anti-akw

Ausgrenzungs-Prozesse

Ein abschreckendes Lehrstück über die (Un-)Tiefen politischer Auseinandersetzungen

| Andreas Speck

Bisher haben wir unseren LeserInnen die Auseinandersetzungen innerhalb von Teilen der Anti-AKW-Bewegung nach dem Castor-Transport im März erspart. Das Niveau der Diskussion war und ist nicht gerade hoch, die Vorwürfe insbesondere gegen "X-tausendmal quer", aber auch gegen Gewaltfreie im Allgemeinen sind teilweise so absurd, daß es sich kaum lohnte, darauf einzugehen. Doch die Vorwürfe werden - trotz zahlreicher Entgegnungen nicht nur von unserer Seite - munter weiter verbreitet, und so wollen wir dem endlich etwas entgegensetzen. (Red.)

Auch wenn es bei der Art und Weise, wie die Vorwürfe gegen GraswurzelrevolutionärInnen und „X-tausendmal quer“ vorgebracht wurden und werden schwer ist, darauf kühl und sachlich einzugehen, so will ich genau das in diesem Artikel versuchen. Im wesentlichen lassen sich die Vorwürfe in drei Gruppen einteilen:

  1. Vorwürfe, die das Verhalten gegenüber Autonomen während der Aktionstage im Wendland betreffen;
  2. Vorwürfe gegen den Aktionsort von „X-tausendmal quer“ am Verladekran;
  3. Vorwürfe gegen den Aktionsrahmen von „X-tausendmal quer“ als solchen.

Bezeichnend für den Umgang mit diesen Vorwürfen in bestimmten Kreisen der autonomen Szene ist jedoch, daß Erwiderungen (die es zahlreich gegeben hat) nicht zur Kenntnis genommen werden und auch nicht der Versuch unternommen wird, zentrale Inhalte gewaltfreier Aktionskonzeptionen überhaupt auch nur nachzuvollziehen, um die darauf beruhende Argumentation wenigstens zu verstehen.

Gewaltfreie gegen Autonome?

In einem Artikel unter der Überschrift „Hilfspolizei“ in der Bewegungszeitschrift anti atom aktuell, kurz „aaa“, (1) werden „Übergriffe“ von „sog. gewaltfreien Personen auf DemonstrantInnen, die sich nicht dem Spaltungskonzept von X-tausendmal quer anschließen wollten“ ‚dokumentiert'(vgl. dazu auch nebenstehenden Artikel ‚Vorsicht: Dokumentationen‘). Dabei wird „Personen aus dem Spektrum von X-tausendmal quer“ vorgeworfen, sie hätten „auch Aufgaben der Polizei“ übernommen. Im Detail:

  • „Einige DemonstrantInnen wurden aufgefordert ihre Mützen, Tücher und Sonnenbrillen abzunehmen. Einige Personen versuchten dies auch aktiv durchzusetzen.
  • Bei mindestens drei Menschen wurde der Rucksack durchsucht. Die Hilfspolizei ‚X-tausendmal quer‘ war auf der Suche nach Waffen.
  • Menschen wurden aufgefordert, ihre Jacken zu öffnen und sich kontrollieren zu lassen.
  • Immer wieder wurden Menschen aufgefordert, sich von der Sitzblockade zu entfernen, weil sie der Kleiderordnung von X-tausendmal quer nicht entsprechen. Schwarze Jakken waren verboten.
  • Immer wieder wurde Menschen angedroht, sie der richtigen Polizei auszuliefern, wenn sie sich nicht an das Spaltungskonzept von X-tausendmal quer halten würden. Obwohl niemand vorhatte, das Spaltungskonzept dort zu gefährden.“ (2)

Belegt werden diese Vorwürfe alle nicht. Und durch die Formulierung „immer wieder“ wird suggeriert, daß es sich dabei um Methode gehandelt hätte, das diese „Vorkommnisse“ die logische Erfüllung des „Spaltungskonzeptes“ von X-tausendmal quer gewesen wären.

