Im Februar erschien in der GWR 296 ein Artikel über den 35-jährigen Laye Kondé aus Sierra Leone. Er war am 7. Januar 2005 an den Folgen eines Brechmitteleinsatzes im Bremer Polizeipräsidium gestorben. Der folgende Artikel beleuchtet die Zusammenhänge von Brechmittelfolter und Rassismus (GWR-Red.).
1992 geriet die Bremer Polizei erstmals durch Berichte über Misshandlungen von afrikanischen Flüchtlingen bundesweit in die Schlagzeilen. Insbesondere Angehörigen des 3. Polizeireviers und Fahndern der „Sondergruppen zur Bekämpfung der Straßen- und Rauschgiftkriminalität“ wurden willkürliche Festnahmen, Misshandlungen durch Elektroschocks, Schläge und Tritte vorgeworfen. Betroffene berichteten über Injektionen, rassistische Beleidigungen und Demütigungen, tägliche Razzien, Diebstähle und Sachbeschädigungen.
Eine vom Bremer Anti-Rassismus-Büro (ARAB) in Zusammenarbeit mit betroffenen Afrikanern organisierte Kampagne gegen diesen rassistischen Polizeiterror führte zu heftigen Reaktionen. Brachten doch ein Bericht im Fernsehmagazin „Monitor“, eine Pressekonferenz mit mehreren RechtsanwältInnen, eine Broschüre und eine tausendköpfige Demonstration eine Tatsache an die Öffentlichkeit, die zunächst keine/r so recht wahrhaben wollte. Demnach waren Flüchtlinge nicht nur bedroht durch faschistische Mörder und deutsch-nationale Bürger, die der „Das Boot ist voll“-Propaganda der damaligen „Asyldebatte“ Brandanschläge und Pogrome folgen ließen, sondern sie waren auch mit alltäglicher rassistischer Gewalt seitens des Staates und seiner Organe konfrontiert.
Die Reaktionen der verantwortlichen Senatoren und politischen Parteien ließen nicht lange auf sich warten. Die Vorwürfe wurden pauschal zurückgewiesen, ohne Kenntnis der Details. Dem ARAB und den RechtsanwältInnen wurde eine Nähe zur „Drogenmafia“ unterstellt.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) mobilisierte gar zu einer Gegenkundgebung auf dem Bremer Marktplatz, um den „Linksextremisten, die den Rechtsstaat herausfordern“, das Handwerk zu legen.
Dabei diffamierte der damalige Bremer GdP-Chef Schulz jene Betroffenen, die sich an die Öffentlichkeit gewandt hatten, als Lügner und schlechte „Schauspieler„. Polizeibeamte jammerten öffentlichkeitswirksam über harte Arbeitsbedingungen, ausufernde Kriminalität und eine zunehmend gewalttätige Klientel, der man kaum mehr gewachsen sei.
In einem regelrechten Propagandafeldzug wurde die Polizei zum Opfer stilisiert. Die wahren Täter waren demnach nicht prügelnde Polizisten, sondern skrupellose „ausländische Kriminelle“. Die Diskussion um rassistische Polizeigewalt wurde umgedreht und in den Zusammenhang der seit Jahren tobenden Debatte um die sog. „Ausländerkriminalität“ gestellt. Die Betonung einer angeblich erhöhten Kriminalitätsneigung von Ausländern, ihre angeblich besonders hohe Gefährlichkeit und Brutalität ist dabei seit langem ein Lieblingsthema der law-and-order-Fraktionen. Hartes und brutales Vorgehen der Polizei wird nicht nur geduldet, es wird gefordert.
