieg 1991.

Von einstmals knapp 820 ballistischen Raketen ist höchstens noch ein halbes Dutzend vorhanden. „Das geht aus Angaben der Stiftung Wissenschaft und Politik hervor“, schreibt die FR, 28.2.02, und ergänzt: „Über die Vernichtung der letzten 500 von ursprünglich 100.000 Artilleriegeschossen, die mit Giftgasen gefüllt waren, hatte Unscom keine letzte Klarheit“.

Das Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) schätzt den veralteten irakischen Kampfpanzerbestand auf 2200, etwa 316 alte Kampfflugzeuge, für die Luftabwehr höchstens 750 Boden-Luft-Raketen sowie ca. 3000 Flakgeschütze.

Nach Hans Leyendecker sei der Verbleib von 20 Tonnen „komplexer so genannter Nährmedien, die zur Produktion von Biowaffen taugen“, ungeklärt, „200 Tonnen Ausgangsstoffe für die Produktion des Nervenkampfstoffes VX werden in irakischen Arsenalen vermutet. Bis zu vier Tonnen reines VX wurden nicht gefunden. Auffällig ist nach Geheimdienstberichten, dass der Irak in den vergangenen Jahren heimlich Ausgangsstoffe für Chemiewaffen gekauft hat. Vor allem indische Firmen lieferten Chemikalien. Doch die Spionagesatelliten der Amerikaner konnten keine neue Chemiewaffenfabrik ausfindig machen. Wo sind die Vorprodukte?“ (SZ, 20.2.02), fragt Leyendecker weiter.

Sein Beitrag zeigt exemplarisch die Hilflosigkeit von Journalisten, die sich mangels eigener Recherchemöglichkeiten schließlich auf „Geheimdienstberichte“ stützen – die nach meinen bisherigen Erfahrungen alles andere als seriöse Quellen darstellen.

Intensiv mit dem irakischen Militärpotenzial hat sich Volker Perthes von der regierungsnahen „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Berlin beschäftigt. Er analysiert: „Die Kommission (Anm.: Unscom, C.R.) zerstörte oder akzeptierte irakische Dokumente über die Zerstörung von nahezu 100.000 Stück chemischer Artilleriemunition, von über 400 Tonnen einsatzbereiter chemischer Kampfstoffe und von einigen Tausend Tonnen von Vorprodukten zur Herstellung solcher Kampfstoffe, die der Irak 1991, am Ende des Kuwaitkriegs, noch besaß. Die Kommission vermutete allerdings, dass der Irak noch ernst zu nehmende Restmengen an chemischen und biologischen Waffen versteckt hielt. Zumindest bestanden starke Zweifel an der ordnungsgemäßen Vernichtung u.a. von eineinhalb Tonnen VX-Gas, etwa 550 mit Senfgas gefüllten Artilleriegeschossen, bis zu 500 Fliegerbomben und mehreren Raketensprengköpfen mit chemischen oder biologischen Kampfstoffen. Die Kommission erhielt bis zum Abbruch ihrer Tätigkeit keine sie überzeugenden Antworten auf Fragen nach dem Verbleib von Nährlösungen zur Herstellung bakteriologischer Kampfstoffe. … Der Irak dürfte heute auch kaum in der Lage sein, vermutete Restbestände von Biokampfstoffen gezielt gegen Staaten in der Region in Anwendung zu bringen. Der Besitz von Kampfstoffen oder Bomben allein nützt wenig ohne eine einsatzfähige Luftwaffe und ohne die Apparaturen, die notwendig wären, um solche Kampfstoffe effektiv über Feindesland zu versprühen. Die regionale Umgebung des Irak, Israel eingeschlossen, sieht deshalb wenig Anlass zu unmittelbarer Beunruhigung. Es sei unwahrscheinlich, heißt es etwa in der jüngsten Auflage der von israelischen Wissenschaftlern erstellten Middle East Military Balance, dass der Irak unter gegebenen Bedingungen, oder selbst bei zurückgestuften UN-Sanktionen, die Großproduktion von Massenvernichtungswaffen wiederaufnehmen könne, die er vor dem letzten Golfkrieg betrieben habe“, so Perthes (www.swp-berlin.org/produkte/brennpunkte/nahost4druck.htm).

