Der "Geist der Freiheit" war mit Sicherheit abwesend, als euer Artikel "Spalt-Prozesse" geschrieben und publiziert wurde. Die Antwort, die ihr fordert, könnt ihr haben. Sie wird hart sein, aber gerecht. Wir können nur hoffen, daß Papiere wie dieses nicht repräsentativ sind für die autonome und/oder militant-anarchistische Szene. Wir werden das Papier auseinandernehmen und dann unsererseits Forderungen aufstellen. Unabhängig von diesem Papier erklären wir unseren festen Willen und die klare, eindeutige Bereitschaft zur kritisch-solidarischen Bündniszusammenarbeit mit dem autonomen und/oder militant- anarchistischen Spektrum. Aber es muß eine Zusammenarbeit sein, die von der Anerkennung der jeweiligen Eigenständigkeit revolutionärer Politik und gegenseitigem Respekt getragen wird. Beides vermissen wir bei diesem Papier. Und wir sind nicht bereit, zu den dort kolportierten Vorwürfen und Behauptungen auch noch die linke Backe hinzuhalten. Es müssen hier mal ein paar klare Worte über Heuchelei, Doppelmoral und den politischen Zweck solcher Angriffe gesagt werden.
1. Wehe, direkte gewaltfreie Aktionen sind erfolgreich…
„Gewaltfrei oder militant – wichtig ist der Widerstand!“ – mit dieser autonomen Standardparole endet der Text. Wenn es nur so wäre! Für einige Militante wie den GdF-Autor gilt die vielbeschworene „Toleranz“ im Widerstand nur solange, wie gewaltfreie Aktion als irrelevant und ihre Beteiligten als Naivlinge, die durch Erfahrung mit Polizeigewalt schon noch zur Militanz „erzogen“ werden, gewertet werden können. Stellt sich direkte gewaltfreie Aktion jedoch einmal als eigenständiger Machtfaktor im Widerstand heraus – wie beim letzten Castor-Transport auf vielfältige Weise, nicht nur bei der Massenblockade von „X-1000mal quer“, sondern schon in Neckarwestheim oder bei den lang aufhaltenden direkten gewaltfreien Aktionen auf der Schienenstrecke usw. -, dann ist’s aus mit der „Toleranz“, dann wird auf übelste Weise gegen eine Aktion als spalterisch polemisiert, die auch an nur einem von 20 km Straßenstrecke zugange war und demgegenüber völlig vergessen, daß im Rahmen des Streckenkonzepts genug Platz, Raum, Eigenständigkeit für effektive autonome Aktion vorhanden war. Es entpuppt sich bei einigen Militanten – die Betonung liegt bei „einigen“, denn wir wollen wie gesagt nicht glauben, daß das repräsentativ ist – die Phrase von der „Toleranz“ als prinzipiell heuchlerisch, quasi als autonome Doppelmoral, die genau in dem Moment einer Ausgrenzungs- und Diffamierungssucht weicht, in dem gewaltfreie Aktion nicht nur Theorie oder abstrakte Willensbekundung bleibt, sondern praktisch und für den Widerstand relevant wird. Dann fallen alle Hemmungen. Dann werden Kübel übelster Verleumdungen gegen gewaltfreie AktivistInnen, gewaltfreie AnarchistInnen und GraswurzelrevolutionärInnen ausgeschüttet und die lächerlichsten Unterstellungen verbreitet. Das Ganze wird dann sogar noch als „seriös“ (GdF-Autor) bezeichnet. Solche Manöver, die sich um die Untersuchung des Wahrheitsgehaltes nicht mehr scheren, gehören im Kern zu dem, was uns an autonom-militanter Diskussionskultur am meisten abstößt. Wir nehmen diese Doppelmoral nicht hin und wehren uns gegen die sich ganz offensichtlich dahinter verbergende Strategie der Ausgrenzung eigenständiger gewaltfreier Aktionskonzepte aus dem Widerstand. Wenn sich gewaltfreie AktivistInnen selbst organisieren und im Rahmen eines Streckenkonzepts wie diesem ihre Aktionen machen, ist dies keine Spaltung, sondern ein Beitrag zur Vielfalt und damit zur Stärkung der Unberechenbarkeit des Widerstands!
