35 jahre graswurzelrevolution

„Ein weltweiter Aufbruch“

Seit 35 Jahren bei der Graswurzelrevolution. Ein Interview mit dem GWR-Mitherausgeber Johan Bauer

| Interview: Bernd Drücke

Vor 35 Jahren, im Sommer 1972, erschien die Nullnummer der Graswurzelrevolution (GWR). Damals hätte kaum jemand gedacht, dass diese Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft auch im 21. Jahrhundert noch quietschfidel ist. "Sie gilt als die langlebigste und einflussreichste anarchistische Zeitschrift der deutschen Nachkriegszeit", so die Online-Enzyklopedie Wikipedia, und als "das Hauptorgan basisdemokratischer Akteure", so der Sozialwissenschaftler Ralf Vandamme. Wir wollten mehr wissen und haben deshalb am 25. Mai 2007 im Studio des Medienforum Münster ein Telefon-Interview mit Johan Bauer (* 1952), zugeschaltet aus Niedersachsen, geführt.

GWR: Du bist seit 35 Jahren Mitherausgeber und Autor der Graswurzelrevolution. Kannst du die Geschichte dieser Bewegungszeitung erzählen?

Johan Bauer: „Die Geschichte“, das würde natürlich ein die Seiten der GWR sprengendes Programm werden. Aber ich versuche mal ein paar Stichworte zu nennen, was am Anfang stand.

Da war der allgemeine kulturelle Hintergrund wichtig, dass es einen Aufbruch in der Jugend gab, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern weltweit seit Ende der 60iger Jahre, wo also Schüler- und Studentenbewegung, aber auch Lehrlinge und Jungarbeiter versucht haben die autoritären Verhältnisse, die Enge, die rigide Disziplin unter denen sie groß geworden waren, – in der Schule wurde ja in der Generation zum Teil sogar noch geschlagen -, das hinter sich zu lassen und neue Formen des Zusammenlebens zu finden. Da spielt Musik eine große Rolle, Kleidung, lange Haare, viele dieser gegenkulturellen Strömungen.

Die Gegenkultur ist aber nur die eine Seite. Es war eine existenziell politisierte Gruppe, die sich da zusammengefunden hat.

Jeder männliche Jugendliche musste sich mit der Frage der Kriegsdienstverweigerung beschäftigen.

Kriegsdienstverweigerung war zunächst in den 60er Jahren noch eher eine marginale Bewegung. Man musste durch Prüfungsausschuss und Prüfungskammer, die feststellen sollten, ob eine „wirkliche“ Gewissensentscheidung vorlag.

Es wurden auch Leute zur Bundeswehr eingezogen, schikaniert und inhaftiert, die nicht anerkannt waren von diesen Institutionen. Da hat die Ablehnung der Armee eine weitreichende Bedeutung für die eigene Identität. Anfang der 70er Jahre wurde durch die Protestbewegungen Kriegsdienstverweigerung ein Massenverhalten, auch weil es im Zusammenhang mit Notstandsgesetzgebung und den revolutionären Bewegungen Diskussionen über den Einsatz der Armee im Innern, gegen streikende Arbeiter usw. gab.

Bei mir war es auch so, dass ich von Gewaltlosigkeit so überzeugt war, dass ich mich eher hätte erschießen lassen als zur Armee zu gehen. Als der Prüfungsausschuss mich anerkannt hatte, ich hatte sehr heftig dort diskutiert, legte das Kreiswehrersatzamt Widerspruch ein: Die Gründe seien doch politisch, es läge keine „echte“ Gewissensentscheidung vor. Die Prüfungskammer hat mich auch anerkannt, obwohl ein Beisitzer meinte, meine Äußerungen über das Kreiswehrersatzamt würden eine Beleidigungsklage rechtfertigen. Ich war ziemlich vehement damals, es ging ja auch um tiefe Überzeugungen.

Das ist eine generationentypische Erfahrung, deshalb erwähne ich es. Im Rückblick muss man vielleicht auch sagen: Die Enge war so drückend, dass der Gedanke „sich erschießen lassen“ für die Verweigerung auch dadurch nahe gelegt wurde. Oder wir kannten die Geschichte der Verfolgungen zumindest ansatzweise. Dieser Bezug auf abweichende Werte und der Wille, dafür einzustehen ist mit Kriegsdienstverweigerung verbunden gewesen.

Und dieser antimilitaristische Impuls spielte vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs eine entscheidende Rolle.

Es war zunächst auch die Konfrontation zwischen NATO und Wahrschauer Pakt, die bei vielen Menschen eine antimilitaristische Grundstimmung hat entstehen lassen. Ich habe ja als Kind die Angst während der Kubakrise 1963 erlebt und dass Essensvorräte und Seife für den „Ernstfall“ gebunkert wurden.

Das internationale System war schon öfters am Rand des dritten Weltkrieges.

Es kam dann entscheidend hinzu die Erfahrung mit dem Vietnamkrieg, zu welchen Formen von barbarischer Kriegführung auch Demokratien fähig sind.

Das war ein Schock, denn plötzlich wurden Grausamkeiten (wie Gleichgültigkeiten!) sichtbar, die durch unsere schulische Erziehung und das, was wir gelesen hatten, letztlich mit „Faschismus“ assoziiert waren.

Daraus entstand diese weltweite Anti-Kriegs-Bewegung.

Dann hallte noch nach z.B. die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Als Martin Luther King 1968 ermordet wurde, war das ein Schock, der sehr viele getroffen hat. Es begannen intensive Diskussionen über Gewalt und Gewaltlosigkeit, King oder Che.

Vor diesen Hintergründen entstand eine Grundstimmung bei nicht wenigen Jugendlichen, die drückte sich, auch in solchen Gruppen wie z.B. den Hippies in den USA aus, die Woodstocknation, Kabouter in den Niederlanden und auch jugendliche Bewegungen in der Bundesrepublik, die viele Gemeinsamkeiten hatten: den Unterschied zur älteren Generation und den Aufbruch zu einem alternativen Leben hin.

Die festgelegten Lebenspläne: Beruf, mit 20 schon an die Rente zu denken, Ehe und Familie, Auto, Eigenheim, was eben die Werte der Nachkriegsgeneration gewesen waren, Konsum als Lebensinhalt, das wurde verworfen.

Der Aufbruch war weltweit, wie verschieden im Einzelnen auch. Wenn du z.B. an Prag 68 denkst, wo der Widerstand gegen die russischen Panzer auch uns überzeugt hat, dass gewaltloser Widerstand prinzipiell gegen bewaffnete Truppen siegen könnte, wenn er bewusst, lang anhaltend und international vernetzt gewagt würde.

Elemente dieses Aufbruchs finden sich auch in indischen, japanischen Bewegungen, usw.

Die chinesische Kulturrevolution wurde häufig so begriffen, antibürokratischer Protest, gerichtet gegen das Versanden des revolutionären Impulses.

Vieles wusste man nicht. Eigene Hoffnungen wurden in Bewegungen der Dritten Welt projiziert. Dennoch gab es einen weltweiten Austausch,

Resonanzen. Das war in Europa sowieso klar, durch den Mai 68 und die antiautoritären Bewegungen dieser Zeit.

Solchen Bewegungen schließt sich niemand sofort an, es gibt Attraktionen und Ablehnung, Enttäuschung, wie seltsam aber manchmal etwas aufgenommen wird, will ich mit einem kleinen Beispiel zeigen: Als ich 1967 in der Realschule war, wir mussten uns noch nach jeder Pause nach Klassen geordnet in Zweierreihen aufstellen, um dann geordnet, ohne zu laufen, rechts gehend, schweigsam … die Treppe hochzusteigen, war ein ziemlich heißer Tag und es gab einige verhaltene Stimmen: „hitzefrei!“. Und plötzlich begann jemand zu rufen „Ho, Ho, Ho Chi Minh“, der ganze Schulhof bis zu den GrundschülerInnen stimmte ein.

Natürlich hatte kaum jemand eine Vorstellung, wer Ho war, aber durch die beginnenden Proteste der Studentenbewegung und die Medien war das ein Symbol geworden.

Ich war ja übrigens – obwohl ich mit diesem Rufen anfing – nie Anhänger von Ho, sondern eher von Thich Nhat Hanh, der vereinigten buddhistischen Kirche Vietnams. Aber zurück zur Graswurzelbewegung, die es damals noch nicht gab.

Das klingt auch nach wichtigen emotionalen Erfahrungen?

Aber ich hatte dagegen einen enormen Widerwillen, mir erschien es „manipulativ“ wenn Leute durch Musik, Bilder, Gemeinschaftserlebnisse „überzeugt“ wurden, dazugehören wollten, und das nicht durch den Kopf zuerst ging. Ich hatte oft erbitterte Diskussionen über so etwas, war damals sehr „rational“, puritanisch.

Das hat mit vielen Jugenderfahrungen zu tun, wenn man etwa sieht, mit welchen billigen Tricks Lehrer die Klasse hinter sich bringen oder zum Lachen bringen, in der Regel auf Kosten von Außenseitern, und alle, die mitlachen sind entlastet und gehören dazu. Das ist schon die halbe Politik, und es hat mich angewidert. So etwas wollte ich in emanzipatorischen Zusammenhängen nie erleben.

Das hat mich auch gegen die schnellen Lernprozesse dieser Zeit immunisiert. Gegen Massenveranstaltungen hatte ich lange eine Aversion, wegen dieser Überwältigung der Vernunft dort.

Die Faschismus-Erfahrung spielt dabei eine zentrale Rolle, die organisierte „Volksgemeinschaft“: Aus unserer Elterngeneration haben sich ja viele nur noch an die positiv bewerteten Gemeinschaftserlebnisse erinnert.

Nach 1968 kam eine entscheidende Wende, die für uns als Graswurzelbewegung auch sehr wichtig wurde. Diejenigen, die begonnen hatten sich als „Neue Linke“ zu formieren, machten häufig so eine Art neoleninistische, oder sogar stalinistische Wende durch. Es kam die Phase der Parteigründungen, eine Re-Dogmatisierung dieser Politik, der Versuch – das kann man sich teilweise auch erklären aus den Niederlagen dieser antiautoritären Bewegung – dass sie es z.B. nicht geschafft hat eine dauerhafte Verbindung, über punktuelle Einzelereignisse hinaus, mit den Arbeitern herzustellen, sondern die Arbeiter blieben unter der Kontrolle der sozialdemokratischen Parteien und der reformistischen Gewerkschaften.

Die DKP wurde zugelassen, und viele der jungen Antiautoritären suchten plötzlich hier Anschluss an die antifaschistischen Arbeiter und eine weltweite kommunistische Bewegung. Es entstanden die maoistischen Zirkel, die sich nicht an den Moskauer „Revisionisten“ orientierten, sondern an der Kulturrevolution – mit oft bitteren Entwicklungen, die sich aus der Anlehnung an China, Albanien, Nordkorea ergaben.

Mit diesen Parteigründungen und deren Spaltungen und Feindschaften waren die Gruppen, die einen antiautoritären, offenen Sozialismus vertreten haben, gar wie wir Gewalt ablehnend, von nun an bis Ende der 70er Jahre ununterbrochen konfrontiert, sie dominierten in vielen Städten die Linke.

Die Rezeption der historischen anarchistischen Bewegungen erfolgte nicht selten aus dem Interesse, eine andere Geschichte der Arbeiterbewegungen gegen die Parteigeschichtsschreibung ins Feld zu führen, Kronstadt gegen die leninistische Parteidiktatur, Syndikalismus und Unionismus gegen Avantgardeparteien …

Gab es Vereinigungen, denen wir uns anschließen konnten?

