anti-gentech

Gentechnologischer Machbarkeitswahn

Das geklonte Schaf Dolly, die Bio-Medizin-Konvention und der Marsch in die 'Schöne Neue Welt'

| Andreas Speck

Die Diskussion um das Klonen - ausgelöst durch die Benkanntgabe des erfolgreichen Klonens eines Schafes in Schottland - hat die Frage der ethischen Verantwortbarkeit der Gentechnik wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei wird zwar von allen Seiten betont, daß das Klonen von Menschen selbstverständlich ethisch nicht zu verantworten sei, doch unterhalb dieser Schwelle wird munter alles gebilligt. (Red.)

Nach einer kleinen Meldung der Frankfurter Rundschau vom 22. März ist es mittlerweile gelungen, eine komplette „Gen-Karte“ des X-Chromosoms (des weiblichen Chromosoms) anzufertigen – das heißt allerdings nur, daß man weiß, wie die Gene aussehen, nicht, was sie bewirken. Bis zum Jahr 2005 sollen gar sämtliche drei Milliarden Bausteine der menschlichen Erbsubstanz entschlüsselt und in ihrer biologischen Funktion erklärt sein (1), so die Ankündigung von GenetikerInnen in ihrem Machbarkeitswahn. Der Nutzen ist jedoch fragwürdig.

Genetische Normierung

„Fast jeder siebte Deutsche würde eine Abtreibung befürworten, wenn sich mit einem Gentest spätere homosexuelle Neigungen des Kindes nachweisen ließen“, so das Egebnis einer Forsa-Umfrage (2). Die Suche nach Genen für bestimmte Eigenschaften läuft auf Hochtouren. US-GenetikerInnen glauben ein für Homosexualität verantwortliches Gen im Abschnitt Xq28 des X-Chromosomos gefunden zu haben, auch wenn die Ergebnisse äußerst fragwürdig sind (3). Und von etwa 1 000 Genen glauben die GenetikerInnen, daß sie für irgendwelche Krankheiten verantwortlich sind (4).

Die Logik ist alt. Bereits im letzten Jahrhundert wurde versucht, biologische Ursachen für „abweichendes“ Verhalten zu finden. „Kriminalität“, „Asozialität“ und anderes waren das Ziel kriminal-biologischer Untersuchungen. 100 Jahre später hat der Fortschritt der Technik lediglich dazu geführt, daß die Methoden verfeinert werden konnten: jetzt wird nach genetischen Ursachen geforscht.

Die am 19. November 1996 vom Europarat verabschiedete „Bioethik-Konvention“, die jetzt allerdings „Bio-Medizin- Konvention“ heißt, soll angeblich die „Rechte und Würde von Menschen in der Medizin“ sicherstellen. Bereits die Präambel betont allerdings das Recht der „Menschheit insgesamt“ auf den „Genuß der Errungenschaften von Biologie und Medizin“ – im Klartext: unter Umständen haben die Einzelinteressen von PatientInnen zugunsten der Forschungsfreiheit zurückzutreten.

Ziel all dieser Versuche ist eine umfassende Normierung des Menschen, die dann die Verantwortung für „Krankheit“ (ein durchaus schwammiger Begriff, deswegen steht er hier in Anführungszeichen) oder von der Norm abweichendes Verhalten individualisiert und Tür und Tor öffnet für rechtliche Diskriminierung. Karin Rennenberg stellt fest: „Die Werteskala, nach der definiert wird, was der Norm entspricht und was von der Norm abweicht, wird in Zukunft von den technischen Möglichkeiten der Gendiagnostik festgelegt. In der Pränataldiagnostik (vorgeburtliche Diagnostik, Anmk. AS) wird schon lange über ‚lebenswert‘ und ‚lebensunwert‘ entschieden, nicht nur bei einem mehr oder weniger konkreten Krankheitsbild, sondern auch bei ‚auffälligen‘ Befunden, deren Krankheitswert selbst unter MedizinerInnen umstritten ist. Diese Tendenz werden voraussagende (prädiktive) Gentests, die nur die Möglichkeit für eine Krankheit anzeigen, fortschreiben. (…) Die Diagnose ‚potentielle Krankheit‘ wird immer mehr zu einem individuellen Problem, das bei rechtzeitiger Information und entsprechendem Verhalten vermeidbar ist. Es entsteht der Druck, sich selbst oder ein ungeborenes Kind einem genetischen Check-up zu unterziehen und das Leben den genetischen Prognosen entsprechend auszurichten.“ (5)

