anti-akw

Vorsicht, „Dokumentation“!

Über Denunziation, getarnt als Dokumentation

| Umherschweifende GraswurzelrevolutionärInnen

In den Nachbereitungsdiskussionen innerhalb der Anti-Castor-Bewegung zirkulieren zwei „Dokumentationen“, die diesen Namen am allerwenigsten verdienen. Es handelt sich um die sogenannten „Dokumentationen“ „Hilfspolizei“, u.a. abgedruckt in „Anti-Atom-aktuell“ (AAA) 79, in welchem Übergriffe von gewaltfreien AktivistInnen bei der Massenblockade, aber auch entlang der Transportstrecke angeblich „dokumentiert“ werden, sowie um die sogenannte „Dokumentation“ des „Rat der Gnome“ mit dem Titel „Kampf dem Atomstaat“.

Die „Dokumentation“ der „Antifaschistischen Arbeitsgruppe Uelzen“ (AAUE)

Schon der Titel „Hilfspolizei“ ist eine Frechheit und das durchgängige Gerede vom „Spaltungskonzept von X-tausendmal quer“ verrät den primitiv-demagogischen Charakter der angeblichen „Dokumentation“. Alle dokumentierten Vorfälle werden in Form von Spiegelstrichbehauptungen aufgestellt. An eine tatsächliche Dokumentation wäre zunächst einmal das Kriterium der Nachprüfbarkeit zu stellen. Wenn aus Personenschutzgründen – auf die im Falle der X-Quer- InitiatorInnen, wie noch gezeigt wird, regelmäßig gepfiffen wird – die „Dokumente“ und Aussagen nicht im Original veröffentlicht werden können (was wir verstehen könnten), dann müßte den Beschuldigten (in dem Fall ja ganz eindeutig „X-1000mal quer“) evtl. in Form einer Delegation die Möglichkeit zum Einblick in die belastenden Dokumente gegeben werden. Andernfalls bleiben das bloße Behauptungen über Vorfälle, die niemand nachprüfen kann. Die Dokumente müßten also erstens eindeutig belegen können, daß Verhaltensweisen wie Kontrollen an der Blockade oder Drohungen, Leute der Polizei auszuliefern tatsächlich vorgekommen sind. Wenn dies in gewiß ganz wenigen Einzelfällen (schon die Häufigkeit scheint uns grenzenlos übertrieben) der Fall war, verurteilen wir dies hiermit aufs Schärste als nicht- gewaltfrei. Die Dokumente müßten aber zweitens eindeutig belegen, daß diese Vorkommnisse eben keine spontanen Einzelfälle waren, sondern entweder von den OrganisatorInnen oder dem SprecherInnenrat von „X-quer“ initiiert, geplant oder von maßgeblichen Personen von X-quer selbst ausgeführt worden sind. Wir bezweifeln, daß sich in den „Dokumenten“ auch nur irgendwelche Hinweise auf solche Personen oder solche Pläne finden lassen. Und bis zum Beweis des Gegenteil gilt, was zwei Leute aus Verden für X-quer zu den Vorwürfen in AAA 79 erklärt haben:

„Es tut uns leid, wenn einige Leute in Einzelfällen von anderen wegen ihres Aussehens bedrängt oder gar angegriffen wurden (Herunterziehen von Vermummung, Durchsuchung von Rucksäcken etc.) Unserer Meinung nach haben wir unser Bestes gegeben, um eben das zu verhindern. (…) Mit den MittlerInnen wurde die Brisanz ihrer Aufgabe besprochen, damit sie nicht in eben beschriebener Weise handeln. Wenn einzelne sich wider diese Idee verhalten haben, ist das nicht im Sinne des SprecherInnenrates und der Vorbereitungsgruppe gewesen.“ (S.42f)

Geht’s noch eindeutiger? Das Problem autonomer Betrachtung dieser Vorkommnisse ist eine falsche Wahrnehmung der Realität einer Massenblockade, an der sich immerhin bis zu 9.000 Menschen beteiligt haben, also ca. die Hälfte der im Wendland anwesenden Menschen. Vorbereitet war sie jedoch von einem viel kleineren Bündnis gewaltfreier AktivistInnen. Der autonome Blick auf die Realität verengt sich auf eine Zweiteilung zwischen „gewaltfreien“ und „autonomen“ Anti-AKW-AktivistInnen, doch Tatsache ist, daß es bei X-quer und auch an anderen Teilen der Strecke mindestens noch eine andere, dritte Gruppe von Menschen gab: die BürgerInnen, überzeugte DemokratInnen, viele die sich zum ersten Mal an Widerstandsaktionen beteiligten. (Mit gutem Recht könnte von vielen spektrenmäßig nicht festgelegten Kids und Jugendlichen noch als von einer vierten Strömung gesprochen werden, dazu später mehr…, usw.). Sie alle kamen ins Wendland mit ihrem vorgegebenen Bewußtseinsstand. Das X-quer-Konzept war als Bündniskonzept mit diesen Leuten angelegt. Das war ein Vabanque-Spiel und ein großes Risiko, denn es war klar, daß sie während der Aktion nicht von einem Tag auf den anderen ihr Denken ändern. Dasselbe gilt für bürgerliche Verhaltensweisen auf der Strecke, die nun wiederum mit X-quer aber auch gar nichts zu tun haben.Diese BürgerInnen sind nun durchaus keine „Gewaltfreien“ oder lassen sich gar umstandslos den GraswurzelrevolutionärInnen zuordnen, das sollte doch wohl klar sein. Wenn sie nun aus ihrem falschen Bewußtsein heraus meinen, sie müßten zwar der Polizei gegenüber gewaltfrei bleiben, nicht aber Autonomen gegenüber (Drohung mit Polizei, Durchsuchung, Hand anlegen), dann sind sie für uns zuallererst mal nicht gewaltfrei! Denn für gewaltfreie AnarchistInnen ist Gewaltfreiheit ein Prinzip, das selbstverständlich auch gegenüber Autonomen gilt, umso mehr sogar, als wir die Motive für Gegengewalt verständlich und achtenswert, wenn auch falsch finden. Also: ein/e BürgerIn, die sich vielleicht sogar selbst „gewaltfrei“ nennt, die aber gleichzeitig Hand an Autonome anlegt, ist gar kein/e Gewaltfreie/r, so wie auch Grüne keine Gewaltfreie sind, wenn sie sich an der Staatsgewalt beteiligen, so wie auch Kohl kein Libertärer ist, wenn er sich zur Freiheit bekennt! Was aber machen die autonomen KritikerInnen? Sie schreien den BürgerInnen nicht etwa ins Gesicht, daß sie Gewalt anwenden, sondern sie bestätigen noch ihr falsches Bewußtsein, dadurch daß sie sie als Gewaltfreie behandeln. Denn nur so ist es ihnen möglich, uns ihre Taten in die Schuhe zu schieben, nur so können sie uns gewaltfreie AnarchistInnen in demagogischer Weise für die Taten aller BürgerInnen bei den Widerstandsaktionen im Wendland verantwortlich machen! Dabei sieht ein Blinder, daß überall im Wendland, nicht nur bei „X-quer“, BürgerInnen mit solchem Bewußtsein herumliefen.

