Nach 20 Jahren politischer Arbeit von Frauen innerhalb der WRI ist die Geschlechterfrage immer noch kein integrierter Teil des politischen Programms der WRI, obwohl diese als eigenständiges Thema akzeptiert wird. Warum? Am Anfang war es nötig, Frauenfragen separat zu halten, um sie überhaupt auf die Tagesordnung zu bringen. Aber heute könnten sich diese Themen sehr wohl im Pro-gramm der WRI widerspiegeln, was nur in geringerem Ausmaß geschehen ist. Bei diesem Artikel handelt es sich in erster Linie um einen Überblick über Themen und Fragestellungen, die für viele Frauen in der WRI zentral waren und sind, und nicht so sehr um eine Analyse, warum der feministische Ansatz im Programm der Organisation als Ganzes noch wenig integriert ist und wie dies zu tun wäre. (Red.)
Im folgenden will ich erst aufzeigen, wie männliche Gewalt gegen Frauen als Folge von Krieg und Militarismus zunimmt, und dann Beispiele von Frauen bringen, die sich gegen Gewalt und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft erheben. Es ist eine Zusammenfassung der Arbeit der WRI-Frauengruppe über Jahre hinweg. Der letzte Teil behandelt die Herausforderungen an die WRI. Wie kann die WRI eine integrierte Geschlechterpolitik (1) entwickeln, sowohl in der Analyse als auch in der Praxis, nach 75 Jahren ohne eine solche Politik? Wenn ich so frage, gehe ich davon aus, daß die WRI eine Weltsicht hat, als ob sie durch eine männliche Brille blickt. Ich vermute auch, daß die Praxis der WRI als Gesamtorganisation wenig Bewußtsein über die Geschlechterfrage beinhaltet.
Militarismus und männliche Gewalt gegen Frauen
Ebenfalls vor etwa 20 Jahren schrieb Susan Brownmiller das Buch „Against our will: Men, Women and Rape (deutscher Titel: Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft, Frankfurt 1980) und zeigte, daß Vergewaltigung immer Bestandteil von Kriegen war und ist (Brownmiller 1975). Es ist deshalb überraschend, wie die Gesellschaft und die Medien reagierten, als die Massenvergewaltigungen in Ex- Jugoslawien bekannt wurden, als ob diese eine isolierte Erscheinung seien. Nichtsdestoweniger wurde durch die Grausamkeiten in Ex-Jugoslawien Vergewaltigung als Kriegsverbrechen thematisiert. Auch die ethnischen Konflikte in diesem Gebiet haben gezeigt, wie Frauen als Werkzeug benutzt werden, um die Männer auf der anderen Seite des Konflikts zu beleidigen, und daß alle Konfliktparteien diese Methode benutzen. Dies spiegelt wider, wie die Gesellschaft Frauen meistens als das Eigentum von Männern bewertet, wie der staatliche Nationalismus Frauen für seine Zwecke funktionalisiert. Hier ein Beispiel aus Serbien: serbische Frauen werden als Gebärmaschinen benutzt, die Kinder für den Krieg produzieren sollen, wenn dies erwünscht ist – albanische, moslemische oder Romafrauen sollen dagegen ihre Geburten kontrollieren. Dies zeigt, wie auf diese Weise ethnische Unterschiede benutzt werden, um Frauen zu spalten.
Nach dem Militärputsch 1987 auf den Fidji-Inseln gab es Berichte, daß die Frauenhäuser zunehmende Nachfrage nach Unterstützung für Frauen, die zuhause geschlagen wurden, registrierten. Der verstärkte Militarismus verursachte eine schwierige ökonomische und soziale Situation für viele Menschen. Viele Männer wurden arbeitslos und empfanden ihre Lage als erniedrigend, weil sie ihre Familien nicht unterstützen konnten. Es gab auch Vergewaltigungen, die von Soldaten begangen wurden, und besonders die auf den Fidji-Inseln lebenden indischen Frauen waren Gewalt ausgesetzt. Der Putsch erschwerte die Lage des indischen Bevölkerungsanteils.