Dieser Artikel widerlegt die unmittelbar von Irak ausgehende Gefahr, die immer wieder von der US-Administration als offensichtlicher Vorwand für einen Irak-Feldzug angeführt wird.

Am 7.3.02 traf sich UN-Generalsekretär Kofi Annan in New York mit dem irakischen Außenminister Nadschi Sabri, um über die Frage der Wiederzulassung von UN-Waffeninspekteuren zu beraten. Kurz vor dem Treffen präsentierte der US-Botschafter bei den UN, John Negroponte, Videoaufnahmen, die irakische Lastwagen mit aufgebauten Raketenwerfern, allerdings ohne Raketen, zeigten. Im Sanktionskomitee der UN berichteten US-Diplomaten, rund 1000 aus Deutschland und Russland stammende LKW seien zu Geschosswerfern umgebaut worden. Der Zeitpunkt dieser Anschuldigungen unmittelbar vor dem Gespräch zwischen Annan und Sabri wurde von Diplomaten mehrerer Länder kritisiert (vgl. FR, 8.3.02).

Mitte April soll es zu einem Folgetreffen zwischen Annan und Sabri mit den vorbereiteten Kernthemen Rückkehr der UN-Inspekteure und Embargo kommen.

Anfang März ’02 kündigte Irak an, britische Inspektoren ins Land zu lassen. Ein irakischer Regierungssprecher sagte, sein Land wolle „gleich jetzt“ ein britisches Team empfangen, „das die Behauptung beweisen solle, Irak entwickele Massenvernichtungswaffen“ (FR, 2.3.02).

In ungewöhnlich scharfer Form warnte Kofi Annan vor der Haustür Tony Blairs den britischen Premier: „Ich wiederhole: Ich halte jeden Angriff auf Irak zu diesem Zeitpunkt für sehr unklug“ (FR, 28.2.02)

Im Dezember 1999 wurde mit der UN-Resolution 1284 beschlossen, Irak könne mit der Aufhebung der Sanktionen rechnen, wenn das Land wieder UN-Waffeninspektoren zulässt. Weil sich die Führung in Bagdad allerdings nur Kontrollen im Rahmen eines großen Nahost-Friedensplanes unterwerfen will, kam im UN-Sicherheitsrat die neue Idee „intelligenter Sanktionen“ auf. Irak konnte bisher Öl exportieren, musste dadurch mögliche Importe aber genehmigen lassen. Das Prinzip sollte durch intelligente Sanktionen umgekehrt werden: Irak sollte frei alle Güter einführen dürfen, lediglich eine UN-Liste mit bestimmten Produkten hätten der Genehmigung bedurft. Die Kontrolle über die Finanzströme behielt sich bei diesem Modell die UN vor. Das Modell scheiterte im UN-Sicherheitsrat an Russland und Frankreich, die beide die Beschränkungen ganz aufgehoben sehen wollen.

Die neue Produktauflistung könnte dennoch Ende Mai 2002 bei den Beratungen der UN die bisherigen Sanktionen deutlich verändern (vgl. FAZ, 19.2.02).

Dass US-Verteidigungsminister Rumsfeld wenig an einer diplomatischen Lösung interessiert zu sein scheint, lässt seine Forderung vermuten: „Die Iraker dürfen nicht kontrollieren, wann Inspektoren kommen, wohin sie gehen und was sie dort tun“ (FR, 27.2.02, „USA legen Messlatte für Saddam Hussein noch höher“).

Während die US-Regierung den Irak der Produktion biologischer Waffen bezichtigt, arbeitet die einzige Supermacht selbst an deren Entwicklung (s. z.B. den Kasten zu Milzbrandbriefen unter www.embargos.de/irak/krieg/ultimate_enemy_irak.html).

8. Ist die Entscheidung für einen Krieg bereits gefallen?

„Die endgültige Entscheidung für einen Krieg gegen den Irak ist Ende Januar bei einem zentralen Treffen von Bushs Kriegskabinett gefallen, das heißt unmittelbar vor der Rede des US-Präsidenten zur Lage der Nation“ (junge Welt, 20.2.02), behauptet Joachim Guillard, Autor und Mitherausgeber des ausgezeichneten Buches „Irak – Ein belagertes Land“.