Noch mal genauer zu diesen BürgerInnen: BürgerInnen als Protestmassen kommen autonomen KämpferInnen gut zupaß, wenn sie wie in Wackersdorf oder in der Hamburger Hafenstraße bereit sind, die Steine ranzuschaffen. Im Wendland waren sie dazu in der Regel nicht bereit, kamen aber trotzdem als überzeugte DemokratInnen dahin, oft im guten Willen, nicht alles von dem Rechtsstaat hinzunehmen, den sie ansonsten auch verteidigen. Und weil sie dies taten, haben sie natürlich zunächst mal alle Berechtigung zur Kritik militanter Aktionen aus ihrer Sicht. Hier wird von der militanten Kritik oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wir mußten uns ja auch mit ihrem bürgerlichen Gewaltfreiheitsverständnis, das unserer Ansicht nach überhaupt keines ist, auseinandersetzen…

Kritik, von wem auch immer, auch während der Aktion verbal zu äußern, ist völlig legitim und drückt nur ein berechtigtes Bedürfnis nach dem Verlauf der Auseinandersetzungen aus. Außerdem sind die Ängste der BürgerInnen vor verantwortungslosen Aktionen von Autonomen dem bürgerlichen Bewußtsein nicht einfach nur zu 100 Prozent vom Staat eingebleut, sondern es geben manch tatsächlich verantwortungslose Verhaltensweisen von Autonomen auch Anlaß für bürgerliche Ängste, deren verbaler Ausdruck dann aber oft die Falschen trifft oder – schlimmerweise und selbstredend zu verurteilen – spontan gewaltsam wird. Der spontane Zugriff auf Gewalt zur Lösung einer blockierten Situation sollte doch gerade Autonomen bekannt und nachvollziehbar sein – viel mehr als uns übrigens. Autonome sollten sich tatsächlich mal über ihren eigenen – und nicht immer nur den staatlich-internalisierten – Anteil an bürgerlichen Ängsten vor ihnen Gedanken machen, etwa wenn die Berliner Autonmen Sanis über autonome Verantwortungslosigkeiten berichten:

„Wir mußten zusehen, daß sich viele Szene-Leute offensichtlich überhaupt nicht mit den örtlichen Gegebenheiten auseinandergesetzt hatten. Damit meinen wir z.B., daß es etlichen Leuten nicht eingefallen ist, sich mal zu überlegen, was denn auf dem Land so alles anders ist und wie man eigene Verhaltensweisen dem anpaßt. Das führte dann zu wunderbar durchdachten Aktionen wie dem Anstecken von Heu und Rübenmieten, wahrscheinlich wirklich aus der puren Gedankenlosigkeit heraus, daß die entsprechenden Leute nicht wußten, wofür Heu oder Rüben so nötig sind (bei uns kommt das Essen schließlich aus der Dose, oder was?) (…) Was hat es mit dem Gefasel von Solidarität zu tun, wenn Menschen nicht nur in Panik übertrampelt, dabei z.T. erheblich verletzt werden, sondern sich hinterher einen Scheißdreck drum gekümmert wurde? Nach einer verletzten, vermißten Frau wurde immerhin schon zwölf Stunden später gefragt!“ (Interim 419, S.6)