Die Pazifisten, mit denen wir zu tun hatten, waren oft sehr verbittert, misstrauisch gegen uns jüngere. Die hatten sehr viele Niederlagen, Ausgrenzungen in der Zeit der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik erlebt. Zuletzt, als wir sie kennen lernten, da wurden die Verbände von SDS-Gruppen „unterwandert“ und es gab scharfe und erbitterte Konfrontationen, die oft auch vor Gericht ausgetragen wurden. Das war eine Kultur von Verbänden und von Vereinen, Vorständen, Rangeleien um Posten usw., die uns abgestoßen hat. Auch dagegen gab es dann den Versuch, eine neue Bewegung aufzubauen.

Es kam aber nicht von vorneherein alles zusammen.

Man darf auch nie den Fehler machen, solche Bewegungen, die sich formieren, wie die Graswurzelbewegung Anfang der 70iger, von vornherein oder auch später für einheitlich zu halten. Dafür sind es einfach viel zu viele unterschiedliche lokale Gruppen. Das hängt mit dem föderalistischen Aufbau zusammen. Und mit den verschieden örtlichen Gegebenheiten, mit welchen anderen Gruppen kann man dort zusammen arbeiten, gegen welche grenzt man sich ab: Das prägt.

Die Graswurzelbewegung ist eine sehr individualistische Bewegung gewesen, in der die Bezugspunkte verschieden waren und wo einzelne Leute in verschiedenen Richtungen gesucht haben.

Die Bewegung war für die Einzelnen auch immer pluralistisch genug, so dass sie sich mal mehr auf diese historische oder aktuelle Bewegung und mal mehr auf jene beziehen konnten.

Aber wann hören die Gemeinsamkeiten auf, und wie schnell bekommt man den Eindruck: Nein, wir arbeiten nicht am gleichen Projekt?

Das sind Probleme von solch offenen und pluralistischen Gruppen. Wenn die Spannungen zu groß werden, versucht man die Gemeinsamkeiten festzulegen. Oder es entstehen Konflikte um solche Fragen, es entsteht bei vielen u.U. das Gefühl der Entfremdung, nicht dazuzugehören, weil die kulturellen Äußerungen (Lieder, Habitus), aber vor allem die politischen Stellungnahmen und Aktionen nicht ganz in Ordnung sind. Eine harte Schule, um Frustrationstoleranz und Ambiguitätstoleranz zu lernen, um zwei der Lieblingsbegriffe der Sozialisationstheorien der 70er Jahre zu nennen.

Wenn man das Umfeld sieht, ist vielleicht noch wichtig: Anfang der 70iger Jahre waren wir sehr jung und unerfahren. Wir wurden von den K-Gruppen, kommunistischen Parteigründungsinitiativen, im Grunde als eine Art rückständiges Element gesehen, eine Gruppierung, die in den 60iger Jahren stehen geblieben war, die also Positionen vertreten hat, die antiautoritär waren, während dort die Parole der „Liquidierung der antiautoritären Phase“ herrschte. Und „Liquidierung“ lässt schon den gewaltsamen Charakter dieser Versuche erkennen.

Wir waren also identifiziert mit der Phase Ostermarsch, Bürgerrechtsbewegung, Musik von Bob Dylan, Joan Baez, Hippies und „kleinbürgerlichen“ Bewegungen, während man in diesen K-Gruppen versucht hat, gerade eine „ernsthafte“, harte Politik durchzusetzen, nichts subkulturelles, ran an die Arbeiter, die Haare wieder kurz, rein in die Armee, wer stark genug ist usw., natürlich in Wirklichkeit auch mit enormen Widersprüchen und Widerständen.

In diesen Konstellationen hat 1972 die Graswurzelrevolution begonnen, mit der Programmatik eines gewaltfreien, antiautoritären Sozialismus, basisdemokratisch organisiert, unabhängige Gruppen, im Gegensatz zu parlamentarischer Politik und herkömmlichen Vereinsformen, aber auch im Gegensatz zu diesen neoleninistischen Organisationen.

Das ist eine Programmatik, der sind wir in all den Jahren treu geblieben. Das ist immer noch der Kern unseres Selbstverständnisses.

Und das unterscheidet die Graswurzelrevolution auch von anderen Medien.

Ich würde noch ein paar andere Sachen sagen: die Verbindung von emanzipatorischer Utopie mit Alltagspraxis, mit sozialer Bewegung, die Ansprüche an soziale Bewegungen, davon etwas einzulösen. Natürlich wissen wir auch, das geht nicht linear, das ist nicht einfach. Es gibt im Leben jedes einzelnen viele Widersprüche.

Aber der Anspruch, also auch eine moralische Bewegung in gewisser Weise, die Ziele und Mittel nicht trennt, das ist mit diesem Gedanken der Gewaltlosigkeit unmittelbar verbunden, dass man nicht eine ferne Zukunftsprogrammatik hat für die Sonntagsreden und eine ziemlich schäbige Praxis für das, was jeden Tag so passiert, wie es z.B. die Parteien haben.

Das spielt nach wie vor eine große Rolle. Dadurch gab es auch ein Interesse z.B. an ethischem Sozialismus, der Geschichte des nicht-marxistischen Sozialismus.

Sozialismus und Marxismus werden häufig ja miteinander identifiziert und viele Leute wissen gar nicht mehr, dass es ganz andere Zugänge gab. Auch außerhalb des Anarchismus, so etwas wie den Internationalen Sozialistischen Kampfbund, religiöse Sozialisten usw., aber natürlich ganz besonders den Anarchismus. Und dann auch das Interesse für individuelle Selbstveränderung, also Kommunen, Experimente mit dem eigenen Leben, moralische Ansprüche an sich – welche Arbeit ist es überhaupt wert getan zu werden? -, aber auch das Interesse an ökologischen Thematiken, das hat uns auch von Anfang an bewegt.

Als die Graswurzelrevolution gegründet wurde, hat sie mit Greenpeace zusammengearbeitet, in dieser Kampagne gegen die französischen Atomtests im Pazifik. Greenpeace war damals noch nicht die etablierte, professionelle Organisation, sondern das waren Hippies.

Das heißt, wir hatten von Anfang an einen Blick auf diese ökologische Problematik. Seit 1974, dem Sommerlager in der Nähe von Freiburg, haben wir wesentlich in der Bewegung gegen Atomenergie mitgearbeitet. Das war im Grunde über lange Jahre neben der antimilitaristischen Thematik eines unserer wesentlichen Aktionsfelder, wozu wir immer wieder in den sozialen Bewegungen tätig geworden sind. Aber auch, was mit der Frage der Gewaltablehnung zusammenhängt, eine große Offenheit für feministische Positionen, die damals in der Linken alles andere als selbstverständlich war.

Die Frauenbewegung und die Graswurzelbewegung haben sich ja beide immer wieder organisiert an der Frage der direkten physischen Gewalt – das ist im Grunde die große Gemeinsamkeit, die immer wieder, natürlich in den einzelnen Orten unterschiedlich, auch zur Zusammenarbeit von Graswurzelgruppen und feministischen Gruppen geführt hat.

Wie bist Du persönlich 1972 dazu gekommen? Kannst Du Deine eigene Politisierung beschreiben?

Katholizismus hat eine Rolle gespielt: Bei uns zu Hause wurde über Religion nicht gesprochen, „Mischehe“ zwischen evangelisch und katholisch, also besser nicht dran rühren.

In der Schule wirkten die biblischen Geschichten auf mich genauso wie Schreiben lernen, Lesen lernen, Mathematik, Gewissheit, zudem oft anregend, Konflikte wurden behandelt.

Dann macht man schon als Kind schnell die Erfahrung, welche Abgründe zwischen Lehre und Praxis bestehen, aber die Lehre bleibt ein Stachel gegen die Praxis. Als der Pater keinen Religionsunterricht mehr erteilen wollte, weil er das Geld nicht behalten durfte, sondern an den Orden abführen sollte, erschien mir das doch ziemlich egomanisch und unchristlich.

Ich bin bis heute der Ansicht: Er muss doch froh sein, die frohe Botschaft zu verbreiten, was fordert er da Geld.

Meine Mentalität war die der andalusischen „Apostel der Idee“; materielle Interessen verachten sie. Ich würde sagen, bei mir ist etwas katholisches, franziskanerisches erhalten geblieben: Ich will nicht hinter diese Ethik zurückfallen in einen geistlosen Utilitarismus, sondern den Katholizismus ethisch „überbieten“ mit einer anarchistischen Moral.

Als wir im katholischen Jugendheim eine „Kampagne christliche Weihnacht“ gegen den Konsumterror aufziehen wollten, war der Bruch bezeichnender Weise, dass wir Flugblätter an die Arbeiter des größten Industriebetriebs im Ort verteilten. Der Betriebsleiter beschwerte sich, und wir flogen aus dem Jugendheim. Der Pater brüllte: „Ich dulde keine rote Zelle im Pfarrhaus!“

Aus der Gründergeneration der GWR hatten viele Leute vergleichbare christliche Hintergründe, deshalb spielten auch die lateinamerikanischen Bischöfe, Helder Camara, Antonio Fragoso eine Rolle, historisch auch die religiösen Sozialisten, besonders Ragaz.

Ich habe die Erfahrung gemacht, nicht nur mit mir, sondern auch mit anderen, dass es immer wieder Menschen gibt, die tatsächlich aus sich selbst heraus, z.B. wenn sie relativ isoliert in der Provinz aufwachsen, sich auseinandersetzen müssen mit allen möglichen autoritären Institutionen, solche Ideen hervorbringen, unterstützt durch Leseerfahrungen, die auf den gewaltfreien Anarchismus hinauslaufen.

Und das, würde ich sagen, war bei den Gründern der Zeitung der Fall. Es ist aber auch immer noch der Fall.

Man macht immer noch wieder die Bekanntschaft von Leuten, die irgendwo für sich selbst z.B. angefangen haben, anarchistische, pazifistische, gewaltlose Literatur zu lesen, die z.B. sich auch mit existenzialistischer Philosophie beschäftigt haben, mit Camus usw., und die dann im Grunde einen bestimmten Zugang zur Wirklichkeit haben, und dann überrascht, begeistert sind, wenn sie sehen „ich hab gar nicht nur allein diese Philosophie entwickelt“, da gibt es eine ganze Menge Leute, oder eine Gruppe, oder eine Zeitung, oder sogar eine internationale Bewegung, die hat ganz ähnliche Positionen.

So war es jedenfalls bei mir. Es gab ja in der Zeit Ende der 60iger Jahre glücklicherweise dann auch in bürgerlichen Verlagen sehr viel anarchistische Literatur.

Die Auseinandersetzung mit Gewalterfahrungen hat eine große Bedeutung, ich habe ja vorhin schon erwähnt, man konnte durchaus in der Schule noch bedroht und geschlagen werden. Das ist mir auch passiert. Das erzeugt eine ziemliche Wut auf die Lehrer, und man muss sich dann entscheiden, wie man damit umgeht, wie man das sieht.

Man nimmt natürlich auch Teil an öffentlichen Auseinandersetzungen, damals Mai 68, Proteste gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze, die Erschießung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967, die Schüsse auf Rudi Dutschke 1968, das sind Erfahrungen, die eine Generation definieren, und wie das verarbeitet wird, entscheidet u.U. sehr weitgehend welcher Seite man sich zugehörig fühlt.

Solche Prozesse waren das.

Dann findet man, das war für mich immer begeisternd, die ersten Bücher von Bakunin, Tolstoi, „Die Rede gegen den Krieg“, Gandhi, Martin Luther King, Kropotkin oder das, was wir jetzt im Verlag Graswurzelrevolution wieder neu herausgebracht haben, Achim von Borries/Ingeborg Brandies: „Anarchismus. Theorie, Kritik, Utopie“, eine Sammlung von verschiedenen Zugängen zum Anarchismus. Man findet plötzlich: ja, der Patriotismus ist eine Bedrohung der Freiheit, wie Emma Goldman sagt.