In Indien sind Vergewaltigungen von Frauen in Konflikten zwischen Gemeinwesen keine seltenen Vorfälle. Frauen werden mit Land gleichgesetzt, und die Vergewaltigung von Frauen steht für die Wegnahme des Besitzes, um den es geht. Während des Konflikts fliehen die Männer aus dem Dorf, während die Frauen zurückbleiben, um sich um die Kinder zu kümmern. Dann kommen die verfeindeten Männergruppen und vergewaltigen aus Rache die Frauen, wobei sie die Frauen als Objekt betrachten, und dadurch dem Besitz des Mannes Schaden zufügen.
In Kambodscha war ein großer Anstieg der Prostitution festzustellen. UN-„Friedenstruppen“ sind unter den Kunden der Bordelle in Phnom Pen. Der Chef der UNCTAD-Soldaten bezeichnete die Zunahme der Prostitution aufgrund der Anwesenheit von UN-Truppen als normal. Der Krieg in Burma drängt Frauen aus ethnischen Minderheiten in die Prostitution in Thailand, in einigen Fällen „freiwillig“, weil sie keine Alternativen sehen und in einigen Fällen, weil sie entführt und als Prostituierte verkauft werden.
Kriege und militärische Konflikte machen Situationen angespannter. Soldaten (immer noch hauptsächlich Männer) sind in unnatürlichen und isolierten Situationen, die sie gewalttätiger machen. Susan Brownmiller sagt, daß Männer, die in Kriegen vergewaltigen, ganz normale Männer sind, die sich nur ungewöhnlich verhalten, weil sie plötzlich Mitglied des „exklusivsten Jungenclubs der Welt“ geworden seien. Aber warum sollen Frauen die Opfer in solchen Situationen sein? Brownmiller schreibt weiter, daß im Krieg Männer einen Vorwand dafür finden, ihre Frauenverachtung auszudrücken. Ob und in welcher Weise sich diese Verachtung in Zukunft zeigen wird, wenn mehr Frauen dem Militär angehören, ist eine offene Frage. Es gibt heute viele Beispiele, daß die Belästigung von Frauen innerhalb des Militärs weitergeht.
Diese Verachtung zeigt, wie Frauen durch die Gesellschaft als ganzes bewertet werden. Vergewaltigung, Gewalt und andere Formen der Abwertung sind Frauen täglich überall ausgesetzt. Saswati Roy von SWADHINA in Indien betrachtet die Gewalt gegen Frauen auf verschiedenen Ebenen. Eine Ebene ist die allgemeine gesellschaftliche Gewalt, die von Religionen und Gemeinschaften ausgeübt wird, die einander bekämpfen, was sich schließlich negativ auf das Leben von Frauen auswirkt. Was auch immer in der Gesellschaft passiert, hat spezifische Folgen für die Frauen. Dies könne als Ausdruck des gesellschaftlichen Lebens gesehen werden. sagt sie. In Indien werden Frauen nicht als Individuen akzeptiert. Mädchen und Frauen sind eine Last für die Familie. Weibliche Föten werden mit Zustimmung der Mutter abgetrieben. Die Gesundheit von Frauen wird vernachlässigt, ebenso ihre Ausbildung. Frauen werden zum Heiraten weggegeben; dies kostet eine Menge Geld und bedeutet einen Verlust für ihre Familie, während eine Heirat für die Familie des Mannes einen Gewinn darstellt. In der Ehe wird der Status der Frau als niedrig angesehen. Wenn diese erste Form von Gewalt erst als normal betrachtet wird, bildet sie die Voraussetzung für andere Formen von Gewalt. Dies werde verinnerlicht. In Indien arbeitet Saswati Roy deshalb mit Frauen aus den Dörfern, um deren Selbstwertgefühl aufzubauen. (2)
Staaten und internationale Institutionen kontrollieren Frauen auf vielerlei Art. In Brasilien finanzierten die USA bis 1992 ein Programm der Massensterilisation. Die indonesische Regierung setzt „Familienplanungs“programme ein, um ethnische Gruppen unter Kontrolle zu halten.