Meint man/frau wirklich, die im Wendland anwesenden BürgerInnen kriegen sowas nicht mit? Das rechtfertigt natürlich überhaupt keine spontanen Gewalthandlungen von BürgerInnen. Wir glauben aber, daß verbale Kritik erstens viel öfter vorkam als die von der AAUE dokumentierten Einzelfälle des Handanlegens und daß diese verbale Kritik zweitens von autonomer Seite viel zu leicht als pauschal kleinbürgerlich – was sie oftmals auch sind! – abgetan und sich nicht wirklich damit auseinandergesetzt wird.Was also mit den BürgerInnen und ihrem mitgebrachten Bewußtsein (das keineswegs bei der Aktion von X-quer erst geschaffen wurde, wie ein weiterer absurder Vorwurf lautet) in dieser schwierigen Situation mit deren teils legitimer, teils illegitimer Kritik tun? Sie wieder nach Hause schicken? Das käme der Selbstmarginalisierung von Widerstand gleich. Unsere Antwort war zu versuchen, sie in den Widerstand gleichzeitig zu integrieren und dadurch auch zu radikalisieren (was vor allem über die Konfrontation mit anderen Demokratievorstellungen, mit Basisdemokratie, Kritik der Mehrheitsentscheidung, SprecherInnenräten geschehen ist). Die GWR-Redaktion hat in einer Stellungnahme dazu formuliert: „Das ist und bleibt ein schwieriger Balanceakt, mit dem konstruktiv umzugehen ist, und da kann in Zukunft bestimmt einiges besser ‚ausbalanciert‘ werden.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Und wie immer ist das Ganze bei der AAUE „Dokumentierte“ nur die halbe Wahrheit. Um das nämlich auch mal aus anderer Seite zu beleuchten: der AAUE fällt es natürlich nicht ein, etwas zu berücksichtigen, was ebenfalls im zitierten Papier der Berliner autonomen Sanis steht:

„Wir mußten nicht nur erleben, daß es zu Verhaltensweisen kam, die schlicht schweinisch und menschenverachtend sind, z.B. dem Werfen von Mollis (an anderer Stelle Steine) in Menschengruppen, angeblich auf Bullen, in Wirklichkeit in eine Sitzblockade, die davor war (eh alles nur Gewaltfreie, werden schon sehen, was sie davon haben, oder was???), sondern auch jede Menge von anderem geduldeten Schwachsinn, der genauso Opfer gekostet hat, wie z.B. Fallen im Wald in Form von Fuß- und sogar Halsangeln. Rhetorische Frage: Was meint Ihr wohl, auf welcher Seite es deshalb Verletzte gegeben hat?“

Wir wissen zudem durch eine nachprüfbare Aussage einer Person unseres Vertrauens, die die entsprechenden Diskussionen selbst erlebt hat, daß es sehr wohl Planungen zu einer autonomen Feldschlacht direkt am Verladekran und mit der direkten Absicht, das X-quer-Konzept damit zu treffen, gegeben hat und daß das erst kurz vor Verwirklichung abgeblasen worden ist.Und was machen wir mit diesen Informationen? Werden wir nun eine autonome Gruppen denunzierende „Dokumentation“ herausgeben? Werden wir nun auch alle Betroffenen, die von einem Molli oder Stein aus den eigenen Reihen getroffen wurden, die sich in autonomen Fuß- und Halsangeln verfangen haben, dazu aufrufen, sich zu melden und diejenigen zu denunzieren, die geworfen oder die Fallen aufgestellt haben? Einen Teufel werden wir tun! Das ist nicht unser Niveau! Man/frau muß sich das mal vorstellen: der Jugendtreff Abraxas in Dannenberg wird kurz vor dem Transport von Nazis zerstört, während des Transports werden einzelne AKW-GegnerInnen von Nazis überfallen, Tausende, ob gewaltfrei oder nicht, werden beim Polizeieinsatz verprügelt, doch die „Antifaschistische Arbeitsgruppe Uelzen“ dokumentiert nicht etwa neonazistische Gewalt, sie dokumentiert auch nicht die Polizeigewalt, nein, sie sieht es als ihre vordringlichste Aufgabe an, Gewaltfreie zu diffamieren und zu weiterer Denunziation aufzurufen.

Es fehlte eigentlich nur noch, so hatten wir schon gewitzelt, daß X-quer gleich selbst als faschistisch, ökofaschistisch oder so diffamiert wird, dann würde wenigstens der eigene politische Ansatz wieder stimmen und die Antifa würde sich wirklich der Antifa-Politik widmen! Und tatsächlich: auch dieser Witz wurde noch unglaubliche, ungeahnte autonome Realität. In dem Einleitungstext der sogenannten „Dokumentation“ des „Rat der Gnome“ heißt es nach spaltenlanger Hetze gegen X-1000mal quer unmittelbar im nächsten Absatz, so daß der Bezug zu X-quer kaum zu übersehen ist, daß eine Auseinandersetzung im Wendland „um den Umgang mit autoritären, ‚heimattreuen‘, faschistoiden und anti-emanzipatorischen Strömungen innerhalb der Anti-Castor-Bewegung“ (S.4) anstehe. Hier steht derweil eine genauere Auseinandersetzung mit dieser sogenannten „Dokumentation“ an.

Die „Dokumentation“ des „Rat der Gnome“

Genaugenommen müßte zu dieser sogenannten „Dokumentation“ ein ganzes Buch geschrieben werden, denn einige Papiere und die darin „dokumentierten“ Behauptungen bräuchten ein Vielfaches des hier vorhandenen Platzes, um in ihrer Gänze und Häufigkeit widerlegt zu werden.

Zunächst zum Einleitungstext des „Rat der Gnome“, insbesondere ihrer dort bereits deutlich werdenden Hetze gegen „X-quer“ (S.4). Es geht los mit einem Nebensatz, der bezeichnend für die ganze Kritik ist, nämlich dem nicht weiter begründeten Verdacht „unsauberer finanzieller Macht“ (1. Spalte unten), mit dem „X-quer“ zu ihren Selbstverpflichtungen kam. Die Beteiligten von „X-quer“ also gekauft? Und von wem? Wie absurd und unbegründet der Vorwurf auch ist, wie deplaciert in der Einleitung einer Hochglanzbroschüre einer sich seriös gebenden „Dokumentation“, die Hoffnung der AutorInnen setzt darauf, daß sich bei den LeserInnen der Vorwurf finanzieller Abhängigkeit oder gar Veruntreuung schon unterbewußt festsetzen wird. Bereits an dieser Stelle müßte die ganze „Dokumentation“ auf den Müllhaufen der Demagogie geworfen werden. Aber wir lesen weiter. Zu „X- quer“ heißt es dann:

„Sie sehen sich nicht nur als moralisch höherwertig, sondern höchstwertig an. Spalten damit nicht nur in Gut und Böse, …, sondern grenzen auch alle anderen mit den vielfältigsten Aktionsformen aus. (…) Ihre hierarchische Wertigkeit der Menschen stößt auf bis zum Kotzen.“ (S.4)

Es geht gewaltfreien AktivistInnen nicht um den „besseren“ Menschen, sondern um eine revolutionäre Ethik, um den Anspruch, sich im Kampf um Veränderung allerdings anders zu verhalten, als der Bürger der französischen Revolution das mit der Guillotine als Kampfmittel gemacht hat. Revolutionäre Ethik wird hier umgequirlt und als „Höchstwertigkeit“, also eine Form von Rassismus, ausgegeben. Es wird gelogen und verbogen „bis zum Kotzen“! Die „Gnome“ wissen zudem auch, daß „X-quer“ mehrfach, und zwar so oft, daß man/frau es hier wirklich nicht wiederholen muß, erklärt hat, daß sie alle anderen gewaltfreien Aktionsformen bis hin zur Sabotage ebenfalls befürworten.Es folgt der Vorwurf der „Hilfspolizei“, der in diesem Papier bereits wiederlegt wurde. Das „Startloch“ des Streckenkonzepts sei vereinnahmt und als „ihr Hoheitsgebiet“ reserviert worden, Absprachen im Vorfeld seien „ignoriert“ worden und also „das Gefasel von Basisdemokratie“ pure Lüge. Hier muß nun doch noch einmal über die bereits erwähnten, nicht abgedruckten Gegendarstellungen des Delegiertentreffens hinaus einiges klargestellt werden. Als beim Delegiertentreffen am 15.3. ein Meinungsbild gegen „X-quer“ zustandekam, war es bereits sehr spät und aufgrund der Angaben von Leuten aus Verden nur noch ca. 30 Leute da. Der folgende Einwand ist also berechtigt:

„Was hat es mit Demokratie zu tun, wenn 30 Menschen, die durch nichts legitimiert sind außer der Teilnahme an einem Treffen, ohne festgelegte Entscheidungskompetenz beschließen könnten, wo eine Aktion (an der sie selber nicht teilnehmen wollen), an der tausende Menschen beteiligt sind, stattfinden darf und wo nicht?“ (AAA 79, S.35)

Delegierte aus einer auf Tausende zählenden Gruppe, die an die basisdemokratischen Entscheidungsprozesse dieser großen Gruppe gebunden sind und daher mit imperativem Mandat und vergleichsweise unflexibel, sind nicht mit einer Delegierten einer Ortsgruppe oder einer Gruppe aus zehn Leuten gleichzusetzen. Fakt war bei den Delegiertentreffen aber zudem, daß Leute, die zu fünft kamen, alle Delegierten aus dieser Gruppe waren und sich auch so verhielten. Selbstverständlich darf daraus nicht gefolgert werden, eine Großgruppe könne nun mehrheitlich kleine Gruppen überstimmen. Aber es gilt auch das Gegenteil: wenn Delegierte kleiner Gruppen die Delegierten einer Großgruppe überstimmen, ist das nichts anderes als Unterdrückung einer relevanten Gruppe von Menschen, ob nun reale Mehrheit oder Minderheit sei dahingestellt. Das ist ein basisdemokratisches Problem, das im Vorfeld des Transports nicht mehr gelöst werden konnte. „X-quer“ jetzt im Nachhinein auf ein mehrheitliches Meinungsbild dieses Treffens festzulegen, ist reine Demagogie. Typisch für Meinungsbilder ist auch folgendes: während im Nachhinein von den KritikerInnen von X-quer das Meinungsbild zur „Entscheidung“ umgepolt wird und daraus ein Bruch der Absprachen gefolgert wird, haben die Delegierten von X-quer das Meinungsbild auch als solches verstanden, nicht als Entscheidung, sondern als Stimmungsbild, als „Wunsch“. Aufgrund eigener basisdemokratischer Entscheidungsprozesse von X-quer, die sich natürlich in die Länge zogen, konnte dann diesem Wunsch nicht entsprochen werden, es bestand allerdings kein Anlaß, das im Bewußtsein zu tun, gegen eine Entscheidung zu verstoßen. Im übrigen zeigte schon die Tatsache, daß der Ort vor dem Verladekran im Streckenkonzept bei der Vorbereitung sehr lange verwaist war und sich keine Gruppe verbindlich drum kümmerte, daß hier nicht wirklich vorbereitende Gruppen konkurrierten und die eine Gruppe einer anderen was weggenommen hätte.Daß es bei dem Vorwurf des Bruchs von Absprachen aus dem Delegiertentreffen um politisch- strategische Tendenzen für die Zukunft geht und das Meinungsbild erst nach dem gelaufenen dritten Transport in der Öffentlichkeit lanciert wurde, um X-quer nach ihrem Erfolg zu delegitimieren, ist offensichtlich. Erst durch den Erfolg von „X-quer“ aufgeschreckt wurde nach Ansätzen gesucht, das Konzept im Nachhinein zu desavouieren. Niemand konnte aber vorher mit dem Verlauf am Verladekran und der langen Behinderungszeit rechnen – die Aktion von „X-quer“ hätte auch nach hinten losgehen können. Dann jedoch hätte „X-quer“ das Desaster ganz alleine getragen und die BI und andere Widerstandsspektren wären von jeder Mitverantwortung befreit gewesen. Deswegen wurde der Vorwurf taktisch eingesetzt nur für den Fall, daß X-quer erfolgreich war. Das sind die durchsichtigen Manöver dieser angeblichen Basisdemokratiedebatte, in welcher der „Rat der Gnome“ auf einer Mehrheitsentscheidung besteht, auf die er in anderen Fällen als „bürgerliche Mehrheitsentscheidung“ herabblicken würde und sich – verständlicherweise! – einen Pfifferling drum kümmern würde, wenn etwa per Mehrheitsbeschluß ein autonomer Aktionsort verboten worden wäre. Typischer Fall von Doppelmoral, in dem es um Basisdemokratie am allerwenigsten geht.