Trotzdem ist man nicht sofort und immer glühender Antipatriot, vielleicht findet man zunächst, Deutschland habe – gerade wegen seiner Geschichte – eine Mission zu erfüllen.

Da würde ich zum Beispiel anführen, dass ich die erst entstehende sozialliberale Ostpolitik verteidigt habe, weil ich darin die Tendenz gesehen habe, internationale Spannungen zu reduzieren und eine Aussöhnung mit den Staaten des Warschauer Pakts zu beginnen. Als ich nach der 10. Realschulklasse aufs Gymnasium wechselte, haben wir einen sozialliberalen Schülerbund gegründet, der für Mitbestimmung in der Schule und ganz besonders gegen den Revanchismus der Rechten gerichtet war, aber zur SPD oder FDP hatten wir keine Kontakte. Wir wurden sogar als „vom Osten gesteuert“ diffamiert.

Wir kandidierten damals für ein Schülerparlament, das sich aber nach wenigen Wochen selbst auflöste um dagegen zu protestieren, dass es bloße Alibifunktionen hatte. Da habe ich schon sehr viel über Anarchismus gewusst, aber „realpolitisch“ war ich noch anderswo.

Aber als 1972 die Hamburger Altanarchisten um Otto Reimers in ihrem Organ „Zeitgeist“ aufforderten, SPD zu wählen, weil die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition verteidigt werden müsse, habe ich ihm geschrieben, das sei „Revisionismus“, die anarchistische Position sei doch klar Wahlboykott.

Dass wir uns als „sozialliberal“ definierten, hängt auch mit den Erfahrungen zusammen, dass die Gymnasiasten, die in einem „Aktionszentrum“ die antiautoritäre Position (noch!) vertraten und dabei von SDS-Leuten aus Frankfurt unterstützt wurden, aus meiner Sicht ein geschlossener elitärer Zirkel waren. Sie waren oft älter als ich, teilweise Internatsschüler aus bürgerlichen, reichen Elternhäusern. Vom ganzen Habitus her arrogant, von oben eben. Die Miete des Zentrums allerdings bezahlte der einzige Jungarbeiter in der Gruppe, der sehr jung bei einer Operation verstarb (also komplette Reproduktion der Klassengesellschaft im Kleinen). An der Wand des Zentrums stand „Und schossen dem Genossen scharf dreimal in den linken Arsch. Landauer“, das widerte mich an, Landauer war mir heilig, diese flapsige Art, sehr locker, ganz toll, war mir unangenehm, ich war weiß Gott nicht locker.

Als ich mich in dieses AZ getraut hatte, kritisierte ich die zentralistischen Forderungen des „Kommunistischen Manifests“ (das war gerade Schulungslektüre, sie entfernten sich also bereits vom antiautoritären Gestus), woraufhin der Gruppenguru die Augen verdrehte und sagte, „Du, ich weiß wirklich nicht, wo Du da den Zentralismus siehst“, und sein dankbares Publikum schüttelte die Köpfe und konnte ebenfalls von Zentralismus keine Spur entdecken. Wenig später waren sie in der KPD/ML.

Heute sind sie Ärzte, Studienräte, wenn nicht schlimmeres.

Später haben wir diese schon damals von irgendeiner Diktatur träumenden SDS-Ausläufer gegen die ML-Parteien als die „antiautoritäre“ Alternative unterstützt, aber in Wirklichkeit waren sie auch bloß Leute, die herrschen wollten. Vielleicht wären wir damals „antiautoritär“ aufgetreten und nicht „sozialliberal“ wenn es nicht „antiautoritär“ (und wie!) schon gegeben hätte. Vielleicht hatten wir auch 1968 noch viel mehr Hoffnungen auf Reformen.

Solche Prozesse sind bei mir abgelaufen. Ich hatte also im Grunde schon eine sehr entwickelte Position, die sich auch in Auseinandersetzungen mit den Kriegsdienstverweigererverbänden herausgebildet hatte, wie bei manchen, die Graswurzelrevolution-Gründer gewesen sind.

Ich habe 1971 angefangen zu studieren. Damals war ich noch vollständig überzeugt von aufklärerischen Gedanken, ich meinte also sogar, man könnte sozialdemokratische Professoren aufklären, und habe also gleich eine einzeilige, 55seitige Arbeit über Anarchismus und Gewaltlosigkeit geschrieben, mit ziemlich enttäuschendem Ergebnis bei der Besprechung dieser Arbeit.

Dann war ich 1972 in Sheffield, in England. Dort fand eine Konferenz der War Resisters‘ International (WRI), der Internationale der Kriegsgegner, statt, zum Thema „Gewaltlose Revolution“. Dort gab es Diskussionen über Strategien gewaltloser Revolution und ein Manifest für gewaltlose Revolution, wo alle möglichen Kriegsgegner, Alternativbewegungsanhänger, Sozialisten, Catholic Worker usw. zusammen kamen um das zu diskutieren. Auf dem Weg dahin, in der Nähe von London, in einem Zelt, wo sich Leute gesammelt haben um mit einem alten Armeebus, den Hippies besitzen durften, dann nach Sheffield zu dieser Konferenz zu fahren, da habe ich Leute getroffen, die in Augsburg die Nullnummer der Graswurzelrevolution gemacht hatten.

Wir haben die ganze Nacht diskutiert, konnten gar nicht mehr aufhören, und waren vollständig verblüfft, ohne je vorher voneinander gehört zu haben, wie weit unsere Gedanken und Überzeugungen übereinstimmten. Das war der Anfang. Von dieser Nullnummer habe ich dann gleich etliche mitgenommen und verkauft.

Dieser WRI-Zusammenhang war damals sehr wichtig.

In Deutschland waren ja viele Traditionen abgebrochen. Die Pazifisten waren nicht revolutionär, wer sich als Revolutionär verstand, war bestimmt nicht pazifistisch. Aber in diesen internationalen Zusammenhängen existierten Positionen die wie wir behaupteten, Gewaltlosigkeit müsse revolutionär wirken und eine Revolution könne überhaupt nur gewaltlos die Befreiung durchsetzen.

Ich habe auch Jahre lang „Liberation“, „Peace News“ und „WIN“ abonniert gehabt. „Liberation“ musste das Erscheinen einstellen. „Peace News“ und „WIN“ sind in eine etwas andere Richtung gegangen, dann hat mich das nicht mehr interessiert. Aber Anfang und Mitte der 70iger Jahre waren das sehr antiautoritäre und interessante antimilitaristische Zeitschriften. Das haben viele aus diesen Gründergenerationen der Zeitung gelesen.

Das war eine tolle Geschichte, dass man plötzlich merkte, ich bin gar nicht allein. Wir wollten damals auch weg von der Kriegsdienstverweigerung und in allen sozialen Bewegungen eine Strömung aufbauen, die einen umfassenden Anspruch auf Veränderung der Gesellschaft vertrat, nicht nur ein Teilgebiet wie Antimilitarismus bearbeitete. Wenn man dabei stehen bleibt, wird man schnell zu einer Gruppierung, die sich an andere Verbände, Parteien usw. bloß anlehnen kann.

Wie ich schon gesagt habe, entwickeln sich Überzeugungen oft aus Abgrenzungen oder aus den Diskussionen heraus, die ich auch mit Freunden hatte. Ich habe z.B. sehr viel mit einem Freund diskutiert, der dann später zum Sozialistischen Büro ging: Wir haben über drei, vier, fünf Jahre miteinander gestritten, und es hat sich immer mehr herausgestellt, wo unsere Unterschiede waren. So etwas ist wichtig, wenn man sehr jung ist. Einmal haben wir ein Flugblatt in Wildflecken an die frisch eingezogenen Soldaten verteilt, mit Ratschlägen, wie sie da wieder herauskommen könnten. Wir haben heute keinen Kontakt mehr, aber als „konkret“ für den Golfkrieg agitierte, habe ich in dem Sonderheft der „konkret“ mit den kritischen Stimmen dazu einen bösen Brief von ihm gegen diese Position gefunden, das fand ich toll.

GWR: Das Wort „Anarchismus“ ist ja gerade schon gefallen. Ich glaube, dass viele Menschen unter dem Wort „Anarchie“ erst einmal „Chaos und Terror“ verstehen, also nicht das, was wir darunter verstehen. Vielleicht kannst Du erläutern was Anarchismus und was Anarchie für dich bedeutet?

Johan Bauer: Ja, das sind Fragen, die hätte ich in verschiedenen Phasen meines Lebens vielleicht sogar leicht unterschiedlich beantwortet. Aber gerade vor diesem Hintergrund, dass Anarchismus immer noch mit diesem Stigma der Gewalt versehen ist, würde ich immer sagen, der Kern des Anarchismus ist eigentlich gerade Gewaltlosigkeit. Es ist eine Ordnung, die auf Freiwilligkeit beruht statt auf Zwang, die nicht per Gesetz, Dekret und Gewalt Leute zu etwas zwingen will, sondern sie versucht, freie Vereinbarung an die Stelle dieser gewalttätigen Ordnung zu setzen, Herrschaftsverhältnisse, ökonomische Ausbeutung, politische Repression zu beseitigen, und durch eine Ordnung der Solidarität, der freien Vereinbarung zu verdrängen.

Die einzelnen Vorstellungen, wie das ökonomisch und gerade auch in fortgeschrittenen Industriegesellschaften aussehen könnte, da kann man lange diskutieren. Aber ich würde immer daran festhalten, dass es möglich ist, eine andere Ordnung zu errichten. Ein Sozialismus, der selbst durch Experimente lernt, was eine Form der Organisation bedeutet, die nicht gewalttätig, nicht hierarchisch ist.

Es gibt in der Geschichte viele Beispiele dafür, wo so etwas zumindest ansatzweise geklappt hat. Die würde ich aber nicht als „Argument“ verwenden, um daraus eine bruchlose Propaganda zu machen, – „seht nach Spanien, so wird es gemacht“ -, sondern ich würde mir immer besonders die Stellen angucken, wo die Schwierigkeiten entstanden sind, wo doch wieder aus diesen Bewegungen heraus eine Bürokratie zu entstehen droht, wo durch Spontaneität, denn wir alle bringen patriarchale, autoritäre Konzeptionen mit, wo also auch in der Spontaneität die Gefahr droht, dass wieder neue Herrschaftsverhältnisse entstehen.

So wäre eigentlich mein Zugang, wie eine anarchistische Bewegung mit ihrer Geschichte und auch mit heutigen praktischen Erfahrungen umgehen muss. Vor allem für unsere Gruppen war ja immer wichtig: wir wollten nicht per Mehrheitsentscheidung abstimmen, sondern wir wollten zu einem Konsens kommen, wir wollten, dass abweichende Ansichten diskutiert werden mit dem Ziel, dass die Menschen überzeugt werden. Wir hatten ja deshalb z.B. in unserer Föderation …

GWR: … der FöGA – Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen …

Johan Bauer: …Vetorechte. Und wir hatten, wenn wir abgestimmt haben, Abstimmungsverfahren wie z.B.: es müssen mindestens 50% dafür, es dürfen höchstens 15% dagegen sein, damit Minderheiten geschützt werden, weil man natürlich gerade in sehr vielen Parteien oder damals auch studentischen Vollversammlungen, diese Manipulationsmaschinen sieht, wo ein, zwei große Redner auftreten, versuchen die anderen mitzureißen, dann kommen noch Geschäftsordnungsanträge, dann wird abgestimmt, und es ist ein großer Triumph für die einen, wenn sie ihre Resolution durchgebracht haben und für die anderen eine schwere Niederlage, weil sie nicht stark genug waren.

