Am 11. Januar entschied der Europäische Gerichtshof, dass der Ausschluss von Frauen aus der Bundeswehr nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Relativ einheitlich wurde das Urteil in der Presse und von PolitikerInnen als Erfolg für die Gleichberechtigung der Frauen begrüsst. Doch bringt das Urteil wirklich mehr als eine Feminisierung Tucholsky's? Zweifel sind angebracht. (Red.)
„Letzte Bastion geschleift“ war der Kommentar der Frankfurter Rundschau zum Strassburger Urteil überschrieben (1), und ähnlich dürfte es in den anderen Medien ausgesehen haben. Zweifellos ist die Bundeswehr eine männliche Einrichtung nicht nur in dem Sinn, dass sie eine zufällige Ansammlung von Männern ist. Vielmehr symbolisiert sie – wie jede Armee – geradezu traditionell männliche Werte, ist somit eine zutiefst „maskuline“ Institution. Es erscheint mir mehr als fraglich, dass sich dies ändert, wenn Frauen Teil dieser Institution werden.
Erfahrungen aus anderen Ländern In vielen Staaten – meist sind dies Staaten, in denen die Wehrpflicht abgeschafft wurde – haben Frauen schon länger Zugang zur Armee, wenn auch in fast allen Fällen einige Bereiche – z.B. Eliteeinheiten – immer noch eine reine Männerangelegenheit bleiben. So liegt z.B. der Frauenanteil beim Militär in den USA und Kanada jeweils bei 12 %, in den meisten EU-Staaten (mit Ausnahme Deutschlands und Österreichs) bei ca. 5 % (2). Doch hat dies weder am „maskulinen“ Charakter des Militärs etwas geändert, noch an der gesellschaftlichen Position von Frauen.
Mit Frauen den Krieg möglich machen
Francine d’Amico schreibt zu den Erfahrungen mit amerikanischen Soldatinnen während des Golfkrieges: „Beschreibungen der Operationen „Desert Shield“ und „Desert Storm“ durch US-VertreterInnen sprachen gleichförmig von „unseren Männern und Frauen am Golf“ oder „unsere mutigen Soldaten und Soldatinnen“. Soldatinnen sind daher für das Militär nützlich, nicht nur weil sie Arbeiten ausführen, die für den militärischen Einsatz notwendig sind, sondern auch, weil sie diesen Einsatz legitimieren. Aus der Perspektive der Militärplaner sind Soldatinnen ausserdem wertvoll, weil sie aufgrund ihrer „pflegenden Sozialisation“ und ihrer Verfügbarkeit für sexuelle Dienste die Moral der männlichen Truppe steigern: so machen sie Krieg möglich, erhöhen die Effizienz der Tötungsmaschine.“ (3) In Israel ist die „Integration“ von Frauen in die Armee wohl am weitesten fortgeschritten. Trotzdem gibt es auch hier zahlreiche gesetzliche Vorschriften, die zwischen Frauen und Männern unterscheiden. Die Wehrpflicht gilt zwar sowohl für Frauen als auch für Männer, doch während Männer drei Jahre „dienen“ müssen, reichen bei Frauen zwei Jahre aus. Den einmonatigen jährlichen Reservedienst müssen Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren leisten, Frauen bis zu einem Alter von 24 Jahren. In der Praxis werden Männer bis zum 35. Lebensjahr zum Reservedienst einberufen, Frauen gar nicht. Auch werden Frauen viel schneller vom Militärdienst freigestellt als Männer (Gründe sind z.B. Schwangerschaft, Kindererziehung oder verheiratet zu sein), so dass nur etwa 40- 50 % aller wehrpflichtigen Frauen ihren Dienst tatsächlich ableisten (4). Trotz der Wehrpflicht für Frauen bleiben sie jedoch auch in Israel von Kampfeinheiten ausgeschlossen, und gerade der Kampf ist nicht nur innerhalb der israelischen Gesellschaft das Schlüsselelement bei der Definition von Männlichkeit (5). Trotz der Beteiligung von Frauen an der israelischen Armee ist die reale gesellschaftliche Position von Frauen in Israel nicht besser als in anderen vergleichbaren Staaten, im Gegenteil. In Israel gibt es gerade bezüglich Ehe und Scheidung immer noch stark diskriminierende gesetzliche Regelungen. Diese Tatsachen, so Uta Klein, »treten in Konflikt mit Theorien, die für die Integration von Frauen in die Streitkräfte argumentieren, und eine Verbesserung des Status von Frauen in der Gesellschaft behaupten. Das israelische Beispiel zeigt, dass die Wehrpflicht für Frauen keinen positiven Effekt bezüglich des Status von Frauen in der breiteren Gesellschaft hat. Cynthia Enloe weist das Argument zurück, dass Kriegserfahrung eine befreiende Kraft für die Rolle der Frau darstellt. Das israelische Beispiel ist eine starke Unterstützung für ihre Argumentation, dass Kriegserfahrung nur das Ausmass deutlich macht, in dem das Leben von Frauen durch männliche Eliten kontrolliert wird. Nur in relativ entmilitarisierten Gesellschaften, so argumentiert sie, haben Frauen, die sich nicht als maskulinisierte Politikerinnen sehen, eine Chance, das Land zu regieren“ (6) – wobei zu fragen wäre, ob es so erstrebenswert ist, zu „regieren“.