Wirkliche Basisdemokratie wurde jedoch in „X-quer“ ganz praktisch und die Aktion läßt sich ganz sicher nicht auf Einzelpersonen reduzieren, während die Plena in den anderen Camps gerade kein Beispiel an Basisdemokratie boten, sondern durch Desorganisation insbesondere viele Kids (die angesprochene vierte Kategorie) in Unerfahrenheit und Unorganisiertheit alleingelassen wurden. Während in „X-quer“ immer wieder Bezugsgruppen mit Neuen gebildet wurden und sie massenhaft Erfahrung in herrschaftsfreier Organisation und Entscheidungsfindung sammelten, berichtet die Zeitung AK in ihrem Bericht von einer Art Verelendungstheorie durch Desorganisation:

„Fast schon als Trauerspiel möchte mensch bezeichnen, was aus dem Camp Quickborn kam, an dem auch zahlreiche Hamburger Gruppen beteiligt waren. Hier waren auch viele junge und recht unerfahrene Leute, viele SchülerInnen zum Beispiel. Das ist zunächst einmal selbstverständlich äußerst begrüßenswert, bringt aber auch Probleme mit sich. Was etwa bei den ‚X- tausendmal quer‘-Leuten prima funktionierte – Bezugsgruppen, Delegiertentreffen, Info-Vermittlung etc. – das funktionierte hier so ziemlich gar nicht.“ (ak 13.3.97, S.9f)

Es versteht sich von selbst, daß auch dieser Beitrag in der „Dokumentation“ fehlt. Schließlich wird hier offenbar, daß viele Kiddies auf unverantwortliche Weise unorganisiert in die Schlacht in den Wäldern geschickt wurden. Und in der Tat haben viele Kiddies genau deswegen ihren Freund oder Freundin verloren, sind selbst verängstigt umhergeirrt oder bei Knüppeleinsätzen verletzt worden. Nicht „X-quer“ hat verantwortungslos gehandelt, als sie den BlockiererInnen ein für sie abwägbares Konzept anbot, sondern das mangelnde Bewußtsein an basisdemokratischen Organisationsformen hat in anderen Camps dazu geführt, daß insbesondere unorganisierte Kiddies in ihrem Enthusiasmus auf unverantwortliche Weise alleingelassen und in vielen Fällen im Kampfgetümmel geopfert wurden. Der „Rat der Gnome“ spricht vom „Mißbrauch des guten Willens von so vielen Mutigen“ bei „X-quer“, aber vom Mißbrauch des guten Willens von so vielen mutigen Kids schweigen sie!Weiter gehts zum gleichen Thema, in der 2. Spalte wird gleich noch die „perfektionistische Organisation“ von „X-quer“ mit „Arbeitsamt“ als „alles andere als emanzipatorisch“ gerügt. Die Gnome merken gar nicht, daß für den ersten Text, den sie selbst dokumentieren, ein „Untergrundamt und Verkehrsausschuß“ verantwortlich zeichnet, aber wir sollen diesen Hinweis auf den revolutionären Amtsschimmel wohl witzig finden, während die Gnome von allen LeserInnen verlangen, daß „Arbeitsamt“ bierernst gemeint gewesen sein muß!

Weiter: im nächsten Absatz heißt es von den BlockiererInnen tatsächlich:

„Mystisch verklärt wird da die brutale Realität von menschenverachtenden und -vernichtenden Kapitalinteressen nebst ihrer Knüppelgarde.“

Hier muß – ohne jede Begründung – der Begriff „mystisch“ fallen, damit später der Hinweis auf „faschistoide“ Tendenzen und ihre Verbindung zu „X-quer“ leichter fällt. Vorher wird angesichts angeblicher Pressefixierung auch noch die Frage gestellt, ob es „X-quer“ „überhaupt noch um die Verhinderung des Castor-Transports“ gegangen sei. Nichts, auch nicht die dümmste Unterstellung, bleibt „X-quer“ erspart, auch nicht die wie ein Gebet und ohne jede Begründung hochgehaltende Behauptung: „Einzig und allein dem Polizeiapparat hat die bessere Kalkulierbarkeit von X1000mal quer gnützt.“ Sie wirkt wie der Glaubenssatz einer von jeder realistischen Betrachtung enthobenen Bruderschaft. Es folgt am Ende der Spalte schließlich die bereits erwähnte implizite Vermengung von „X-quer“ mit dem Faschismus-Vorwurf.Nun konzentrieren wir uns auf Hinweise darüber, welche Papiere eigentlich nicht in dieser ach so seriösen „Dokumentation“ dokumentiert werden, denn was nicht drin steht, sagt gelegentlich mehr über ein solches Machwerk aus als das, was drin steht. Wir gestehen gerne zu, daß manche Papiere in der „Dokumentation“ für sich lesenswert sind und zur kritisch-solidarischen Diskussion in der Castor- Nachbereitung beigetragen haben. Durch die Anordnung mit dem Höhepunkt des „Spaltungskapitels“ werden sie jedoch mutwillig entwertet und bilden nur die Toleranz vorspiegelnde Garnitur für den zentralen politischen Zweck des „Rats der Gnome“ – eine Instrumentalisierung, für die wir selbstverständlich nur die Herausgeber verantwortlich machen.