Nun meint der GdF-Autor aber, X-1000mal quer sei gar nicht erfolgreich gewesen. Die Zeit für die Räumung sei von der Polizei von vorneherein einkalkuliert gewesen, alles kein Problem, also auch kein Erfolg des gewaltfreien Widerstands. Daß es natürlich ein Erfolg war, zeigt schon die intensive, szeneinterne Auseinandersetzung im Nachhinein um einen angeblichen „Putsch“ bei der Durchsetzung des Aktionsortes (als Gegendarstellung verweisen wir auf die Artikel aus Verden in AAA 79, S.35 und S.42f) und das zeigen auch solche Ausgrenzungsversuche wie der der GdF. Der Erfolg von X-quer, aber auch aller anderen gewaltfreien Aktionen entlang der Strecke, macht sich nicht nur an der materiellen Behinderung fest, sondern auch an der politischen und internationalen Entlegitimation des BRD-Regimes durch den Polizeieinsatz. Insofern gehört die vorläufige Absage eines weiteren Gorleben- Transports im Herbst und der Umweg über Ahaus genauso zum Erfolg (des gesamten Widerstands, aber speziell auch von X-quer) wie die vor allem durch X-quer gewährleistete Möglichkeit, daß der Castor-Widerstand auch nach dem dritten Gorleben-Transport die Chance in sich birgt, gleichzeitig weiter zu wachsen und sich zu radikalisieren. Wer die seit Jahren bestehende Bewegungsflaute realistisch einschätzen und mit den Massenaktionen der Anti-AKW- Bewegung der 70er und 80er Jahre vergleicht, kann sich über die falsche Entgegensetzung Massenbewegung versus Systemkritik („Auf BürgerInnenmasse statt auf Inhalte setzen“, so „Ein Autonomer“) nur wundern. Nur eine potentiell systemkritische Massenbewegung kann dem System tatsächlich zusetzen und materielle Zugeständnisse abringen. Eine marginalisiertes Häuflein von SystemkritikerInnen richtet gar nichts aus! Nur wenn eine Aktion also gleichzeitig auch die Bewegungsdynamik voranbringt und die Herrschenden beim nächsten Mal genausoviel oder noch mehr Widerstand befürchten müssen, ist sie als erfolgreich anzusehen. X-quer hat dazu beigetragen, daß im März 97 ganz bestimmt kein Knick in der Anti-Castor-Bewegung zu verzeichnen war.
Aber bleiben wir mal beim materiellen Erfolg der Blockade, der angeblich keiner war. Wie absurd solche Versuche sind, X-quer den Erfolg abzusprechen, soll einmal eine Umkehrung deutlich machen: stellt euch also mal für einen Augenblick vor, in 9-stündiger Feldschlacht hätten autonome KämpferInnen den Transport aufgehalten. Die Polizei hätte zwar schon ein paar Stunden vor der Zeit den Kampf aufgenommen, aber in offener Feldschlacht wäre der Transport 9 Stunden lang nicht vom Fleck gekommen. Weiter stellt euch bitte vor, daß danach die gewaltfreien AktivistInnen mal eben schnell beiseitegeprügelt worden wären und der Transport – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ohne Probleme und im Rekordtempo ins Zwischenlager gerollt wäre. Wir können uns gut vorstellen, wie das dann von autonomer Seite als materieller Erfolg gefeiert worden wäre und eventuelle Anfragen, das sei ja alles eingeplant gewesen und die Bullerei habe mit der Knüppelei ja früher als erwartet angefangen, verlacht und ins Reich der Absurdität verwiesen worden wären. Wir haben schon erlebt, wie 1986 bei den Pfingstkämpfen in Wackersdorf die Zurückdrängung einer Polizeireihe in offener Feldschlacht um ca. 100 Meter im Wald von autonomer Seite monatelang als „neue Qualität des Widerstands“ bejubelt wurde! Aber wenn wir mal einen Transport neun Stunden aufhalten, dann kann das nix gewesen sein. So sieht die autonome Doppelmoral aus!
Wir bestreiten der autonomen Bewegung doch auch nicht ihre Erfolge: die Hausbesetzungen 80/81, die Verteidigung der Hafenstraße 88 bis hin zu NOlympics in Berlin. Aber wir feiern eben auch unsere Erfolge, es wird ja niemand gezwungen mitzufeiern!
