Mit der lokalen Agenda 21 existiert ein Konzept, welches die bisher eher abstrakt geführte Diskussion um Sustainable Development auf die im Alltag erfahrbare Dimension herunterbringt, und dementsprechende Berührungspunkte für auf kommunaler Ebene agierende Graswurzelpolitik bietet. Die Breite, mit der die Lokale Agenda 21 (LA 21) in verschiedenen Städten diskutiert wird, und ihre Inhalte, die zumindest teilweise mit Zielen sozialer Bewegungen zu vereinbaren sind, bieten auf lokaler Ebene Handlungsfelder, die sich hier agierende Gruppen, ohne dabei die grundsätzliche Kritik zu vergessen, zunutze machen können. (Red.)
Von der Rio-Konferenz zur Lokalen Agenda 21
Der auf der Konferenz zu Entwicklung und Umwelt in Rio de Janeiro 1992 verabschiedete „Aktionsplan für das 21. Jahrhundert“, die Agenda 21, spricht für die Umsetzung der dort formulierten Ideen den Kommunen eine wichtige Rolle zu. Dies wird im Kapitel 28 der Agenda 21 deutlich gemacht, in dem es heißt: „Da viele der in der Agenda 21 angesprochenen Probleme und Lösungen auf Aktivitäten der örtlichen Ebene zurückzuführen sind, ist die Beteiligung und Mitwirkung der Kommunen ein entscheidender Faktor bei der Verwirklichung der in der Agenda enthaltenen Ziele. (…) Als Politik- und Verwaltungsebene, die den Bürgern am nächsten ist, spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Informierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit und ihrer Sensibilisierung für eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung.“ (1)
Seit 1992 ist der Prozeß weiterverfolgt worden. Auf europäischer Ebene geschah dieses vor allem durch die auf der Aalborg-Konferenz 1994 (2) verabschiedete „Charta von Aalborg“ und die von den UnterzeichnerInnen dieser Charta gestartete „Europäische Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden“. Auf der zweiten Konferenz dieser Art im Oktober 1996 in Lissabon haben sich immerhin 250 VertreterInnen europäischer Kommunen wiedergetroffen und dort im Ergebnis des „Lisboa Action Plan“ konkrete Handlungsschritte für die Umsetzung einer lokalen Agenda 21 formuliert.
In Deutschland gibt es mittlerweile 50 – 60 Kommunen, die dabei sind eine Lokale Agenda 21 (LA 21) aufzustellen, im Vergleich mit anderen europäischen Ländern wie Großbritannien, der Niederlande und Schweden ist jedoch damit der Anteil an der Gesamtzahl an Kommunen als gering einzustufen.
Im Folgenden soll versucht werden mit Hilfe von zwei Fallbeispielen aufzuzeigen, wie unterschiedlich Prozesse zur LA 21 ablaufen können und welche Handlungsmöglichkeiten sie trotz aller berechtigten Kritik bieten.
Osnabrück – Kommunale Entwicklungszusammenarbeit
Kennzeichnend für die Situation in Osnabrück ist die Tatsache, daß hier im Prozeß um die Erstellung einer LA 21 die entwicklungspolitische Diskussion einen weitaus größeren Stellenwert eingenommen hat, als dieses in anderen Kommunen der Fall ist, wo in der Regel umweltpolitischen Ansätzen ein größeres Gewicht zukommt. Die schon seit 1982 geführte Diskussion zu entwicklungspolitischen Inhalten wurde zunächst von im Aktionszentrum Dritte Welt (A3W) engagierten Gruppen, einem Forschungscolloquium an der Universität und der in Osnabrück ansässigen Bundesgeschäftsstelle von terre des hommes geführt. 1992 wurde dieses von der Stadt aufgegriffen, indem zum einen durch einen Ratsbeschluß das Ziel entwicklungspolitischer Zusammenarbeit mit Kommunen aus der sogenannten „3. Welt“ beschlossen wurde, zum anderen wurden Geld und eine Stelle bereitgestellt, um Projekte dieser Art voranzutreiben. Die Stelle wird je zur Hälfte von der Verwaltung im Büro für kommunale Entwicklungszusammenarbeit und dem A3W besetzt.