Es versteht sich von selbst, daß radikal selbstkritische Papiere von Seiten der Autonomen wie das Papier der Berliner „Autonomen Sanität zur Castor-Nachbereitung“ (Interim Nr. 419), aus dem hier bereits mehrfach zitiert wurde, nicht „dokumentiert“ werden. Denn dieses Papier endet mit der politisch verwerflichen Schlußfolgerung:

„Unsere Erfahrung ist daher, daß wir einen ziemlichen Respekt vor der Konsequenz und dem Verhalten so etlicher ‚Gewaltfreier‘ (und weil man das ja immer betonen muß: Damit meinen wir nicht die Deppen, deren Aufgabe auch im Wendland zu sein schien, mit Gewalt ‚keine Gewalt‘ durchzusetzen und damit Leute der Gewalt des Staatsapparates zu überlassen), wie z.B. Leuten aus BI oder bäuerliche Notgemeinschaft, haben.“

Dieser Schlußfolgerung können wir nur zustimmen, weil die Sanis hier GewalttäterInnen an Autonomen als „Deppen“ bezeichnen und sie von wirklichen Gewaltfreien unterscheiden. Doch diese Einsicht paßt dem „Rat der Gnome“ natürlich nicht ins Konzept. Sie wollen ja „dokumentieren“ daß tatsächlich konsequent Gewaltfreie gerade die „Deppen“ sind.Weiterhin werden zwar Berichte aus der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ (EJZ) in die Dokumentation übernommen, aber keineswegs ein Bericht der EJZ vom 5.3., S.5, in welchem ausführlich über die Vorkommnisse am Bahnübergang der Esso-Tankstelle Montagnacht bei Ankunft des Castor-Zuges direkt am Verladekran berichtet wird. Schließlich hätte des Desaster dort einen Hinweis darauf geliefert, wie eine Alternative zur Blockade am Verladekran hätte aussehen können, und das muß den LeserInnen der Dokumentation in jedem Fall vorenthalten werden.

Daß von den zahlreichen Antworten aus dem graswurzelrevolutionären Spektrum zu Kritikpapieren an ihnen oder „X-quer“ immer nur die Kritikpapiere abgedruckt wurden, kann nicht überraschen. So wird S.38f Jutta Ditfurths Kritik abgedruckt, nicht aber die Antwort von Lou Marin in GWR 218. Dafür wird eine autonome Antwort (Jim aus Berlin: „Die Autonomen – allseits beliebt als Watschenmann“) abgedruckt, die sich explizit auf den GWR-Text bezieht, aber nicht die Antwort an „Jim aus Berlin“ dazu (schon die Interim, der diese Antwort angeboten wurde, hatte sie nicht abgedruckt, aber ein Anruf bei der GWR hätte darüber aufgeklärt, daß es sie gibt, doch wo kein Wille ist, ist auch kein Weg…), schließlich wird der Text „Gift und Galle“ unter dem nun die Demagogie verharmlosenden Titel „Anmerkungen“ aus AAA 78 von „Einige FreundInnen des wendländischen Widerstands“ abgedruckt, ein Text, der eine Person, die sich angeblich zum Führer der Bewegung aufschwingen wolle, namentlich anklagt, der einzige Text zudem (neben einem kleinen Auszug aus einem Interview für „Zero“, bei dem die Verwirrung durch die einleitende Bemerkung komplett wird, daß die Interviewten die Veröffentlichung ihrer Kritik am Delegiertentreffen „inzwischen“ als „kontraproduktiv“ ansehen), der über das Delegiertentreffen berichtet, auf dem X-quer angeblich geputscht habe, und der Text schließlich, der die angeblich einzig mögliche Interpretation des VS-Papieres in der „Dokumentation“ anbietet. Alle veröffentlichten Gegenpapiere zu diesem Text werden nicht „dokumentiert“: die Stellungnahme der Redaktion Graswurzelrevolution zu „Gift und Galle“ (gekürzt in AAA 79, S.41), die zwei Gegendarstellungen zum Delegiertentreffen aus Verden (AAA 79, S.35 und S.42f), schließlich die alternative Interpretation des VS-Papieres, in welchem die Gewaltfreien und nicht die autonomen Konzepte als Hauptzielgruppe der VS-Repressionsstrategien analysiert wird, und die als Artikel „Erst drei, dann sechs, dann neun?“ in GWR 215, S.3 und S.6 erschienen ist. Während „Gift und Galle“ bzw. „Anmerkungen“ voll und ganz als Artikel gebracht wird, wird in der „Dokumentation“ nur ein Auszug des Artikels aus GWR 215 gebracht, der sich mit Schlußfolgerungen aus dem VS-Papier befaßt, wobei die Zwischenüberschrift „Autonome spalten die Bewegung“ zur Hauptüberschrift hochstilisiert wird. Ohne Angabe von Gründen wird die vorherige Kritik des Verfassungsschutzpapiers weggekürzt. Die Perfidie der Darstellung in der „Dokumentation“ erreicht ihren Höhepunkt, wenn in der dazugehörigen Einleitung des „Rats der Gnome“ zu diesem entscheidenden Kapitel mit dem Titel „Spaltung“ dann noch steht, ein Betroffener habe in einem GWR-Artikel versucht, „den VS über das eigentliche Ziel seiner Arbeit aufzuklären, den AUTONOMEN“. Sowohl bei den „FreundInnen des wendländischen Widerstands“ als auch dem „Rat der Gnome“ macht man/frau sich aber keine Gedanken darüber, daß die Anklagen und die direkte Namensnennung angeblicher Drahtzieher der Gewaltfreien vielleicht auch den VS aufklären könnten – wenn auch über die Unwahrheit, daß „X-quer“ nur von einer Person gelenkt würde. Hier wird auf Personenschutz gepfiffen. Aber wenn der Beschuldigte aus längst veröffentlichten Papieren ohne Namensnennung nur zitiert und das als innerlinken Diskussionsbeitrag begreift, wird so getan, als sei das Verrat an den Verfassungsschutz und den LeserInnen dazu noch nahegelegt, die denunzierte Person habe „praktisch mit dem Finger auf jene“ gewiesen, die Militanz befürworten. Hier wird eindeutig personaler Verrat suggeriert – die schlimmste und perfideste Form, nicht inhaltlich auf Kritik zu reagieren, sondern ganz brutal jemanden fertigzumachen und ihn damit aus der Bewegung ausschließen zu wollen!

