Nach Ruanda/Burundi (vgl. GWR 211) stehen seit einigen Wochen das Gebiet der Großen Seen in Zentralafrika und speziell Zaire im Vordergrund des Weltinteresses. Seit über 30 Jahren wurde in Europa nicht mehr so intensiv über Zaire berichtet. Dabei ist der Konflikt keineswegs über Nacht entstanden, dramatische Entwicklungen in Zaire und der ostzairischen Kivu-Region standen seit langem wie drohende Wolken über diesem Teil Afrikas. Das Regime Mobutu - inthronisiert vom Westen - hat ethnische Konflikte immer wieder politisch geschürt und eskalieren lassen. (Red.)
Bis vor kurzem blieb die „internationale Gemeinschaft“ den Konflikten und Massakern in dieser Region gegenüber vollkommen gleichgültig. Noch im Frühjahr 96 gab Frankreich die Wiederaufnahme bilateraler Hilfe für Zaire bekannt – zu einem Zeitpunkt, zu dem jeden Tag mit aktiver Unterstützung des Regimes in Kinshasa Menschen getötet und Tausende vertrieben wurden. (1)
Zum Verständnis des Krieges ist ein Blick auf die Vorgeschichte unabdingbar, und in gewisser Weise scheint sich ein Kreis zu einigen Ursachen des Krieges im Kongo in den 60er Jahren zu schließen. Damals wie heute spielt ein gewisser Mobutu Sese Seko eine Schlüsselrolle als Unruhestifter.
Koloniale Grenzziehung
Die Grenze zwischen Belgisch-Kongo und Ruanda wurde durch die Brüsseler Konvention vom 11.8.1910 näher definiert. 1912 bestimmte ein Abkommen zwischen Belgien (für den Kongo), England (für Uganda) und Deutschland (für Ruanda) die Grenzziehung. Die BewohnerInnen dieser Regionen hatten seinerzeit nicht die geringste Ahnung von der Teilung und der Aufsplitterung in verschiedene Nationalitäten. Keine/r war sich bewußt, daß er/sie eine Grenze überschritt, wenn er/sie sich von der deutschen Kolonie zur englischen begab oder zur belgischen und umgekehrt.
1916, im Ersten Weltkrieg, wurde das „Deutsche Ruanda“ von Belgien besetzt und ergab zusammen mit dem Königreich Burundi ein Territorium, dessen Verwaltungshoheit Belgien mit dem Vertrag von Versailles bekam. Im Laufe der Jahre fanden viele Wanderungen statt, auch von zairischen Völkern. (2)
1931 haben die belgischen Kolonialherren den damaligen ruandesischen König Yuhi Musinga und seine Gefolgsleute in die Mulenge-Berge im Süd-Kivu nahe dem heutigen Bukavu/Zaire deportiert, weil er keiner christlichen Taufe zustimmte. Nach den Mulenge-Bergen nennen sich die heutigen Banyamulenge. Hier ist die erste zwangsweise Einwanderung von ruandesischer Bevölkerung auf das Gebiet des früheren Kongo-Zaire festzumachen. Die Banyamulenge waren es, die kürzlich in Ostzaire mit dem Aufstand gegen die Mobutu-Herrschaft begannen. Indes gehörte die Region des Süd-Kivu nie zum Königreich Ruanda. (3)
Weitere Umsiedlungen aus Ruanda in den Nord-Kivu fanden 1947 statt, als in Ruanda eine Hungersnot war. Während der belgischen Kolonialzeit wurden auch viele Arbeitskräfte in den zairischen Bergbaugebieten gebraucht. So kamen weitere ruandesische EinwandererInnen.
In Ruanda arbeitete Belgien bevorzugt mit der Minderheit der Tutsi zusammen, welche im Königreich die herrschende Dynastie bildete. In älterer Zeit sind keine größeren Konflikte zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda bekannt. Indes vertieften die KolonialistInnen diese Strukturen, indem die Tutsi einseitig gefördert wurden. Die Unabhängigkeitsbewegung ging allerdings von den Hutu aus, und als abzusehen war, daß diese 1960 mit der Unabhängigkeit die Regierung stellen würden, wurden die Tutsi nach Kämpfen und Massakern in das Masisi-Gebiet im Nord-Kivu (Ostzaire) umgesiedelt. Von 600 000 BewohnerInnen waren bis 1993 in der Region 450 000 ruandaphon. (4)
Das Regime Mobutu
Zur Unabhängigkeit des vormals Belgisch-Kongo fanden 1960 die bisher einzigen demokratischen Wahlen in Zaire statt. Die eindeutige Mehrheit bekam die „Kongolesische Nationalbewegung“ (MCN) des Patrice E. Lumumba. Lumumba war in der Lage gewesen, die sehr heterogenen Völker des Kongobeckens, das ein Gebiet von halb Europa umfaßt, zu einigen und in die Unabhängigkeit zu führen. Lumumba war nicht gerade Pazifist, hatte aber in den 50er Jahren durchaus engen Kontakt zur Friedensbewegung in Belgien gepflegt und es war bekannt, daß der indische Befreiungskampf von Mahatma Gandhi einen gewissen Einfluß auf ihn ausgeübt hatte. Lumumba war ein großer Rhetoriker und Redner. Er beherrschte viele lokale Sprachen, manche sagten, er sei ein „Volkstribun“ gewesen. Aber kein Zweifel besteht: das Volk stand zum großen Teil hinter Lumumba.
