graswurzelrevolution

Meine allererste Graswurzelrevolution

- und die erste, zu der noch welche mitgenommen wurden - und die erste, die zum Abo verlockte

| Ilka Anger

Nr.1

Es war die erste „richtige“ Demo, an der ich teilnahm und ich war ziemlich nervös. Bei dem Versuch, den Überblick zu behalten und nicht in Schwierigkeiten zu geraten, hielt ich mich vorsichtig am Rand des Demo-Zuges auf – was sich dann als Vorteil erwies, als eine große Gruppe Polizisten in „Kampfmontur“ vorbeistürmten und ich in einem Hauseingang verschwinden konnte.

Gerade von zu Hause rausgeflogen befürchtete ich auch die Streichung des sowieso schon geringen Unterhalts, wenn mein Vater, damals 150prozentiger SOLDAT, mitbekommt, wo ich mich „rumtreibe“.

Während der Kundgebung auf dem Hofgarten, bei der ich mich dann in die Menge traute, sah ich einen Handverkäufer. Er hielt eine Zeitschrift in hellblau mit einem ÜBERSICHTLICHEN! Titelbild – eher ungewöhnlich in der Masse der oft wild zusammenkopierten Schriften, die an allen Ecken und Enden angeboten wurden. Und auch beim Blättern stellte ich fest, diese Zeitung ist LESBAR.

Es handelte sich um die graswurzelrevolution, Ausgabe 59 vom Oktober 81, Titel Startbahn West.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Leitartikel erst in den letzten Tagen gelesen habe, damals beeindruckten (und beeinflussten) mich besonders der Artikel von mk zur RAF (Anschläge auf wen?), der Artikel zur Gandhibewegung von U. Wildberger, die Totalverweigererseiten und der Aktionsbericht Kontakt(linsen)suche – Unsichtbares Theater.

Abivorbereitung, Jobben, Krach mit dem Freund, Umzug und tausend andere Sachen ließen diese Ausgabe leider untergehen.

Die Nr.n 2

Der Tapetentisch, auf dem ich die GWR wiedersah, stand auf der linken Straßenseite der B9, die rheinseitig am Hofgarten in Bonn vorbei führt, kurz vor dem Tor durch das Universitätsgebäude.

Das war während der zweiten „größten Friedensdemo“ in Bonn am 10.6.82. Ronald Reagan sprach vor dem Bundestag und fast eine halbe Millionen Menschen demonstrierten für Frieden.

Mittwochs fand das Seminar „Friedenspädagogik“ statt und was war da logischer, als mit einigen KommlitonInnen loszuziehen und mehrfach die abgeriegelte Bannmeile gewaltfrei zu „entern“ – und zunehmend unsanfter wieder heraus befördert zu werden.

Ich hatte meine Gruppe aus den Augen verloren und machte mich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt – und da waren sie, die Nr. 66, 6/82, Widerstand gegen die I.D.E.E. und einige ältere Ausgaben.

(Peinlich – ich erinnere mich daran, dass ich versucht habe Mengenrabatt herauszuschlagen wenn ich mehrere GWRs kaufe. Keine Ahnung mehr, ob das geklappt hat, aber ich habe einige der älteren Ausgaben auch mitgenommen.)

Damals in Bonn gab es kaum unpolitisierte Bereiche und oft war ich mit meinen Meinungen angeeckt. In der GWR fand ich dagegen gerade zu Fragen rund um Gewaltfreies Handeln Übereinstimmungen, Informationen und Erklärungen – und nicht zuletzt das Gefühl, nicht völlig allein mit meiner Einstellung zu sein.

(Und damals habe ich auch gelernt: Kommilitone kommt aus dem Latein und bedeutet Mitsoldat/Waffenbruder!)

Nr. 3 und Abo

Doch wieder brauchte es über ein Jahr und eine weitere Demo am 22.10.83 bis die GWR endgültig in meinem Leben ankam.

Helmut Kohl war seit einem Jahr Kanzler, Amerika eine Woche vorher in Grenada einmarschiert.

Bei dieser erneut größten Friedensdemo aller Zeiten mit ca. 1 Millionen DemonstrantInnen, also doppelt so vielen wie 1982, waren auch viele (eher) unpolitische Leute dabei, die auf die Straße gingen „aus Angst vor den Bomben“, die aber grundsätzlich Staat, Militär und sogar die Abschreckungspolitik nicht in Frage stellen.

Die Menge war so groß, dass der Hofgarten nicht alle fassen konnte und die Reden in die Bonner Innenstadt übertragen wurden.

Die häufigen Durchsagen, es sei die „größte je da gewesene Friedensdemonstration“ putschten die Gefühle auf und ließen die Leute über sich selbst und ihre Anwesenheit bei einem „geschichtlichen“ Großereignis in Begeisterung geraten.

Den endgültigen „Absturz“ hatte ich dann, als einige Leute „unbedingt zur Bühne müssen, weil gleich BAP spielt“ und sich über die DemonstrantInnen ärgerten, die ihnen den Weg versperrten.

Leider erinnere ich mich nicht mehr, bei wem ich die Nummer 78 vom Oktober 83 auf dieser Demo gekauft habe. Aber warum ich sie kaufte weiß ich noch. Der Titel „Kein Frieden mit dem Staat!“ entsprach ziemlich genau der miesen Laune, die ich nach der Begegnung mit den BAP-Fans hatte und ließ mich zugreifen. Und hier fand ich nun die Themen meiner allerersten GWR wieder!

Gerade diese Ausgabe ist mir dann über all die Jahre erhalten geblieben, genau wie die darauf folgende „Heißer Herbst“, in der der ABO-Zettel fehlt.