„Konkrete militärische Maßnahmen der USA deuten daraufhin, dass die Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Irak schon im Gange sind. So wurde bereits Anfang Dezember das Hauptquartier der ‚Dritten Armee‘ aus den USA nach Kuwait verlegt und mit ihm auch das ‚Kommando Mitte‘ der US-Armee ARCENT (Army Forces Central Command). Dieses Kommando – seit Oktober auch für Bodenoperationen in Afghanistan zuständig – hatte 1991 die Bodenoperationen gegen den Irak geleitet. Das Hauptquartier der Luftwaffe (AFCENT) ist in Saudi Arabien, das der Navy (NAVCENT) ist nun in Bahrein, wo im Laufe des Februars auch das der Marine (MARCENT) erwartet wird.

Die Zahl der Kriegsschiffe und Flugzeugträger am persischen Golf war schon zuvor wesentlich erhöht worden, die Zahl der F-15 und F-16-Kampfflugzeuge wurde nahezu verdoppelt.

Gemäß Newsweek sahen erste Planungen vor, je 50.000 Soldaten nördlich und südlich des Iraks aufzustellen, um den Irak aus beiden Richtungen anzugreifen. Militärplaner zweifeln allerdings, ob diese Kräfte ausreichen würden, um Bagdad einzunehmen. Sie gehen davon aus, dass der Irak, indem er auch die Erkenntnisse des aktuellen Kriegs gegen Afghanistan auswertete, sich auf einen US-Angriff gut vorbereitet hat – u.a. durch Aufteilung seiner früher umfangreichen Divisionen in kleine bewegliche Einheiten, die von der überlegenen US-Luftwaffe schwerer zu bekämpfen seien.

Der aktuelle Oberkommandierende von USARCENT, General Paul Mikolashek, gab noch wenige Tage vor dem 11. September an, dass sie für einen Sturz des Regimes und die Besetzung des Landes Kräfte mindestens in der Größenordnung der Streitmacht im ‘Desert Storm‘ 1991 benötigen würden, wo ca. 169.000 US-Kampftruppen aufgeboten worden waren. Ranghohe Militärs seien allerdings sehr skeptisch, so Newsweek ob Bush bereit sei, einen so gewaltigen Feldzug in die Wege zu leiten und ebenso skeptisch auch Hoffnungen gegenüber einer möglichen Unterstützung durch eine inner-irakische Opposition, die einen Angriff auch mit geringerem Aufgebot möglich machen würde“, schrieb Joachim Guilliard für „Analyse und Kritik“, 22.2.02.

Im Gegensatz zu Colin Powell, der noch Anfang Februar ’02 Befürchtungen vor einem Alleingang der USA gegen Irak zu zerstreuen suchte, „steht nach Darstellung des US-Sicherheitsexperten Richard Perle praktisch fest, dass Präsident Georg W. Bush zum Krieg gegen den Irak entschlossen ist – im Zweifelsfall gegen den Willen der Europäer. Bush habe vor einer Woche in seiner Rede zur Lage der Nation „klar gemacht, dass wir vorhaben, die Machtverhältnisse in Bagdad zu ändern“, sagte Perle der „Financial Times Deutschland“ am Rande der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (dpa, 4.2.02).

Völlig anders schätzte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid Reza Assefi, die Lage ein. Assefi, der nicht an US-Militärschläge gegen Irak und auch nicht gegen Iran glaubt, meinte: „Ein Angriff auf den Irak ist unwahrscheinlich, und ich glaube nicht, dass die USA solch einen nicht rückgängig zu machenden Fehler begehen werden“ (dpa, 4.2.02).

Am Abend des 6.2.02 schwenkte Colin Powell, der einem Angriff auf Irak kritisch gegenüber stand, auf die Linie der Kriegsbefürworter (Bush, Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz, Rice) ein und sprach in einer Rede vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Kongresses davon, dass Washington den Regimewechsel in Irak „womöglich allein“ vollziehen muss. Damit war zumindest öffentlich eine Vorentscheidung gefallen.

