Janet Biehl und Murray Bookchin: The Politics of Social Ecology: Libertarian Municipalism. Montreal, Black Rose Books 1997, ca. 120 S., ca. 36 DM
„Politik ist die Kunst, die Leute daran zu hindern sich um das zu kümmern, was sie angeht“, so schrieb einst Paul Valéry und würde damit von Janet Biehl und Murray Bookchin wohl entschiedenen Widerspruch ernten. In Janet Biehls neuem Buch, das in diesem Herbst bei Black Rose Books in Kanada erscheint, geht es gerade um eine Wiederbelebung der Politik in Abgrenzung zur Staatsraison. „Politik, so wie wir sie normalerweise verstehen, ist eine grundlegende Komponente repräsentativer Regierungssysteme. Sie ist die Summe der Prozeduren und Praktiken, durch die ‚das Volk‘ eine kleine Gruppe von Individuen – PolitikerInnen – wählt, um für es zu sprechen und es in einer gesetzgebenden oder regierenden Körperschaft zu vertreten.“ (S. 2, Seitenzahlen beziehen sich auf das Manuskript) „Dieses System als Politik zu bezeichnen, ist eine grob unzutreffende Bezeichnung. Es sollte treffender als Staatsraison bezeichnet werden.“ (S. 4f)
In Abgrenzung zur Staatsraison bezeichnet für Biehl (und Bookchin) Politik die Aktivität der BürgerInnen in einem öffentlichen Gremium, in direkt-demokratischen, partizipativen Institutionen. Auch hierbei meint „direkte Demokratie“ nicht die Einführung angeblich „direkt-demokratischer“ Elemente in das System der Staatsraison – meist wird hier der Volksentscheid genannt – sondern eine Demokratie, in der „die BürgerInnen in Gemeinschaften ihre eigenen Angelegenheiten in einem face-to-face-Prozeß der Beratung und Entscheidungsfindung regeln, anstatt den Staat dies für sie tun zu lassen.“ (S. 1)
The Politics of Social Ecology ist eine gute Zusammenfassung der wesentlichen Grundlagen und Theorien des Konzepts „Libertärer Kommunalismus“, wie es vor allem von Murray Bookchin seit Jahren vertreten und ausführlich z.B. in „Die Agonie der Stadt“ dargestellt wurde. Die Stärke des Buches liegt gerade in seiner Kürze. Dadurch gelingt es Biehl, die wichtigsten Punkte deutlich herauszuarbeiten: Politik vs. Staatsraison, Demokratie in der Stadt des Altertums und des Mittelalters, Staat und Urbanisierung, die Kommune/Stadt, Aufbau und Politik einer kommunalistischen Bewegung.
„Das Projekt des libertären Kommunalismus ist es, Politik im älteren Sinne des Wortes wiederzubeleben – lokale direkte Demokratie aufzubauen und auszuweiten, so daß einfache BürgerInnen Entscheidungen für ihre Gemeinschaften und die Gesellschaft als ganzes treffen. Es ist kein Versuch, und so sollte es auch nicht verstanden werden, die Beteiligung der BürgerInnen in den Prozessen des republikanischen Staates auszuweiten. … Libertäre Kommunalismus ist, in Fakt, dem Staat entgegengesetzt, da der Staat als solcher unvereinbar ist mit Selbstverwaltung der Gemeinschaft und einer florierenden bürgerlichen Sphäre.“ (S. 11)
Grob gesagt meint Libertärer Kommunalismus die direkt-demokratische Verwaltung der dezentralisierten Kommune durch BürgerInnenversammlungen, bei denen alle erwachsenen BürgerInnen in freier Diskussion mit Mehrheit Entscheidungen treffen. Die dezentralisierten Kommunen (bzw. Gemeinden/Städte) föderieren sich wiederum mit anderen Kommunen, um übergeordnete Aufgaben zu koordinieren und Austausch untereinander zu pflegen. Entsprechend einem libertären föderativen System erfolgt die Vertretung in der Föderation über Delegierte mit imperativem Mandat, die jederzeit rückholbar sind.
Auf wirtschaftlichem Gebiet bedeutet libertärer Kommunalismus die Kommunalisierung der Wirtschaft, d.h. die Produktionsmittel sind nicht in Besitz der Arbeitenden oder ihrer Kooperativen, sondern der Kommune; Entscheidungen werden daher auf den BürgerInnenversammlungen getroffen. ArbeiterInnenselbstverwaltung gibt es daher im wesentlichen für die inneren Angelegenheiten der Betriebe, nicht aber in einem anarchosyndikalistischen Sinne. Damit soll einer Konkurrenz unterschiedlicher Kollektivbetriebe vorgebeugt werden, wie sie z.B. im anarchosyndikalistischen Spanien 1936 vielfach auftrat und nur über eine sich bürokratisierende CNT unter Kontrolle gebracht werden konnte.