Als wichtigstes Projekt dieser Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, BI (A3W) und Verband (terre des hommes) sowie weiterer Osnabrücker Gruppen gilt die Erstellung einer „Dritte Welt Bilanz“ für Osnabrück.
Die Dritte Welt Bilanz soll Problembereiche, in denen die Stadt mit der sogenannten 3. Welt verflochten ist, thematisieren, und unter dem Stichwort „Entwicklungspolitik für den Norden“ Handlungsweisen zum Umsteuern aufzeigen. In einem historischen Rückblick wird die kolonialistische Vergangenheit Osnabrücks dargestellt und auf den Zusammenhang zu heutigen Weltmarktstrukturen, Ausbeutungsverhältnissen, Armut, Migrationsbewegungen und nicht zuletzt den ganz alltäglichen rassistischen Denkmustern dieser Gesellschaft hingewiesen. Exemplarisch werden Verflechtungen von Osnabrücker Wirtschaftsbetrieben mit Ländern der sogenannten 3.Welt beschrieben, oder untersucht, wie es MigrantInnen in Osnabrück ergeht.
Interessant ist die breite Mitwirkung bei der Erstellung der Dritte-Welt-Bilanz. Diese zu erreichen wurde als ein Hauptziel definiert und dementsprechend erstreckt sich die Mitwirkung in den verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen von Umweltgruppen, Parteien, Gewerkschaften über kirchliche Gruppen, SchülerInnen und Dritte-Welt-Gruppen, Wissenschaft u.a. bis hin zu interessierten Einzelpersonen.
Auf dieser Organisationsstruktur aufbauend, soll der Prozeß weitergehen. Handlungsebenen ergeben sich vornehmlich auf der lokalen und regionalen Ebene, aber auch in der Zusammenarbeit mit anderen europäischen Kommunen oder in den in Zusammenhang mit dem Bereich kommunale Entwicklungszusammenarbeit durchgeführten Projekten auf internationaler Ebene. Der Arbeitsplan für 1997 sieht folgendes vor:
In einer Bestandserhebung sollen bisherige Prozesse analysiert werden und in der Diskussion Indikatoren für Nachhaltigkeit benannt werden. In einem zweiten Schritt sollen dann bestehende Planungen der Stadt, z.B. der Stadtentwicklungsplan, dahingehend überprüft werden, wie sie mit zuvor entwickelten Indikatoren in Einklang stehen und gegebenenfalls modifiziert werden können. In einem dritten Arbeitsfeld schließlich geht es um das Thema „Wohnen“. Auch hier ist wieder eine gezielte Beteiligung vieler gesellschaftlichen Gruppen vorgesehen, um in den verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen problemorientiert arbeiten zu können. (3)
Lokale Agenda im ländlichen Raum: Dörverden
Eine ganz andere Entwicklungsgeschichte weist der Prozeß zur LA 21 im bisher einzigen Beispiel für eine ländliche Kommune, der Gemeinde Dörverden, auf.
Anlaß war hier die Aufgabe eines Bundeswehrstandortes und der damit verbundene Verlust an Arbeitsplätzen und Kaufkraft. Um aus der so entstandenen wirtschaftlichen Misere heraus zu kommen, wurde ein Regionalentwicklungsbüro beauftragt, die Entwicklungsstudie „Dörverden 2020“ zu erarbeiten. Letztendlich stellt sich der Prozeß zur LA 21 hier mehr als ein Konzept zur Eigenständigen Regionalentwicklung dar. Interessant ist aber auch hier die Einbindung der betroffenen Personen. In den verschiedenen Arbeitsgruppen zu Gastronomie, Direktvermarktung, Landwirtschaft, Jugend, Frauen, Gewerbe u.a. kamen Menschen zusammen, um Entwicklungsmöglichkeiten für ihren Bereich hervorzubringen, Elemente eines Leitbildes und mögliche Maßnahmen zu definieren. Als gemeinsames Leitbild wurde die „Nachhaltige Gemeindeentwicklung“ von einer BürgerInnenversammlung definiert. Diese soll durch folgende Bereiche gefüllt werden:
- Nachhaltige Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft
- Förderung einer ökologischen, innovativen Wirtschaft und Energieversorgung
- Langfristiger Ausbau des Fremdenverkehrs
- Gemeinwesen- und Kulturförderung
- Behutsame Siedlungserweiterung
- Ausbau der kooperativen Verwaltung
- Ressourcenschutz (4)
Wie wiederum die verschiedenen genannten Bereiche in der Umsetzung ausgefüllt werden, ist eine andere Frage. Ein im Rahmen der LA 21 für Dörverden oft genanntes Projekt, „die norddeutsche Spargelstraße“ z.B. setzt eher auf Monokultur in Direktvermarktung und ist wohl mit Konzepten von ökologischem Landbau nicht unter einen Hut zu bringen.