Die Frage, welche 1960 alle Welt bewegte, war: wohin wird sich der „unabhängige“ Kongo wenden? Es war der Höhepunkt des Kalten Krieges und das Kongobecken ist reich an Bodenschätzen (Kupfer, Gold, Kaffee…). In Katanga (Südzaire) war das Uran gefunden worden, mit dem die USA die Hiroshima-Bombe gebaut hatte. Patrice Lumumba war den westlichen Wirtschaftskreisen ein unsicherer Kandidat. Moise Tschombé, der starke Mann von Katanga, wurde zur Sezession animiert. Lumumba setzte sich entschieden für die Einheit ein. Die zu dieser Zeit gerade mal 3 000-köpfige Armee unterstand dem jungen Oberst Mobutu, dem früheren Sekretär Lumumbas.
Lumumba entwickelte viele Kontakte nach Moskau und störte die Kreise westlicher Wirtschaftsinteressen. Mobutu begann mit Putschversuchen und beeindruckte damit die USA. Um die Sezession Katangas zu verhindern, flog Lumumba öfter in die Krisenregionen und während eines solchen Fluges im Januar 1961 wurde er durch ein Komplott Mobutu/Tschombé auf bestialische Weise zu Tode gefoltert.
Die Spaltung des Kongo war gelungen: Anhänger Lumumbas begannen mit Waffen gegen die Abspaltung Katangas zu kämpfen, die Welt hatte einen weiteren Stellvertreterkrieg produziert. Mobutu war der Gewinner und sicherte sich seine Position als späterer starker Mann. Ein Putsch am 24.11.1965 besiegelte seine Machtergreifung. In der Folge galt Mobutu als treuer Verbündeter und Vasall des Westens, die USA bauten in Kinshasa ihre größte afrikanische Botschaft auf. Für den Aufbau seines Einparteienregimes und seines Geheimdienstes orientierte sich Mobutu auch an China und an Rumäniens Ceaucescu.
Das Regime Mobutu bekam üppige „Entwicklungshilfe“ und Kredite. Mit deutscher Hilfe ließ Mobutu seine Präsidentengarde ausbilden. Er häufte für Zaire 6 Mrd. Schulden auf, verschob aber ein Vielfaches davon als Privatvermögen auf die Banken Westeuropas. Während in den letzten Jahren in Zaire unzählige Menschen an eigentlich harmlosen Krankheiten sterben mußten, weil Kinshasa wie 1960 immer noch nur 5 Krankenhäuser hat und Medikamente teuer und nur auf dem illegalen Markt aufzutreiben sind, läßt sich Mobutu in Lausanne als Privatpatient pflegen. Während seine Tage gezählt zu sein scheinen, funktionierte sein Repressionsapparat jahrelang reibungslos: Menschen verschwinden spurlos, Schlägertrupps kümmern sich um Oppositionelle. Das eigentliche Markenzeichen Mobutus besteht indes darin, Oppositionelle zu kaufen und in sein Regime zu integrieren.
Weil er die Demokratisierungswelle Anfang der 90er Jahre verschleppte, wurde Mobutu bis 1994 zunehmend international geächtet. Da kam ihm das Massaker in Ruanda wie gerufen: Millionen Hutu- Flüchtlinge strömten in den Osten Zaires und die Hilfsorganisationen benötigten das Wohlwollen des Staatspräsidenten, Frankreichs Mitterand leitete schließlich die internationale Rehabilitierung Mobutus ein.