Das sind Formen von Politik, die sind im Einzelfall auch lächerlich, weil sie sich davon eine Wirkung versprechen, die das in Wirklichkeit überhaupt nie hat, weil man die Leute eben nicht überzeugt hat, sondern man hat sie niedergestimmt oder manipuliert.

Emanzipatorische Gruppen und besonders AnarchistInnen müssen im eigenen Organisationsaufbau so wie in den politischen Kampfmitteln versuchen, Ziele und Mittel soweit das geht in Übereinstimmung zu bringen. D.h., wir wollen Hierarchien abbauen, wir wollen individuelle Freiheit verwirklichen, also müssen wir versuchen, das auch in unserer Organisation schon möglich zu machen, zu zeigen es geht, das vorzuleben, damit auch andere Menschen sehen, das ist nicht bloß eine Utopie, sondern das ist letztlich sogar stabiler, als wenn man Leute mit irgendwelchen Abstimmungsmaschinerien niederkämpft.

GWR: Das ist ein gutes Stichwort: „stabiler“. Die Graswurzelrevolution gibt es ja jetzt seit 35 Jahren. Vom 31. August bis zum 2. September 2007 gibt es in Könnern bei Halle an der Saale einen kleinen Kongress: „35 Jahre Graswurzelrevolution“. Vielleicht kannst du anknüpfen an das, was du gerade gesagt hast, und erklären, warum deiner Meinung nach die GWR schon so lange existiert und es auch nicht absehbar ist, dass sie eingeht, – es geht ihr ja relativ gut -, ob das vielleicht auch gerade mit dieser Organisationsweise zu tun hat? Viele Zeitungen sind ja nach kurzer Zeit wieder eingegangen, auch viele anarchistische Zeitungen sind nach wenigen Jahren verschwunden. Die Graswurzelrevolution ist eine Ausnahmeerscheinung, auch wenn man das mit anderen Alternativmedien vergleicht. 35 Jahre ist für eine anarchistische Zeitung gerade in Deutschland ein sehr hohes Alter. Und auch eine große Leistung, vielleicht ein Stück gelebte Utopie? Kannst du erklären, warum das so lange hält?

Johan Bauer: „Erklären“ wäre vermessen, aber ich glaube schon, es gibt ein paar Leute dabei, die wissen, dass man einen langen Atem braucht, die wissen, dass man sich in manchen Fragen zurücknehmen muss, dass es nicht richtig ist, andere dominieren zu wollen, selbst wenn man der Überzeugung ist, der eigene Weg wäre jetzt richtig.

Der „subjektive Faktor“ (so hieß das in den 70ern, leider ein mechanischer Begriff) spielt eine große Rolle: Es hat immer wieder Leute gegeben, die sehr viel für die Zeitung wie die Bewegungen, die einzelnen Graswurzelgruppen gearbeitet haben, ohne viel zu bekommen und zu erwarten dafür. Leider sind manche auch verbittert gegangen, weil es Streit gab oder ihnen zu uneffektiv erschien, was wir machten.

Es kann auch eine Rolle spielen, dass wir nie alles auf eine Karte gesetzt haben, dazu wären wir gar nicht fähig gewesen, weil wir nicht die Strukturen dafür hatten. Eine Kaderorganisation kann ungeheure konzentrierte Anstrengungen unternehmen und spektakuläre Erfolge haben, von denen wir nur träumen, aber wenn die erwarteten Folgen ausbleiben, kommt auch die große Krise. Auf Dauer lassen sich bestimmte Anspannungen nicht stellen.

Wir hatten ja viele Krisen, man könnte sogar behaupten – das wäre eine andere Perspektive, aber sie wäre nicht falsch – wir könnten unsere Geschichte als Abfolge von Krisen, Konflikten, Brüchen schreiben. Sehr gravierend war z.B. das Abbröckeln der Friedensbewegung, was zu einem rasanten Auflagenverlust der Zeitung führte, Auflösung von Gruppen und dann letztlich auch der Föderation, Krisendebatten…

Es gibt dann genau die Probleme, die die anarchistischen Bewegungen auch schon immer hatten: Effektivität ist anderswo. Dann gibt es Debatten, dass wir zu heterogen sind, manchmal angefangen von Leuten, die sich ohnehin verabschieden und nur noch an den Gründen basteln. Aktionistische Pfadfinder, gandhianische Lebensreformer und politische Kader in einem Zusammenhang, wie soll das gehen, so lautete eine dieser Fragestellungen. Ich bin, obwohl ich wie kaum jemand sonst unter manchen Erscheinungsformen dieser Offenheit gelitten habe, dafür, diesen Pluralismus zur wechselseitigen Korrektur zu nutzen. Aber das ist schwierig, weil es schnell auch zu ritualisierten Diskussionen und Feindbildern führt, damit zur Lähmung von Gruppen.

Dennoch glaube ich, dass die gegenseitige Korrektur, die z.B. darin liegt, dass einige sehr aktionistisch sind, andere sind das weniger, sind eher bedächtig, zurückhaltend, finden wir verbrauchen unsere Kräfte, wenn wir immer nur Aktion machen, das sind ja auch typische Gegensätze, das hat es ja häufig gegeben, uns auch geholfen haben.

Oder auch die weltanschaulichen Begründungen, z.B. wie hält man es mit der Religion, oder gehört zur Gewaltfreiheit auch, dass man Vegetarier ist usw., das solche Fragen diskutiert werden können, die sind ja interessant, dass solche Sachen offen gehalten werden. Aber dass man natürlich auch nicht möchte, dass darüber eine Vereinheitlichung stattfindet, die Leute ausgrenzen würde. So sehr man sich vielleicht wünscht, die eigene Vorstellung würde allgemein akzeptiert und so sehr man sich manchmal fragt „ist das überhaupt noch meine Gruppe?“

Eine subjektive Radikalisierung allein genügt eben nicht, sie führt eher dazu, nicht mehr zu begreifen, wie sehr noch diese „Identität“ geprägt ist von der gesellschaftlichen Umgebung.

Ich glaube schon, dass die Bereitschaft, anderen zuzuhören zu den Stärken dieser Graswurzelbewegung gehört. Weil es den Horizont erweitert, weil es Verbindungen mit verschiedenen Menschen möglich macht. In manchen Bewegungen haben wir tatsächlich Scharnierfunktionen zwischen verschiedenen Spektren gehabt.

Die Kehrseite ist, das sich auch alle wieder von uns abgrenzen oder uns uneindeutig finden, und das ist in der Politik eine Schwäche. Dabei finde ich unsere Positionen in vielen Fragen so eindeutig wie überhaupt möglich; sie liegen nur oft quer zu den Vorurteilen und bequemen Annahmen anderer, wenn nicht sogar ein aktiver Wille zum Missverstehen vorherrscht, wie es in der „Gewaltfrage“ häufig der Fall ist.

Basisdemokratie, das sag ich ausdrücklich, weil es mir manchmal quälend geworden ist, hat auch einen Preis, z.B. Ineffektivität. Es wird viel mehr und viel länger diskutiert, man ist, wenn es darauf ankommt, schnell zu entscheiden, vielleicht ein bisschen langsamer als andere Gruppen. Man kann nicht immer mit einer Stimme sprechen, es gibt schnell ganz viele Stimmen, und wenn man Leute nicht übergehen will, dann bleibt man vielleicht unter dem Gesichtspunkt einer bürgerlichen Öffentlichkeit auch manchmal stumm. Besonders in polarisierten Situationen sind wir im Nachteil. Aber ich würde das insgesamt für nicht so negativ halten wie viele scheinbar erfolgreiche Machtstrategien. Erfolg kann man nur an den Zielen messen. In den sozialen Bewegungen ist heute vieles selbstverständlich, womit wir begonnen haben und wofür wir kritisiert oder belächelt wurden. Wir haben aber auch eine Verantwortung dafür, dass direkte gewaltfreie Aktionen und emanzipatorische Organisationsformen weiterentwickelt werden und antiautoritäre Bewegungen lernen, sich tatsächlich durchzusetzen, nicht nur zu überleben. Und unsere Themen: antiautoritärer Sozialismus, Föderalismus, Direkte Aktion und radikale Gewaltkritik, Antinationalismus, Anti-Rassismus, Antisexismus, Ökologie werden heute in vielen Bewegungen weltweit verbunden, es ist seltener geworden, dass solche Zusammenhänge nicht gesehen werden oder aus „bündnispolitischen“ Rücksichten nicht thematisiert werden sollen.

Wir sind immer noch eine lernende Bewegung, die mit den sozialen Bewegungen Erfahrungen macht, wir wissen noch lange nicht alles, wir müssen uns sogar viele kritische Fragen stellen, ob wir nicht die Herrschaft unterschätzt haben. Haben wir uns das nicht viel zu einfach vorgestellt die loszuwerden?

Es entsteht immer wieder neu spontan Herrschaft. Es ist ziemlich schwierig, Führungspersonen in ihrer Macht und ihrem Einfluss zu reduzieren oder Wissensvorsprünge auszugleichen, informelle Führer in strukturlosen Gruppen wieder in die Gruppe zurückzubinden. Das sind alles Dinge, die verlangen Anstrengungen, Bildungsarbeit, Auseinandersetzungen mit der Struktur oder auch der Dynamik der einzelnen Gruppe.

GWR: Du bist ja neben der Zeitung auch in einer lokalen Graswurzelgruppe aktiv. Kannst Du darüber etwas erzählen, wie die Gruppe sich gebildet hat? Und was mich persönlich interessieren würde, ist auch die Geschichte der Graswurzelrevolution-Redaktion in Göttingen. Also, vor 30 Jahren, im „Deutschen Herbst“ 1977, da spielte sie ja auch eine Rolle in der Auseinandersetzung von außerparlamentarischen Aktivistinnen und Aktivisten auf der einen und dem Staat auf der anderen Seite. Vielleicht kannst Du dazu auch etwas erzählen?

Johan Bauer: Ich war seit Anfang der 70iger immer auch in Gewaltfreien Aktionsgruppen. Die Gruppe, in der ich jetzt bin, ist nicht sehr groß. Das ist leider so, die Gruppen sind kleiner geworden. Aber es sind Leute dabei, die ich seit 1982 kenne. Das ist schon eine ganz schöne Zeit für so eine Gruppe. Auch Leute, die berufstätig sind, usw. Das begrenzt natürlich z.T. die Aktivitäten, man hat nicht mehr soviel Zeit, aber es ist trotzdem interessant, dass man immer noch gut findet, dass man miteinander diskutiert und sich regelmäßig trifft und gelegentlich auch etwas tut.

Die Göttinger Gruppe war ein bisschen anders gestrickt. Sie hatte auch andere Probleme, z.B. die typischen Probleme einer Gruppe in einer Universitätsstadt, da haben wir teilweise sehr drunter gelitten. Es kommen jedes Semester andere Leute und andere sind wieder weg. Man erzählt immer was man bisher gemacht hat, man diskutiert, man lernt sich kennen, es gibt die üblichen Diskussionen, mehr Theorie, mehr Praxis, usw.

Und dann sind sie plötzlich wieder woanders. Das kann bedrückend sein, wenn man diese Fluktuation immer erlebt. Das ist meiner Ansicht nach auch ein Grund, warum Leute, die lange etwas dafür getan haben, solche Gruppen aufrecht zu erhalten, dann irgendwann keine Lust mehr haben, enttäuscht und erschöpft sind. Da sehe ich auch einen Grund, warum es heute so wenig Graswurzelgruppen gibt. Es ist tatsächlich eine Anstrengung, so eine Gruppenarbeit aufrecht zu erhalten, denn es gibt schnell unterschiedliche Meinungen und es gibt andere Aktivitäten, die man außerhalb der Gruppe machen könnte.