Im groben finde ich das Konzept des Libertären Kommunalismus sehr überzeugend, und es ist Biehls Verdienst, es einfach und verständlich dargestellt zu haben. Allein, einige Unzulänglichkeiten möchte ich hier nicht verschweigen:
Entscheidungen in den BürgerInnenversammlungen sollen per Mehrheitsentscheid getroffen werden, da Biehl (und Bookchin) das Konsensprinzip als undurchführbar ablehnen. Dabei scheint es mir, daß Biehl das Konsensprinzip nicht ganz verstanden hat. Auch wenn in ihrer Auseinandersetzung mit dem Konsens-Prinzip nicht mehr Bookchins Vorwurf von Konsens als „Einstimmigkeit“ und damit „Gleichmacherei“ vorkommt, so wird bei ihr die Option des „Beiseite-Stehens“ als „Auslöschung der Person mit Dissenz als politisches Wesen“ (S. 62) beichnet. Beiseite- Stehen „löst das Problem des Dissenz im wesentlichen durch die Beseitigung der Personen mit Dissenz aus der politischen Sphäre – und Auslöschung der Sicht des Dissenz aus dem Forum der Ideen.“ (S. 62) Warum denn das? Beiseite-Stehen heißt doch nicht, daß die Argumente, die dazu führen, in der Diskussion nicht gehört werden. Das wäre dann wohl kaum im Sinne des Konsens-Verfahrens. Es heißt im Gegenteil, daß die Argumente zwar in der Entscheidung nicht berücksichtigt werden, aber zur Kenntnis genommen werden müssen.
Es geht hier nicht darum, aus dem Konsens-Prinzip ein Dogma zu machen. Sicherlich können Entscheidungen von Fall zu Fall auch anders getroffen werden. Doch die einfache Abbügelung des Konsens-Prinzips durch Biehl dient meines Ermessens dem Konzept des libertären Kommunalismus nicht.
Libertärer Kommunalismus soll durch eine libertär-kommunalistische Bewegung, die sich als revolutionär versteht, erkämpft werden. Soweit, so gut. Klar auch, daß eine solche Bewegung von unten aufgebaut wird, und sich nicht in der Tyrannei der Strukturlosigkeit verstricken soll, sondern eine klare Struktur – entsprechend den Strukturen einer kommunalisierten Gesellschaft – haben soll. Soweit kann ich Biehl folgen. Die Taktik der Bewegung scheint mir jedoch noch sehr unklar. Eine der wesentlichen Forderungen einer kommunalistischen Bewegung ist die nach Einführung direkt-demokratischer Instrumente im kommunalistischen Sinne: BürgerInnenversammlungen. Hier schlägt Biehl vor, daß die Bewegung die Einführung dieser Elemente von den bestehenden Institutionen durch eine Änderung der Verfassung der Kommune einfordern sollte. Mir fehlt der Einblick in das amerikanische Kommunalrecht, um dazu für die Verhältnisse der USA etwas zu sagen, für die BRD scheint mir dies illusorisch und als Strategie bzw. Taktik unangemessen.
Und problematisch ist auch der Vorschlag der Beteiligung kommunalistischer KandidatInnen an Kommunalwahlen, „so daß sie schließlich die Stadtverfassung ändern können, um auf Kosten des Staates voll mit Entscheidungsbefugnis ausgestattete BürgerInnenversammlungen zu schaffen.“ (S. 74) Dies mag für die USA funktionieren (s.o.), in der BRD funktioniert es mit Sicherheit nicht. Zumindest ab der Größe von Kleinstädten ist auch die Stadtpolitik in der BRD durch staatsorientierte Parteistrukturen dominiert, eine direkt- demokratische, mehr auf Sachlösungen orientierte und über Parteigrenzen hinweggehende Politik ist kaum in Sicht. Eine soziale Kontrolle der Politik findet ebenfalls nicht mehr statt, wovon der Filz in vielen Kommunalverwaltungen Bände spricht. Ein Vergleich mit den USA ist mir hier nicht möglich, für die BRD läßt sich aber – aus meiner Sicht – sagen, daß auch die Sphäre der Stadt so vom Staat durchzogen ist, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen der derzeitigen Stadtpolitik und Staatsraison nicht mehr auszumachen ist – zumindest nicht, was den Stadtrat angeht. Das bedeutet nicht, daß ich die Existenz einer politischen Sphäre in der Stadt nicht sehen würde. Ich sehe aber nicht, wie sie sich im Stadtrat Ausdruck verschaffen sollte, denn diese Institution gehört in den Städten der BRD weit mehr zum Bereich des Staates als zur politischen Sphäre.
Als Alternative bleibt aus meiner Sicht das, was Biehl mit Bookchin als zweitbeste Alternative vorschlägt, wenn sich auf institutionellem Weg durch die Bewegung BürgerInnenversammlungen als Instrumente nicht durchsetzen lassen: der Aufbau extralegaler BürgerInnenversammlungen (S. 83). Diese schöpfen zunächst ihre Macht zwar lediglich aus ihrem moralischen Vertretungsanspruch, können dadurch im Bund mit einer starken Bewegung aber durchaus die legale Macht der etablierten Institutionen in Frage stellen. Ihr Ziel sollte natürlich sein, diese etablierten Institutionen abzulösen und an ihre Stelle zu treten.
Eine Buchbesprechung bietet nicht den Raum, sich mit allen im Buch aufgeworfenen Fragen auseinanderzusetzen. Es gäbe durchaus noch mehr Punkte, an denen ich im Detail Kritik zu üben hätte. Dennoch: Biehls Buch, das ergänzt wird durch ein ausführliches Interview mit Murray Bookchin, bietet einen guten Einstieg in die Idee des Libertären Kommunalismus. Erfreulich, daß sich der Trotzdem Verlag schon jetzt entschieden hat, eine deutsche Übersetzung auf den Markt zu bringen. Diese würde jedoch an Gebrauchswert gewinnen, wenn zu einigen problematischen Diskussionssträngen in ausführlichen Anmerkungen auf Unterschiede zwischen dem amerikanischen und deutschen System der Kommunalverfassungen eingegangen wird, um eine fundierte – aber auch streitbare – Diskussion zu ermöglichen. Ich bin gespannt.