Es kann hier nicht darum gehen, zu leugnen, daß es in Einzelfällen Vorkommnisse dieser Art gegeben hat. Wenn dem so war, so kann ich mich dem „Pfui Deibel“ des „Rat für überregionale Angelegenheiten der Republik Freies Wendland“ (3) nur anschließen. Doch solche Methoden sind weder gewaltfrei, noch gehörten sie zum Konzept von X-tausendmal quer. Und Aufgabe der sogenannten „MittlerInnen“ bei X-tausendmal quer war es, genau solches zu vermeiden. Sie „hatten in erster Linie zur Aufgabe, Menschen, die zur Blockade hinzustoßen, zu integrieren, d.h. sie über die Übereinkunft der Aktion zu informieren und die Wichtigkeit der Einhaltung der Übereinkunft zu betonen.“ Es wurde versucht, „neuen Menschen offener entgegenzutreten, und damit der Tendenz zu begegnen, daß viele Menschen sich erst spontan entschließen, an einer Aktion teilzunehmen.“ (4)

Im Rahmen des Streckenkonzeptes war es daher Aufgabe der MittlerInnen, neu eintreffenden Menschen die Ziele der Aktion zu verdeutlichen und – wenn deutlich wurde, daß der Aktionsrahmen nicht mitgetragen wurde – darauf hinzuweisen, daß es entlang der Strecke genug Möglichkeiten für andere Aktionsformen gibt. Weder gab es eine „Kleiderordnung“ (ich habe durchaus Menschen mit schwarzen Jacken in der Blockade gesehen), noch gehörte es zur Aufgabe der MittlerInnen, Taschen zu durchsuchen oder sonstwie „handgreiflich“ zu werden. Und die Drohung, jemanden an die „richtige Polizei“ auszuliefern, wäre wohl keiner/m MittlerIn eingefallen.

Weitere Vorwürfe gegen X-tausendmal quer und gewaltfreie Gruppen sind:

  • „An der Transportstrecke, wo unterschiedliche Gruppen aktiv waren, haben sich ‚gewaltfreie‘ Personen zwischen Polizei und DemonstrantInnen gestellt.
  • DemonstrantInnen wurden festgehalten, die an die Transportstrecke wollten.
  • DemonstrantInnen die Vermummung vom Gesicht gerissen.
  • Immer wieder wurde gedroht, einige DemonstrantInnen der Polizei auszuliefern.
  • Bei Laase/Grippel wurden sogar DemonstrantInnen festgehalten, die von der Polizei verfolgt wurden. …“ (5)

Zunächst einmal fällt in dem Text auf, daß alle diese Ereignisse, die entlang der Transportstrecke geschehen sein sollen, pauschal X-tausendmal quer angelastet werden. X-tausendmal quer war jedoch nur eine der gewaltfreien Aktionen während der Castor-Tage und beschränkte sich auf den Aktionsort am Verladekran in Dannenberg. Mit Ereignisse entlang der Strecke hatte X-tausendmal quer aber auch garnichts zu tun.

Und für alle diese Vorwürfe (außer dem ersten) gilt, daß sie mit Gewaltfreiheit nichts zu tun haben. Und so lange nicht bekannt ist, um welche Gruppen oder Personen es sich handelt, gehe ich davon aus, daß diese nicht aus dem Spektrum der Gewaltfreien Aktionsgruppen stammten, sondern daß es bürgerliche DemonstrantInnen (oder gar Zivis) waren.