2. Nationalistische Unterstellungen
Einige der vielen Unwahrheiten, die in dem GdF-Papier weiterkolportiert werden und schon im Interim-Papier „X-tausendmal gewaltbereit“ abgedruckt wurden:
„Ein Autonomer“ behauptet dort, nachdem er die GraswurzelrevolutionärInnen zur Distanzierung von „X-1000mal quer“ aufgefordert und eine Person, die im X-quer-Lautsprecherwagen saß, persönlich benannt und damit der Szene zum „Abschuß“ freigegeben hat (ein ganz besonders übles Verfahren, warum werden nicht die Inhalte kritisiert, sondern Personen denunziert?):
„Mit Sprüchen wie ‚das deutsche Volk ist wehrhaft‘ wurde aus dem Lauti Schützenhilfe für die Malträtierten geliefert, die sich das auch noch gefallen ließen.“
Nun nennt sich der „Geist der Freiheit“ unseres Wissens eine libertäre Zeitung und auch die unhinterfragte Weiterleitung des Textes ins A-Infos News Service und ins Internet – die internationale Verbreitung dieser Unterstellung also! – weist ja darauf hin, daß die GdF sich dem libertären Spektrum zuordnet. Die „Interim“ kann unseretwegen ebenfalls als libertäre Zeitung durchgehen, obwohl sie sich im Untertitel „Wöchentliches Berlin-Info“ nennt. Doch auch die Graswurzelrevolution – von der „Ein Autonomer“ die Distanzierung zu „X-quer“ gefordert hat und die sie ihm nicht gegeben hat – nennt sich seit nunmehr 25 Jahren im Untertitel explizit u.a. „herrschaftslos“, bekennt sich also explizit zur libertären und/oder anarchistischen Tradition. Was aber macht der GdF- Autor? Er glaubt unbesehen dem Autonomen aus der Interim die übelsten nationalistischen Unterstellungen. Obwohl er weiß, daß die GWR eine libertäre Zeitung ist und die namentlich benannte Person aus dem Lautsprecherwagen von X- quer u.a. in der GWR publiziert, nimmt er die Behauptung dieser Lauti-Durchsage für die größte Selbstverständlichkeit und als wahr hin, weil sie in sein Konzept der Diffamierung paßt. Da kann die GWR noch so lange und wiederholt bewiesen haben, daß sie sich als libertäre Zeitung und die gewaltfreien Aktionsgruppen sich als libertäre Strömung verstehen: die Behauptung, GWR-Autoren würden mit nationalistischen Parolen um sich werfen, wird umstandslos geglaubt, weiterkolportiert und auch noch in internationale libertäre Netze eingespeist. Es kam dem GdF-Autor nicht etwa in den Sinn, sich mal zu fragen, ob so ein Satz tatsächlich den in der GWR propagierten Inhalten entspricht und vielleicht nicht ganz stimmig sein könnte. Er kam keineswegs auf die Idee, als Autor einer libertären Zeitung (GdF) vielleicht einmal bei der Red. einer anderen libertären Zeitung (GWR) nachzufragen, ob sie solche Behauptungen bestätigen können, bevor er mit dieser Anklage an die Öffentlichkeit geht. So siehts aus mit dem Vertrauen und dem solidarischen Umgang unter Libertären! Aber der GdF-Autor läßt ja auch bei dieser Gelegenheit raus, was er schon immer über die GraswurzelrevolutionärInnen dachte:
„Sorry Leute, selbst wenn ich euch immer noch den besten Willen unterstelle und meine Zweifel, ob wir auch nur ansatzweise noch gemeinsame Bezugspunkte haben, außen vor lasse: Sowas hat nicht den Hauch von einer seriösen Auseinandersetzung…“
„Die Bullen und die Atomlobby hatten keinen Grund, sich zu ängstigen. Alles war abgesprochen.“