„Ausländerkriminalität“
Das Muster, solche Maßnahmen in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen und entsprechende politische Schritte einzuleiten, ist immer das Gleiche: Da werden an sich harmlose „Delikte“ hemmungslos aufgebauscht, legitime soziale Verteidigungsverhalten in „Kriminalität“ umgedichtet und berechtigte Reaktionen auf soziale und rassistische Ausgrenzungen zur „Ausländerkriminalität“ hochgeputscht. Dabei wird mit einer Mischung aus Halbwahrheiten, Lügen und Verdrehungen gearbeitet, wodurch eine „Flut“ von Kriminalität und Kriminellen erzeugt wird, die es in der Realität gar nicht gibt. Die vorzugsweise im Kreuzfeuer der Debatte stehenden Formen der „Kriminalität“ sind öffentlich sichtbare Delikte, wie etwa Ladendiebstähle, Verkauf geschmuggelter Zigaretten und auf der Straße betriebener Drogenhandel. So „terrorisieren ausländische Jugendbanden“ die Innenstadt, ist der Rauschgifthandel fest in „ausländischer Hand“, während „unsere Kinder durch diese Verbrecher den Tod finden“. So entsteht ein Bedrohungsszenario, dessen Bewältigung oberste Priorität erhalten soll: zum Wohle der „Bürger“, jenem Drittel der Gesellschaft, das sich um das Heute und um das Morgen wenig Sorgen zu machen braucht.
Anhand einfachster Kriterien wie Alter, Aussehen und Herkunft überzieht die Polizei ganze Gruppen von Menschen mit einem Dauerterror. Die Hautfarbe bestimmt den Verdacht und zieht ständige Personalienkontrollen, Festnahmen, Razzien in Flüchtlingsunterkünften und Diskotheken, die bevorzugt von Nichtdeutschen besucht werden, nach sich.
Der Schritt zu Beleidigungen, Schikanen auf der Wache und schließlich zum Prügeln und zu regelrechten Folterpraktiken ist dann meist nicht mehr weit.
Auch wenn dies von PolitikerInnen und Polizeiführern immer wieder geleugnet wird: Es ist eine Alltagserfahrung von vielen Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen oder „ausländisch“ aussehen, dass sie häufig von der Polizei schikaniert und drangsaliert werden. Das hat mit sog. Kriminalitätsbekämpfung nichts, mit Rassismus aber sehr viel zu tun.
Der „Kampf gegen die Drogen“
Besonders deutlich wird dies an der pauschalen Klassifizierung von Schwarzen als „Drogendealern“. Abgesichert durch den seit 1992 eingeschlagenen „harten Kurs“ der Bremer Innensenatoren van Nispen (FDP), Bortscheller, Böse und Röwekamp (alle CDU), ermutigt von der breiten politischen Rückendeckung seitens eigentlich aller in der Bremer Bürgerschaft vertretenen Parteien, hat die polizeiliche Praxis gegenüber Schwarzen immer weitreichendere Ausmaße angenommen.
Platzverweise und Gebietsverbote treffen Afrikaner allein deshalb, weil sie sich in den „falschen Gebieten“ der Stadt aufhalten. Eine Politik der NO-GO-AREAS hat Einzug gehalten, die Schwarzen den Aufenthalt in bestimmten Teilen der Stadt untersagt, weil sie dort Drogengeschäfte tätigen würden. Willkürliche Festnahmen, das Verschleppen zur Wache – wo sich die Betroffenen regelmäßig nackt ausziehen müssen – und die Vergabe von Brechmitteln gehören seit 1992 (!) zum Standard. Rund 600 Mal ist das Brechmittel Ipecacuanha allein zwischen 1992 und 1997 verabreicht worden – fast ausschließlich an Afrikaner. Offiziell sollen damit verschluckte Drogenpäckchen durch Auskotzen sichergestellt werden. In Wahrheit handelt es sich um ein Instrument, mit dessen Hilfe die Betroffenen in unglaublicher Weise gequält werden.
Wer das Zeug nicht „freiwillig“ schluckt, bekommt es per Nasensonde zwangseingeflößt – sofern Drohungen, Fesselungen und Schläge als Zwangsmaßnahmen nicht ausreichen. Das ist rassistische Realität.
„Brechmittelvergabe zum Zwecke der Beweissicherung“, das mag sich zunächst nicht besonders spektakulär anhören. Wer sich aber etwas genauer damit beschäftigt und wer die Schilderungen der Betroffenen gehört hat, begreift schließlich, was hier wirklich abläuft.