Für eine Bewertung des „Vorwurfs“, „gewaltfreie“ Personen hätten sich zwischen Polizei und DemonstrantInnen gestellt, fehlen mir Informationen, aus denen die näheren Umstände hervorgehen. So pauschal, wie er in der ‚Dokumentation‘ der Antifaschistischen Arbeitsgruppe Uelzen vorgebracht wird, läßt sich darauf kaum differenziert eingehen. Ich könnte mir aber Situationen vorstellen, in denen trotz aller Problematik solcher Aktionen die Motive der Leute, die in eine militante Auseinandersetzung nicht hineingezogen werden wollen und keine Möglichkeit sehen, den unmittelbaren Verlauf der Auseinandersetzung zu beeinflussen, zumindest nachvollziehbar werden. Ob diese Umstände hier gegeben waren, läßt sich jedoch nicht beurteilen.

Ein letztes Wort zur Polizei: Es ist klar, daß unser Verständnis von Gewaltfreiheit eine Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols – und damit auch der Polizei – beinhaltet. Schon vor diesem Hintergrund ist es absurd, X-tausendmal quer zu unterstellen, die Drohung, Personen der Polizei auszuliefern, hätte zum Konzept gehört. Die Sätze in der Übereinkunft – „Wir werden keinen Menschen verletzen oder beschimpfen. Wir versuchen, allen Menschen mit Aufrichtigkeit und Gesprächsbereitschaft zu begegnen.“ – galten nicht nur gegenüber der Polizei, sondern selbstverständlich gegenüber allen – also auch Autonomen.

Der „Putsch“ von X-1000mal quer

Der Vorwurf, X-tausendmal quer hätte sich an den Verladekran „geputscht“, weist auf die problematisch Strukturen der Anti-AKW-Bewegung. Doch leider werden diese nicht thematisiert, im Gegenteil: mit dem Putsch-Vorwurf werden diese Probleme unter den Teppich gekehrt.

Bereits in aaa 78 heißt es:

„Obwohl Ratschlag und Delegiertentreffen am 8. September 1996 einmütig dagegen votierten, daß diese Aktion vor dem Verladekran stattfindet, schert er (Jochen Stay, AS) sich um dieses Votum einen Deubel. Stattdessen versucht er als Organisator dieser Aktion alles, um diese an besagtem Ort durchzuführen. … Unter Umgehung von Ratschlag und Delegiertentreffen wird noch am 16. Februar versucht, mit der BI zu kungeln und ein quasi geschütztes Areal zu gewinnen.

Als diese dankend ablehnt, wird flugs per Zeitungsanzeige in der EJZ (das ist die örtliche Elbe-Jeetzel-Zeitung, AS) das Gebiet vor dem Verladekran okupiert.“ (6)

Auch in der ÖkoLinX wird X-tausendmal quer gleich ein „Bruch der Bündnisabsprachen“ vorgeworfen. (7)

Mitglieder der Vorbereitungsgruppe von X-tausendmal quer schreiben dazu: „Zugegeben, die Entscheidung um den Blockadeort von X-tausendmal quer zog sich unglücklich in die Länge. Das haben wir zu verantworten, können wir aber mit unserem Versuch, basisdemokratisch zu entscheiden, rechtfertigen. Die Entscheidung des Delegiertentreffens war unseres Wissens nach keine Entscheidung, sondern die klare Äußerung eines Wunsches, der auch seine Gründe hatte. (…) Dadurch, daß die Entscheidung des Delegiertentreffens wie oben schon gesagt, unseres Wissens keine war, ist der Vorwurf, X-tausendmal quer habe sich über jene hinweggesetzt, zumindest teilweise außer Kraft gesetzt.“ (8) Anschließend thematisieren sie die strukturellen Probleme: „Kann es sein, daß jene, die zu fünft als Gruppe kommen, alle Delegierte dieser Gruppe sind und damit mehr Entscheidungsgewalt haben als jene, die zu viert kommen, aber eine tausendmal so große Gruppe vertreten? Kann es sein, daß Entscheidungen im Wesentlichen durch die im Raum vorhandene, meist aggressive Stimmung bestimmt werden, in der nur einige wenige Mutige ihre Argumente gegen die dominierende Meinung einbringen können? Genau diese Phänomene sind bei vielen Delegiertentreffen zu beobachten.“ (9)