Wenn man eine Gruppe in einer Unistadt betrachtet, die 10 Jahre existiert, dann sind das nach der Zusammensetzung vielleicht sogar 15 verschiedene Gruppen.

Du hast gefragt zu Göttingen 77. 1977 ist ja jetzt in aller Munde, und die Maschine der Mehrfachverwertung alter Texte und Bilder läuft gerade heiß. Wie in der Geschichte so oft reden da Kriegsgewinnler. Im Fernsehen kannst Du wieder Leute sehen, die damals als Che-Guevara-Imitatoren auftraten und heute als Makler im weißen Cabrio herumreisen, und die haben noch den „Arbeiterkampf“ in einer Kiste auf dem Boden …

Ich wette, dass die Gutmeinenden die radikalen Ziele und Inhalte herunterreden auf einen Kampf um Meinungsfreiheit usw.

Meine Perspektive darauf ist, dass das eine sehr eingeengte Betrachtung ist. Deshalb würde ich gerne mal ein paar Themen und Aktivitäten nennen, die diese Gruppe, das war ja keine besonders große Gruppe, vielleicht 20 Leute, 1977 beschäftigt haben, nur so stichwortartig, damit nicht dieses, in den Medien produzierte Bild „1977, das war alles nur RAF contra Staat“, sich festsetzt. Denn aus meiner Sicht ist etwas anderes viel wichtiger. Zum Teil kann man sich das heute gar nicht mehr vorstellen, weil das Bild so einseitig überformt ist.

Das erste: Das ganze Jahr 1977 war gekennzeichnet von schwersten Auseinandersetzungen in der Anti-Atom-Bewegung. Es gab einen unerhörten Richtungsstreit. Dabei hat die Göttinger Graswurzelgruppe auch eine Rolle gespielt.

Es gab die große Spaltung in der Anti-AKW-Bewegung: „Gehen wir nach Brokdorf oder nach Itzehoe?“ Am 19.2.77, ich weiß sogar noch die Daten auswendig. Ich hoffe, es stimmt. Es gab praktisch die Spaltung: Brokdorf, das waren die Radikalen, die haben auf dem Recht auf Bauplatzbesetzung bestanden. Also, da waren natürlich auch viele K-Gruppen usw., Itzehoe, das waren mehr die Sozialdemokraten, DKP usw.

Eine sehr schematische Spaltung, die in Wirklichkeit nicht gestimmt hat. Wie das immer in Massenbewegungen ist, waren bei beiden Demonstrationen alle möglichen unterschiedlichen Leute. In Itzehoe hat, wenn ich mich recht erinnere, z.B. Heinz Brandt gesprochen. Aber wenn über die „Gewaltfrage“ gesprochen wird, so ist das eine der Urszenen, und es gibt Leute, die in dreißig Jahren mit der einen Phrase durch die sozialen Bewegungen gereist sind: „An der Gewaltfrage lassen wir uns nicht spalten“, während im wirklichen Leben natürlich nichts so spaltet wie Gewalt.

Wir in Göttingen haben gesagt, diese Spaltungen wollen wir nicht, wir halten beides für perspektivlos, das Anrennen gegen immer besser verteidigte Bauzäune und eine quasi militärische Eskalation halten wir für perspektivlos und in vielerlei Hinsicht für schädlich für die Bewegung. Bloß eine Kundgebung zu machen, wo man seine ablehnende Meinung kund tut, halten wir für zu wenig. D.h., wir haben aufgerufen, dezentrale direkte gewaltfreie Aktionen mit dem Ziel von Platzbesetzungen an diesem Tag zu machen.

Es ist gelungen, in Grohnde den Bauplatz zu besetzen während die Großdemonstrationen in Brokdorf und Itzehoe waren. In Göttingen haben diesen Aufruf nach Grohnde getragen: das Frauenzentrum, die Gewaltfreie Aktion und der gewaltlose Flügel des Göttinger Arbeitskreises gegen Atomenergie. Dann kamen aus Kassel und andere Orten Spontis dazu. GA-Leute sogar aus Freiburg! Wir sind auf den Bauplatz gekommen. Viele Leute waren bunt gekleidet, geschminkt, es war ein Happening unter dem Motto „Blumen für die Polizei und Scheren für den Zaun“. Als wir den Polizisten gegenüberstanden, drückten Leute von hinten gegen die vorne stehenden, die Kette gab nach, einige diskutierten weiter mit den Polizisten, während andere den Bauzaun aufschnitten, dann drängten alle auf den Platz.

Das ist eine sehr interessante Erfahrung, die hat mich geprägt. Was für ein Spektrum das gewesen ist, das siehst du daran, dass der „Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten“ (ID), das ist ja manchen noch ein Begriff, das war so eine Art Pressedienst der Alternativen, Spontis und Autonomen würde man später gesagt haben, damals noch nicht. Der hat noch nie von einer Aktion so viele Aktionsberichte unabhängig voneinander bekommen, wie von dieser Bauplatzbesetzung in Grohnde.

Leider konnten wir an diesen Erfolg nicht anknüpfen. Am 19.3. ging es im Grunde dann ganz anders her. Weil wir in den Auseinandersetzungen auch weiter für Gewaltlosigkeit eingetreten sind, wurden wir auch diffamiert. Also, z.B. der Kommunistische Bund (KB) hat damals in seiner Zeitung geschrieben, wir hätten den WSL, „Weltbund zum Schutz des Lebens“, rechts überholt. Der WSL wurde vom KB beschrieben als „Die braunen Ratten im Umweltschutzgewand“, wo tatsächlich zum Teil sehr rechte Strömungen drin waren, und die hatten sich mit dem KB auf einen gemeinsamen Aufruf zur Großdemonstration am 19.3. 77 verständigen können. Wir haben dagegen opponiert und gesagt „wir wollen Gewalt ausschließen“. Das hieß dann, wir haben den WSL, also „die braunen Ratten“ noch rechts überholt. So etwas halte ich schon direkt für bedrohlich. Da gebe ich auch zu, das wird nicht vergessen.

Da glaubt einer, der heute in irgendeinem Management sitzt, er kann einfach so locker wegpolemisieren, erinnert sich ja später keiner mehr dran. Ich meine, das ist vielleicht auch das Geheimnis der Graswurzelrevolution, da gibt es ein paar Leute, die haben ein gutes Gedächtnis.

Was habt Ihr damals noch alles gemacht?

Wir hingen damals auch relativ eng zusammen mit Evangelischer und Katholischer Studierendengemeinde. Das ganze Jahr über haben wir mehrere Vorträge gehalten. Zusammen u.a. mit der DFG-VK haben wir die militärkritische Ausstellung „Es ist so schön Soldat zu sein“ gezeigt. Da haben wir Vorträge gehalten über den gewaltlosen Kampf gegen den Truppenübungsplatz im Larzac, ich habe einen gehalten über „Anarchosyndikalismus und Gewaltlosigkeit“ usw.

Wir haben Veranstaltungen gemacht mit Heinz Brandt über „Zivilen Ungehorsam gegen Krieg“ und mit Egbert Jahn, das war praktisch der Gandhianer im Sozialistischen Büro, für uns durchaus ein interessanter Theoretiker damals. Dann haben wir z.B. Texte übersetzt, ich nenne nur mal einen, der ist im Sommer 1977 in der Graswurzelrevolution Nr. 30/31 erschienen, von George Lakey und Bruce Kokopeli, „Männlichkeit und Gewalt“. Dass sich Männlichkeit praktisch darüber definiert Gewalt einzusetzen, das wird dort diskutiert. Ein Artikel, den würde ich heute noch als Zusammenfassung der Problematik für hoch interessant halten.

Wir haben jede Woche Büchertisch gemacht in der Mensa und an anderen Stellen, haben teilweise sogar recht viel Geld umgesetzt mit antiautoritärer und gewaltloser Literatur. Das war unsere Hauptfinanzierungsquelle, wir hatten ja alle kein Geld und von keiner Seite Zuschüsse oder eine Finanzierung bekommen. D.h. unsere Haupteinnahmen waren aus dem Büchertisch, die wurden in der Regel benutzt, mehr neue Bücher zu kaufen. Für Flugblätter hatten wir noch eine Gruppenkasse.

Dann haben Leute aus der GA Straßentheateraktionen gemacht in Grohnde, schon vor dem 19.2., dann aber auch später, z.B. auch im Zusammenhang mit der Buback-Affäre, es gab eine Theatergruppe in der Gruppe, und es gab eine freie Theatergruppe mit der wir zusammengearbeitet haben.

Dann gab es einen Großen Zapfenstreich, den haben wir gestört. Da, wo die Besucher dieser Bundeswehrveranstaltung über eine Leinebrücke mussten, haben sich zwei Leute, – mit dem einem bin ich heute noch gut befreundet -, als Tod verkleidet und mit Sensen aufgestellt, so dass die Leute da vorbei mussten. Das war sehr gefährlich, da haben die Kleinbürger, die sich dieses Bundeswehrspektakel anschauen wollten, gedroht die in die Leine zu werfen. Das waren sehr bedrohliche Situationen.

Dann haben wir teilgenommen an der Documenta, da gab es ja die Freie Internationale Universität von Joseph Beuys, da wurden viele Vorträge gehalten von Leuten aus der Graswurzelbewegung, z.B. zur Besetzung des Atomkraftwerks in Seabrook in den USA. Ich habe an Beuys zwei Kropotkin-Bände verkauft: „Gegenseitige Hilfe“ und „Landwirtschaft, Industrie und Handwerk“. Das hat ihn sehr interessiert.

Die Aufzählung wird noch länger. Dann ging es um Malville, Malville war eine Großdemonstration in Frankreich gegen den Schnellen Brüter. Bei der Demonstration wurde ein Demonstrant erschossen. Malville war dann im Grunde auch das Ende der französischen Anti-Atom-Bewegung, weil der französische Staat viel zentralistischer ist als der deutsche, dadurch viel weniger Angriffspunkte für Bewegungen sind, wie in Deutschland, wo um jeden Bauplatz, um jeden Transport gekämpft werden kann. In Frankreich wird das alles in Paris entschieden, die rechtlichen und sonstigen Ansatzpunkte, an denen sich auch Möglichkeiten des Widerstands und der öffentlichen Mobilisierung herauskristallisieren, sind schwächer.

Mit drei Leuten aus der Gruppe waren wir in Amsterdam, im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG), haben uns dort die Archive angesehen und auf einem Hausboot eines niederländischen Graswurzelrevolutionärs übernachtet.

Im IISG habt Ihr wahrscheinlich Kontakt mit Arthur Lehning gehabt, oder?

Nein, wir haben leider nicht so direkte Kontakte gehabt. Das ist eine Sache, die ich an mir nicht gut finde, ich traue mich nicht so richtig auf Leute zuzugehen, die mich interessieren. Ich denke, das belästigt die, die haben soviel um die Ohren. Dadurch habe ich viele wichtige alte Genossen, die ich im Kopf hatte, wo ich gerne etwas gefragt hätte, nicht gewagt die anzusprechen.

Das halte ich für sehr schlecht. Es war ja in den 70iger Jahren so, dass noch Überlebende der alten sozialen Bewegungen da waren, die man interviewen konnte. Das ist im Grunde erst in den 80igern passiert und man hätte noch wesentlich mehr erfahren können, wenn das noch etwas konzentrierter gewesen wäre. Das nehme ich an, und ich bin da mit mir selbst immer kritisch, weil ich da an ein paar Leute denke, die gestorben sind, bevor ich sie noch mal gefragt habe, was sie erzählen wollen.

Was war noch alles 1977?