Gewalt und sexualisierte Gewalt bei Polizei und Armee
Die Realität von Frauen im Militär Anfang dieses Jahres sorgte ein Leserbrief der stellvertretenden Frauenbeauftragten der Giessener Polizei für Aufregung: Sie wehrte sich gegen die Behauptung eines harmonischen Verhältnisses zwischen Beamten und Beamtinnen und stellte fest, dass es „sexuelle Belästigungen von Kollegen gegenüber Polizistinnen“ gibt (7). Eine Studie aus Nordrhein-Westfalen hat ergeben, dass sich jede vierte Polizistin im Dienst von ihren Kollegen belästigt fühlt (8). Gegenüber der Polizei dürfte das Militär mit seiner Kasernierung noch eine weit mehr „maskuline“ Institution darstellen, und die Erfahrungen von Soldatinnen in den USA und Grossbritannien verheissen nichts gutes. So zeigen Untersuchungen zu sexueller Belästigung innerhalb der US-Streitkräfte von 1991, dass z.B. innerhalb der US-Marine 44 % der Soldatinnen und 33 % der Offizierinnen im vergangenen Jahr mindestens einmal belästigt worden waren. Bei Schülerinnen an US-Militärakademien ist der Anteil sogar noch wesentlich höher und lag zwischen 70 % und 78 % (9). Doch nur 4-6 % der Fälle führen zu formalen Beschwerden (10). Aufgrund des Charakters des Militärs als einer „maskulinen“ Institution sind diese Ergebnisse nicht verwunderlich. Auch wenn Frauen Zugang zum Militär erhalten, so bleibt das Militär ein Ort, an dem junge Männer sich (und anderen) ihre Männlichkeit beweisen. Besonders betroffen von sexuellen Übergriffen sind daher auch Frauen, die wenig Möglichkeiten haben, sich zur Wehr zu setzen – niedriges Bildungsniveau oder relativ neue Rekrutinnen, unverheiratete Rekrutinnen mit oder ohne Kinder. Doch nicht nur für Frauen, auch für Männer ist gerade in der Armee das Risiko, vergewaltigt zu werden, am höchsten (11).
Traditionelle Geschlechterrollen stabilisiert
Auch für Frauen innerhalb der Armee wird die geschlechtsbezogene Arbeitsteilung nicht aufgehoben, im Gegenteil. Durch die Ausbildung im Militär werden traditionelle Geschlechterbilder stabilisiert. In den meisten Armeen, die Frauen zulassen, überwiegt die Ausbildung in „weiblichen Fähigkeiten“ vor der eigentlichen Kriegsausbildung. So wird z.B. Soldatinnen der israelischen Armee beigebracht, wie sie entsprechend der Vorschriften Make-Up aufzutragen haben, und sich als „Offizierin und Dame“ zu bewegen haben. Selbst in Armeen, in denen Frauen eine Ausbildung an der Waffe erhalten, wird in der Regel die Selbstverteidigung für den Fall in den Vordergrund gerückt, dass das „unaussprechliche geschieht, d.h., dass männliche Soldaten darin scheitern, sie zu schützen, und Frauen so in face-to-face-Kontakt mit dem Feind geraten“. (12) Überwindung von Geschlechterdifferenzen? Fehlanzeige!
