Studierende haben zunächst wenig Chancen, ihre Ausbildungssituation zu verbessern oder sogar gesellschaftliche Veränderungen durchzusetzen. Aber was in diesen Tagen studentischen Streiks und erster Aktionen auffällt, ist das Engagement der Jungsemester, die reichlich geschockt von der miserablen Ausbildungssituation sich sagen: So mit uns nicht; so lassen wir uns nicht verramschen. Und auch wenn wir wenig Chancen haben, so stehen wir jetzt auf und machen unserem Unmut in Forderungen und Aktionen Luft. Die politisch Verantwortlichen reagierten zunächst fast unisono aufgeschlossen, fast schon peinlich anbiedernd, möglicherweise demnächst ein paar Brosamen streuend, aber kaum willens etwas zu ändern! HochschullehrerInnen reagieren aufgeschlossen-analysierend, aber nur wenige sind auf den Demonstrationen zu sehen.
Die Studierenden haben die Streiks nicht von langer Hand vorbereitet und konzeptionell angestoßen – sie sind selbst von der eigenen Wut- und Protestdynamik überrascht. Um so wichtiger ist deshalb jetzt, sich nicht in kurzatmige Aktionen und einen 34 Bindestriche umfassenden Forderungskatalog zu verwickeln, sondern für die verschiedenen Ebenen zunächst politisch und hochschulpolitisch Aushandlungsfähiges zu entwickeln. Das soll natürlich auch auf strukturelle Änderungen der Gesellschaft abzielen, aber man/frau muß wissen, daß die kurzfristige Aussicht auf eine ökologische Reform, auf Reichtumsumverteilung oder auch nur zur bescheidenen solidarischen Arbeitsumverteilung ganz schwach ist.
Wie könnte solch Aushandlungsfähiges aussehen?
- Auf der Ebene der Fachbereiche bedarf es einer intensiven Diskussion darüber, wozu und zu welchem Ende studiert man/frau Chemie, Politikwissenschaft oder Geschichte; wie werden Studierende sozialisiert; worin besteht das Kerngehäuse eines Fachs; welchen gesellschaftlichen Herausforderungen soll sich die Disziplin bis hin zum Arbeitsmarkt stellen? Nur so läßt sich rational fordern, nur so wird Protest substantiell und glaubwürdig zugleich. Das bindet auch die Studierenden, die eher nur eine pragmatische Sicht ihrer Ausbildung haben.
- Auf der Ebene der Universität sind die Handlungsspielräume im Sinne der studentischen Interessen erneut zu problematisieren. Denn: Studierende leiden unter der Ausbildungssituation insgesamt mehr als die HochschullehrerInnen, ihre Existenz steht qualitativ auf dem Spiel, nicht die der HochschullehrerInnen. Deshalb wäre auszuhandeln: Nicht 130 000 DM jährlich kostende HochschullehrerInnen allein begründen die Qualität in der Lehre, sondern ein differenziert zu findender wissenschaftlicher Mittelbau: Teilzeit-Professuren, besser bezahlte Lehrbeaufragte, mehr Tutorien im Grundstudium. Die zentralen Universitätsverwaltungen wären zu halbieren und die Kompetenzen an die Fachbereiche zu verlagern, wo Studierende zumindest mit demokratischen Drittelparitäten an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Studierende, die 2 Jahre mit Universitätsverwaltungen um eine 8 000 DM teure TutorInnenstelle ringen müssen, werden alle Lust an der demokratischen Teilhabe verlieren. Wer nicht mitentscheiden kann, interessiert sich für die Universität nur in seinen/ihren Lehrveranstaltungen.
- Mit der Staatsseite wären gezielte Reformprogramme und mehr Geld auszuhandeln. Natürlich ist in einem Land wie zum Beispiel Berlin schwer Geld zu fordern, wenn es aus anderen Etats genommen werden muß – wie etwa Soziales, Kultur oder Arbeitsmarkt (Berlin nimmt noch jährlich 16,7 Mrd. DM Steuern ein und muß für Personal 14,1 Mrd. DM bezahlen – das ist der Faststaatsbankrott). Deshalb bleibt nichts übrig als auch ein „Bündnis für Bildung und Beschäftigung“ zu versuchen, das Personalkosten solidarisch umverteilt. Das wäre zwischen Staat, Gewerkschaften und Universitäten auszuhandeln. Die Asten könnten einen Runden Tisch einberufen. Konkret sähe das so aus: ProfessorInnen bekommen 10 % weniger Gehalt. Sie werden nicht dabei zugrundegehen. Vollzeit- wissenschaftliche MitarbeiterInnen erhalten 5 % weniger – und das Geld wird investiert in das Notwendigste: Lehrpersonal, wissenschaftliche Nachwuchsförderung, Tutorien, ein wenig Infrastruktur. Im Gegenzug müßte die staatliche Seite das Sparprogramm mindern. Für die FU Berlin wären das immerhin 100 Mio. DM, für meinen Fachbereich Politische Wissenschaft 0,5 Mio. DM mehr im Jahr. Das wäre ganz konkret und sehr wirksam. Aber Studierende müßten das auch gegenüber dem Staat und ihren ProfessorInnen im Sinne ihrer eigenen Interessen vertreten. Denn: ProfessorInneninteressen sind mitnichten immer StudentInneninteressen.
Aber alles das wird nichts nützen, wenn die Studierenden nicht in ihren Protest- und Konfliktformen zulegen. Papier, Demonstrationen und demonstrative Vorlesungen vor dem Haus des Ministers sind zu wenig. Manche lustige Aktionen wirken fast lächerlich-medienzentriert. Eine fürsorgliche Belagerung wäre nicht schlecht oder eine „besuchende Demonstration“ in den guten Vierteln von München, Berlin, Stuttgart oder Freiburg, um zu zeigen, daß der Bildungsnotstand vor den Türen der etablierten Republik steht. Die auf der Sonnenseite der Republik müssen wahrnehmen, daß die Gesellschaft 1,3 bis 1,4 Mio. Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren nicht aus dem Bildungs- und Beschäftigungssystem ausschließen kann.
Wir HochschullehrerInnen können eigentlich von uns aus nur konzeptionell überzeugende Forderungen mit einer regelverletzenden Arbeitsniederlegung verbinden. Beamte dürfen nicht streiken, aber jetzt müssen sie es tun, sollen die Hochschulen nicht vor die Hunde gehen. Das wäre auch die konflikttreibendste Möglichkeit der HochschullehrerInnen, die auch den Studierenden nutzen könnte. Man/frau stelle sich vor, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz und die drei Berliner Universitätspräsidenten legten für die Öffentlichkeit einsichtige und nachvollziehbare Forderungen vor, die auch vor den eigenen Privilegien nicht haltmachen und rufen bewußt zur Arbeitsniederlegung auf. Eigentlich für ProfessorInnen undenkbar, aber nach Lage der Dinge notwendig. Wenn Studierende ihre ProfessorInnen im Seminar fragen, warum sie eigentlich nicht die Arbeit niederlegen, werden sie das Stottern der sonst sehr flüssig formulierenden DozentInnen wahrnehmen.