Gewaltfreie AnarchistInnen könnten genausogut von einer Kampagne der Autonomen gegen die Gewaltfreien sprechen, wozu dein Anfang und Schluß und die übel personalisierenden Angriffe auf Jochen Stay gehören, er wolle irgendeine „ideologische und politische Meinungsführerschaft“, die auch dadurch nicht richtiger werden, daß sie ständig wiederholt werden. Ich könnte auch die Frage aufwerfen, wer denn angefangen hat, denn meine Beiträge in der GWR waren immer Antworten auf Auseinandersetzungen und Diffamierungen, die anderswo längst publiziert waren. Dabei werden gewaltfrei-anarchistische Inhalte tatsächlich „niedergemacht, entstellt, verdreht oder einfach totgeschwiegen.“ Beispiele? Ich habe explizit davon gesprochen, daß es „die“ Autonomen nicht gibt, habe ein Beispiel guter Zusammenarbeit mit Autonomen benannt (allerdings ein ganz anderes als du!) und bei meiner Kritik von einer bestimmten „Fraktion“ gesprochen. Diese Bemühung um Differenzierung taucht bei dir nicht auf. Weiterhin habe ich die letzten beiden Anti-Atom-Aktuell-Nummern nach einer anderen Sichtweise der Vorkommnisse an der Esso-Tankstelle durchgesehen – allein es gibt dort keine! In der Interim 413, S.13 (nachgedruckt in aaa 79, S.39, dort aber – wohlweislich? – genau um diesen Teil gekürzt) steht, aus dem „X-tausendmal quer“-Lautsprecherwagen wären „Sprüche wie ‚Das deutsche Volk ist wehrhaft'“ gefallen. Ich habe die Lauti-Leute befragt: den oder vergleichbare Sprüche hat es nie gegeben und allein schon die Nachfrage wurde als beleidigend empfunden! Und den Höhepunkt bildet zweifellos die angebliche „Dokumentation“ gewaltfreier Übergriffe auf Autonome von der „Antifaschistischen Aktionsgruppe Uelzen“ (aaa 79, S.38), deren Wahrheitsgehalt ich gerne einmal Stück für Stück einzeln nachprüfen würde. Die Darstellung einer „bewußten“ Spaltungsstrategie von „X-tausendmal quer“, die sich angeblich noch bei Vorfällen in Laase/Grippel (ca. 11 km entfernt) dokumentiere, oder der Vorwurf der Übernahme von „Aufgaben der Polizei“ ist so absurd, daß man/frau schreien möchte, wie jemandem sowas überhaupt einfällt. Es hat mal eine Zeit gegeben, da hat es sich die Antifa zur Aufgabe gesetzt, Nazis zu bekämpfen oder Übergriffe der Polizei zu dokumentieren.
Ich will hier nicht berechtigte Kritik an Einzelfällen ausschließen, dazu nur kurz und im Klartext: Wer eine/n Autonome/n persönlich angreift oder ihr/ihm auch nur mit der Gewaltinstitution Polizei droht, ist zuerst und vor allem ganz offensichtlich eines nicht: gewaltfrei! (Schon mal drüber nachgedacht?) Es gibt nämlich noch andere: bürgerliche DemokratInnen etwa oder auch Zivilbullen. Jim betont, nicht jede/r mit Haßkappe sei Autonome/r, aber jede/r ohne Haßkappe ist wohl Gewaltfreie/r oder? Ihr bestätigt doch die falsche Zuschreibung, wenn ihr uns für jede/n verantwortlich macht, der euch gewaltsam behindert, anstatt daß ihr ihnen jede Gewaltfreiheit absprecht!