Wir hatten auch die Glashütte Süßmuth besucht, das war ein selbstverwalteter Betrieb. Die Glashütte in Immenhausen, in der Nähe von Kassel, die sollte Anfang der 70er Jahre geschlossen werden. Dann wurde mit der Unterstützung von Walter Fabian von der IG Chemie in Hessenmöglich gemacht, dass die Arbeiter das Werk übernommen haben in den 70iger Jahren. Das war ein Versuch mit Selbstverwaltung, und da waren wir und haben uns das zeigen lassen. Wir haben leider auch feststellen müssen, die Erfahrung mit der Selbstverwaltung war doch so, die qualifizierten Glasbläser, die behielten die höheren Löhne, und Verpacken, das war ausschließlich Aufgabe von Frauen, und die waren alle in Leichtlohngruppen. Leider zeichnete sich auch schon ab, man hatte also zwei Jahre sehr viele Treffen gehabt und über den Betrieb und seine Zukunft diskutiert, und dann setzte das ein, was jede Selbstorganisation fürchten muss, nämlich die Rück-Delegation. Die Beschäftigten waren es leid, so viel zu diskutieren, die wollten auch mal in Urlaub fahren, die wollten ihre Ruhe. Die fingen an, sich wieder Chefs zu wählen, Entscheidungen zu delegieren und neue Führungskräfte auszuwählen. Das war der Anfang vom Ende dieser Bewegung.

Aber solche Prozesse sind sehr wichtig. Das muss man wahrnehmen, damit man die kritischen Punkte bei solchen Selbstverwaltungsexperimenten erkennt und dem Scheitern entgegenarbeiten kann. Sonst sieht das ein Jahr gut aus und man macht eine öffentliche Propaganda, wo alles herrlich ist, und danach bricht das zusammen. Und die Leute wundern sich, wieso die plötzlich alle so erschöpft sind.

1977 war die große Kalkar-Demonstration mit einer Dichte polizeilicher Kontrollen, die den Atom- oder Sicherheitsstaat anschaulich machten.

Drei Leute aus unserer Gruppe hatten Utensilien für Straßentheater dabei, darunter Sägespäne und so etwas. Da wurde das Auto durchsucht, das wurde beschlagnahmt, die kriegten irgendwelche Verfahren, da wurde dieses Straßentheaterzeug, das wurde so behandelt, als wollte man damit Bomben basteln.

Damit sind wir beim Thema Repression, die Verhaltensweisen des Staates, dass er praktisch einen sehr direkten Zugriff hatte, bei der Buback-Affäre bis hin zu den Tagebüchern, die beschlagnahmt und gelesen wurden. Dass er sich auch die Bewegungen im Jahr 1977 vorgenommen hat, das sieht man auch an diesen Beispielen.

Was war noch 1977? Die Aktionen gegen die Neutronenbombe, also eine Bombe, die Material eher schont, dafür die Menschen vernichtet. Das war damals Thema.

Dann wurde der Stromzahlungsboykott vorbereitet. Der setzte 1978 voll ein.

Am 16. November 1977, Buß- und Bettag, hat sich der Tübinger Lehrer Hartmut Gründler vor der St. Petri-Kirche in der Hamburger Innenstadt während des Energie-Parteitages der SPD mit Benzin übergossen und angezündet; er starb vier Tage später. Er wollte damit an die für die Atompolitik Verantwortlichen appellieren, einen tatsächlichen fairen und offenen „Bürgerdialog“ über die Atompolitik zuzulassen, statt der als „Durchsetzungsmethode“ (Matthöfer) so genannten Veranstaltungen. Deshalb forderte er ein Moratorium des Baus von kerntechnischen Anlagen.

Hartmut Gründler hatte sich oft an die Graswurzelwerkstatt und Bundestreffen gewandt und Unterstützung für seine Hungerstreiks und seine Ankettungsaktion vor dem Kölner Dom gesucht. Sein Kampf, den er letztlich als Kampf um das Gewissen der verantwortlichen (Helmut Schmidts Buch „Als Christ in der politischen Verantwortung“ zitierte er oft) verstand, endete tragisch. Das war eine andere Zuspitzung, die heute völlig vergessen ist.

Wir hatten viele interne Diskussionen, z.B. über Totale Kriegsdienstverweigerung (TKDV) usw., hatten Arbeitsgruppen zu theoretischen Themen.

Wie war das mit dem Buback-Nachruf, den ein Sponti 1977 unter dem Pseudonym „Mescalero“ geschrieben hat, und der dann in der Zeitung des Göttinger Uni-AStA veröffentlicht wurde?

Der berühmte Buback-Nachruf …

… der ist auch dokumentiert auf der Homepage der Graswurzelrevolution, unter: http://www.graswurzel.net/news/mescalero.shtml

Johan Bauer: Da muss ich ein bisschen etwas zur Vorgeschichte erzählen. Einer von den Leuten, die bei uns in der Gruppe waren, der war auf der Liste „Bewegung undogmatischer Frühling“, das war eine Uni-Liste, die war initiiert worden von Spontis, die sich in etwa so an der Frankfurter Szene, Daniel Cohn-Bendit usw., orientiert hatten, dann aus dem „Alternativ-Plenum“ in Göttingen. Das war ein bunter Zusammenschluss, zu dem wir auch gehörten.

Da waren nicht nur Gruppen drin, wie das Frauenzentrum, die Homosexuelle Aktion, sondern es waren auch Anthroposophen, Sozialarbeitergruppen, „Kontakte in Krisen“, das war eine selbstorganisierte Krisenintervention, Amanda Marga, also eine indische Gruppe, heute würde man sagen Sekte, und natürlich die Anfänge der ganzen Ökologiebewegung, „Müslis“ (wie auch die Spontis oft verächtlich sagten, von denen heute ja nicht wenige in „Gesundheit“ reisen), auch Leute, die Körpertherapien machten in der Reich-Lowen-Tradition. Das war das „Alternativplenum“, ein sehr bunter und pluralistischer Zusammenhang, der aber in dieser Phase sich als interessanter und starker Punkt und als Gegengewicht gegen die K-Gruppen und die staatliche Repression gezeigt hat, auch bei den Demonstrationen, die es gegen die Besetzung des AStA durch die Polizei, die Hausdurchsuchungen usw., die es besonders Pfingsten 1977 gegeben hat.

Aber später, sicherlich auch als Folgen der Polarisierungen von 1977, zerfielen solche bunten Zusammenhänge zunehmend, es wiederholte sich in mancher Hinsicht ein Entmischungsprozess wie er 1969 auch stattgefunden hat: Die politischen wurden allmählich „grün“, die anderen „professionalisierten“ sich, ein neuer langer Marsch durch die Institutionen, diesmal außer der Uni auch therapeutische Einrichtungen, die „Psycho“- und Esoterikszene… Aus den Utopien und Idealen suchte man eine Geschäftsidee zu retten. Aber das greift vor.

Jedenfalls war einer von unseren Leuten auf dieser Liste „Undogmatischer Frühling“, die anderen haben eher nicht kandidiert, waren eher skeptisch. Wir hatten keine große Nähe zur Uni. Viele in der Gruppe haben nicht mehr studiert oder mit der Unipolitik nie viel anfangen können. Aber er war dann Redakteur des AStA-Organs geworden. Und in diesem AStA-Organ erschien dieser berühmte Buback-Nachruf, eine Auseinandersetzung, wo der berühmte Göttinger Mescalero sich seine klammheimliche Freude über die Ermordung des Generalbundesanwalts Buback eingesteht, sich dann aber mit diesen Gefühlen auseinandersetzt und letzen Endes zu einer Gewaltabsage kommt.

Aber das wurde in der Öffentlichkeit ganz anders dargestellt, das wurde überhaupt nicht wahrgenommen, wie der Gedankengang oder die Reflexion über die eigenen Gefühle auch war, sondern es wurde als „zynisch“, „übel“, „ein typisches Dokument aus dem Sympathisantensumpf“ usw. bezeichnet und als Vorwand genutzt um gegen diese ganze Szene vorzugehen.

Deshalb habe ich auch vorhin dazu so lange geredet. Was war da eigentlich? Was war das überhaupt für eine Szene? Was haben wir eigentlich gemacht? Womit haben wir uns beschäftigt? Ging es da überhaupt nur um die RAF? Ich würde sagen: nein. Um dieser Szene, die man als „Sympathisantensumpf“ betrachtet hat, mal zu zeigen wo die Grenzen sind. Und das geschah auf eine ziemlich harte Weise, indem z.B. viele Wohnungen durchsucht wurden.

Ich muss sagen, nach wie vor, wenn ich mir das überlege, mit das Gravierendste war z.B. die Beschlagnahme von Tagebüchern. Die Tagebücher wurden praktisch ausgewertet, auf gerichtsverwertbares Material: „Wer ist der Mescalero? Wen kann man noch haftbar machen?“

Das sind Eingriffe, die gehen über das Politische weit hinaus. Die bewirken eine Verunsicherung dieser Personen und etwas für die Identität dieser Personen, wenn man nicht einmal mehr einem privaten Tagebuch etwas anvertrauen kann, sondern Angst haben muss, das wird von der Polizei und anderen Institutionen des Staates gelesen und gegen einen verwandt. Also, die privatesten Gedanken und Reflexionen oder möglicherweise Irrtümer, Probehandeln, wie man sich das in solchen privaten Dokumenten auch vorstellen kann, können in eine öffentliche Anklage überführt werden. Das sind extrem einschüchternde und sehr böse Eingriffe, die da stattgefunden haben.

Dagegen haben sich sehr viele Leute gewehrt. Die Verurteilungen waren im Endeffekt meist 20 Tagessätze zu 90 Mark wegen irgendeinem Pressedelikt. Das heißt, es war eine ungeheure öffentliche Reaktion und staatliche Propaganda, während im Endeffekt die „juristischen Taten“ gar nicht so ins Gewicht gefallen sind. Die Repression hat natürlich ihre Wirkung gehabt. Es ist schon so, die Experimentierfreudigkeit der Szene, die ist im Laufe des Jahres zurückgegangen. Die Polarisierung – hier RAF, hier Staat -, hat das ganze Feld des Politischen neu organisiert, wie nach einem Lehrbuch von Carl Schmitt, die Folgen wurden z.T. erst viel später sichtbar. Vielleicht war es im Sinne des Staates eine „produktive Zerstörung“, die da stattfand: Die Szene, die libertär war, wurde auf den harten „Boden der Tatsachen“ zurückgeholt, polizeilich nachsozialisiert. 1977 haben viele bei Verkehrskontrollen plötzlich in die Läufe von Polizeiwaffen geblickt, danach haben sie die Welt manchmal mit anderen Augen gesehen. Wenn Brückner in den Debatten über Berufsverbote gefragt hatte „Was wollen wir eigentlich mit einem bürgerlichen Beruf?“, so brachen solche Fragestellungen nun komplett zusammen, viele taten alles, ich meine: alles, um wieder dazuzugehören. Man konnte beobachten, dass sie bestimmte Aspirationen nie aufgegeben hatten und sie nun wieder auf den ausgetretenen Wegen suchten. Es gibt dabei viele Prozesse, die müsste man im Detail und noch mal genau sich vergegenwärtigen. Da müsste man noch mal nachlesen. Dichte Beschreibung.

Vielleicht eine kurze Anmerkung zum Hannoveraner Professor Peter Brückner: Er wurde 1977 wegen der Dokumentation des Mescalero-Textes vom Dienst suspendiert. Auch in Folge der öffentlichen Hetzkampagne gegen ihn ist er 1982 gestorben.

Ja. Übrigens ist ja Brückners Text „Über die Gewalt“ bei einem Seminar vorgetragen und diskutiert worden, das wir organisiert hatten.