Dieses Problem der Legitimation der „Gremien“ bzw. „Strukturen“ (soweit dabei überhaupt von Strukturen gesprochen werden kann) der Anti-AKW-Bewegung ist meines Wissens nirgendwo aufgegriffen worden. An basisdemokratische Strukturen wäre zumindest der Anspruch der Durchschaubarkeit zu stellen, aber auch der Anspruch an einen Diskussionsstil, der es auch nicht so mutigen Menschen ermöglicht, abweichende Meinungen zu äußern. Die „Strukturen“ des Wendland-Widerstandes erfüllen diese Kriterien mit Sicherheit nicht, und es bedarf eines gehörigen Maßes an Durchsetzungsvermögen und Frusttoleranz, um diese Treffen zu überstehen.

Ein Fehler von X-tausendmal quer war vielleicht, diese mangelnde Legitimation der „Gremien“ des Widerstandes nicht vorher zu thematisieren. Die Teilnahme von VertreterInnen von X-tausendmal quer legitimierte also zunächst die Delegiertentreffen, obwohl genau diese Legitimation von X-tausendmal quer durchaus hinterfragt wurde und wird. In Zukunft sollten daher vorab Anforderungen an Entscheidungsfindung und Arbeitsweise legitimer Gremien des Widerstandes gestellt werden. Und dazu gehört auch eine Diskussionskultur, die diesen Namen verdient.

War X-tausendmal quer ungefährlich?

Die letzte Gruppe der „Vorwürfe“ beschäftigt sich mit der Aktionsform von X-tausendmal quer selbst. Hier ginge es eigentlich um eine politische Auseinandersetzung, doch findet sich davon in den Papieren leider wenig.

„Nirgends war die Straße vor Schäden so sicher wie dort, wo sich dogmatische Gewaltfreie gegen jeden anderen Widerstandsversuch als ihren lautstark beschwerten“ (10), – so richtig wie gleichzeitig ohne Verständnis für das Aktionskonzept (und das Streckenkonzept, möchte mensch hinzufügen) beginnen häufig Vorwürfe dieser Art gegen X-tausendmal quer. X-tausendmal quer hat immer deutlich gemacht, daß gegen Tunnelarbeiten auf der gesamten Strecke nichts einzuwenden ist, doch daß es eben zum Aktionsrahmen von X- tausendmal quer gehört, daß im Rahmen dieser Aktion nur das Blockieren mit dem eigenen Körper durch das Sitzenbleiben auf der Straße stattfindet. Weitergehende Aktionen – sowohl an der Schienen- als auch an der Straßenstrecke – wurden von X-tausendmal quer nicht abgelehnt, sondern begrüßt, wie auch das Jubeln bei entsprechenden Durchsagen zeigte.

Um jedoch den vielen Menschen, die bisher keine eigene Widerstandserfahrung gesammelt haben, den ersten Schritt zur bewußten Übertretung von Gesetzen zu ermöglichen und diese Menschen mit ihren Hoffnungen und Ängsten auch ernst zu nehmen, war der Aktionsrahmen an diesem Ort bewußt auf Sitzen begrenzt. Das mag einigen gegen den Strich gegangen sein, doch kehrt sich der Vorwurf, so wie er vorgebracht wird, gegen diejenigen um, die sich nicht einmal die Mühe machen, Aktionskonzepte von ihrer inneren Logik her zu reflektieren (und dazu gehörte bei X-tausendmal quer die Beschränkung der Aktionsform auf ‚Sitzen‘) und dann vielleicht zu kritisieren. Unverständnis führt in der Diskussion nicht weiter.