Risikopersonen

Die angestrebte Konsequenz ist eine Verlagerung der Präventionsmaßnahmen von gesundheitlichen Risikofaktoren (z.B. Arbeitsbedingungen, Lebensmittelzusatzstoffe, Umweltbedingungen, etc…) auf Risikopersonen, die aufgrund genetisch bedingter erhöhter Empfindlichkeit gegenüber z.B. bestimmten Schadstoffen mittels genetischer Rasterfahndung aussortiert werden und schlicht keine Stelle mehr bekommen. Der Schritt zur Eugenik ist dann nicht mehr weit: mittels genetischer Auslese soll der „Volkskörper“ aufgewertet werden.

Vollkommen ausgeblendet werden dabei soziale und ökonomische Sozialisationsbedingungen. Biologistisch wird behauptet, daß die Gene und „die Natur“ bestimmend seien für die angebliche Überlegenheit der „weißen Rasse“ (auch solche Äußerungen hat es von GenetikerInnen schon gegeben), für Geschlechterrollen (eine gar nicht mal so neue Argumentation, die jetzt aber genetisch fundiert werden soll, um so von der Notwendigkeit der Auflösung patriarchaler Geschlechterverhältnisse abzulenken), für die angebliche Sozialunfähigkeit von Behinderten, für das Auftreten von psychischen Krankheiten, Kriminalität, Asozialität, Homosexualität, Dummheit, Intelligenz und Begabung.

Arno Huth in der LUST: „Dazu läßt sich aus herrschaftskritischer Sicht z.B. anmerken: Was wäre ein Verbrecher-Gen? Wer ist kriminell? Der Kriegsminister, der ausbeutende Großgrund- oder Fabrikbesitzer oder der kleine Dieb? Abgesehen davon, daß viele dieser angeblichen Gene sich bald nach ihrer Entdeckung als Enten erwiesen, nähren diese Meldungen die Volksmeinung, daß doch etwas am Gen dran ist und diese unser Verhalten bestimmen, daß es angeblich eine Naturordnung gibt, der man, frau, schwarz, weiß, deutsch, homo, hetero, behindert, gesund, etc. sich zu fügen hat. Und daß es (gen-)technisch oder anders möglich ist, bestimmte Seiten des Menschseins oder sogar bestimmte Menschen auszumerzen, zu manipulieren oder gar nicht erst entstehen zu lassen.“ (6)

Aldous Huxley’s „Schöne Neue Welt“ läßt grüßen …

(1) Karin Rennenberg: Lesen im Kaffeesatz der Gene. In: Gen-ethischer Informationsdienst 111, April 1996

(2) zitiert nach: Arno Huth: Schöne neue Welt. In: LUST (Lesbische und Schwule Themen) Nr. 39, Dezember 96/Januar 97

(3) eine ausführlichere Diskussion findet sich in: Jan Clausen: Beyond Gay or Straight. Understanding Sexual Orientation. Philadelphia 1997. Zum einen muß angemerkt werden, daß die Zahl der Untersuchten zu gering für eine eindeutige Aussage war, zum anderen besteht die Aussage lediglich darin, daß ein Gen in diesem Abschnitt eine Rolle bei der sexuellen Orientierung bei 5-30 % der schwulen Männer spielen könnte - wahrlich kein tolles Ergebnis.

Ich halte es außerdem für überaus fragwürdig, ob sich überhaupt monokausale Ursachen für ein so komplexes Thema wie sexuelle Orientierung finden lassen. Das gilt im übrigen auch für andere angeblich genetisch bedingte Fragen menschlichen Verhaltens.

(4) Karin Rennenberg, siehe Anmk. 1

(5) ebenda

(6) Arno Huth, siehe Anmk. 2