"Kein Kongreß 'Science Fiction' in Heidelberg!" Das war die entschiedene Forderung sämtlicher Behinderten-Gruppierungen; koordiniert und als Aktionsbündnis zusammengeschlossen im "Bundesweiten Forum der Krüppel- und Behinderteninitiativen". Unterstützt wurden die Proteste und Gegenveranstaltungen vor Ort von regionalen Behinderteninitiativen, Antifa-Gruppen und der Heidelberger gewaltfreien Aktionsgruppe. (Red.)
Monatelang vor dem 1. Mai 96, der als „feierlicher Eröffnungstag“ des Kongresses galt, wurde zur bundesweiten Demonstration gegen den Referenten-Auftritt des australischen Euthanasievertreters und Bioethikers Peter Singer aufgerufen. Damit verknüpft war die Hoffnung und Forderung, diesen Kongreß möglichst ganz zu verhindern, bzw. mit dem Einsatz von gewaltfreien Mitteln zu stören.
Die erste „Protest-Druckwelle“ bewirkte, daß die VeranstalterInnen (das private Institut für Systemische Forschung Heidelberg und die Internationale Gesellschaft für systemische Therapie e.V.) bereits am 1. April 96 den „prominenten Bioethiker“ aufgrund von befürchteten „gewalttätigen Protesten“ offiziell wieder ausladen mußten.
Jedoch wurde mit der Ausladung der „bioethischen Symbol-Person“ das eigentliche Problem nicht gelöst. Die Thesen, welche P. Singer vertritt, wurden auf dem Kongreß unabhängig von dessen Auftritt zur Diskussion gestellt. Insbesondere dessen Gesinnungsfreund Norbert Hörster, Rechtswissenschaftler in Mainz, referierte dort seine Sichtweise der Euthanasiefrage. Er gilt als radikaler Verfechter von P. Singers Thesen und versucht, diese ins deutsche Rechtssystem zu integrieren.
Panikmache?
Was sollten die strikten Protest-Forderungen und die Diskussionen um die Ein- und Ausladung bewirken? Was kann schon so ein „akademischer Kongreß“ politisch ausrichten und beeinträchtigen? Wozu diese ganze „Panik- und Protestwelle“? Das fragten sich womöglich Außenstehende.
Wer nicht behindert und unmittelbar betroffen ist, also als „normal“ gilt, kann sich zumeist nicht leicht in die Lage von behinderten Menschen hineinversetzen. Das Problem der Sterbehilfe, auf einer rein akademischen Ebene diskutiert, in Verbindung mit einer „utilitaristischen Ethik“ (Kosten-Nutzen-Denken), muß zweifelsohne für viele behinderte Menschen wie „ein Schlag ins Gesicht“ wirken. Abgesehen davon handelt es sich dabei nicht nur um bloße Gedankenkonstrukte, sondern um bereits großenteils auch real umgesetzte Praktiken in Krankenhäusern sowie in der praktizierten Genforschung.
Formulierungen wie folgende von Norbert Hoerster zeigen da eine eindeutige Tendenz auf: „Natürlich gibt es etwas wie ‚lebensunwertes‘ Leben. Ich vermag keineswegs etwas Inhumanes oder Verwerfliches darin erblicken, über das Leben eines bestimmten Menschen zu sagen, es sei nicht ‚lebenswert‘.“ (zitiert nach N. Hoerster: Tötungsverbot und Sterbehilfe, in: Medizin und Ethik, hrsg. von M. Sass, S.292ff) Zwar wird hier nicht eindeutig definiert, was genau unter ‚lebenswert‘ zu verstehen ist. Jedoch wird eindeutig ausgesagt: es gibt „… etwas wie ‚lebensunwertes Leben‘.“ Also: Selektion, Ausgrenzung, Tötung…!? Und wer darf eigentlich darüber entscheiden, welche Art von Lebens- und Wesensart ‚lebenswert‘ ist (in medizinischer und philosophischer Hinsicht; sowie auch dann in der konkreten Praxis)?
Potentielle MörderInnen
„Die Tötung eines behinderten Säuglings ist nicht moralisch gleichbedeutend mit der Tötung einer Person. Sehr oft ist sie überhaupt kein Unrecht.“ (zitiert aus P. Singer: Praktische Ethik, 1984, S.188) Bei dieser Differenzierung zwischen ‚lebenswertem‘ und ‚lebensunwertem‘ Leben wird ‚Bewußtsein‘ als Unterscheidungskriterium gesetzt. Aus dieser Unterscheidung heraus leiten die in diese Richtung denkenden BioethikerInnen und deren GesinnungsfreundInnen letztendlich auch die Notwendigkeit der Tötung von so bezeichneten „Schwerbehinderten“, „unheilbar Kranken“ und „altersschwachen Menschen“ ab.
Wer das Lebensrecht behinderter Menschen in Frage stellt (und geschieht dieses auch in vornehmer – akademischer – Art), ist potentiell auch deren MörderIn.
Es liegt auf der Hand, daß auf dem „Science-Fiction-Kongreß“ eine „geisteswissenschaftliche Legitimation“ für bereits mittlerweile zur Normalität gewordene medizinische und gentechnische Praktiken der Selektion geschaffen werden sollte: „Die Frage, wer leben darf oder nicht, die Herr Singer stellt (und theoretisch zu beantworten sucht), wird alltäglich in Kliniken praktisch entschieden. So wird beispielsweise ein großer Prozentsatz, der jedes Jahr in Deutschland durchgeführten Abtreibungen wegen pränatal diagnostizierter Behinderungen durchgeführt. Die Selektion findet also längst statt.“ (zit. aus der öffentlichen Erklärung der VeranstalterInnen zur Ausladung Singers)
Auf diese eindeutigen Tendenzen und Tatsachen sollten die bundesweiten, organisierten Proteste, Diskussionen, Zusammenschlüsse von behinderten Menschen, sowie die aktive Teilnahme von Nicht-Behinderten-Gruppen und nichtbehinderten Einzelpersonen grundlegend aufmerksam machen. Diese Zielbestimmug ist, so meine ich, in einem ersten Schritt durchaus gelungen. Die Problematik ist – gerade auch mit der Tatsache „der Ausladung“ des prominenten Bioethikers bzw. der Forderung, den Kongreß „mit den gegebenen Inhalten“ evtl. überhaupt nicht stattfinden zu lassen – in das sichtbare Blickfeld der öffentlichen Diskussion geraten. Das ist immerhin – eben ein erster Schritt.
Anmerkungen
Als Ergänzung zu diesem Artikel sind die Thesen auf Seite 7 zu verstehen: "Gewaltfreiheit und der Wert des Lebens"
Kontakt
BioSkop e.V. - Forum zur Beobachtung der Biotechnologien und Bundesweites Forum der Krüppel- und Behinderteninitiativen
c/o Volker van der Locht
Grendplatz 4
45276 Essen
Tel: 0201/512647
Fax: 0201/519792
Die Randschau - Zeitung politischer Behindertengruppen
Jordanstr. 5
34117 Kassel
Tel: 0561/7288551
Dokumentation
Dokumentation gegen den Kongreß "Science/Fiction" vom 1.-5.5.96 in Heidelberg, 42 S., 5 DM, zu bestellen bei:
Autonome Antifa HD
Stichwort "Kongreß"
c/o Infoladen Moskito
Alte Bergheimer Str. 7a
69115 Heidelberg
Tel/Fax: 06221/22625