Dies sah auch die irakische Führung so. Der irakische Vizepremier Tarik Asis „zeigt sich überzeugt, dass in Washington die Entscheidung, den Irak anzugreifen, längst gefallen sei und die Inspektoren nur Stützpunkte der Armee ‚ausspionieren‘ sollen“ (Welt, 19.2.02).

Die Zeitung USA Today berichtete, dass seit der zweiten Februarwoche 2002 der Plan von Präsident Bush zum Sturz Saddam Husseins bereits umgesetzt werde. Kurdische Kräfte im Nordirak und schiitische Moslems im Süden des Landes sollen bewaffnet und ausgebildet werden, gleichzeitig Mitglieder der irakischen Streitkräfte zum Überlaufen bewegt werden. Im März 2002 wollen sich „nach Angaben aus Kreisen der irakischen Opposition und der USA“ rund 200 frühere irakische Offiziere treffen, „um den Sturz von Saddam Hussein zu beraten“ (FR,1.3.02).

Tony Blair dagegen, der während des Commonwealth-Gipfeltreffens in Australien Saddam Hussein vorwarf, Massenvernichtungsmittel einsetzen zu wollen, behauptet: „Eine Entscheidung über das Vorgehen gegen den Irak ist noch nicht gefallen“ (FAZ, 4.3.02).

Während das Pentagon eher auf den Irakischen Nationalkongress (INC) setzt und einen großen Feldzug, möglicherweise unter dem Vorwand einer INC-initiierten „Revolution“ plant, hofft die Fraktion um Colin Powell, einen Wechsel durch einen erfolgreichen Militärputsch durchzuführen, der die irakische Integrität und militärische Stärke nicht gefährdet; Ziel wäre ein pro-US-Regime, so die These von Joachim Guilliard (in: junge Welt, 20.2.02).

Am 10.3.02 brach Vizepräsident Dick Cheney, ähnlich wie vor dem 2. Golfkrieg 1991 in seiner damaligen Eigenschaft als Verteidigungsminister unter Bush sen., zu einer Reise nach Saudi-Arabien, in die Türkei, nach Jordanien, Kuwait und anderen Staaten auf. Die Reiseroute zeigt, worum es geht: „Washingtons Pläne zum Sturz Saddam Husseins“ (FR, 9.3.02). Die Tatsache, dass der Falke Cheney und nicht der vergleichsweise „moderate“ Colin Powell diese Tour angetreten hat, lässt eher auf eine militärische denn auf eine diplomatische Entscheidung schließen.

„The Observer“ berichtete, „die USA hätten Blair um 25.000 britische Soldaten für einen Angriff auf Irak gebeten, mit dem Saddam Hussein gestürzt werden solle“ (zit. n. FR, 11.3.02). Ein Regierungssprecher bestritt den Bericht.

US-Präsident Bush und Tony Blair „wollen nach Informationen der britischen Zeitung ‚The Observer‘ im April letzte Details einer Militäraktion gegen den Irak besprechen“ (Welt, 26.2.02).

Im Mai ’02 wird der UN-Sicherheitsrat zur Frage der Fortsetzung oder Aufhebung der Sanktionen beraten. Vorher wird die US-Regierung mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht mit dem Krieg beginnen, zumal Washington Post und International Herald Tribune von einem langen Vorbereitungszeitraum ausgehen – der sich durch die unerwartete Verlängerung der Bindung militärischer Kräfte in Afghanistan vermutlich noch weiter verzögern wird.

„Die Meinung zu vertreten, dass die USA den Irak nicht angreifen, weil die internationalen Risiken zu groß sind, wird immer riskanter. Washington ist entschlossen, der Abwendung aller Gefahren von den Vereinigten Staaten fundamentale Priorität zuzumessen. Dies ergibt sich aus dem Rohentwurf einer neuen außenpolitischen Konzeption, die am Potomac (Anm.: Fluss, an dem das Pentagon liegt, C.R.) zirkuliert und wohl in absehbarer Zeit das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird. Die Bush-Doktrin bildet einen historischen Einschnitt. … Ein Angriff auf den Irak mit dem diesmal unbedingten Ziel der Beseitigung Saddam Husseins erscheint nach der Doktrin sehr plausibel, angesichts unberechenbarer Folgen jedoch immer noch als ‚last resort‘. Amerika ist Weltmacht, nicht Allmacht“, schreibt Herbert Kremp in der Welt, 27.2.02.