Betroffene berichten, dass sie zunächst von Polizeibeamten des Drogenhandels bezichtigt, daraufhin festgenommen und schließlich beschuldigt worden waren, bei der Festnahme Drogen verschluckt zu haben. Anschließend bekamen sie auf einer Polizeiwache Brechmittel zur „Beweissicherung“ verabreicht. Falls sie sich weigerten oder Widerstand leisteten, wurde ihnen von Polizeiärzten und Beamten Gewalt angedroht und z.T. auch angewandt. In einigen Fällen wurden mit unglaublicher Brutalität Nasensonden zwangseingeführt. In aller Regel begann damit für die Betroffenen eine Qual, die stundenlanges Erbrechen, verbunden mit erheblichen Schmerzen, Durchfall und Essstörungen umfasste. In einigen Fällen mussten die Betroffenen, nachdem sie, wie stets, von der Polizei einfach vor die Tür gesetzt worden waren, im Krankenhaus behandelt werden. Mit der Brechmittel-„Behandlung“ wurde ein Instrumentarium geschaffen, mit dessen Hilfe die Polizei im Fließbandverfahren Menschen schwarzer Hautfarbe in z.T. unglaublicher Weise schikanieren und terrorisieren kann.
Die Vergabe von Brechmitteln durch die Bremer Polizei ist nicht in erster Linie ein Instrument zur Beweissicherung oder gar „Lebensrettung“ (wie gerne zur Verteidigung dieser Bestialität angeführt wird), sondern ein Mittel, um die Betroffenen auf widerliche Art und Weise zu schikanieren.
Der Tod eines „Dealers“
Es ist eine Tatsache, dass bei allein 400 Anwendungen zwischen 1992 und August 1994 in 200 Fällen keine Drogenpäckchen gefunden wurden. Noch deutlicher kann kaum werden, wie „großzügig“ Bremer Polizeibeamte mit ihrem Handwerkszeug zur Sache kommen. Es ist eine Tatsache, dass die polizeiliche Brechmittelvergabe laut amnesty international (ai) eine „grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ darstellt und dass sie zu 90% gegen Schwarze zum Einsatz kommt. Es ist eine Tatsache, dass sie gesundheitsschädlich ist, dass in der Vergangenheit mehrmals Notärzte Gegenmittel gegen unstillbares Erbrechen spritzen mußten, dass Betroffene danach tagelang im Krankenhaus lagen.
Und es ist eine Tatsache, dass der Bremer Senat trotz jahrelanger öffentlicher Kritik, trotz des Todes von Achidi John in Hamburg im Jahre 2001 an dieser Prozedur festgehalten hat, bis Laye Condé im Dezember 2004 nach der Verabreichung von Ipecacuanha ins Koma fiel und im Januar 2005 verstarb. (1)
Wer die Macht hat, hat das Recht…
Das ARAB hat seit 1992 diesen rassistischen Terror der Polizei öffentlich gemacht.
Es sind rassistische Fahndungs- und Kriminalisierungsmethoden der Polizei, die trotz detaillierter Kritik, trotz einer Reihe von Strafanzeigen Betroffener, trotz der breiten öffentlichen Diskussion fortgesetzt wurden.
Anstatt diese Praktiken einzustellen, anstatt die daran teilhabenden Ärzte und Polizeibeamten zu suspendieren, wurde versucht, KritikerInnen und Betroffene durch Diffamierung und Kriminalisierung einzuschüchtern.
Ein junger Afrikaner, der 1996 Misshandlungen im Zuge einer Brechmittelvergabe öffentlich gemacht hatte, bekam im Juni 1997 erneut Brechmittel verabreicht: diesmal mit der Erläuterung durch den Arzt, dass er „im vergangenen Jahr viel Scheiße gebaut“ hätte.
Dem ARAB wurden vier Strafverfahren wegen „Volksverhetzung“ an den Hals gehängt, inklusive mehrerer Hausdurchsuchungen und der 14-monatigen Beschlagnahme der Dokumentation „Polizisten, die zum Brechen reizen“ – während die Polizei mit der entsprechenden politischen Rückendeckung weitermachen konnte, wie gehabt.
(1) Vgl.: Tod durch Brechmitteleinsatz. Wenn deutsche Polizisten foltern, in: Graswurzelrevolution Nr. 296, Februar 2005, S. 3
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