Die beiden Beispiele der Stadt Osnabrück und der Gemeinde Dörverden zeigen in erster Linie eines: Der in einigen Städten ablaufende Prozeß zur Erstellung einer Agenda 21 ist genauso vielfältig und undefiniert, wie das Konzept des „Sustainable Development“ selbst. Um zu bewerten, was in den verschiedenen Städten und Gemeinden abläuft, müßte mensch jeden Fall gesondert betrachten, und vor allen Dingen abwarten, wie eine konkrete Umsetzung der bisher noch konsensfähigen Worthülsen aussieht.
Lokale Agenda 21: Alter Wein in neuen Schläuchen?
Oftmals werden auch als örtliche Schwerpunktthemen der Lokalen Agenda diejenigen Themen genannt, die unabhängig von ihrer Einbindung in den Prozeß einer lokalen Agenda 21 bereits Schwerpunktthemen der kommunalen Umweltarbeit darstellen. „Echte Schwerpunktthemen, die durch Prioritätenzuordnung im Rahmen eines Lokale Agenda Prozesses festgelegt wurden, sind in Deutschland eher selten.“ (5)
„Was ist also neu an der LA 21?“, kann mensch sich fragen. Ein Vergleich der Ansätze zur LA 21 mit herkömmlichen Ansätzen der Stadtentwicklung zeigt folgende Unterschiede (6):
- Wahlperioden und wirtschaftliches Denken fördern auf kommunaler Ebene eher eine kurzfristige Sichtweise, dem wird die Langfristigkeit des LA 21-Ansatzes gegenübergestellt;
- das Handlungsprogramm kann als Weiterentwicklung des Konzeptes der „integrierten Stadtplanung“ angesehen werden;
- das Leitbild „Zukunftsbeständigkeit“;
- das Ziel der Konsensfindung innerhalb einer Kommune über die LA 21 bezieht explizit alle gesellschaftlichen Gruppen einer Komnune ein. Hierfür bedarf es geeigneter Organisationsformen, wie Arbeitsgruppen und Foren…, die über bisher praktizierte Partizipationsformen weit hinausgehen.
Basisdemokratie und ökologische Umsteuerung
Wie ernst es die einzelnen Kommunen mit ihrer LA 21 wirklich meinen, oder inwieweit dieses Konzept eine Lösung städtischer und globaler Probleme mit sich bringt, wird sich zeigen, wenn die konkrete Umsetzungsphase der Prozesse beginnt. Bisher befinden sich die Städte eher noch im Vorlauf: die Diskusson beginnt, agendakonforme Aktivitäten werden gebündelt oder neu initiiert und Organisationsstrukturen geschaffen. Noch keine deutsche Stadt ist schon so weit, für sich eine Agenda 21, d.h. einen Aktionsplan, der neben den definierten Zielen auch die Maßnahmen ihrer Umsetzung enthält, zu formulieren.
Eine kritische Frage ist dabei die Umsetzung des formulierten Zieles der Basisdemokratie. Bisher wurde in der Regel ein von der Verwaltung vorbereitetes Planwerk vorgestellt, das Änderungen nur noch in begrenztem Maße zuläßt. Die Beteiligung diente damit mehr der Akzeptanzschaffung, als einer echten Möglichkeit zur Mitprägung gemeinsamer Standpunkte.