9. Chancen für eine zivilere Politik

Möglichkeiten des Engagements in Deutschland

So lange die erste Bombe noch nicht über dem Irak ausgeklinkt worden ist, können

An die Botschaft der USA, Herrn Botschafter Daniel R. Coats, Neustädter Kirchstr. 4-5, 10117 Berlin. Fax: 030-238 – 6290

Briefe geschickt werden, die noch sehr viel mehr Sinn machen als jedes Protestschreiben wenn der neue Krieg erst einmal begonnen hat.

Die e-mail-Adresse von Präsident G.W. Bush lautet: president@whitehouse.gov

Am 20. April ’02 werden in den USA Tausende auf die Straßen gehen, um gegen die Kriegspolitik der USA zu demonstrieren. Ähnliches könnte in Deutschland an diesem Tag geschehen.

Am 22./23. Mai ’02 kommt Präsident Bush zu einem Staatsbesuch nach Berlin.

Dies wird eine Gelegenheit sein dem US-Präsidenten mitzuteilen, was wir von seiner derzeitigen Politik halten.

An die Adresse der Bundesregierung ist die Forderung zu stellen, unverzüglich alle in Kuwait stationierten deutschen Soldaten samt Panzern und sonstigem Gerät zurückzubeordern, ebenso die deutschen Seefernaufklärer am Horn von Afrika.

Als in Nikaragua nach der sandinistischen Revolution eine direkte Militärintervention der US-Regierung drohte, unterzeichneten Zehntausende in den USA eine Selbstverpflichtung, bei einem Angriff am Tag „X“ Demonstrationen und Maßnahmen zivilen Ungehorsams durchzuführen. Durch diese Ankündigung trieben sie den innenpolitischen Preis im Falle einer Intervention sehr hoch. Angesichts dessen, was bei einem Krieg gegen den Irak auf dem Spiel steht, wäre diese Aktion ein Modell für Friedensbewegte weltweit.

Die vorhandenen politischen Spielräume für Aktionen und Demonstrationen gegen einen Irak-Feldzug werden vermutlich kleiner werden.

Professor Dieter S. Lutz, Leiter des Hamburger Forschungsinstitutes für Friedenspolitik, stellt die Frage „Ist die Demokratie am Ende?“ (FR-Dokumentation, 14.1.2002), ehemalige DDR-Bürgerrechtler/innen sehen derzeit „Wohlbekannte Übel der Diktatur“ (Erklärung in der FR am 13.12.01), der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch bescheinigt dem neuen Anti-Terrorgesetzentwurf „totalitären Geist“ („Abschied vom Grundgesetz“, SZ, 2.11.2001).

Auf internationaler Ebene droht der so genannte Anti-Terror-Krieg in einen offenen Nord-Süd-Krieg zu eskalieren.

Wer in der Demokratie schläft, läuft Gefahr, in einer Diktatur aufzuwachen.

Dass dieser Satz für die USA wie auch für die Bundesrepublik Deutschland so schnell aktuell werden würde, haben vermutlich nur wenige Menschen in beiden Ländern für möglich gehalten.

Internationale Ansatzpunkte für eine Verhinderung des Krieges gegen den Irak

Ein Ausstieg aus der gegenwärtigen Eskalation der Gewalt ist bei politischem Willen nach wie vor möglich. Es gibt allerdings einen „point of no return“, von dem unklar sein dürfte, ob er bereits überschritten ist oder noch vor uns liegt.

Dass die Reduktion der westlichen Politik auf nur zwei Faktoren, nämlich sicherer Ölfluss zu annehmbaren Preisen und Sicherheit Israels, gescheitert ist, dürfte inzwischen kaum noch zu leugnen sein.

