bücher

Politische Korrekturen

Super-PC: Feminismus, Rap, Diskurstheorie!

| jens kast-petzner

Diedrich Diederichsen; Politische Korrekturen; Kiepenheuer & Witsch, Köln 1996; 192S., 18,80 DM.

Empfehlung

Politisch richtig wäre es gewesen, die Vokabel politically correct mit politisch richtig zu übersetzen. Aber: Worte sind Taten, und „korrekt“ schlagen eben eher preußische Soldatenhacken zusammen, als daß sich allerlei Emanzipatorisches mit so einem Begriff einfordern ließe. Aber der Reihe nach:

Zwei Buchstaben, die nicht personal computer heißen (aber in den Reaktionen oft ähnlich programmiert erscheinen) beschäftigen seit Jahren alle möglichen Meinungsmacher (FAZ/ Spiegel) und Gegenmeiner (Die Beute/ Spex) vom Feuilleton bis ins autonome Stadtzeitungsmilieu (Kassiber, Bremen; Apoplex, Münster). Zu recht. Weil alles was recht und billig ist für politische Diskussion und deren Verhinderung darin aufgeboten wird. Wer also genauer wissen will, wo der Begriff herkommt, wer ihn wofür oder wogegen braucht und benutzt, und wo er vielleicht hinführen könnte, der & dem sei zu Diedrich Diederichsens „Politische Korrekturen“ herzlichst empfohlen: lies das! Denn Diederichsen schreibt witzig und es kommt mir vor, als müßte hohe Theorie nicht per se phallogozentrisch sein. Dabei geht es eben nicht nur um (materiell entkoppelte) „Sprechweisen“. (Meine Motivationen für diese Rezension über obengenanntes hinaus: der hohlen Benutzung im Politalltag („das& das ist aber nicht PC“) auf den Grund gehen, weil sich tatsächlich niemand fragt, ob er oder sie der/ die Authentischste ist; das Subversive an der Dekonstruktion ins Gespräch bringen; wenn ich schon so viel lese, warum dann alles für mich behalten.).

Anti-PC: Kulturkrieger, Arschgesichter

Am Anfang war die Anti-PC-Bewegung. Kulturkriegerische Rechte machten von Feuilleton und Uni aus mobil gegen den noch imaginären Angriff der „Killergutmenschen“ und trafen dabei leider allzu oft auf eine verbitterte 68er-Alt- Linke, die sich in den Kampf gegen neue „Denkverbote“ & „Benimmmregeln“ selbstgenügsam einreihen konnte. „(…) Allen Erscheinungsformen von Anti-PC scheint es“, meint und zeigt Diederichsen, „darum zu gehen, Öffentlichkeit zurückzudrängen, Privatisierung in jedem Sinne zu unterstützen“ (S.17).

PC verstanden als die Möglichkeit, politische Korrekturen an der vorherrschenden Wirklichkeit vorzunehmen, ist nicht zufällig ein Import aus den USA (da, wo mit der sog. Unbegrenztheit dieser und anderer Möglichkeiten immer noch geprahlt wird). Obwohl es nie eine Bewegung gab, die sich PC auf die Fahnen schrieb, konnte ein solches Feindbild konstruiert und zum konservativen Gegenschlag nutzbar gemacht werden. Parlamentarische Haushaltsdebatten über die Förderung von Avantgarde-Kunst und die ab den 80ern beginnende Einflußnahme identitätspolitischer (insbesondere feministischer und afroamerikanischer) Forderungen auf Alltag & Institution von Universität waren da der Zündstoff. Ein diskursiver Flächenbrand wurde dabei ausgelöst, der bedrohte „amerikanische Werte“ durch „französische Theorie“ mit amerikanischer Klarheit beantwortete, und außerdem Naturwissenschaften gegen Geisteswissenschaften ins Feld führte und letztere unterzupflügen versuchte und versucht. PC zwang dabei seine Gegner ständig, „ihr Amerika mit und gegen Europa zu identifizieren“ (S.41), aufgeklärter Universalismus versus „Fundamentalismus“, Rationalismus versus Dekonstruktion. Eine Denkfigur, die dann auch später in Europa Karriere machen sollte und von einer eigentlich paradoxen Vorstellung von Doppelbedrohung ausgeht „durch einerseits verrückte Mullahs in deren Homelands, andererseits (durch) die Auflösung unseres stabilen westlichen Gegenübers durch Relativierung unserer europäischen Grundsätze“(S.130). Wie wenig tragfähig dieser Universalismus ist, wenn es darum geht, das Unrecht außerhalb seines primären Einflußbereichs USA/ Europa zu kritisieren, ist immer wieder Anmerkungen über seine Philosophen wert: aufschlußreich, was Kant über den „Nationalcharakter der Neger“ dachte und wie Hegel in Afrika überhaupt keine Geschichte sah.