Brückner war der niedersächsischen Landesregierung schon lange ein Dorn im Auge. Anderen Hochschullehrern, die für die öffentliche Auseinandersetzung mit dem „Mescalerotext“ eintraten, hat man ein Revers vorgelegt, sie sollten sich zur Staatstreue bekennen. Brückner hat man das nicht vorgelegt, er wurde suspendiert, weil er eben auch eine bestimmte Rolle in diesen Bewegungen hatte.

Wenn man an die Suspendierung von Peter Brückner usw. denkt, dann ist das nie wieder gut gemacht worden.

Es ist im Endeffekt nie zwischen den verfeindeten Fraktionen in der Linken zu einer offenen Diskussion darüber gekommen, wie man sich damals verhalten hat und mit welchen Gründen, sondern es hatte eine ganz scharf organisierende Funktion, die einen haben diese Position, die anderen jene Position eingenommen, und da trennten sich dann die Wege. Das ist auch eine Funktion dieser staatlichen Repression, das so etwas dann dabei passiert. Sprachlosigkeit, Meidung, gegenseitige Zuschreibungen.

Groteskerweise wurde uns gegenüber noch polemisch versucht, von Leuten, die es sehr wohl besser wussten, das geforderte Bekenntnis zur Staatstreue als Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit umzuinterpretieren. Sie konnten es eben nicht lassen, ausgerechnet uns, von denen niemand eine Beamtenstelle zu verlieren hatte, zu diffamieren. Wie nennen wir so etwas?

Aber dieses Göttinger Alternativplenum hat sich in diesen Auseinandersetzungen sehr gut „geschlagen“, auch wenn das als Ausdruck vielleicht inkriminiert werden könnte.

Z.B. bei dieser Aktion Pfingsten 1977 in Göttingen. Da gab es sehr große Demonstrationen, und u.a. auch die Besetzung der Bahngleise, mittags noch, da wurden die Schienen in Göttingen besetzt. Die Polizei hat die Leute sofort runtergeprügelt. Es gab sehr aufgeregte, kontroverse Diskussionen über solche Aktionen, aber es war einfach so, dass sich da z.B. auch andere Gruppen gegen den KBW durchgesetzt haben. Der KBW war Mitte der 70er Jahre in Göttingen die dominante Organisation.

Als die Kommunistische Volkszeitung zum ersten Mal erschien, wurden davon 2.400 Stück allein in Göttingen verkauft. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Erstsemester konnten an der Uni gefragt werden „Wer leitet Dich denn an?“, ungefähr wie heute „Wer coacht Dich denn?“

Wenn man Kriegsdienstverweigerer beriet, konnte es passieren, dass sie zwei Monate später überlegen lächelnd den „bürgerlichen Pazifismus“ gegen die „Volksmiliz“ eingetauscht hatten. 1977 kämpften KBW und KB um die Hegemonie in der Linken. Der KB war bündnisfähiger zum „bunten“ Spektrum und als Teil einer „Sozialistischen Bündnisliste“ mit den „Undogmatischen“ im AStA. Aber auch gegen den KB mussten „bunte“ Formen etwa von Demonstrationen erst durchgesetzt werden. Diese Auseinandersetzungen haben dazu geführt, dass eine andere politische Kultur stärker wurde.

Es ging auch immer um die Formen und um die Inhalte, z.B. die Art der Demonstrationen. Es gibt von diesen Göttinger Demonstrationen berühmte Bilder, wo die Leute alle sich den Mund zugeklebt haben, und sie haben die Arme hinter dem Kopf verschränkt und tragen Transparente: „Ich werde nie wieder etwas denken, was der Staatsgewalt widerspricht“, oder ähnliche Texte, die im Grunde diese Kriminalisierung konterkarieren sollen. Es gab dieses Transparent: „Wollen Sie, dass ein Staatsanwalt Ihre Tagebücher liest?“ usw. Das war z.B. eine Form, die widersprach dem, was vorher in diesem K-Gruppen-Milieu als machtvolle Demo verstanden wurde. Die wären aufgezogen mit Sprechchören, Reihen usw. Und gegen dieses Konzept, wurde dieses viel expressivere Konzept gegen die Repression durchgesetzt.

Ich weiß noch genau die Diskussion mit dem KB-Führer im AStA, als es darum ging, was für eine Demonstration soll das werden, und das waren wieder Leute aus dem Frauenzentrum und aus der Gewaltfreien Aktion, die dafür eingetreten sind, dass man nicht dieses schematische Bild „machtvolle Demo“ stellt, sondern dass man eine andere Form wählt, die ganz direkt die Repressionsformen wie z.B. „Wollen Sie, dass ein Staatsanwalt Ihre Tagebücher liest?“ zum Thema macht, eine sehr bildhafte Form, und diese Bilder wurden dann ja auch in alle Welt verbreitet.

Die Auseinandersetzungen um den Buback-Nachuf haben uns veranlasst, unsere Programmatik zusammenzufassen in dieser Schrift „Feldzüge für ein sauberes Deutschland“. Die hat natürlich diesen Anlass Buback-Nachruf, Repression, die Auseinandersetzung mit Staat und mit anderen Konzeptionen von Revolution. Es ist auch eine Auseinandersetzung mit der RAF.

Diese „Feldzüge für ein sauberes Deutschland“ finden sich auch auf der Homepage der Graswurzelrevolution, unter: http://www.graswurzel.net/news/feldzuege.shtml

Ich würde jetzt gerne den Sprung nach heute machen. Und zwar ganz konkret zum G8-Gipfel. Es gab ja im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm Großrazzien bundesweit. Es ist auch bekannt geworden, dass Schnüffelhunde eingesetzt werden gegen Demonstrantinnen und Demonstranten, überhaupt gegen irgendwie „subversive Elemente“. Würdest Du sagen, dass es im Moment eine gewisse Renaissance gibt, einerseits auch von der Repression des Staates gegen soziale Bewegungen, aber andererseits auch ein neues Anwachsen sozialer Bewegungen? Vielleicht auch neue Chancen für eine gewaltfreie, libertäre Bewegung? Dass die Graswurzelbewegung wächst und sich mehr entwickeln kann?

Unbedingt. Diese Repression war zu erwarten, dass zur Einschüchterung von ganz bestimmten Gruppen solche Hausdurchsuchungen und so etwas gemacht werden.

Es hätte jeden, der die Entwicklung der sozialen Bewegungen verfolgt hat, doch gewundert, wenn der Staat das diesmal nicht gemacht hätte. Es ist im Grunde auch im Vorfeld so ein Versuch zu sagen: „Da seht Ihr, wir haben es ja immer schon gesagt, da gibt es gewalttätige Gruppen!“ Es ist der Versuch, den Protest, wenn man das möchte und für zweckmäßig hält, in diese Ecke zu drängen und später Bilder zu produzieren, da kann man auch an V-Leute usw. denken, die dieses Klischee noch mal bedienen, und die im Grunde von den Inhalten und dem was diese Staatsmänner und -frauen dort planen, ablenken.

Das ist die eine Seite. Ich glaube aber, dass der Stein, den sie aufgehoben haben, ihnen schon auf die eigenen Füße gefallen ist. Und zwar ganz besonders durch diese Schnüffelproben für die Hunde. Das hat nun alle, bis hin zu den konservativen Kommentatoren sehr an die Stasi-Praxis erinnert. Also, das ist auch taktisch ein schwerer Fehler gewesen.

Man sieht an der letzten Rede von Merkel, dass sie das irgendwie begriffen hat und versucht das aufzunehmen, indem sie dialogische Elemente anführt oder z.B. auch wieder mehr behauptet, die Inhalte des G8-Gipfels seien eben doch so, dass z.B. eine Lösung für die Klimaprobleme gesucht wird.

D.h., sie haben gemerkt, diese Diskussion nur über Gewalt und Repression, das fängt an ihnen selbst zu schaden. Es entsteht das Gefühl, sie wollen von den Inhalten ablenken, indem sie praktisch eine militärische Eskalation hoch ziehen. Deswegen rudern sie jetzt zurück, weil sie sehen, da könnte etwas ganz anderes draus entstehen, nämlich eine grundsätzliche Kritik.

Das ist ein bisschen meine Hoffnung. Ob das so stimmt, was meinst du?

Das ist eine gute Frage. Darüber können wir noch eine Extraausgabe der GWR machen.

Ich habe hier noch einen langen Fragenkatalog. Ich stelle einfach mal ein paar Fragen. Viele Menschen steigen ja nach ein paar Jahren politischen Engagements wieder aus der Szene aus, gerade auch in Universitätsstädten. Du nicht. Warum ist das so?

Johan Bauer: Meiner Ansicht nach gibt es sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage. Je nach Tag würde ich dir vielleicht erzählen, wie oft ich auch schon gedacht habe, ich steige aus. Also, ich glaube, z.B. wenn damals nicht andere Leute in den 70iger Jahren die Redaktion der Zeitung nach Göttingen geholt hätten, dann wäre ich vielleicht ausgestiegen. Weil ich von dem Sommertreffen am Kaiserstuhl sehr enttäuscht war und viele schlechte Erinnerungen daran hatte. Da war bei mir eine Krise.

„Sommertreffen“? Kannst Du das ein bisschen erklären?

Es gibt bestimmte Formen, mit denen bin ich nicht einverstanden. Ich bin immer ein eher theoretisch orientierter Mensch gewesen, z.B. ein Übermaß an Vertrauensspielen, Methoden, die man heute eher in der Managerausbildung findet, die habe ich immer abgelehnt.

Und da gab es z.B. auch eine sehr starke, öde Kontroverse drüber. Ich war auch nie dafür, dass ein Treffen von Leuten, die aus der ganzen Bundesrepublik zusammenkommen, dass die sich dann damit beschäftigen, in Freiburg ein Straßentheater zu machen. Sondern das war mir immer wichtiger gewesen, dass da theoretisch diskutiert wird. Das ist da auch durchaus der Fall gewesen, ich will das hier jetzt gar nicht so einseitig beschreiben, schließlich geht darauf ja unsere Anti-Atom-Position zurück. Die ist da ja auch gebildet worden. Aber ich war trotzdem, auch aus persönlichen Gründen, von dem Treffen sehr enttäuscht.

Ich habe vorhin erzählt, dass du begeistert bist, wenn du in einer Gruppe bist, wo du siehst, die denken ja wie du. In diesem Überschwang kann es auch passieren, dass du manche Warnsignale nicht erkennst, du denkst „wir sind alle gute Freunde, wir haben auch persönlich total enge Beziehungen“. Und das ist dieses, was beim SNCC „band of brothers“ hieß, also so eine ganz enge Verbindung, eigentlich sogar „Kriegskameraden“.

Für die Leserinnen und Leser: Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) war in den 60er Jahren eine der wichtigsten Organisationen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Seine Kampagnen und direkten gewaltfreien Massenaktionen spitzten die Kämpfe der US-amerikanischen Schwarzen gegen die rassistische Diskriminierung zu und trieben sie voran. Im Verlag Graswurzelrevolution ist dazu eine umfassende Darstellung von Clayborn Carson erschienen.

Ja.

Und dann stellst du irgendwann fest, es kommen die Kontroversen, Du erlebst Verhaltensweisen, die enttäuschend sind und das kann leicht zu so einem Gefühl von verraten werden oder allen möglichen Entfremdungserscheinungen führen. Und so etwas hatte ich durchaus öfters. Also, es ist nicht selbstverständlich, dass man in so einer Gruppe bleibt, selbst wenn man ein braver „Parteisoldat“ ist.