3. Sogenannte „Dokumentationen“
Im Gegensatz zum GdF-Autor sind wir durchaus der Meinung, daß wir in ausreichender Weise auf die Kritiken vor und nach dem Castor-Transport eingegangen sind. Alle im Vorfeld und danach in der GWR publizierten Artikel waren nicht etwa eine Kampagne unsererseits gegen Autonome, sondern Antworten auf Papiere, die in autonomen Blättern bereits veröffentlicht waren und uns angegriffen haben. Wir haben in der GWR immer nur geantwortet, das sollte nie vergessen werden. Auch der vom GdF-Autor angesprochene Artikel zum Papier von Jutta Ditfurth (GWR 218, S.9) ist eine solche Antwort, die zu vielen Argumentationsmustern Stellung nimmt, die auf Nachbereitungstreffen in der Anti-AKW-Bewegung und in autonomen Blättern gegen uns und X-quer ganz genauso aufgetaucht sind (etwa zum Vorwurf, X-quer hätte die Presse- und Medienberichterstattung okkupiert). Wir haben keine Lust, das alles hier zu wiederholen. Wer in dem Artikel die Argumentationsmuster nicht von Jutta Ditfurth abstrahieren kann, ist selber schuld. Weil aber nun Jutta Ditfurths Argumentation nach Strich und Faden auseinandergenommen wird, wird vom GdF-Autor das Ditfurth-Papier kurzerhand als „dubios“ und Ditfurths Argumentation als untypisch für autonome Argumentationsmuster hingestellt. Wer einmal eine Ditfurth-Veranstaltung besucht hat, weiß aber nur zu gut und aus eigener Erfahrung, wie die gesamte autonome Gemeinde dort hinpilgert und auf beschämende Weise kritiklos an ihren Lippen hängt… So schreibt das Wendland-Magazin „Zero“ über eine Ditfurth-Veranstaltung nach dem Transport, daß Autonome „fünf Stunden andächtig schweigend ihrer Gura Jutta zuhören…“ (Nr. 33, S.14) Wer stilisiert da irgendwas hoch?
Ein weiteres Beispiel autonomer Heuchelei und Doppelmoral sind in der Nach-Castor-Transport-Debatte zwei sogenannte „Dokumentationen“. Mit dem seriös klingenden Etikett „Dokumentation“ wird bewußt die billigste anti-gewaltfreie Propaganda transportiert, reinste Demagogie. Und auch hier ist es unsere Schuld nicht, wenn zum Beispiel in der sogenannten „Dokumentation“ „Kampf dem Atomstaat“ vom sogenannten „Rat der Gnome“ zwar Jutta Ditfurths Artikel „dokumentiert“ wird (warum das denn, wo sie doch so untypisch für Autonome argumentiert?), nicht aber die besagte GWR-Antwort dazu. Wir können nichts dafür, wenn der „Gift und Galle“-Artikel von AAA 78 gegen eine Einzelperson, die sich angeblich zum Führer des Widerstands aufschwinge, publiziert wird (unter dem verharmlosenden Titel „Anmerkungen“, wogegen aber der GWR-Artikel „Erst drei, dann sechs, dann neun?“ aus GWR 215 ohne Angabe von Gründen um die Kritik des Verfassungsschutzpapiers gekürzt wird und die daraus folgende Auseinandersetzung mit autonomen Konzepten gedruckt wird, als sei’s der Hauptteil des Artikels), nicht aber die dazugehörige Stellungnahme der Redaktion Graswurzelrevolution. Und es ist auch nicht uns anzulasten, wenn der Interim-Artikel von „Jim aus Berlin“ („Die Autonomen – allseits beliebt als Watschenmann“) wiederabgedruckt wird, nicht aber unsere Antwort auf Jim! Das Ganze nennt sich dann „Dokumentation“ und hat doch nur den Zweck, X-quer und gleich die GWR auch noch als spalterisch zu denunzieren.