Auch im reichen, industrialisierten Teil der Welt zeigt sich, daß Tätigkeiten, die traditionell Frauen zugeordnet werden, einen geringen Wert haben. In Norwegen haben Frauen viele Rechte erkämpft, aber es handelt sich sozusagen automatisch um eine Gleichheit, die an männlichen Werten ausgerichtet ist. Mädchen übernehmen die Werte der Jungen und nicht umgekehrt. In meiner Gesellschaft kommt es darauf an, der Arbeit und den Aktivitäten von Frauen einen höheren Stellenwert zu geben und Männer in diese Art von Aktivitäten einzubeziehen.
Frauen an der Spitze des Protestes
Es gibt viele Beispiele in der ganzen Welt, wo Frauen ihre Stimme erheben und aktiv auf Graswurzelebene Alternativen in Form von Aktionen, Sozialarbeit, Landwirtschafts- und Gesundheitsprojekten organisieren. Oft sind sie aktiv, weil es mit ihrem Alltag und der Notwendigkeit zu überleben zu tun hat. Durch Kolonialisierung, Unterdrückung, Krieg oder wirtschaftliche Depression hat es immer Frauen gegeben, die allein für die Familie verantwortlich sind. Sie müssen für das Essen und das Aufwachsen der Kinder sorgen.
Viele weibliche OrganisatorInnen von Kampagnen gibt es bei den indigenen Völkern, z.B. bei den UreinwohnerInnen in Lateinamerika und in den pazifischen Ländern. Oft kämpfen sie mit gewaltfreien Mitteln. Sie sehen sich als BewahrerInnen der Kultur durch ihre Rolle als Mütter zukünftiger Generationen. Oder sie spielen eine herausragende Rolle in gemischten Gruppen, wie zum Beispiel im Kampf der landlosen LandarbeiterInnen in Brasilien, wo Frauen an der Front der Auseinandersetzungen mit der Polizei waren.
In Indien organisieren sich Landfrauengruppen, um sich selbst weiterzubilden und sich gegenseitig für einen strukturellen Wandel zu stärken und zu ermutigen, indem sie eine alternative Produktion aufbauen. Die Änderung von Einstellungen, die Stärkung des Selbstbewußtseins, Unabhängigkeit und Eigenständigkeit sind dabei wichtige Elemente.
In Papua-Neuginea haben Frauengruppen die Männer in ihr Programm zu Familienplanung, Gesundheit, gewaltfreies Training, Gewalt gegen Frauen miteinbezogen, weil sie davon ausgehen, daß die Männer, wenn sie ausgeschlossen werden, sich als Außenseiter fühlen. Wenn sie in das Programm integriert werden, werden auch die Männer einen Bewußtwerdungsprozeß durchlaufen und sich verantwortlich fühlen.
Frauen in Ex-Jugoslawien protestieren als „Frauen in Schwarz“ gegen den Krieg, angeregt durch Frauen in Israel/Palästina, die dort ebenfalls Grenzlinien überschritten und sich zu einem Protest gegen die israelischen Behörden trafen. Wir haben die russischen Mütter und die tschetschenischen Frauen gesehen, die Mütter von der Plaza de Mayo in Buenos Aires in Argentinien gegen die Militärdiktatur, Frauen in Nordirland 1976 und heute, 30 Jahre später, als dieses Jahr Bomben in London explodierten und Frauen in Belfast schnell mit weißen Papiertauben in den Händen die Straßen füllten. 1915 kamen Frauen aus kriegsführenden und neutralen Ländern zusammen, um gegen den ersten Weltkrieg zu protestieren; später gründeten sie die „Women’s International League for Peace and Freedom“.
Wir müssen uns auch bewußt sein, daß Frauen durch ihre Passivität und ihre untergeordnete Stellung in der Gesellschaft oft zu Komplizinnen des Krieges der Männer werden. Sie unterstützen ihre Männer, die in den Krieg ziehen. Auf der anderen Seite gibt es auch Frauen, die sich gegen Ungerechtigkeit wehren, indem sie sich dem Krieg der Männer anschließen. Kürzlich wurde über tschetschenische Frauen berichtet, die sich der Guerrillaarmee angeschlossen hatten. Sie sagten einerseits, daß sie an der Befreiung teilnehmen würden, aber gleichzeitig äußerten sie auch, daß ihre Rolle dem Mann untergeordnet sei und sie tun müßten, was dieser sagt.
