17.500 Plakate, 70.000 Spuckzettel, 7.050 Luftballons, die zentrale Kampagnen-Mappe und 900 Infostände der Ortsgruppen demonstrierten die geballte Schlagkraft unserer Organisationen eindrucksvoll und machten die "großartige und überwältigende Manifestation" der 2.500 Menschen in Bonn erst möglich, rief uns der Eröffnungsredner vom Podium zu.
Abgesandte unserer Bündnisorganisationen sprachen Grußworte. Wir alle saßen in Reih und Glied in der viel zu engen Halle, und unsere Formation erinnerte mich vage an einen chinesischen Volksdeputiertenkongress, der ein genau vorher abgestimmtes Programm abspulte – obwohl es doch hier um die Verteidigung des Grundrechtes auf Kriegsdienstverweigerung ging. Bereits vor ein paar Monaten hatte ich als neugieriger Juso auf der Suche nach Klarheit und Wahrheit bei einer anderen Versammlung unter einem streng auf mich herabschauenden Mao-Plakat Platz genommen. Als alle Anwesenden plötzlich aufstanden, die geballte Faust hoben und die Internationale sangen, stand ich dabei wie ein begossener Pudel. Doch jetzt redete in Bonn Martin Niemöller, anschließend folgte ziemlich lange die Wiederholung der Argumente in der Endlosschleife.
Nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung fand ich auf dem Markt der Möglichkeiten ein merkwürdiges Schriftstück. Aneinandergeklebte Schreibmaschinenzeilen, so wie ich es von meinen eigenen Flugblättern auch kannte. Allein der geheimnisvoll-kuriose Name entlockte mir sogleich ein erstes Lächeln. Waren das etwa Vegetarier oder eine andere Sekte?
Das Titelbild von Nr. 7 mit tanzenden Menschen auf dem Kudamm in Berlin flößte mir beim ersten Anblick ein gewisses Vertrauen ein. Darüber befand sich die Wandinschrift „Sieg im Volkskrieg“, die aber durchgestrichen und in „Volkstanz!“ abgeändert wurde. Da bekam offensichtlich eine spezielle ideologische Strömung ihr Fett ab, der ich es gönnte. Mit den Aufrufen „Weg mit dem Automief – her mit dem Nulltarif! Es lebe das Strassenfest!“ wurden die großmäuligen ML-Matadoren erfrischend konterkariert.
Im Innern des Blattes: Neben Ökologie und Gewaltfreiheit auch Artikel über Anti-Apartheid-Aktionen zu Südafrika und Namibia. Schon damals ein Zeichen von Kommendem, weil ich 30 Jahre später gegen den Bau eines neuen, in Deutschland entwickelten Hochtemperatur-Reaktors in Südafrika mitkämpfen sollte? Weiter hinten im Blatt schlägt sich der Redakteur Michael Schroeren mit einem engstirnigen Postbürokraten wegen vorschriftswidrigen Zeitungsversendungsformen herum und unterzeichnet ironisch seinen Brief mit „Vorsicht Hochachtung, ohne Auftrag“. Dreißig Jahre später scheint sein revolutionärer Elan als Pressesprecher von Umweltminister Trittin doch etwas nachgelassen zu haben, nachdem ich ihn persönlich wegen dem deutschen Export von Atomkraft-Know How nach Südafrika angeschrieben und ihn mehrmals um Antwort gebeten hatte. Letztendlich dauerte es über zehn Monate, bis unsere Bürgerinitiative mit ein paar dürren, nichtssagenden Zeilen von Trittin abgespeist wurde …
Der 23. Mai 1974 war übrigens der 25. Jahrestag der Verkündigung des Grundgesetzes. Ich feiere an diesem Tag allerdings etwas Anderes.