Russland hat im Jahre 2001 einen UN-Resolutionsentwurf für eine friedenspolitische Alternative zu einem Krieg vorgelegt: Der Irak genehmigt die Rückkehr von UN-Waffeninspektoren. Im Gegenzug geben die USA ihre Zustimmung zur Aufhebung der Wirtschaftssanktionen innerhalb von 60 Tagen.

Während des arabischen Gipfeltreffens im März 2001 übernahm der jordanische König Abdullah eine Vermittlerrolle zwischen Kuwait und Irak.

Den Kuwait-Besuch hat Abdullah bereits absolviert, eine Reise nach Bagdad steht noch aus. Es wäre König Abdullah zu wünschen, dass er sich bald dazu entscheidet.

Auch der Generalsekretär der arabischen Liga, Dr. Amr Mussa, und UN-Generalsekretär Kofi Annan kommen für Vermittlungsmissionen in Betracht. Kofi Annan war es im Februar 1998 schon einmal gelungen, einen Militärschlag gegen Irak kurz vorher noch abzuwenden. Eine Mission 2002 wird weitaus schwieriger werden.

Ein Ende der Verfolgung der schiitischen Bevölkerung im Süden könnte zur innerirakischen Entspannung beitragen. Die Forderungen der beiden kurdischen Führer im Nord-Irak, Barzani und Talabani, lauten: Garantien für eine lokale kurdische Autonomie, Gerechtigkeit bei der Verteilung staatlicher Einkünfte, Ende der Arabisierung von Kirkuk und weiterer Gebiete in der Nähe der Kontrolllinie, Schaffung eines föderalen Staates.

Für die gesamte Region Naher Osten und Zentralasien könnte sich die europäische Politik nach Vorbild der KSZE/OSZE für einen regionalen Friedens- und Sicherheitspakt stark machen, der auf eine ABC-Waffen-Abrüstung und ABC-waffenfreie Zone drängt und für Kurdistan ebenso wie für Kaschmir diplomatische Lösungen vorantreibt.

Zur besseren Verständigung zwischen westlicher und arabischer Welt möchte ich die Etablierung einer europäisch-arabischen Universität in der arabischen Welt und einer arabisch-europäischen Hochschule in der westlichen Welt ins Gespräch bringen. Viele Vorurteile auf beiden Seiten könnten mit solch einer Hochschule abgebaut werden.

Die US-Außenpolitik hat es entscheidend mit in der Hand, ob der Palästina-Israel-Konflikt in einen größeren Krieg eskaliert oder die Verhandlungen auf der Grundlage des sog. Mitchell-Planes vom April 2001 noch einmal aufgenommen werden.

Selbst nach den verheerenden palästinensischen Selbstmordattentaten und den Liquidierungen und Bombardierungen der israelischen Armee ist eine Zweistaatenlösung denkbar.

Hierzu müsste sich die europäische Politik stärker engagieren, als sie dies bisher tut.

Westlicherseits wäre die Reduzierung der Abhängigkeit aus der Region durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien ein entscheidender Deeskalationsfaktor.

Bei einem mittelfristigen Abzug der US-Präsenz aus der Region, einer Einstellung der Waffenlieferungen und einer Schuldenstreichung für die verarmten Länder der arabischen Liga könnte auch dem Terrorismus im Zuge aller genannten Maßnahmen der Nährboden entzogen werden. Gerechtigkeit und Frieden bekämen eine Chance, die islamische Welt würde endlich einmal gleichberechtigt und mit Respekt behandelt werden.

Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes.

Literatur

Rüdiger Göbel, Joachim Guillard, Michael Schiffmann (Hg.), Der Irak. Ein belagertes Land, Köln 2001, 243 S., mit Beiträgen u.a. von: Jutta Burghard, Noam Chomsky, Ramsey Clark, Robert Fisk, Ullrich Gottstein, Denis Halliday, Norman Paech, Scott Ritter, Hans-Christof von Sponeck.

Clemens Ronnefeldt, Die neue Nato, Irak und Jugoslawien, mit einem Vorwort von Prof. Dieter S. Lutz, hg. vom deutschen Zweig des intern. Versöhnungsbundes, Minden, 2. Auflage 2002, 195 S., bestellbar nur über:

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