Das Bombodrom in Wittstock ist mittlerweile der bundesweit bedeutendste Ort des Widerstands gegen die Truppenübungsplätze der Bundeswehr. Nach den erfolgreichen Sommeraktionstagen 1995 (siehe GWR 201) laden in diesem Jahr die FöGA zusammen mit der FREIen HEIDe Berlin alle zu den diesjährigen Sommeraktionstagen 1996 vom 29.7. bis 4.8. ein. (Red.)
Seit den Sommeraktionstagen 1995 hat sich die Auseinandersetzung um den Wittstocker Bombenabwurfplatz weiter zugespitzt, aber nicht grundlegend verändert. Die Bundeswehr wirbt im Westen mit einer Entlastung der Plätze bei Siegenburg und Nordhorn, im Osten, speziell in der Ruppiner Region, mit Minderbelastung im Vergleich zur Nutzung durch die Sowjetarmee. Sie verspricht, dort eine Garnison zu stationieren und viele Millionen zu investieren, was nur in der Stadt Wittstock auf besonders große Ohren stößt.
Die BI gewann weitere KlägerInnen und organisierte weitere Protestwanderungen. Es wurde eine weitere Klage auf Herausgabe bereits übereigneter Grundstücke eingereicht. Am 29. August 1996 wird vor dem Verwaltungsgericht Potsdam das erste Urteil in der Hauptklage gesprochen.
In der Region Wittstock spielt die ökonomische Diskussion vielleicht nicht die entscheidende, aber auf jeden Fall die zentrale Rolle. Die Bundeswehr agiert nur auf diesem Feld und es gelang ihr, die Stadt Wittstock auf die eigene Seite zu ziehen. Alle anderen setzen weiterhin auf eine zivile Entwicklung in der Region und „lassen sich nicht für dumm verkaufen“.
Möglichkeiten und Grenzen des Rechtsstreits
Erst am 25. März und 10. Juni 1992 wird der Bombenplatz in einem Truppenübungsplatz (TÜP)-Konzept der Bundeswehr genannt. Allerdings wird das für schwer realisierbar gehalten, denn, wie schriftlich noch am 28. Mai 1993 bekundet, erwartet die Bundeswehr, daß Eigentumsansprüche von Gemeinden erhoben werden und demnach Vermögenszuordnungen an diese gemäß Art. 21 Abs. 3 des Einigungsvertrages erfolgen. (Vermögenszuordnungen sind Bescheide über Rückgabe von beschlagnahmtem Eigentum )
Die Oberfinanzdirektion Cottbus hat bis Ende 1995 nur einige Flurstücke durch Bescheide der BRD den Antragstellenden zugeordnet. Das führte sofort zur Klage der anderen beim Verwaltungsgericht Potsdam. KlägerInnen sind der Landkreis, Gemeinden und etliche Privatpersonen. Inzwischen sind noch einige KlägerInnen dazugekommen. Für etwa 210 ha des Platzes ist die Rechtslage derzeit gar nicht klärbar. Es ist unbekannt, ob dafür sog. Restitutionsansprüche gestellt wurden, denn man kennt die Katasterbezeichnung, die Nummern der Flurstücke nicht. Sie sind damit rechtlich nicht erfaßbar.
Preußentum versus Demokratie
Juristisch argumentiert die Bundeswehr folgendermaßen: Sie fordert für den TÜP Wittstock „Bestandsschutz“ (in seiner bisherigen militärischen Nutzung) und begründet das mit unveränderter „Raumwirksamkeit“ (d.h. es hätte sich nichts geändert) für die AnliegerInnen gegenüber dem früheren Zustand.
Art. 28.2 GG räume zwar den Gemeinden ein Selbstverwaltungs- und damit ein Planungsrecht „im Rahmen der Gesetze“ ein. Der Bestandsschutz grenze aber dieses Planungsrecht bereits ein. Außerdem hätten die Gemeinden in ihren Bauleitplänen, die ein Teil des Planungsrechts sind, „die Belange der Verteidigung“ zu berücksichtigen, andernfalls würde den Plänen vom Verteidigungsministerium im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens widersprochen. Die Sonderrechte der Bundeswehr sind im Grundgesetz verankert. Diese wurden in der Vergangenheit höher bewertet als andere Grundrechte. So gibt es seit fast 10 Jahren ein höchstrichterliches Urteil zu Klagen westdeutscher Tiefflugopfer. Außer der Ersatzpflicht der Bundeswehr für nachgewiesene Schäden heißt es darin lapidar: „Kein Gericht darf den Übungsbedarf der Bundeswehr prüfen und beurteilen, dies ist allein Aufgabe der politischen Führung“.