Eine ähnlich perfide politische Absicht steckt hinter der sogenannten „Dokumentation“ der „Antifaschistischen Arbeitsgruppe Uelzen“ (AAUE), auf die wir nach GdF-Aufforderung endlich antworten sollen. Wir haben das bisher nicht gemacht, weil wir dachten, solch niveaulose Anschuldigungen erledigen sich von selbst und die Aktiven in der Bewegung seien intelligent genug, eine tatsächliche Dokumentation von diesem Pamphlet zu unterscheiden. Aber die Realität hat uns wieder mal bewiesen, daß im Niveau nach unten keine Grenzen auszumachen sind…
Schon der Titel „Hilfspolizei“ ist eine Frechheit und das durchgängige Gerede vom „Spaltungskonzept von X-tausendmal quer“ verrät den primitiv-demagogischen Charakter des Papiers. An eine tatsächliche „Dokumentation“ wäre zunächst einmal das Kriterium der Nachprüfbarkeit zu stellen. Wenn aus Personenschutzgründen – auf die im Falle der X-Quer-InitiatorInnen ja immer gepfiffen wird – die „Dokumente“ und Aussagen nicht veröffentlicht werden können (was wir verstehen könnten), dann müßte den Beschuldigten (in dem Fall „X- 1000mal quer“) evtl. in Form einer Delegation die Möglichkeit zum Einblick in die belastenden Dokumente gegeben werden. Andernfalls bleiben das bloße Behauptungen, die niemand nachprüfen kann. Die Dokumente müßten zudem eindeutig belegen, daß tatsächlich vorgekommene Verhaltensweisen wie Kontrollen an der Blockade oder Drohungen, Leute der Polizei auszuliefern (die wir selbstverständlich verurteilen!) keine spontanen Einzelfälle waren, sondern entweder von den OrganisatorInnen oder dem SprecherInnenrat von „X-quer“ initiiert, geplant oder von maßgeblichen Personen von X-quer selbst ausgeführt worden sind. Wir bezweifeln, daß sich in den „Dokumenten“ auch nur irgendwelche Hinweise auf solche Personen oder solche Pläne finden lassen. Und bis zum Beweis des Gegenteil gilt, was zwei Leute aus Verden für X-quer zu den Vorwürfen in AAA 79 erklärt haben:
„Es tut uns leid, wenn einige Leute in Einzelfällen von anderen wegen ihres Aussehens bedrängt oder gar angegriffen wurden (Herunterziehen von Vermummung, Durchsuchung von Rucksäcken etc.) Unserer Meinung nach haben wir unser Bestes gegeben, um eben das zu verhindern. (…) Mit den MittlerInnen wurde die Brisanz ihrer Aufgabe besprochen, damit sie nicht in eben beschriebener Weise handeln. Wenn einzelne sich wider diese Idee verhalten haben, ist das nicht im Sinne des SprecherInnenrates und der Vorbereitungsgruppe gewesen.“ (S.42f)
Dabei sieht ein Blinder, daß überall im Wendland, nicht nur bei „X-quer“, BürgerInnen mit solchem Bewußtsein herumliefen, dabei aber oft im guten Willen, nicht alles von dem Rechtsstaat hinzunehmen, den sie ansonsten auch verteidigen. Zudem haben sie natürlich alle Berechtigung zur Kritik militanter Aktionen aus ihrer Sicht, solange sie nicht mit Gewalt (Polizeigewalt) drohen oder selbst Hand anlegen. Hier wird von der militanten Kritik oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Um das mal zu verdeutlichen: Kritik, von wem auch immer, auch während der Aktion verbal zu äußern, ist völlig legitim und drückt nur ein berechtigtes Bedürfnis nach dem Verlauf der Auseinandersetzungen aus. Außerdem sind die Ängste der BürgerInnen vor verantwortungslosen Aktionen von Autonomen dem bürgerlichen Bewußtsein nicht einfach nur zum 100 % vom Staat eingebleut, sondern es geben manch tatsächlich verantwortungslose Verhaltensweisen von Autonomen auch verständlichen Anlaß für bürgerliche Ängste, deren Ausdruck dann aber oft die Falschen trifft oder – schlimmerweise und selbstredend zu verurteilen – spontan gewaltsam wird. Autonome sollten sich tatsächlich mal über ihren eigenen – und nicht immer nur den staatlich-internalisierten – Anteil an bürgerlichen Ängsten vor ihnen Gedanken machen, etwa wenn die Berliner Autonmen Sanis über autonome Verantwortungslosigkeiten berichten:
„Wir mußten zusehen, daß sich viele Szene-Leute offensichtlich überhaupt nicht mit den örtlichen Gegebenheiten auseinandergesetzt hatten. Damit meinen wir z.B., daß es etlichen Leuten nicht eingefallen ist, sich mal zu überlegen, was denn auf dem Land so alles anders ist und wie man eigene Verhaltensweisen dem anpaßt. Das führte dann zu wunderbar durchdachten Aktionen wie dem Anstecken von Heu und Rübenmieten, wahrscheinlich wirklich aus der puren Gedankenlosigkeit heraus, daß die entsprechenden Leute nicht wußten, wofür Heu oder Rüben so nötig sind (bei uns kommt das Essen schließlich aus der Dose, oder was?) (…) Was hat es mit dem Gefasel von Solidarität zu tun, wenn Menschen nicht nur in Panik übertrampelt, dabei z.T. erheblich verletzt werden, sondern sich hinterher einen Scheißdreck drum gekümmert wurde? Nach einer verletzten, vermißten Frau wurde immerhin schon zwölf Stunden später gefragt!“ (Interim 419, S.6)
Und wie immer ist das Ganze nur die halbe Wahrheit. Um das nämlich auch mal aus anderer Seite zu beleuchten: der GdF fällt es natürlich nicht ein, etwas zu berücksichtigen, was ebenfalls im Papier der Berliner autonomen Sanis steht:
„Wir mußten nicht nur erleben, daß es zu Verhaltensweisen kam, die schlicht schweinisch und menschenverachtend sind, z.B. dem Werfen von Mollis (an anderer Stelle Steine) in Menschengruppen, angeblich auf Bullen, in Wirklichkeit in eine Sitzblockade, die davor war (eh alles nur Gewaltfreie, werden schon sehen, was sie davon haben, oder was???), sondern auch jede Menge von anderem geduldeten Schwachsinn, der genauso Opfer gekostet hat, wie z.B. Fallen im Wald in Form von Fuß- und sogar Halsangeln. Rhetorische Frage: Was meint Ihr wohl, auf welcher Seite es deshalb Verletzte gegeben hat?“
Wir wissen zudem durch eine nachprüfbare Aussage einer Person unseres Vertrauens, die die entsprechenden Diskussionen selbst erlebt hat, daß es sehr wohl Planungen zu einer autonomen Feldschlacht direkt am Verladekran und mit der direkten Absicht, das X-quer-Konzept damit zu treffen, gegeben hat und daß das erst kurz vor Verwirklichung abgeblasen worden ist.
Und was machen wir mit diesen Informationen? Werden wir nun auch eine „Dokumentation“ herausgeben, nur mit anderer Tendenz als die der AAUE? Werden wir nun auch alle Betroffenen, die von einem Molli oder Stein aus den eigenen Reihen getroffen wurden, die sich in autonomen Fuß- und Halsangeln verfangen haben, dazu aufrufen, sich zu melden und diejenigen zu denunzieren, die geworfen oder die Fallen aufgestellt haben? Einen Teufel werden wir tun! Das ist nicht unser Niveau! Man/frau muß sich das mal vorstellen: der Jugendtreff Abraxas in Dannenberg wird kurz vor dem Transport von Nazis zerstört, während des Transports werden einzelne AKW- GegnerInnen von Nazis überfallen, Tausende, ob gewaltfrei oder nicht, werden beim Polizeieinsatz verprügelt, doch die „Antifaschistische Arbeitsgruppe Uelzen“ dokumentiert nicht etwa neonazistische Gewalt, sie dokumentiert auch nicht die Polizeigewalt, nein, sie sieht es als ihre vordringlichste Aufgabe an, Gewaltfreie zu diffamieren und zu weiterer Denunziation aufzurufen. Es fehlte eigentlich nur noch, so hatten wir schon gewitzelt, daß X-quer gleich selbst als faschistisch, ökofaschistisch oder so diffamiert wird (auch das wäre drin, erinnern wir uns nur an die Unterstellung von der nationalistischen Lauti-Parole, aber das Papier haben die Uelzener wohl zufällig nicht gelesen, sonst wären sie auf die Idee auch noch gekommen…), dann würde wenigstens der eigene politische Ansatz wieder stimmen und die Antifa würde sich wirklich der Antifa-Politik widmen! Doch tatsächlich: auch dieser Witz wurde noch unglaubliche, ungeahnte autonome Realität. In dem Einleitungstext der sogenannten „Dokumentation“ des „Rat der Gnome“ heißt es nach spaltenlanger Hetze gegen X-1000mal quer unmittelbar im nächsten Absatz, so daß der Bezug zu X-quer kaum zu übersehen ist, daß eine Auseinandersetzung im Wendland „um den Umgang mit autoritären, ‚heimattreuen‘, faschistoiden und anti-emanzipatorischen Strömungen innerhalb der Anti-Castor-Bewegung“ (S.4) anstehe.