Der nächste Vorwurf zielt auf die OrganisatorInnen: sie hätten bewußt oder im naiven Glauben die TeilnehmerInnen von X-tausendmal quer in dem Glauben gelassen, wenn von ihnen keine Gewalt ausginge, würde ihnen auch von Seiten der Polizei nichts passieren. (11) Auch wenn ich nicht ausschließen möchte, daß einige TeilnehmerInnen in diesem Glauben angereist sind, so wurde das aber von X-tausendmal quer mit Sicherheit nicht gefördert. Bereits in dem Aufruf-Flugblatt heißt es: „Wenn wir dem Castor mit entschlossener, klarer gewaltfreier Haltung begegnen, werden wir zu einem politischen Hindernis für diesen und etwaige andere Transporte. Deshalb müssen wir damit rechnen, daß ‚X-tausendmal quer‘ mit polizeilicher Gewalt begegnet wird. Uns wird das weder überraschen, noch aus der Fassung bringen.“ (12)

Während der Castor-Tage selbst wurde sowohl bei der Bezugsgruppenbildung auf mögliche Polizeigewalt hingewiesen, als auch mittels eines gewaltfreien Trainings der Umgang mit Polizeigewalt geübt. Und die meisten Bezugsgruppen werden wohl gerade darüber ausführlich diskutiert haben. Und am Abend vor der Räumung wurde auch der SprecherInnenrat erneut über die Aussagen der Einsatzleitung der Polizei informiert, daß sie alle notwendigen Mittel „unterhalb des finalen Rettungsschusses“ einsetzen werde.

Weder wurde somit bei X-tausendmal quer jemand verheizt, noch war das alles ein abgesprochenes Spiel, bei dem „die Bullen … zusammen mit Demonstranten Goodwill demonstrieren“ (13) konnten. Die Einschätzung, „gäbe es X-Quer nicht, die Bullen hätten sie erfinden müssen“ (14) ist daher nichts weiter als eine rethorisch geschickte Diffamierung, hat aber mit der Wirklichkeit gar nichts zu tun.

Ebenso völlig an der Realität vorbei geht eine Einschätzung, wenn „X-tausendmal quer“ zu einem „Synonym für Entpolitisierung und grüne WählerInnenschaft“ gemacht und in Widerspruch zu Gewaltfreien, „deren gewaltfreier Widerstand weiterhin phantasievoll, unberechenbar und effektiv sein soll“ (15) gestellt wird. Das gipfelt dann in folgenden Äußerungen: „‚X-1000mal quer‘ war für die Atomindustrie so ‚gefährlich‘, wie die niedersächsische Landesregierung. Die Bullen und die Atomlobby hatten keinen Grund, sich zu ängstigen. Alles war abgesprochen. Wir sitzen hier ’ne Weile für die Presse und ihr räumt uns dann friedlich ab. Dafür sorgen wir, daß es keine häßlichen Bilder am Verladekran gibt und distanzieren uns von GewalttäterInnen. Etwas besseres hätte den Bullen nicht passieren können. … Wenn aber das, was X-1000mal Quer praktiziert hat, Graswurzellinie ist, dann hat sich diese Bewegung vom Widerstand verabschiedet und bewegt sich zum Helfer der Inszenierung eines konservativen Gewaltmonopolbegriffs.“ (16).

Das bei „X-tausendmal“ zum Ausdruck gekommene Konzept „war ein mögliches von vielen, vielfältigen und unterschiedlichen Ansätzen, Konzepten und Formen gewaltfreier Aktion.“ so die Stellungnahme der Redaktion der GWR dazu:

„Wir sehen als GraswurzelrevolutionärInnen auch nach den Aktionen beim letzten Transport überhaupt keinen Anlaß, uns davon zu distanzieren. Und wir wissen, daß sich die InitiatorInnen für „X-tausenmal quer“ eingesetzt haben, nicht etwa weil sie andere direkte Aktionen wie Sabotage, Straßenunterhöhlungen, Barrikaden usw. ablehnen, sondern weil nach politischer Einschätzung der Gesamtsituation für die vielen Neuen und Unorganisierten ein solches Konzept einer Massenblockade das Sinnvollste erschien und sich zudem mit anderen Aktionsformen im Streckenkonzept ergänzen konnte. Daß „X-tausendmal quer“ durchaus gefährlich (allerdings nicht im Sinne einer physischen Gefährdung) war für die Polizei und die Atomindustrie zeigte der Ablauf selbst. Allein die Masse der 9 000 BlockiererInnen zeigten der Polizei die Unmöglichkeit, hier „verhältnismäßig“ vorgehen zu können. Daß die Versuche „friedlich abzuräumen“ schnell scheiterten, und dann eben doch Wasserwerfer und Gummiknüppel eingesetzt wurden, dürfte hinlänglich bekannt sein. Daß dabei immer noch nicht so brutal vorgegangen werden konnte, wie dies sicherlich gegenüber militanten Aktionen häufig geschieht, ist eine der Stärken gewaltfreier Aktion. Abgesprochen war bei dem ganzen gar nichts, auch wenn die Polizei das gerne gehabt hätte und am Tag vor der Räumung den Kontakt zu „X-tausendmal quer“ gesucht hat. Auch das ein Zeichen unserer Stärke. Ebenso absurd ist der Vorwurf der Distanzierungen: „Deshalb ist es so wichtig, daß die Kampagne in öffentlichen Äußerungen immer wieder klarmacht, daß es genauso gewaltfrei ist, wenn die Bäuerliche Notgemeinschaft mit ihren Treckern auf die Strecke geht, die Gorlebenfrauen Schmierseife auskippen, Leute damit anfangen, öffentlich die Straße abzubauen oder irgendwo spontane Sitzblockaden ohne vorherige Selbstverpflichtung und Übereinkunft stattfinden.“ (Interview mit Jochen in GWR 216)“ (17)

„Denunziationen“

Eine vierte Gruppe von Vorwürfen fehlt in der bisherigen Auseinandersetzung, und hier ist eine sachliche Würdigung auch nicht mehr angebracht. Dennoch will ich mich zu guter letzt in die (Un-)Tiefen der Diskussionskultur einiger Autonomer begeben und das daher auch den LeserInnen nicht ersparen.

In dem bereits erwähnten interim-Artikel „X-tausendmal Gewaltbereit“ heißt es zu X-tausendmal quer: „Mit Sprüchen wie ‚Das deutsche Volk ist wehrhaft‘ wurde aus dem Lauti Schützenhilfe für die Malträtierten geliefert, die sich das auch noch gefallen ließen. Wo waren überhaupt noch linke politische Inhalte?“ (18) Ungeprüft fand dieser Vorwurf des Nationalismus seinen Weg durch zahlreiche andere Veröffentlichungen, und eine Widerlegung von Seiten der GWR bzw. der Leute aus dem Lautsprecherwagen wurde bisher nicht veröffentlicht. Es ist schlicht und einfach absurd, eine solche Äußerung zu unterstellen, die es mit Sicherheit aus dem Lautsprecherwagen nicht gegeben hat. Folgerichtig wurde unsere Anfrage bei den Leuten aus dem Lautsprecherwagen von diesen schon als Beleidigung empfunden – und das durchaus zu recht!

In der sogenannten ‚Dokumentation‘ des Rats der Gnome wird dann X-tausendmal quer autoritäres Verhalten vorgeworfen und einen Absatz weiter heißt es: „Spätestens seit dem nicht ausgetragenen Konflikt um die Franz Alt-Veranstaltung der BI steht eh eine Diskussion um den Umgang mit autoritären, ‚heimattreuen‘, faschistoiden und anti-emanzipatorischen Strömungen innerhalb der Anti-Castor-Bewegung an.“ (19) – Geht es noch perfider? Soll hier X-tausendmal quer allen Ernstes eine Nähe zu autoritären, ‚heimattreuen‘ („Das deutsche Volk ist wehrhaft“) und faschistoiden Strömungen unterstellt werden? Ein Kommentar erübrigt sich.

Und was jetzt?

