Detlef Grumbach (Hrsg.): Die Linke und das Laster. Schwule Emanzipation und linke Vorurteile. Männerschwarmskript, Hamburg 1995, 186 S., 28 DM
„Die Linke und das Laster“, so der Titel eines Sammelbandes zu schwuler Emanzipation und den Vorurteilen der Linken. „Der Linken“? Was das sein soll, erfährt mensch im gesamten Band leider nicht, und beim Lesen der Beiträge beschleicht eine/n schnell der Verdacht, daß die Linke von den Autoren (in diesem Fall verständlicherweise nur Männer) hier nur als parteiförmig organisiert und marxistisch gedacht wird: KPD und SPD in der Weimarer Republik, die mehr oder weniger kommunistischen und sozialdemokratischen Exilzeitungen zur Zeit des Nationalsozialismus, die SED in der DDR und schließlich die K-Gruppen und DKP/SEW in der jüngeren Geschichte der BRD. Weder finden die anarchistische FAUD oder andere nicht-marxistische Gruppen in der Weimarer Republik Erwähnung, noch geht Elmar Kraushaar in seinem Beitrag „Die neue Linke und die Schwulenfrage der 70er und 80er Jahre“ auf die gewaltfreien Aktionsgruppen oder die entstehende Ökologiebewegung ein – bzw. erst nach deren parteiförmiger Organisierung als grüne Partei. Trotz dieses Mangels ist es dennoch ein lesenswertes Buch, und ich wage die Prognose, daß auch die Einbeziehung der anarchistischen und sonstigen nicht-parteiförmigen, anti-parlamentarischen Linken nicht zu einem wesentlich anderen Bild geführt hätte. Denn auch diese Bewegung – und hier macht die Graswurzelrevolution keine Ausnahme – nimmt die schwule Emanzipation nicht als eigenständige Frage war und reagiert zwar freundlicherweise mit verbaler Unterstützung schwuler Forderungen, ohne sich jedoch mit ihnen auseinanderzusetzen. Auch in der GWR werden schwule Antimilitaristen oder Anarchisten, die auch in der Schwulenbewegung aktiv waren oder sind, in der Regel nicht als solche zur Kenntnis genommen. So ist Kurt Hiller zwar als radikaler Antimilitarist bekannt, daß er aber gleichzeitig einer der wesentlichen Vertreter der Schwulenbewegung der Weimarer Republik war, und seine Ablehnung der Wehrpflicht aus den gleichen Grundüberzeugungen resultierte wie seine politische Arbeit für die schwule Emanzipation, wird schlicht nicht zur Kenntnis genommen.
Das Bild, das sich durch die Beiträge zieht, ist das eines schwierigen Verhältnisses „der Linken“ zum Laster, einer allenfalls taktischen und sehr zaghaften Unterstützung schwuler Emanzipation durch die „Linke“, bei gleichzeitiger Nichtbefassung mit den eigenen anti-homosexuellen Vorurteilen, die immer wieder ausgepackt werden, wenn sie sich gegen die/den politische/n GegnerIn instrumentalisieren lassen.
Am Anfang war das Laster…
Der Herausgeber Detlef Grumbach leitet den Sammelband mit einem Beitrag zu „Arbeiterbewegung und Homosexualität zwischen 1870 und 1933“ ein. Im Zentrum der Aktivitäten der ersten schwulen Emanzipationsbewegung stand zum einen der Kampf gegen die Diskriminierung von Homosexualität als „widernatürlich“ und „krankhaft“, zum anderen auf politischer Ebene der Kampf für die Abschaffung des § 175, der „widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Mensch mit Thieren begangen wird, …“ unter Strafe stellte. Auch wenn die Sozialdemokratie sich gegen diesen Paragraphen wandte, so konnte sie sich doch auch nicht davon frei machen, „Homosexualität als Dekadenzerscheinung zu interpretieren, ihre Existenz an die aus ihrer Sicht überlebten und abgewirtschafteten Klassen des Adels und der Bourgeoisie zu binden. So waren sämtliche moralischen Vorurteile gegenüber der Homosexualität – immer auch im Kampf gegen Bürgertum, Adel und schließlich den Faschismus – innerhalb der Arbeiterklasse virulent.“(S. 18)
Die organisierte Schwulenbewegung begann 1897 mit der Gründung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) durch den schwulen jüdischen Arzt Magnus Hirschfeld, der später auch zu den führenden Mitgliedern der Weltliga für Sexualreform gehörte. Das WhK und Magnus Hirschfeld konfrontierten „die Linke“, zu der Zeit also die SPD, immer wieder mit schwulenpolitischen Forderungen, so daß sie genötigt war, Position zu beziehen. Dies tat sie mehr widerwillig, und es setzte sich eine Position durch, die Homosexualität zwar nicht akzeptierte und davon ausging, daß es sie in einer sozialistischen Gesellschaft nicht mehr geben werde (S. 25), daß sie aber straffrei zu bleiben habe.