Aber noch mal ganz ernst zu deiner Frage etwas: Es gibt zwei Elemente, die mir wichtig erscheinen. Es hat mit dieser Moral zu tun, mit einer gewissen Treue zu Überzeugungen, die man hat, dass man nicht so schnell aufgibt, wenn einem irgendwelche konkreten Umsetzungen nicht passen oder wenn man Konflikte mit anderen Menschen hat. Es geht um Prinzipien, es geht um eine Perspektive, die ganz weitreichende Befreiungskonsequenzen hat, die gibt man nicht so leicht auf, weil einem eine Nase nicht passt.

Es gibt noch etwas anderes, das haben auch die Leute in der alten Arbeiterbewegung gewusst, z.B. Fritz Köster: wenn man sich nicht über sich selbst und über andere sich gelegentlich auch lustig machen kann, also das Element von Humor auch in Gruppen, dass man zusammen lachen kann.

Man muss sich und andere schon ernst nehmen, aber man darf nicht darin aufgehen alles nur ernst zu nehmen. Man muss auch eine Distanz herstellen. Das gelingt am allerbesten durch Humor, durch Ironie, durch irgendwelche Formen, wo man das auch wieder auflöst, was einen verletzt hat oder anstrengt. Das ist, glaube ich, sehr wichtig, auch für alle sozialen Bewegungen. Humor und Satire ist auch eine Waffe gegen die Herrschenden, es ist aber auch ein befreiendes Element, was einem hilft, Situationen durchzustehen, wo man zunächst einmal gar nicht so viel zu lachen hat.

Zu deiner Frage warum das manche Menschen länger durchhalten: Es gibt natürlich auch viele Zufälle. Ich bin kein Anhänger von Theorien, die sagen: die Taten eines Menschen sind der direkte Ausdruck seiner Persönlichkeit, z.B. gibt es ja viele psychologische Theorien, die gehen von einem „Charakter“ aus.

Das halte ich für eine ziemlich falsche Psychologie. Manes Sperber hat sehr klug darüber geschrieben. Nimm Joschka Fischer: Viele biografische Brüche. Wäre er nach der Straßenkampf-Phase bereit gewesen, nicht immer der Macker sein zu müssen, so hätte er der bewussteste Taxifahrer der Bundesrepublik werden können, er hätte in den Gesprächen mit seinen Fahrgästen wesentliche Erfahrungen gemacht und vielen Kunden wichtige Gedanken mit auf den weiteren Weg gegeben. Er hat über seine Taxifahrer-Erfahrung sehr klug nachgedacht. Dieses Erstgeburtsrecht des bewussten Loosers und damit reflektierten Agitators hat er verkauft zugunsten des Linsengerichts eines „Erfolgs“ bei dem von seinen ursprünglichen Impulsen nur der Aufstiegswille, der Ehrgeiz geblieben ist. Die historische Situation, Gründungsphase der Grünen, passte genau zu seinen „Qualitäten“ als durchsetzungsfähiger Macker, Strippenzieher usw., Netzwerkbildner, eine Seite seiner Person, die dann die besseren überlagert hat. In dem fatalen Bewusstsein der Etablierten ist er natürlich bewundernswert erfolgreich, man wundert sich, dass nicht Straßenkämpfer-Castings stattfinden, – „Deutschland sucht den Super-Joschka“ – um den nächsten Außenminister unter Aufsicht Dieter Bohlens zu ermitteln.

Wir sollten mehr auf den Verlustseiten solch einer Biographie beharren.

Es gibt in jedem Leben enorme Spannungen, und es gibt auch wirkliche Veränderungen, wo man Menschen und Dinge plötzlich ganz anders sieht als man sie vorher gesehen hat. Also, es ist nicht selbstverständlich, dass, auch wenn man die eigene Erinnerung nimmt, dass man sich die Geschichte nicht in einer gewissen Weise zurechtkonstruiert. Dass man Dinge aus der heutigen Sicht viel wichtiger nimmt, als sie damals tatsächlich waren. Das ist eine große Gefahr. Also auch Erinnerungen oder dieses Konstruieren von einer eigenen Biographie, das birgt durchaus einige Fallen, oder das kann auch zu Beschönigungen führen.

Wenn wir mehr Zeit hätten, dann hätte ich gerne Ambivalenzen, Widersprüche, die Sachen, die nicht glatt aufgehen, stärker zum Thema gemacht. Weil ich finde, das ist für soziale Bewegungen wichtig, die sind auf der einen Seite Ansatzpunkte für Regression, dafür, dass Leute aufgeben, dass ihnen etwas anderes vernünftiger erscheint.

Die sind auf der anderen Seite natürlich auch eine Chance etwas dazuzulernen und sich wieder neu zu öffnen und das wieder zu entdecken, was eigentlich der ursprüngliche Impuls gewesen ist, der drohte in Schlendrian und Routine und irgendwelchen gängigen Formen unterzugehen.

GWR: Wie beurteilst Du die Entwicklung der Graswurzelrevolution? Was gefällt dir? Was könnte besser sein? Was hat sich vielleicht positiv entwickelt in den letzten Jahren? Vielleicht kannst du auch Enttäuschungen und Niederlagen beleuchten?

Johan Bauer: Also, eine Enttäuschung ist, dass es so relativ wenige Gruppen gibt. Ich glaube, dass es für politische, soziale Veränderungen eine Organisation notwenig ist. D.h., es geht nicht nur über Texte. Auch die Motivation, die jemand mitbringt, der mit anderen eine Gruppe bildet, ist eine andere, als einen Artikel zu schreiben. Einen Artikel zu schreiben ist letztlich unverbindlicher, Gruppenstrukturen haben ein höheres Maß an Verbindlichkeit.

Natürlich sind wir eine Gruppe. Aber ich meine jetzt lokale Graswurzelgruppen, die kontinuierlich vor Ort auftreten, dass das zurückgegangen ist, das enttäuscht mich, genauso wie ich meine, dass z.B. eine kontinuierliche Bildungsarbeit, wo Erfahrungen weitergegeben werden, wo eine emanzipatorische Konzeption von Informationsvermittlung, Lernen usw. geübt wird, das fehlt bei uns so ein bisschen.

Was gut klappt sind die Zeitung und der Verlag. Der Verlag wird zunehmend bekannter. Das wird sich auch für die Zeitung positiv auswirken. Dass längere Texte, die auch wegen der veränderten Lesegewohnheiten nicht so den Platz finden, dass die dann eben in inzwischen ja manchmal sehr dicken Büchern rauskommen, das halte ich für eine sehr positive Entwicklung. Und natürlich insgesamt, dass die Zeitung immer noch eine Auflage über 3.000 hat und an bestimmten Punkten tatsächlich interveniert. Dass Leute besonders auch über die Internetpräsenz vieles lesen und wahrnehmen, und wie mir Leute, die in der Zeitung schreiben, sagen, auch darauf reagieren, sich also mit den Texten tatsächlich auseinandersetzen. Das ist sehr gut.

Man muss auch sehen, dass man nicht ins Nichts produziert. Und wir kriegen ja durchaus Resonanz. Was ich ein bisschen auch als Problem sehe, ist, man muss sich klar machen, mit bestimmten Stilen der Darstellung, das bezieht sich auf Illustrationen, das Schriftbild, auf solche Dinge, da muss man meiner Ansicht nach ein bisschen drauf achten, weil sich manche Leute davon angesprochen fühlen, es schließt gleichzeitig aber andere aus, wenn es sehr stark als Darstellung einer bestimmten Szene wahrgenommen wird, zu der sich viele, die das sehen, eben nicht zählen.

Das ist ein Punkt, wo ich es gut fände, wenn wir verstärkt mal darauf gucken könnten, wie welche Informationen wahrgenommen werden und was da vielleicht zu verbessern wäre. Aber, wie viele Zeitungen sind in dieser Zeit leider, oder manchmal auch Gott sei dank, eingegangen. Es ist doch sehr interessant und beruhigend zu wissen, und das ist natürlich auch ein Dank, der an einzelne Leute geht, die das organisieren und die sehr viel dafür arbeiten, dass so eine Monatszeitung raus kommt.

Ganz am Schluss vielleicht noch eine Botschaft, die Du den Leserinnen und Lesern mitteilen möchtest, als Schlusswort?

Die Geschichtsschreibung über soziale Bewegungen hat sehr große Lücken und ist sehr parteiisch. Da ist auch ein Problem, dass sie oft von Leuten gemacht wird, die selber Teil davon sind oder waren und die ihre Fraktionsauseinandersetzungen immer noch weiter führen, wenn sie diese Texte schreiben.

Z.B., wenn man an die 70iger Jahre denkt, es sind ungeheuer viele Aktionen von Graswurzelgruppen gemacht worden, aber weil wir keine solche Vereinsstruktur oder so etwas hatten, sondern als lokale Gruppen agiert haben, manchmal und sogar als Schutz gegen Repression uns hinter anderen Vereinen versteckt haben, wurde ganz viel davon z.B. dem BBU (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz) zugeschrieben, oder später ist es die Friedensbewegung allgemein.

Wenn man an die Mutlangen-Blockaden und so denkt, weiß da überhaupt noch jemand, dass das vor allem auf die Gewaltfreien Aktionsgruppen zurückging? So gibt es viele Dinge, wo z.B., wenn man das von innen kennt und weiß, wie es abgelaufen ist, und weiß welche Strukturen da zum Tragen gekommen sind, und man liest die Beschreibungen davon, dann ist man sehr irritiert.

Schon die Namen, die bekannt und „im Gedächtnis“ bleiben: Wer war noch im „Revolutionären Kampf“ außer den Fischer, Beltz, … Hatte Cohn-Bendit nicht wenigstens einen Koch dabei?

Ich glaube, dass das für die historischen sozialen Bewegungen genauso gilt, vielleicht sogar noch stärker, wenn man sich allein nur die Frage stellt, welches Material in Archive gelangt, das ist ja überwiegend das staatliche, mit ganz enormen Lücken, mit einem Blick von oben, wo auch ganz bestimmte Gruppen überhaupt gar nie vorkommen. Eben weil sie nicht diese Vereinsstruktur und leicht zu durchschauende und leicht zu durchdringende zentralistische Strukturen haben. Über die wird da gar nichts berichtet, das ist viel zu mühsam eine Akte anzulegen. Oder wenn, dann gibt es einen Spitzelbericht mit vollständig entstellenden Informationen.

Oder es gibt Flugblätter oder Protokolle, aber wer kann sie adäquat interpretieren? Gerade Protokolle sind oft schlampig verfasst, mit Auslassung der wichtigsten und brisantesten Themen. Oft muss man sehr genau den Kontext kennen, gegen wen oder was ist etwas gesagt, was wird gerade nicht erwähnt, um die Situation zu erfassen.

Also, ich würde sagen, wenn man verschiedne Darstellungen liest, ist man doch immer wieder frappiert wie wenig das den Leuten zum Bewusstsein kommt, dass es möglicherweise vollkommen anders gewesen ist, als es in diesen Darstellungen, Berichten oder Rechtfertigungsschriften usw. dargestellt wird. Und vor allem, wenn man sich überlegt, wie sehr tatsächlich auch Erinnerungen auch von Interessen geprägt sind oder manchmal sogar Gedächtnisverlust. Wenn so eine soziale Bewegung geschlagen ist, dann setzt durchaus der Gedächtnisverlust ein und die Leute möchten nicht mehr dazu gehören, außer wenn sie sehr hartnäckig sind.

So wie wir ja hoffentlich.

Ein schöner Schlusssatz. Herzlichen Dank!

Terminhinweis

1.9., 14 Uhr, 35 Jahre Graswurzelrevolution-Fest, Bahnhofstr. 6, Könnern:

Nach 35 Jahren. Was wir wollten, was wir wurden. Freie Assoziationen zur Geschichte und den Perspektiven der Graswurzelrevolution

Referent: Johan Bauer