„SoldatInnen sind MörderInnen“ – das Dilemma bleibt
D’Amico kommt zu dem Ergebnis, dass „eine militärische Karriere … kaum als ein Vehikel für das Empowerment von Frauen angesehen werden kann, wie liberale Feministinnen behaupten. Anstatt dass wir unsere Anstrengungen vergrössern, „Frauen gleich zu machen“ innerhalb des staatlich-militärischen Apparates, müssen Feministinnen daran arbeiten, die militärische Institution und die zerstörerische Aussenpolitik, die von ihr ausgeführt wird, zu demontieren.“ (13) Trotzdem lässt sich natürlich das Dilemma, dass bestimmte Institutionen – und gerade die, die staatliche Macht symbolisieren – Frauen ausschliessen, und somit einen geschlossenen Raum zur Kultivierung von Männlichkeit schaffen, nicht einfach durch den Hinweis auf die Notwendigkeit ihrer Abschaffung auflösen – so richtig die Forderung nach Abschaffung aller Armeen auch ist. Aus feministischer Perspektive kann jedoch die wachsende Beteiligung von Frauen am Militär dennoch nicht als Beweis für Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung gesehen werden, sondern stellt eher ein Symptom für die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft dar. Auch wenn einige Frauen von den Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten profitieren mögen, die der Militärdienst bietet, so ändert die wachsende Beteiligung von Frauen am Militär doch nichts an der grundsätzlich ‚vergeschlechtlichten‘ Struktur der Institution, die in ihrem Kern auf Zwang beruht, hierarchisch und patriarchal ist. Tatsächlich hilft die wachsende Beteiligung von Frauen, die Institution zu legitimieren, indem sie ihr zu einer egalitären Fassade verhilft. Wenn Frauen den ‚Krieger-Mythos‘ akzeptieren, dann schwächen sie das Bild des Militärs als Agenten des Zwanges und der Zerstörung, und helfen, den Mythos des Militärs als demokratischer Institution zu verbreiten, als ‚Arbeitgeber mit gleichen Möglichkeiten‘ wie jeder andere auch, ohne Bezug zu seiner existentiellen Aufgabe: organisiertes Töten für politische Zwecke.“ (14)
Kriegsdienstverweigererinnen, Deserteurinnen und Saboteurinnen
Die Beteiligung von Frauen am Militär wird also das Militär selbst kaum verändern, und weder die traditionellen Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder noch die herrschende Geschlechterordnung ins Wanken bringen.
Auf der positiven Seite bleibt somit auch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes eigentlich fast nichts über, vom „Schleifen der letzten Bastion“ kann beim besten Willen nicht die Rede sein.
Dagegen wirken die negativen Effekte schwer: ein Legitimationszuwachs fürs Militär und eine weitere Militarisierung der Gesellschaft, die sich nun auch verstärkt auf Frauen erstreckt. Und da das Militär auch weiterhin das patriarchale Geschlechterverhältnis stützt und immer wieder neu produziert – auch mit Frauen im Militär – steht eher zu befürchten, dass die Voraussetzungen für eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses sogar schlechter werden. „SoldatInnen sind MörderInnen?“ – Bleibt zu hoffen, dass viele Frauen (und Männer) sich dem verweigern, und auf die Militarisierung von oben mit einer Entmilitarisierung von unten antworten. SoldatInnen sind nicht nur MörderInnen, sondern eben auch (potentielle) KriegsdienstverweigererInnen und DeserteurInnen. Und damit dann SaboteurInnen am Patriarchat. Hoffentlich!
(1) Frankfurter Rundschau, 12.01.00
(2) Zahlen nach: Andreas Speck, Masculinity and national identity as legitimation for military service. Thesis prepared for the War Resisters' International Seminar "The Changing Face of the Military", August 1999, unveröffentlicht
(3) Francine d'Amico: Feminist Perspectives on Women Warriors. In: Lois Ann Lorentzen & Jennifer Turpin: The Women and War Reader. New York/London 1998, S. 119-125
(4) War Resisters' International: Refusing to bear arms. A world survey of conscription and conscientious objection to military service. London 1998
(5) Uta Klein: War and Gender. What do we learn from Israel? In: Lois Ann Lorentzen & Jennifer Turpin: The Women and War Reader. New York/London 1998, S. 148-154
(6) Uta Klein, a.a.O.
(7)Frankfurter Rundschau, Hessen, 05.01.00
(8) Frankfurter Rundschau, Hessen, 06.01.00
(9) Sexual Harassment and Different Groups of Women
www.de.psu.edu/harass/analysis/ groups.htm
(10) Nathan Seppa: Sexual harrasment in the military lingers on. APA Monitor, Mai 1997
www.apa.org/monitor/may97/ military.html
(11) Rus Ervin Funk: Stopping Rape. A Challenge for Men. Philadelphia/Gabriola Island, 1993
(12)Francine d'Amico, a.a.O.
(13)Francine d'Amico, a.a.O.
(14) Francine d'Amico, a.a.O.