Im politischen Alltag der SPD spiegelte sich das nicht wieder. Sowohl bei der sogenannten Affäre um Alfred Krupp 1902, dem Homosexualität vorgeworfen wurde, als auch bei dem Skandal um den Kaiserberater Eulenburg 1907, dem ein Verhältnis zum Berliner Stadtkommandanten Graf von Moltke nachgesagt wurde, nutzten die SPD ausgiebig die Vorurteile gegenüber Homosexualität für ihre politischen Ziele. Die Forderung nach Abschaffung des § 175, sowieso in erster Linie parlamentarisch vertreten, mußte da zurücktreten.
Bei der am 1. Januar 1919 gegründeten KPD verhielt es sich nicht viel anders. Prinzipiell befürwortete sie die Abschaffung des § 175 – zumindest solange, wie auch in der Sowjetunion die Homosexualität straffrei war – ohne daß das jedoch Auswirkungen auf die praktische Politik gehabt hätte. Auch die KPD nutzte den Vorwurf der Homosexualität und die daran geknüpften Vorurteile, wenn es ihr für ihre politischen Ziele zweckmäßig erschien.
Gegen Ende der Weimarer Republik zeigte sich dies deutlich in der Auseinandersetzung um die Röhm-Affäre 1931/32. Der SA-Führer Röhm machte nie einen Hehl aus seiner Homosexualität, und erstmals 1931 wurde dies von der sozialdemokratischen Münchner Post für Angriffe auf die NationalsozialistInnen genutzt. Hierbei wurde niedrigstes Stammtischniveau mit allen Vorteilen gegenüber Homosexuellen benutzt, um so die NationalsozialistInnen zu treffen. Bereits hier ist angelegt, worauf Alexander Zinn in seinem Beitrag „Die Bewegung der Homosexuellen“ ausführlicher eingeht: Die Nicht-Auseinandersetzung der „Linken“ mit den eigenen Vorurteilen gegenüber Homosexualität trug zum Stereotyp des homosexuellen Nazis in der Linken bei.
„Die Bewegung der Homosexuellen“
Spannend zu lesen ist der Beitrag von Alexander Zinn über „die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten im antifaschistischen Exil“. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Diskurs über Homosexualität von theoretischen Entwürfen beeinflußt, die Männlichkeitsideale, Führerkult, Männerbünde und die patriarchale Gesellschaftsordnung als durch Homoerotik und Homosexualität getragen enttarnten. (S. 38) Die Homosexualität Ernst Röhms gab dem neue Nahrung, und seit 1933 wurde durch die deutschsprachige Exilpresse Homosexualität in einen wesenhaften Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus gebracht. Durch die Rückbesinnung auf linke Faschismusanalysen der 30er Jahre in Folge der StudentInnenbewegung von 1968 kam es in der BRD zu einem partiellen Wiederaufleben dieses Stereotyps, das sich selbst bei Klaus Theweleit wiederfindet, wenn er behauptet, „Männerbünde“ neigten „zur Ausbildung ‚homosexueller Praktiken‘, die, selber aggressiver Art, zum Umklappen in jede andere Form der Aggressivität fähig“ seien (Theweleit 1987, S. 332).