Dein Beispiel „guter Zusammenarbeit“ ist keines, sondern eine Bestätigung meiner Kritik: wenn „einigen Gewaltfreien nicht klar (war), daß wir uns mit Steinen gegen heranrückende Bullen wehrten“ (Jim), dann habt ihr euch in dieser Situation wirklich nicht um sie gekümmert und euren Stiefel durchgezogen. Ihr habt ihnen die Situation aufgezwungen, die dadurch entsteht, ob sie das wollten oder nicht! Zudem sind die Leute nach dieser angeblich schützenden Gegenwehr oftmals erstens schneller von den Gleisen herunter als mit gewaltfreien Verteidigungsmitteln und zweitens brutalen Polizeieinsätzen meist schutzloser ausgeliefert, es gibt in der Regel gerade mehr Verletzte (wie auch dein zweites Beispiel zeigt)! Allerdings, Jim, ich will eine gute Zusammenarbeit zwischen Autonomen und Gewaltfreien und wie du eine genaue Absprache, wer sich was an welchem Ort zutraut, aber sie muß von der Gleichwertigkeit der Bedürfnisse aller Beteiligten ausgehen und die Absprache muß vorher laufen!
Bei deinem zweiten Beispiel habt ihr wenigstens nicht Unbeteiligte überfahren, aber: Wer bei einer Bündniskonstellation wie im Wendland zum Molli greift, muß wissen, daß er sich damit über viele Aufrufe (die zunächst mal ein Bedürfnis ausdrücken und nicht platt als spalterisch abzuqualifizieren sind) u.a. auch der BI gegen „die Gewaltfalle“ (etwa im letzten „Restrisiko“ vor den Aktionen) hinwegsetzt. Du kannst das machen, Jim (und mit Verlaub, eure Absicht zu „vermeiden, die Teile gezielt auf die Bullen zu schmeißen“, ist doch wirklich naiv!), aber dann solltest du dich über Kritik nicht wundern und sie nicht mit üblen VS-Vergleichen umgehen. Meine Kritik bezog sich eindeutig auf die Aufrufe zum wendländischen Konsens, keine Personen anzugreifen (daß das ein Zugeständnis ist, weil es gerade kein explizites Bekenntnis zur Gewaltfreiheit ausdrückt, fällt euch schon gar nicht mehr auf!), sie sprach also eine Unverantwortlichkeit in Bündniskonstellationen an. Damit habe ich dir deine Ernsthaftigkeit keineswegs abgesprochen, darum ging es überhaupt nicht. (Auch das hast du ganz schön verdreht!) Es gibt eben nicht nur die Erfahrung der Friedensbewegung, die ich ebenfalls, aber anders, als zu wenig radikal kritisieren würde, es gibt auch die Erfahrung der „Schüsse“ an der Startbahn West ‘87, die aus einer Selbstverständlichkeit der Angriffe auf Personen heraus gefallen sind. Sie waren nur der nächste logische Schritt, nachdem Angriffe auf Personen einmal allgemein toleriert waren – und sie waren die öffentliche Legitimation für die brutale Polizeirepression einer ganzen sozialen Bewegung! Wann werden wir je daraus lernen?!
Der Vorwurf der Spaltung resultiert aus alten K-Gruppen-Konzepten der „Einheit“, die jede eigenständige Organisierung als Parteinahme für die Gegenseite diffamiert. Und er ist eine so bequeme Ausflucht vor jeder Auseinandersetzung mit Kritik. Aber es hilft nichts: wir sind AnarchistInnen – ihr auch?! Es gibt keine Kampagne gegen die Autonomen in der GWR, es gibt eine inhaltliche Auseinandersetzung! Gewaltfreie AnarchistInnen treten auch nie in die PDS ein (wie mancher beim ‚ak‘, obwohl auch das typische Nichtbefassung und Ausflucht ist: der KB hat uns im ‚ak‘ 20 Jahre wie ihr auch als „Kleinbürger“ und „Spalter“ diffamiert, durch die PDS-Orientierung ist der ‚ak‘ immerhin offener geworden für andere Spektren, da ist nicht jede Einschätzung, die da veröffentlicht wird, einfach Ausfluß der PDS-Linie – das ist doch zu billig!). Und kürzt uns nicht ‚GW‘ ab, sondern ‚GWR‘ – wir wollen nämlich die Revolution, und zwar eine, die keine Führer braucht, keine politischen Manipulationen und Unwahrheiten und keine mörderische Selbstgerechtigkeit!