Da aber Guerrilla- bzw. sog. Befreiungsarmeen immer durch Hierarchien gekennzeichnet sind, stößt der Anspruch auf Frauenbefreiung dort sehr schnell an Grenzen.
Hier stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Feminismus und Gewaltfreiheit. Beiden Ansätzen ist gemeinsam, daß sie Herrschaftsverhältnisse grundsätzlich kritisieren. Dies bedeutet aber nicht, daß eine gewaltfreie Aktion, oder eine Organisation, die sich auf gewaltfreie Prinzipien bezieht, Frauenbefreiung sozusagen selbstverständlich mit einschließt. Vielmehr müssen auch dort die Gewaltstrukturen und die Hierarchie zwischen den Geschlechtern eigens thematisiert werden.
Andersherum sind Frauen natürlich auch nicht sozusagen automatisch gewaltfrei. Jedoch wird den Frauen traditionell qua Geschlecht „Friedfertigkeit“ zugeschrieben – eine Eigenschaft, die auch systemstabilisierende Komponenten aufweist.
Feministische Gewaltfreiheit muß deshalb immer wieder neu speziell auch Herrschaftsstrukturen zwischen den Geschlechtern thematisieren, Männergewalt kritisieren und am Abbau von Rollenklischees arbeiten.
Internationale Solidarität
Einige Kampagnen und Aktionen können an einem bestimmten Ort erfolgreich sein. Aber ein solcher „Sieg“ wirkt sich auf andere Orte der Welt möglicherweise negativ aus. So hat die Frauenbefreiung im „Norden“ Konsequenzen für Frauen im „Süden“, z.B. wenn Männer aus dem Norden auf Sextouren in den „Süden“ reisen.
Die Volksbewegung auf den Philippinen vertrieb schließlich die amerikanischen Militärstützpunkte. Dies hinterließ eine Reihe von Problemen, z.B. Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Infrastruktur, die mit den Stützpunkten verbunden waren, das Schicksal von Frauen, die als Prostituierte gearbeitet hatten, und ökologische Probleme, die durch die Stützpunkte verursacht worden waren. Durch den Abzug der Militärbasen von den Philippinen entstand für das US-Militär ein militärisches Sicherheitsproblem. Jahrelang hatten die USA Druck auf Palau ausgeübt, diese Lücke zu schließen. Besonders aktiv gegen den amerikanischen Druck auf Palau waren die dortigen Frauen. Diese Beispiele zeigen deutlich, wie wichtig es ist, nicht nur die eigene Betroffenheit im Blick zu haben, sondern die weltweiten Auswirkungen zu analysieren, um die Folgen für Frauen in anderen Regionen der Erde überblicken zu können. Die transnationale Vernetzung von Frauen ist ein Weg, dies zu erreichen.
Ein solches weltweites Netzwerk, das versucht, Solidarität zwischen Individuen, Gruppen und Regionen in der ganzen Welt aufzubauen, ist die Frauenarbeitsgruppe der WRI.. Die Frauen in Ex-Jugoslawien haben immer wieder betont, wie ihnen in der ersten Phase des Krieges Solidarität entgegengebracht wurde. In Serbien versuchte die Regierung, das Volk entlang ethnischer Trennungslinien zu spalten. PazifistInnen und Feministinnen von außerhalb halfen ihnen, moralisch und psychisch zu überleben, als 1990 die Verbindungen zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb des Landes abbrachen. Die Bewegung draußen brachte ihnen auf alternativen Wegen Post, Nachrichten und Süßigkeiten.. Vor allem italienische Feministinnen organisierten Treffen mit Frauen in Ex-Jugoslawien, was für diese von großer Bedeutung war.