Dem Stereotyp des homosexuellen Nationalsozialisten bediente sich die Exil-KPD in ihrem im August 1933 erschienenen „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“, in dem der 24jährige van der Lubbe, der den Brand legte, zum Lustknaben erklärt wurde, der ein Verhältnis mit Röhm gehabt hätte. Bewußt wurden hier Fakten manipuliert und alle Klischees eingesetzt, um zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen (S. 44). In dem Braunbuch wurde erstmals eine wesenhafte Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus suggeriert. Dieser Zusammenhang sollte in der Exilpresse zukünftig bewiesen werden. Ausgiebig wurde nun über die homosexuelle Veranlagung von Nationalsozialisten berichtet, um so diesen Zusammenhang empirisch zu bestätigen. Dieser empirischen Bestätigung folgte schließlich die theoretische Begründung. Dem unterstellten Zusammenhang von Nationalsozialismus und Homosexualität wurde noch eine Verbindung zum Sadismus hinzugefügt, und daraus ein Garant für den Fortbestand der faschistischen Gesellschaftsordnung konstruiert, so z.B. der Sexualtheoretiker Wilhelm Reich. (S. 49)
Auch die ersten Meldungen über die Verfolgung von Homosexuellen durch die Nazis taten diesem Stereotyp keinen Abbruch. Zunächst weigerte sich die Exilpresse schlicht, diese Tatsache wahrzunehmen, und erklärte sie zu inneren Streitigkeiten der Nazis. Nur wenige Exilierte wehrten sich dagegen. Lediglich Klaus Mann, selbst homosexuell, wagte Protest anzumelden: „Man ist im Begriffe, aus ‚dem‘ Homosexuellen den Sündenbock zu machen – ‚den‘ Juden der Antifascisten. Das ist abscheulich. Mit ein paar Banditen die erotische Veranlagung gemeinsam zu haben, macht noch nicht zum Banditen.“ (S. 73)
In seinem Resümee stellt Zinn fest, daß die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten natürlich nicht empirischer Grundlagen entbehrt – es gab homosexuelle Nazis. Doch Grundlage des Stereotyps des homosexuellen Nazis „war hingegen nicht die Erkenntnis über die politischen Orientierungen der Homosexuellen in Deutschland. … Die homosexuelle Veranlagung Röhms und vermutlich etwa vier weiterer Nationalsozialisten, die in deutschen Exilperiodika der Homosexualität beschuldigt wurden, der Glaube an Zusammenhänge zwischen Männerbund und Homosexualität, tradierte Homosexuellenstereotype und nicht zuletzt die latente Antihomosexualität der Arbeiterparteien KPD und SPD stellten den ‚realen Kern‘ dar, der den Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes evozierte.“(S. 79)
Homosexualität in der DDR
Aus meiner Sicht weniger interessant ist der Beitrag von Günter Grau über die SED-Politik gegenüber Homosexuellen. Dies mag z.T. an meiner Wessi-Existenz liegen, doch z.T. auch an der Art der Darstellung. Deutliches Übergewicht hat die Diskussion innerhalb von Partei und SED-Staat zum Homosexuellenstrafrecht, und die immer wieder neuen Entwürfe und Begründungen lesen sich auf die Dauer eher langweilig, wenn sie auch aufschlußreich sind für die Vorurteile der SED gegenüber Homosexuellen. Die in den ersten Beiträgen des Buches aufgezeigte Homophobie in der Linken und die Wiedereinführung der Strafbarkeit von (männlicher) Homosexualität in der Sowjetunion 1934 wirkten sich hier aus. Wurde in den ersten Jahren die Nichtbefassung mit den Forderungen zur Abschaffung des § 175 mit der Begründung, „es gebe dringlichere Aufgaben“ abgelehnt, so wurde im Rahmen der verschiedenen Reformvorschläge zum DDR-Strafrecht von Seiten des Justizministeriums später auf einer Bestrafung von (männlicher) Homosexualität bestanden. Hier taucht das alte Vorurteil von der „Überwindung der Homosexualität“ in der sozialistischen Gesellschaft, vom „Überbleibsel“ abgewirtschafteter Klassen, wieder auf: „Überreste der Vergangenheit können natürlich auch in diesen homosexuellen Erscheinungen bestehen. Das Wegfallen der sozialen Wurzeln reicht nicht aus. Wir müssen sie nicht bestrafen, sondern es ist festzustellen, ob Überreste da sind und ob man sie bekämpfen muß.“, so die Kommission zur Reform des Strafrechts Anfang der 50er Jahre (S. 107). Abgeschafft wurde die Strafbarkeit (männlicher) Homosexualität in der DDR schließlich 1968, mit der Verabschiedung eines neuen Strafgesetzbuches.