Auch das dem „Spaltungs“-kapitel voraufgehende Kapitel 4 ist sehr interessant, was die Verdrehung von Tatsachen betrifft, heißt es doch in der Kapitel-Einleitung schon wieder in denunziatorischer Absicht zum Streckenkonzept:

„Die Bullerei konnte sich … voll und ganz auf die Nordroute konzentrieren, wobei die Absprache zwischen der Gegenseite und x-tausenmal diese Situation für alle anderen noch verschärfte. Unsere Unkalkulierbarkeit ging so in einem Sumpf von fehlender Spontaneität und dem Bemühen von x- tausendmal quer, sich den Bullen als berechenbar anzudienen, verloren. Praktisch war so die Spaltung vollzogen.“ (S.20)

Es gab keine Absprache zwischen Staat und „X-quer“ und auch kein Bemühen, dem Staat gegenüber berechenbar zu sein, berechenbar und übersichtlich, eine Abwägung des persönlichen Risikos ermöglichend, sollte die Aktion nur für die Beteiligten selbst sein. Nie wurde behauptet, daß die Polizei bei einer gewaltfreien Aktion nie losknüppeln würde, nie wurde eine Garantie auf völlig Gefahrlosigkeit abgegeben. Trotzdem hat die Massenblockade real den autonomen KämpferInnen entlang der Strecke genützt, weil sie mehr Zeit als erwartet für Untertunnelungsversuche hatten. Daß sie sie nicht nutzen konnten, ist nicht „X-quer“ anzulasten. Doch in Kapitel 4 geht die Perfidie noch weiter: erkennbar ist hier der Versuch, einzelne gewaltfreie Aktionen gegen „X-quer“ auszuspielen, ja „X-quer“ überhaupt die Schuld dafür zu geben, daß der Castor auf der Schienenstrecke Lüneburg-Dannenberg nicht umkehren mußte. Dafür ist es nötig, das Originalpapier der gewaltfreien BetonaktivistInnen von Dahlenburg den LeserInnen der sogenannten „Dokumentation“ vorzuenthalten (abgedruckt in AAA 78, S.20). Da wäre nämlich zum Beispiel mehrfach vom „Erfolg des direkten, gewaltfreien Widerstands“ zu lesen gewesen, von einer schützenden „Sitzblockade, die den herbeilaufenden PolizistInnen durch eindeutige Signale von vornherein den gewaltfreien Charakter der Aktion verdeutlichte“, von der aktionsspezifischen Funktion von PolizeisprecherInnen und allem anderen, was die Aktion materiell behindernd und doch nicht zum Kampfgetümmel auf den Gleisen gemacht hat – Vorraussetzung dafür, daß überhaupt soviel Zeit wie nötig für Einbetonierung und Ankettung gewonnen werden konnte.Was macht die „Dokumentation“ des „Rat der Gnome“ draus? Sie veröffentlicht anstatt des Berichts der Gewaltfreien einen „Bericht aus dem Schienencamp bei Dahlenburg“ (S.23), erkennbar von einem Militanten geschrieben, in welchem der explizit gewaltfreie Charakter der drei „Anschließ-Aktionen“ verschwiegen und dafür die gute Ergänzung verschiedener Aktionsformen auf der Schiene betont wird, u.a. wird von autonomen Angriffen auf die Schiene berichtet, bis „eine Hundertschaft anrückte und sich die Leute nach kurzer Verteidigung (auch mit Steinewerfen) zurückzogen.“ (S.23) Schließlich wird berechtigterweise darauf hingewiesen, daß es hier eine Chance für die Umkehr des Transports gegeben hätte, wenn Leute „aus den Straßencamps und von den Sitzblockaden“ entschlossen dazu gekommen wären. Obwohl hier im Vergleich zum Bericht der Gewaltfreien unterschlagen wird, daß die für Schienenaktionen in der Regel viel größere Chance auf eine Verweildauer auf der Schiene bei gewaltfreien Verteidigungsformen im Vergleich zum üblichen militanten Verteidigen mittels Stein- und sonstigen Würfen liegt (eine Verteidigungsstrategie, die Aktionen auf der Schiene in der Regel gerade verunmöglicht), ist die gute Ergänzung der Aktionsformen richtig und auch der Hinweis darauf, daß alle Straßencamps hätten reagieren sollen. Falsch und gegen den gewaltfreien Widerstand und damit ganz sicher gegen die Intention der Dahlenburger AktivistInnen wird das Ganze jedoch durch die diesem Bericht voraufgehende Einleitung und den Chronologietext des „Rats der Gnome“, an dem am Ende des Berichts zu den Schienenaktionen ein Absatz „Merkwürdige Stimmung“ steht:

„Eine ganz merkwürdige Stimmung herrschte (während der Schienenaktionen, d.A.) … am Verladekran: Tausende von Castor-Gegnern warteten stundenlang auf das Eintreffen der Fracht, die man gar nicht haben will. Auch nach 12 Uhr war weit und breit noch nichts von dem Castor-Transport zu sehen. Die Situation hatte sich zuvor am Nachmittag auf dem Verbindungsweg vor dem Verladekran äußerst entspannt dargestellt. Hunderte von Castor-Gegnern hatten es sich auf der Straße gemütlich gemacht. Einige sangen Lieder, andere bemalten die Straße, wenige rollten Strohballen auf den Verbindungsweg.“ (S.22)

Jedes Wort dieser Idylle ist als Anklage gemeint, wie auch schon in der Kapiteleinleitung gesagt wird, daß die Chance zur Zugumkehr vertan wurde, „da die Masse der WiderständlerInnen es vorzog, in Dannenberg geduldig auf eben jene Fracht zu warten, die sie nicht wollten.“ (S.20)Ergebnis des dokumentarischen Manövers: daß es eine direkte gewaltfreie Aktion war, die den Zug in Dahlenburg 4 1/2 Stunden aufhielt, wird verschwiegen, daß die Taktik der Schienenverteidigung bei militanten Angriffen in der Regel zu geringer Verweildauer auf der Schiene führt, geht in der Feier der guten Ergänzung von Widerstandsformen unter, und schließlich wird der berechtigte Vorwurf, Leute aus „allen“ Straßencamps hätten sich in dieser Situation mehr um die Schiene kümmern müssen, zum expliziten Vorwurf an „X-quer“, ihr Verrat, ihr idyllisches Verweilen am Verladekran sei schuld an der Nicht-Umkehr des Zuges. Die gewaltfreie Aktion, ausschließlich auf X- quer projiziert, richtet sich so in der Sicht des „Rat der Gnome“ gegen die Schienenaktionen – exakt dem Terrain also, wo gewaltfreie Aktion real am effektivsten war. So verdreht eine „Dokumentation“ die Wirklichkeit. Sie sollten ihre „Dokumentation“ umbenennen in „Phantasieprodukt“!

Selbstverständlich war es für das Gelingen von „X-quer“ genauso nötig, möglichst früh massenhaft die Strecke vor dem Verladekran zu besetzen, um das Terrain für die Blockade nicht durch Polizei okkupieren zu lassen, wie es für die anderen Straßencamps am Montag aussichtsreich erschien, zunächst mal die Südstrecke durch Untertunnelung zu zerstören. Der Vorwurf der Negierung der Chancen, die in der Schinenstrecke Lüneburg-Dannenberg lagen, ist berechtigt, solange er alle Spektren des Widerstands gleichermaßen trifft, er ist demagogisch, wenn er explizit nur gegenüber „X-quer“ erhoben wird, noch dazu auf so üble Weise, in welcher eine angebliche Idylle denunziert wird, während andere angeblich kämpfen. Die frühzeitige massenhafte Besetzung der Straße vor dem Verladekran gehörte eben auch zum Kampf von „X- quer“ und deren nicht unberechtiger Hoffnung, den Transport exakt hier eben zum Umkehren zu bringen oder doch stark zu behindern, sowie auch die Untertunnelungen der Südstrecke zum Kampf gehörten. Die Absicht der Ausgrenzung wird hier ganz deutlich.

Fazit aus beiden sogenannten „Dokumentationen“: Autonome Doppelmoral

Wenn die beiden sogenannten „Dokumentationen“ mit dem Bericht der Autonomen Sanis aus Berlin verglichen wird, fällt die autonome Doppelmoral, die sich in den „Dokumentationen“ offenbart, direkt ins Auge. Welche/r Autonome hat sich denn bisher bei uns entschuldigt für die Steinwürfe und die Mollis auf Gewaltfreie? Keine/r! Wer hat sich entschuldigt für die Unterstellungen des „Rat der Gnome“ bis hin zum Faschistoiden? Wer hat sich entschuldigt für Andeutungen im „Gift und Galle“ („Anmerkungen“) – Papier, die dort benannte Person von X-quer würde Angaben an den Verfassungsschutz gemacht haben? Keine/r! Wenn beim 12 km entfernten Laase/Grippel irgendwelche Leute irgendwas gegen Autonome machen, werden die Splietauer X-quer-InitiatorInnen dafür verantwortlich gemacht, obwohl sie den Täter mit Sicherheit nie gesehen haben. Wenn der „Rat der Gnome“ überhaupt mal auf peinliche eigene Aktionen eingeht, dann ist das schnell mit „dämlicher Mackerbeweis“ (S.3) (das „dämlich“ ist dabei schon wieder „Mackerbeweis“ der Autoren!) oder dem Hinweis auf Provo- und Zivil-Bullen abgetan. Nie taucht die Frage auf, ob vielleicht solche peinlichen, verantwortungslosen Aktionen notwendig mitproduziert werden, wenn auf grundsätzlich militante Aktion gesetzt wird. Nie wird wirklich politische Verantwortung für solche Aktionen übernommen! Aber wir sollen uns permanent für Taten von BürgerInnen verantworten und entschuldigen, denen wir selbst ihre Gewaltfreiheit absprechen, wenn sie sich wie dargestellt verhalten! Es reicht…! Kehrt zu einer solidarischen Form der Auseinandersetzung zurück, die auf Unterstellungen und widerliche Doppelmoral verzichtet, die kritisch sein kann, aber vom Bewußtsein getragen werden muß, daß beide Strömungen, gewaltfrei-libertäre und autonome, nun einmal zum Widerstand gehören!