Diese und ähnliche Erfahrungen inspirierten die internationale Frauenkonferenz in Bangkok (1992), den 8. März zu einem Aktionstag zum „Überschreiten von Grenzen“ (crossing the line) zu machen, wodurch Frauen auf lokaler Ebene einbezogen werden sollten. Die Idee war, daß Frauengruppen mit ebensolchen in anderen Staaten, Gemeinden, ethnischen Gruppen und Kulturen der „anderen Seite“ kommunizieren und gemeinsame Aktionen planen, egal ob es sich um Nachbarschaftsviertel oder Nationen handelt, die miteinander in Konflikt stehen (wie z.B. gemeinsame Aktionen von griechischen und türkischen Frauen auf Zypern, israelischen und palästinensischen Frauen, kroatischen, serbischen und bosnischen Frauen oder, wie in den USA, Frauen verschiedener Hautfarbe oder ökonomischer Klassen.) Dieser Aktionstag kam nie so richtig in Gang wie frau es sich vorgestellt hatte, trotz Aktivitäten an vielen Orten auf lokaler Ebene, die vielleicht nicht bekannt wurden.
Herausforderungen für eine Organisation von Frauen und
Männern
Es gibt Zusammenhänge zwischen Militarismus, Gewalt gegen Frauen und ökonomischer Unterdrückung, ebenso wie Nationalismus und Ethnozentrismus Frauen in besonderer Weise betreffen. Die Lage unterscheidet sich von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent, und besonders verschieden sind die Lebensbedingungen von Frauen aus dem „Norden“ und dem „Süden“. Es gibt jedoch gewisse gemeinsame Aspekte wie alltägliche Gewalt gegen Frauen und stereotype Bilder von Frauen, die von der Gesellschaft geschaffen werden. Der Unterschied besteht darin, wie dies ausgedrückt wird.
Die bisher dargestellten Aspektes sind nur eine Auswahl von den Themen, die auf der Tagesordnung der WRI- Frauenarbeitsgruppe stehen. Andere Themen waren Analysen zu Feminismus, Militarismus und Gewaltfreiheit sowie internationale Aktionen gegen einen Wehrdienst für Frauen. Auch wurde über Frauen in Befreiungsarmeen diskutiert. Frauen, die – als erstes in Greenham Common – die Zufahrt zu militärischen Einrichtungen besetzten, vernetzen sich mit Frauen, die gegen westliche Militärstützpunkte und Sextourismus im „Süden“ kämpfen., und nun hat auch die Frage nach „Entwicklung“ als Thema Eingang in die Gruppe gefunden. Dies sind jedoch Fragen, die separat von den anderen Punkten der WRI-Tagesordnung behandelt werden.
Die WRI ist eine Organisation, deren Ziel es seit 75 Jahren ist, alle Kriegsursachen zu beseitigen. In diesem Zusammenhang habe ich die Folgen von Kriegen für Frauen betrachtet. Von den vielen Themen der WRI konzentriert sich die Organisation vor allem auf die Zusammenhänge zwischen Armut und Krieg, Militärindustrie und militärischem System. All diese Aspekte haben starke Auswirkungen auf Frauen: Frauen sind die große Mehrheit unter den Armen. Kriege, Militarismus und Militärausgaben verursachen Armut. Wir können uns nur wundern, warum der Geschlechteraspekt noch kein integrierter Bestandteil der Perspektive und des Programms der WRI geworden ist.
Der Begriff Kriegsursachen legt (mindestens) zwei Betrachtungsweisen nahe: Was sind die Ursachen von Krieg?, und: Was sind die Folgen von Krieg? In einer geschlechtsspezifischen Betrachtungsweise wird Männlichkeit als eine der Kriegsursachen ausgemacht werden. Es sind die Männer, die in der Position sind, den Krieg zu beginnen und die Waffen für den Krieg zu produzieren; sie sind immer noch die Soldaten, die im Krieg kämpfen usw. In der gleichen Weise kann eine Analyse der strukturellen Gewalt gemacht werden, die Teil des gesellschaftlichen Alltags ist und wo Frauen immer noch die Opfer sind.
Die WRI ist eine männlich dominierte Organisation. Durch ihre Geschichte hindurch waren Anti- Wehrpflichtkampagnen eine wichtige Grundlage für ihre Existenz, und wie immer hat es Frauen gegeben, die die Männer unterstützten, als diese nein zu einem System sagten, das der Zerstörung diente.