Doch auch die Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität führte nicht zu größerer Toleranz gegenüber Homosexuellen. Offen homosexuell zu Leben war in der DDR nahezu unmöglich, die „Szene“ Objekt der Begierde der Stasi, die alles kontrollieren wollte, was sich unabhängig von der Parteilinie entwickelte. Eine sich ab Beginn der 70er Jahre auch in der DDR entwickelnde schwule Emanzipationsbewegung stieß deshalb im Staatsapparat auf Widerstand, eigenen Organisationen der Homosexuellen wurde die Zulassung mit der Begründung verweigert, Sexualität sei Privatsache und folglich bestünde kein Bedarf an einer solchen Organisation.
Mit dem Entstehen einer unabhängigen Oppositionsbewegung in der DDR in den 80er Jahren, meist unter dem Schutz der Kirche, entstand in der Nachbarschaft von Umwelt-, Frauen- und Friedensgruppen auch eine politische Homosexuellenbewegung. Von Beginn an geriet diese ins Blickfeld der Stasi, und auf höchster Ebene wurde vom Ministerium für Staatssicherheit ein Maßnahmenplan zum Umgang mit der Homosexuellenbewegung erarbeitet, der die Verhinderung jeder Organisation zum Ziel hatte.
Auch in der Politik der SED spiegelten sich die widersprüchlichen Positionen der Arbeiterbewegung zur Homosexualität wieder. „Die von ihr propagierte sozialistische Gesellschaft favorisierte die lebenslange, monogame und reproduktive Ehe. Diese Norm bestimmte ihre Sexualpolitik und Sexualerziehung. … Homosexuell-Sein hatte darin keinen Platz. Im gleichgeschlechtlichen Begehren, das frei wählbar und gelebt werden konnte, sah die SED eine Gefahr für die sozialistische Moral, für das ‚Sittengefühl der Werktätigen.“ (S. 139)
„Nebenwidersprüche“
Eher journalistischen Charakter hat der Beitrag von Elmar Kraushaar zur neuen Linken und der Schwulenfrage in der BRD der 70er und 80er Jahre. Auch wenn die wiedergebenenen Zitate sowohl der ersten schwulen Emanzipationsgruppen als auch der K-Gruppen in ihrem marxistischen Vokabular teilweise recht amüsant zu lesen sind, so geben sie doch inhaltlich nicht viel mehr her als die Nichtbefassung der genannten linken Gruppen mit der Schwulenfrage und die Anbiederung der Schwulenbewegung an eben diese Linke, deren Vokabular sie übernahm und der sie sich zugehörig fühlte – ohne jedoch von ihr aufgenommen zu werden. Die „Linke“ der 70er Jahre vertrat die alten Positionen der 30er (siehe oben): Homosexualität als Nebenwiderspruch und Überbleibsel der bürgerlichen Gesellschaft.
Folge dieser Nichtbeachtung durch die „Linke“ war schließlich eine eigenständige Homosexuellenbewegung, die sich um lokale Gruppen und entstehende Schwulen- und Lesbenprojekte entwickelte. Über die Diskussionen dieser Bewegung erfährt mensch in dem Beitrag von Kraushaar leider wenig, eher journalistisch-reißerisch wird der Streit zwischen linker Schwulenbewegung und dem „Brei der Bewegung„, einer Verbürgerrechtlichung der Schwulenbewegung, dargestellt. Schade eigentlich.
In der jist, scheint mir mehr als fraglich.
Grumbach fordert daher auch vor dem gemeinsamen Kampf in der gegenwärtigen Situation einen anderen Aspekt von Bewegung ein: einen funktionierenden Diskussionszusammenhang als Voraussetzung, um sich im Dschungel der politischen Fragen orientieren zu können, „dem Widerspruch zwischen den Utopien von gestern, den Erfahrungen von heute und der Realität von morgen auf der Spur zu bleiben; … schwulenpolitische Ziele zu formulieren und sich für ihre Verwirklichung einzusetzen.“ (S. 183) Wichtig scheint mir, die Utopien dabei nicht zu vergessen, sondern produktiv wiederzubeleben. Damit wäre die Schwulenbewegung dann der heute utopielosen „Linken“ – zumindest dem, was in dem Buch darunter verstanden wird – meilenweit voraus.