Die Auseinandersetzungen der letzten Monate haben das Klima nachhaltig vergiftet. Eine konstruktive Auseinandersetzung, die auf ein solidarisches Nebeneinander (mensch wird bescheiden) ausgerichtet ist, scheint derzeit kaum möglich. Gleichzeitig ist mit einer Spaltung der Bewegung niemanden gedient, was aber wiederum nicht heißen darf, daß Aktionsformen nicht kritisiert werden dürfen.

Diese Auseinandersetzung sollte jedoch vom Willen zum gegenseitigen Verständnis getragen sein. Die Methode und auch die Sprache, mit der von Seiten einiger Autonomer in diesem Streit agiert wird, zeichnen sich aber gerade dadurch aus, daß es nicht um Verständnis geht, sondern nur um die Ausgrenzung von gewaltfreien Zusammenhängen und das Plattmachen jeder Kritik an autonomen Aktionsformen.

Dabei sollte trotz aller inhaltlichen und politischen Differenzen doch eigentlich das gemeinsame Ziel im Vordergrund stehen: die Abschaltung aller Atomanlagen. Und dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sich alle Strömungen des Widerstandes mit all ihren Eigenheiten respektieren und vielleicht nicht gerade zusammen, aber auch nicht gegeneinander arbeiten. Doch auch dafür gilt: Es reicht! Nur wenn die entsprechenden Teile der Autonomen zu einer solidarischen Form der Auseinandersetzung zurückkehren, ist auch in Zukunft eine Zusammenarbeit möglich!

(1) Antifaschistische Arbeitsgruppe Uelzen (AAUe): Hilfspolizei. In: anti-atom-aktuell Nr. 79

(2) ebenda; ähnliche Vorwürfe finden sich auch in der ZECK/Rote Flora Zeitung Hamburg vom April 97 und eher summarisch in "X-tausendmal Gewaltbereit" in der interim vom 20.3.97

(3) Vorwärts und nicht vergessen. In: "Kampf dem Atomstaat" Dokumentation Sommer 1997. Dieser Beitrag stellt allerdings noch eine relativ differenzierte Sicht in der vom "Rat der Gnome" herausgegebenen Dokumentation dar.

(4) X-tausendmal quer, In: GWR 218, April 1997

(5) AAUe, siehe Anmerkung 1

(6) Einige FreundInnen des wendländischen Widerstandes: Gift und Galle. aaa Nr. 78. Ausführliche Erwiderungen auf dieses Papier, mit dem Jochen Stay persönlich angegriffen wird, gibt es von der Redaktion Graswurzelrevolution, Felix Kolb und von Frauke und Felix aus Verden in aaa 79, wobei die Erwiderung der GWR nur gekürzt abgedruckt wurde.

(7) BundessprecherInnenrat der Ökologischen Linken. ÖkoLinX Nr. 26, Sommer 1997. Das dort der GWR zugeschriebene Zitat stammt allerdings aus der Zero und Aussagen von Jochen Stay und Katja Tempel werden vermischt und allein Katja Tempel zugeschrieben. Mit dem Zitieren ist es halt so eine Sache...

(8) Frauke Banse und Felix Kolb: Es bleibt Ansichtssache, aaa Nr. 79

(9) ebenda

(10) Ein Autonomer: "X-tausendmal Gewaltbereit", interim vom 20.3.1997

(11) vgl. z.B. Ein Autonomer, aber auch "Kampf dem Atomstaat" (Einleitung), und zahlreiche andere Papiere oder mündlichen Äußerungen

(12) Flugblatt X-tausendmal quer, "Vorbereitung und Training in gewaltfreier Aktion"

(13) Ein Autonomer, a.a.O.

(14) ebenda

(15) ebenda

(16) ebenda

(17) Stellungnahme der Redaktion Graswurzelrevolution zu "Gift und Galle" in aaa 78, gekürzt abgedruckt in aaa 79

(18) Ein Autonomer: "X-tausendmal Gewaltbereit", interim vom 20.3.1997

(19) Kampf dem Atomstaat, Einleitung, S. 4