Tut uns leid, aber wir müssen tatsächlich mal zynisch werden bei dieser verdammten autonomen Doppelmoral! Welche/r Autonome hat sich denn bisher bei uns entschuldigt für die Steinwürfe und die Mollis auf Gewaltfreie? Keine/r! Wer hat sich entschuldigt für die nationalistischen Unterstellungen bis hin zum Faschistoiden? Wer hat sich entschuldigt für Andeutungen im „Gift und Galle“-Papier, die dort benannte Person von X-quer würde Angaben an den Verfassungsschutz gemacht haben? Keine/r! Wenn beim 12 km entfernten Laase/Grippel irgendwelche Leute irgendwas gegen Autonome machen, werden die Splietauer X-quer-InitiatorInnen dafür verantwortlich gemacht, obwohl sie den Täter mit Sicherheit nie gesehen haben. Wenn Autonome in ihren Auswertungspapieren überhaupt mal auf peinliche eigene Aktionen eingehen, dann ist das schnell mit „Scheiße“ („X-tausendmal Gewaltbereit“), „dämlicher Mackerbeweis“ (das „dämlich“ ist dabei schon wieder „Mackerbeweis“ der Autoren!; „Rat der Gnome“) oder dem Hinweis auf Provo- und Zivil-Bullen („X-tausendmal Gewaltbereit“ wie auch „Rat der Gnome“) abgetan. Nie taucht die Frage auf, ob vielleicht solche peinlichen, verantwortungslosen Aktionen notwendig mitproduziert werden, wenn auf grundsätzlich militante Aktion gesetzt wird. Nie wird wirklich politische Verantwortung für solche Aktionen übernommen! Aber wir sollen uns permanent für Taten von BürgerInnen verantworten und entschuldigen, denen wir selbst ihre Gewaltfreiheit absprechen, wenn sie sich wie dargestellt verhalten! Es reicht…! Und seid froh, wenn wir eure Konsequenzen am Ende des GdF-Artikels nicht als direkte Aufforderung zur Gewalt gegen Gewaltfreie werten. Kehrt zu einer solidarischen Form der Auseinandersetzung zurück, die auf Unterstellungen und widerliche Doppelmoral verzichtet, die kritisch sein kann, aber vom Bewußtsein getragen werden muß, daß beide Strömungen nun einmal zum Widerstand gehören!
Und deshalb fordern wir vom „Geist der Freiheit“:
- Den Abdruck dieser Antwort (schließlich war sie gefordert!) im nächsten „Geist der Freiheit“, und zwar vollständig und ohne Kürzungen.
- Den Abdruck der beiliegenden „Gegendarstellung und Unterlassungsaufforderung“ sowie die Weiterreichung dieser Gegendarstellung an alle Publikationen, die die Lüge von der nationalistischen Parole weiterverbreitet haben. Wir appellieren an das Gerechtigkeits- und Wahrhaftigkeitsethos des GdF-Autors in dieser Sache.
- Die Einspeisung unserer Antwort ins Internet und ins „A-Infos News Service“ durch den „Geist der Freiheit“
Und wenn ihr das nicht macht, werdet ihr sicher verstehen, daß wir in Zukunft von euch kaum noch als vom „Geist der Freiheit“ beseelt sprechen können, passender wäre da schon „Geistlose Freiheit“, „Vernebelung der Freiheit“ oder auch „Geist im Nebel“…
Umherschweifende GraswurzelrevolutionärInnen, 24.7.97
Gegendarstellung und Unterlassungserklärung
In Interim Nr. 413 vom 20.3.97, S.13 und in "Geist der Freiheit" Nr. 75, Mai/Juni 97 wird behauptet, aus dem Lautsprecherwagen der X-tausendmal-quer-Aktion seien "Sprüche wie 'Das deutsche Volk ist wehrhaft'" verbreitet worden. Hierzu erklären wir: einen solchen Spruch und auch vergleichbare Sprüche hat es aus dem Lautsprecherwagen niemals gegeben. Er verstößt direkt gegen das internationalistische Selbstverständnis der Aktiven. Wir verwahren uns entschieden gegen jede Weiterverbreitung dieser Behauptung. Wenn es wirkliches Interesse gibt an Diskussion und nicht an Denunziation, sollte nicht mit Lügen gearbeitet werden.
Die Leute von Lautsprecherwagen der X-1000mal-quer-Aktion
Anlagen
1. Stellungnahme der Red. Graswurzelrevolution zum Papier "Gift und Galle" in AAA 78, gekürzt veröffentlicht in AAA 79.
2. Antwort auf das Papier "Die Autonomen - allseits beliebt als Watschenmann", bisher unveröffentlicht, Abdruck von Interim abgelehnt.