So ist es nicht verwunderlich, daß Frauen in der WRI vor etwa 20 Jahren begannen, ihre eigenen Themen einzubringen, ihre Situation als Frauen innerhalb der WRI thematisierten und nach Zusammenhängen zwischen Militarismus, Gewaltfreiheit und Feminismus fragten. Um diese Fragen genauer untersuchen zu können, wurden Frauentreffen und -konferenzen organisiert. (siehe nebenstehenden Artikel) Daneben gab es während der Dreijahreskonferenzen Arbeitsgruppen nur für Frauen – dies geschah nicht ohne mehr oder weniger offene Proteste der Männer der Bewegung.
Die WRI befindet sich nun in einem Vakuum, eine neue Rolle in einer sich verändernden Welt zu finden. Die europäischen Sektionen, die in vielerlei Hinsicht die Basis der WRI gewesen sind (zumindest finanziell), sind dabei, sich aufzulösen, weil die Staaten nun Berufsarmeen bevorzugen. Es ist deshalb wahrscheinlich notwendig, neue antimilitaristische Kampagnen zu organisieren, um diese Gruppen wieder neu zu beleben, ebenso wie es dann für Frauen selbstverständlich sein wird, sich zu beteiligen, da viele Frauen auch als Berufssoldatinnen rekrutiert werden.
Eine der vielen neuen Herausforderungen für die WRI ist es, Friedensteams für Konfliktsituationen zu initiieren. Freiwillige (Männer und Frauen) werden ausgebildet, um den Dialog zwischen gegnerischen Gruppen in Konfliktsituationen zu ermöglichen. Sie gehen in Gesellschaften, die sich von ihrer eigenen sehr stark unterscheiden. In der Gesellschaft Ex-Jugoslawiens werden Frauen massiv unterdrückt, was durch den Krieg noch verstärkt wird, und sie ist wesentlich unterdrückerischer als die Gesellschaften, aus denen viele der Freiwilligen kommen. Wie wird die sich widersprechende gesellschaftliche Bewertung von Frauen innerhalb der Teams reflektiert? Und wie wirkt sich dies auf den Umgang des Teams mit der Bevölkerung im allgemeinen und besonders mit Frauen aus? Ist es nötig, besondere Rücksichten zu treffen? Werden solche Fragen überhaupt gestellt??
Die exjugoslawische Gesellschaft ist nach dem Ende des Kalten Krieges sexistischer geworden wie viele andere osteuropäische Länder auch. Die WRI sieht die Notwendigkeit, ihre Arbeit entsprechend der Umbrüche der letzten Jahre zu verändern. Im Prozeß der Veränderung ihrer Strategien hat die WRI eine einzigartige Chance, den Geschlechteraspekt zu integrieren. Denn in einer sich verändernden Welt ist es auch angemessen zu fragen, auf welche Weise sich die Situation von Frauen gewandelt hat und welche Rolle Frauen einnehmen wollen.
Auf der Dreijahreskonferenz in Brasilien 1994 schloß die Arbeitsgruppe der Frauen ihre Arbeit mit folgender Erklärung ab:
„Der Alltag von Frauen muß sichtbar und Teil internationaler Politik werden. Häusliche Gewalt und ökonomische Unterdrückung sind alle Teil einer großen sozialen Frage: die Unterbewertung von Frauen in der Gesellschaft. Frauen haben sehr viel Bewußtseinsarbeit geleistet, und es muß noch mehr getan werden. Aber wenn dieser Themenkomplex Teil der Arbeit der WRI werden soll, werden wir die Männer in der WRI herausfordern müssen. Die Herausforderung steht im Zusammenhang damit, wie wir die Welt verändern wollen. Sie hat mit materiellen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu tun, aber auch damit, wie wir unsere Beziehungen zueinander gestalten.“
(1) Im englischen Originaltext: "gender policy". "Gender" bedeutet im Gegensatz zu "sex" (biologisches Geschlecht) das soziale Geschlecht, also die gesellschaftlich geprägte und damit veränderbare Geschlechtsrolle, d.Ü.
(2) Zur Situation von Frauen in Indien siehe auch den Artikel von Smriti Sakar in diesem Heft: Zwischen Modernisierung und Subsistenzwirtschaft
Ellen Elster ist seit vielen Jahren in der WRI-Frauenarbeitsgruppe aktiv und zur Zeit Mitglied des WRI- Vorstandes. Sie lebt in Oslo.