Deutschland auf allen Ebenen

In Deutschland kam Anti-PC gerade recht und so gut an, als es darum ging, neue Machtverhältnisse symbolpolitisch zu untermauern. Seit 89/90 gab & gibt es eine Reihe von gesellschaftlichen Debatten, in denen plötzlich wieder alles offen und umstritten ist, zum Beispiel auch die Vergangenheit. Wenn reaktionäre Arschgesichter wie der Historiker Ernst Nolte nicht nur in Talk-Shows als Tabubrecher gehandelt werden und sich von Rudi Augstein(Spiegel) und Rudi Kunze(Deutsch-Rock) bis zu jedem beliebigen Rudi des nichtöffentlichen Lebens alle einig sind, daß nur der übersteigerte Nationalismus der böse Nationalismus ist, können wir in der Tat davon ausgehen, „daß Deutschland auf allen Ebenen zurückgekehrt ist“ (S.91). Am Thema Nation, das Diederichsen nur streift, ist meines Erachtens besonders gut sichtbar, wie die Form des Debattenhaften („offen & umstritten“) erst die Einigkeit herstellt, an der alle teilhaben können. Unter den neutralen Todschlagworten „neue Verantwortung“ oder „Normalisierung“ diskutiert, kann Nation dann eben wahlweise von links positiv besetzt oder als ganz natürlich angesehen werden. Und so ging es mit Anti-PC immer: während einerseits Denkverbote beklagt wurden („als Deutsche wollen wir auch über Nation reden dürfen“), wurde andererseits Auseinandersetzung gerade verhindert („warum überhaupt Nation?“).

Davon mal abgesehen, geht der Verbotsvorwurf gegen eine PC-Bewegung an realen Machtverhältnissen natürlich völlig vorbei: Schön wär’s ja, wenn irgendeine autonome Anitfa dem Innenminister verbieten könnte, über Flüchtlinge als Schmarotzer zu denken und diese Gedanken dann in einer mordsmäßigen Asylpolitik auch noch umzusetzen.

Smashing Diskurspolitik!

„Wenn PC auf eine polemische, kuriose, paranoide Weise zustandegekommene Zusammenfassungsleistung von rechts war, die irgendwann jeder linken Opposition politische Korrektheit vorwarf, stellte sich die Frage, ob es einen Sinn ergeben würde, tatsächliche linke Politik im Hinblick auf die so zugeschriebenen Taktiken und Theorien hin zu analysierern“(S.15). Auf jeden Fall ergab es einen Sinn, wenn nicht sogar mehrere. Was zum Beispiel Foucault mit der Black Panther Party zu tun hat, wieso Diskurstheorie zwar unpolitisch, aber doch politisch so produktiv ist, daß Althusser den Klassenkampf schon um ein Wort geführt sah und das KKK-Fundamentalisten in Godard-Filme gehen oder eben nicht, daß im Punk der Versuch einer dritten Sprechposition „jenseits von Autorität einerseits und beliebig-folgenlosem Pluralismus andererseits“ (S.166) stattfand und gescheitert ist (Pogo bleibt Macker-Tanz), und noch viel mehr Interessantes steht in diesem Buch.

PC-Politik, wie wir sie gebrauchen könnten, wäre letztlich nichts anderes als bestimmte Positionen ernst zu nehmen und nicht mehr zu unterscheiden zwischen gesagt und getan. Da trifft sich in etwa Diederichsens Ansicht mit anarchistischem Politikverständnis nach Emma Goldman und dem Leitsatz der neuen Frauenbewegung: „das Private ist politisch“. (Soweit ich mich erinnere, bezeichnete sich der Autor in seinem Klassiker „Sexbeat“, Köln 1985, noch als Leninisten; das Ende jeder autoritären Pose ist zu begrüßen, würd‘ ich sagen; selbst wenn es, wie in diesem Fall, wohl eher dem konservativen Backlash geschuldet ist). Weil zentrale Gegenstände von PC nach Diederichsen eben „das Verhältnis zwischen Ästhetik und Politik, die Grenze zwischen Wort und Tat“ (S.172) sind, ist mit PC-Politik gerade nicht die „Keule im politischen Nahkampf“ gemeint, die mit zwei Buchstaben alles niederknüppelt, was sich an Lebendigkeit noch regt. Ganz im Gegenteil ginge es um Inhalte, um „neue, im Prinzip freie und produktive Auseinandersetzung“ (S.180). Zum Beispiel müßte sich die linke Altherrenliga von Stowasser (Anarchismus, populär) bis Droste (Satire, kritikimun) tatsächlich vor emanzipatorische Inhalte statt vor belanglose Sprachregulierungen gestellt sehen, wenn Feministinnen aufkreuzen. Und wenn nicht, dann könnte ihnen eben gesagt werden, daß, wer sich über’s „große I“ lustig macht, heute mit der FAZ im Bunde steht. Weit wichtiger aber als die vermeintlichen oder wirklichen Feinde in den virtuellen oder echten eigenen Reihen ist etwas anderes. Daß zwischen Worten und Taten nicht mehr differenziert würde, soll nicht zur großen Einebnung aller Unterschiede führen, sondern auch im Gegenteil: PC ist nicht der Begriff, unter den ggf. Kapitalismus, Sexismus, Rassismus und weitere Antagonismen fallen, sondern mit dessen Hilfe es zu einer Pluralisierung der Begriffe entsprechend einer vielfältigen Wirklichkeit kommen soll. An den drei Phänomenen Sex, Gewalt, Humor macht Diederichsen deutlich, wie wichtig es ist, „Substanzbegriffe durch eine Fülle von Verhältnisbegriffen“ abzulösen (S.172). Denn dadurch, daß absolut verschiedene Dinge gesellschaftlich mit ein und demselben Begriff belegt sind, wird Herrschaft verschleiert und letztlich nicht mehr erfahrbar. Schließlich geht es mit Diederichsens PC-Begriff „um ein Agieren auf der Grundlage situativer Analyse von Machtverhältnissen und darauf gegründeter Parteilichkeit“ (S.188). Ein Vorschlag, wie ich finde, über den es sich zu reden und mit dem es sich zu handeln lohnt.