Die aktuelle Krise in der Kivu-Region
Zaire weigerte sich bis auf wenige Ausnahmen, den seit mehreren Generationen im Kivu angesiedelten Tutsi- Bevölkerungen und den Banyamulenge die zairische Staatsangehörigkeit zuzuerkennen. Seit 1993 herrscht in dieser Region unter Ausschluß der Weltöffentlichkeit Gewalt zwischen mehreren Ethnien. 1996 eskalierte die Situation durch Angriffe auf die Tutsi von den Hutu-Milizen, manchmal unter Beteiligung zairischer Soldaten. Mehrere hundert Personen wurden bereits im Frühjahr 96 getötet, weitere 250 000 vertrieben. Ein Bericht von „Human Rights Watch“ und der „Fédération Internationale des droits de l’homme“ führt zahlreiche Aussagen auf, die die Komplizenschaft sowohl politischer als auch militärischer zairischer Behörden auf allen Ebenen belegen. (5)
Vor allem der massive Zustrom ruandesischer Flüchtlinge ab Juli 1994 hatte das brüchige temporäre Gleichgewicht der Kräfte in der Region zugunsten der Hutu zerbrochen. Frühere Hutu-Soldaten der ruandischen Streitkräfte und Hutu-Milizen haben sich in Ostzaire niedergelassen. Zur gleichen Zeit kehrten mehrere Tausend der 1959 geflohenen Tutsi nach dem Sieg der Tutsi-Guerilla FPR in Ruanda dorthin zurück. Nach und nach machten sich die Hutu und einige autochtone Bevölkerungsgruppen daran, die am Ort verbliebenen Tutsi zu verjagen und ihren Besitz zu plündern. In die Region wurden zairische Soldaten entsandt. Aber ohne Bezahlung und Versorgung haben sie sich dem starken Lager, dem der Hutu, angeschlossen. Im Sommer versuchten die zairischen Behörden, die „ursprünglichen“ Bevölkerungen gegen die sich als „Banyamulenge“ bezeichnende ruandaphone Gemeinschaft aufzuwiegeln, indem man die alten MigrantInnen mit den jetzigen ruandesischen und burundischen Flüchtlingen gleichsetzte, deren Anwesenheit für die ganze Region eine enorme Last darstellt.
Seit September 96 steht der Kivu in Flammen, jede Verständigungsmöglichkeit scheint unmöglich. Kurz vorher war der sog. „Vangu-Bericht“ bekannt geworden, benannt nach dem Vorsitzenden einer von Mobutisten beherrschten Kommission in Kinshasa. Die Kommission sollte eigentlich über die Probleme der Flüchtlinge im Kivu berichten und die Frage der Staatsangehörigkeit der ruandaphonen Bevölkerung ein für allemal regeln. Doch die Schlußfolgerungen des Berichts lauteten ganz anders: die Tutsi hätten ein Bündnis Burundi-Ruanda geschlossen und wollten ein Tutsireich bilden, das Ruanda, Burundi, Teile Ugandas, sowie Nord- und Südkivu umfaßt. Die Empfehlung ist eindeutig: Rückführung aller ruandesischer Flüchtlinge und EinwanderInnen. Gleichzeitig sorgten die Politiker in den Kivu-Regionen dafür, daß die Banyamulenge-Bevölkerungen in die Definition der ruandischen und burundischen Flüchtlinge eingeschlossen wurden. Dadurch wurden die latent vorhandenen Spannungen weiter geschürt.
In der Folge nahm die Repression insbesondere für die Banyamulenge zu. Als dann noch ihre Anführer verhaftet wurden, folgte die Eskalation: heftige Kämpfe zwischen zairischen Soldaten und den Banyamulenge. Die weitere Geschichte ist bekannt, die Zeitungen sind voll davon: die zairische „Lumpenarmee“ mußte fliehen, zog die eigene Bevölkerung ausplündernd durch den Kivu, bis sie auch von dort vertrieben wurde. Dann kamen der Angriff von Banyamulenge und Tutsi-Einheiten aus Ruanda auf die Hutu-Flüchtlinge, worunter sich die Hutu- Milizen mischten. Dies führte zur Jagd auf Tutsi in Zaires Hauptstadt Kinshasa, in Ostzaire zur Hungerkatastrophe, weltweit zur Diskussion um eine westlich dominierte Eingreiftruppe. Doch noch bevor diese auf den Weg geschickt werden konnte, um noch etwas von dem zu retten, was mit der jahrelangen Unterstützung Mobutus angerichtet worden war, wandten sich die bedrohten Hutu-Flüchtlinge zurück nach Ruanda, von wo aus sie 1994 geflohen waren.
(1) Info Zaire, 118, 23.8.96
(2) E. R. Mboya: Krieg in Zaire, 8. Kongotag, Dialog International, 16.11.96.
(3) Löber, U./Rickal, E. (Hrsg.): Rwanda, 1991, S.95; Wiese, B.: Zaire, 1980, S.12ff, 128ff.
(4) Info-Zaire, 115, 6.5.96.
(5) Info-Zaire, 118, 23.8.96.
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