Soll sich dieses verändern, so müssen Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, von Anfang an Interessierte zu beteiligen. Je konkreter der Bezug ist, desto mehr Menschen werden sich engagieren.
Diesen Veränderungen hin zu mehr Basisdemokratie sind aber bisher noch Hindernisse in den Weg gelegt. Beteiligungsformen, die neben der Möglichkeit mitzureden, auch noch das eigentlich Wichtigste bieten, nämlich Entscheidungskompetenzen, sind in den Kommunalverfassungen in der Regel nicht vorgesehen. Und jüngste gesetzgeberische Bestrebungen in diesem Bereich (sog. Beschleunigungsgesetze) gehen wieder in die gegenteilige Richtung, nämlich Mitsprachemöglichkeiten gegenüber der Verwaltung einzuschränken.
Auch die Frage des ökologischen Umsteuerns bleibt ein Problem: Zwar ist „Umweltschutz“ als Ziel mittlerweile in den Köpfen kommunaler EntscheidungsträgerInnen angekommen, doch kann mensch sich hier mehr oder weniger konsequente Aktivitäten vorstellen. Die ökonomische Krise der Kommunen, die Standortfrage und die durch (inter-)nationale Großkonzerne geprägte Wirtschaftstruktur stellen Rahmenbedingungen dar, die für eine einzelne Kommune nicht einfach zu ignorieren sind und dementsprechend hohe Anforderungen an alternative Konzepte stellen.
Hierbei wird zum Prüfstein, inwieweit Kommunen sich in vorauseilendem Gehorsam vermeintlichen Sachzwängen beugen, oder aber tatsächlich versuchen, diesen konsequent entgegenzutreten.
Fazit
Eine letztendliche Bewertung dessen, was in einigen Städten unter dem Label LA 21 passiert, fällt schwer. Dieses liegt zum einen in der Vielzahl der unterschiedlichen Beispiele begründet, zum anderen in der schlechten Literaturlage, die hauptsächlich aus offiziellen Verlautbarungen der Kommunen besteht, die eher im Rahmen einer neuen Werbestrategie der Städte stehen, als daß sie die Grundlage für eine kritische Betrachung bieten.
Die Agenda 21 ist ein Konzept von oben und kann nur in einem eng gesteckten Rahmen (vgl. die grundsätzliche Kritik in dieser GWR) Veränderungen ermöglichen.
Aber dennoch bietet die aktuelle LA 21-Euphorie auch Handlungsfelder, an denen soziale Bewegungen mit Forderungen ansetzen können, die über das ursprüngliche Konzept hinausgehen. Diese liegen in der neuen Offenheit begründet, mit der auf einmal, zumindestens in einigen Städten, mit Themen wie ökologischer Stadtentwicklung oder mit neuen Methoden der Partizipation umgegangen wird. Dieses können wir uns zunutze machen, wenn wir weitermachen, eigene Ansätze verfolgen und damit die Diskussion – vielleicht in der eigenen Stadt – radikalisieren.
(1) Bundesumweltministerium (1992): Umweltpolitik, Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro - Dokumente - Agenda 21, S.231.
(2) Europäische Konferenz über zukunftsbeständige Städte und Gemeinden, Aalborg, Dänemark, 24. - 27. Mai 1994
(3) vgl.: Büro für Kommunale Entwicklungszusammenarbeit Stadt Osnabrück, Poggemeier/Opladen (1996): Entwicklungspolitische Arbeit und Projekte in Zusammenhang mit dem Aufbauprozeß einer Lokalen Agenda 21 für Osnabrück.
(4) Deutscher Bundestag Enquete-Kommission (1996): Stellungnahmen, Kommunen und nachhaltige Entwicklung - Beiträge zur Umsetzung der Agenda 21, S. 21 - 28.
(5) ICLEI - Internationaler Rat für kommunale Umweltinitiativen, Freiburg. In: Deutscher Bundestag Enquete-Kommission (1996): Stellungnahmen, Kommunen & nachhaltige Entwicklung - Beiträge zur Umsetzung der Agenda 21 , S. 4
(6) ebenda, S. 6