Das wäre sehr im Interesse der Bundeswehr, wie wir meinen, denn dann ginge der Streit nur um Planungshoheit und ‚Verteidigungs’anspruch. Die KlägerInnen argumentieren mit den allgemeinen Grundrechten gemäß Art. 2 und 3.3 GG. Die Klagen wg. Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (wie von den Tiefflugbetroffenen vorgetragen ) erklärt die Bundeswehr für bloße Behauptung schwerwiegender, unzumutbarer Beeinträchtigung ohne jeden Beweis, obwohl das inzwischen bundesweit allen plausibel erscheint. Die bundesdeutschen Gerichte bewerteten die verteidigungspolitischen Interessen des Bundes bisher höher.
Preußentum versus Eigentumsrechte
Inzwischen wurde bekannt, daß einige einst zwangsenteignete VorbesitzerInnen Eigentumszuordnungen von der Oberfinanzdirektion Cottbus erhalten haben. Sie sind damit EigentümerInnen und im gleichen formalen Rechtsstatus wie die BRD. Aus diesem Grund klagen sie jetzt auf Herausgabe der Grundstücke und die Bundeswehr gegen die Herausgabe von Eigentumszuordnungen durch die Oberfinanzdirektion Cottbus.
Bonn hat eine ‚Lex Bundeswehr‘ geschaffen, ein sog. Landbeschaffungsgesetz, eine Form von Enteignungsgesetz. Es deutet alles darauf hin, daß rechtmäßige EigentümerInnen erneut enteignet werden, wenn sie nicht freiwillig verkaufen.
Sicher will die Bundeswehr diesen Weg vermeiden, wenn es irgend geht. Zum einen riecht er nach altbekannter Staatsgewalt gegen ‚gebrannte Kinder‘, zum anderen dauert er wesentlich länger als gewährter ‚Bestandsschutz‘.
Fazit
So wichtig es ist, auf dem Rechtsweg alle Möglichkeiten auszuschöpfen, sei es auch nur, um das Bewußtsein für die Sonderrechte des Militärs in einem Rechtsstaat zu schärfen und damit Zeit für die Entstehung einer breiten politischen Bürgerbewegung zu gewinnen – die dem ausgelieferten Menschen dürfen nicht darauf verzichten, am Ort der Willkürakte Widerstand zu leisten. Der Rechtsweg wird letztendlich nicht zum Erfolg führen.
Nur politische Fakten können an dieser Tatsache rütteln. An diesen politischen Fakten vorbei führen nur politische Prozesse. Die politischen Fragen heißen nicht: Wem gehörte dieses oder jenes Stück Land früher? Wem gehört es heute? Sie heißen: Wozu übt die Bundeswehr Bombenangriffe?
In der konkreten politischen Situation müssen wir uns auf die Wirklichkeit einlassen und lernen, das Unrecht im geschriebenen Recht zu erkennen und mit zivilem Ungehorsam zu reagieren.
Antimilitaristische Sommeraktionstage ’96
In diesem Jahr lädt die Berliner Gruppe für eine FREIe HEIDe zusammen mit der FöGA zu den Antimilitaristischen Sommeraktionstagen vom 29.7.-4.8. ein. Es ist gleichzeitig das diesjährige FöGA-Aktionstreffen.
Der gewaltfreie Widerstand wird von der lokalen Bevölkerung als die einzig legitime Widerstandsform angesehen. Es haben bereits mehrere gewaltfreie Aktionen stattgefunden. Sie wurden alle von der BI mitgetragen und zum Teil selbst durchgeführt. Ostern ’94 pflanzte eine kleine Gruppe Bäume auf dem Bombodromgelände, am 2.5.’94 errichteten AktivistInnen der Region mitten auf dem Bombenabwurfplatz eine Mahn- und Gedenkstätte für den Frieden, die bis heute, unangetastet von der Bundeswehr, steht, im Sommer ’94 wurden viele der Schlagbäume zersägt, um die Wege über den Platz frei zu machen. Am 1.1.’95 wurde eine Castornix-Hütte auf dem Bombodrom aufgestellt. Schließlich wurde im Rahmen der Sommeraktionstage ’95, wie bereits in der GWR vom Okt.’95 berichtet, ein von einem Windrad angetriebenes Klangspiel auf dem Bombodromgelände aufgebaut.
Auch in diesem Jahr wollen wir gewaltfrei Widerstand gegen das Bombodrom und die aggressive Außenpolitik leisten. Die Sommeraktionstage 1996 werden vier Wochen vor dem Prozeßtermin stattfinden, zu einem Zeitpunkt, wo viele der Herausgabe ihrer Grundstücke entgegenfiebern.