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Abserviert!

Während die Arbeitslosen in Frankreich demonstrieren, werden sie in Deutschland weiterhin abserviert

| Andreas Speck

Angesichts der Demonstrationen in Frankreich (vgl. untenstehenden Artikel) blickt manch eine/r wehmütig ins Nachbarland. Hierzulande ist trotz Kürzungen und anhaltend hoher Arbeitslosigkeit von organisiertem Protest oder gar Widerstand nichts zu sehen. Arbeitslose werden weiterhin abserviert. (Red.)

Seit dem 1. Januar 1998 gilt ein neues Arbeitsförderungsgesetz (AFRG), mit dem die Situation der Arbeitslosen wieder einmal – zum wievielten Mal eigentlich? – verschlechtert wird. Hauptziel dieses Gesetzes ist es erklärtermaßen nicht, Arbeit zu fördern, sondern den viel beschworenen „Leistungsmißbrauch“ zu bekämpfen, und der wird erst einmal jeder/m Arbeitslosen unterstellt. Damit werden rechte Stammtischreden vom Sozialschmarotzer quasi in Gesetzesform gegossen.

Jede Arbeit ist zumutbar

Im einzelen bedeutet die Gesetzesänderung für Arbeitslose:

  • Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen für Leistungen des Arbeitsamtes;
  • Zumutbarkeit von Beschäftigungen auch unterhalb des Berufes (damit wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt);
  • verschärfte Anwendung von Sperrzeiten beim Bezug von Arbeitslosengeld und -hilfe;
  • schnellerer Ausschluß aus dem Leistungsbezug;
  • dreimonatliche Meldekontrollen;
  • Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes nur nach Nachweis von Bewerbungsbemühungen.

Als besonderes „Bonbon“ wurde bereits am 1. April 1997 der „Arbeitsbereitschaftstest“ als Trainingsmaßnahme eingeführt.

„Bodensatz der Arbeitslosigkeit“

Die Trainingsmaßnahmen sind Zwang, wer sich nicht sofort für eine Teilnahme an diesem vierwöchigen Kurs entscheidet, der/dem droht der (befristete) Leistungsentzug. Teilweise wird den Arbeitslosen ihre „recht- und ausweglose Situation“ von den Arbeitsämtern unverblümt vor Augen geführt, um sie zur Teilnahme zu „bewegen“. Der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) ist z.B. bekannt geworden, daß von 120 zur Teilnahme aufgeforderten Arbeitslosen 30 % abgesprungen sind, in dem sie gegenüber dem Arbeitsamt plötzlich eine geringfügige Beschäftigung angegeben haben, krank geworden sind oder sich sonstwie „abgemeldet“ haben und somit in prekäre Lebensverhältnisse gedrückt wurden. Die Trainingsmaßnahme dient somit auch der Bereinigung der Arbeitslosenstatistik nach unten.

Arbeitslosigkeit als persönliches Versagen

Verschiedene Träger zeichnen in den Maßnahmen das Zerrbild der persönlichen Gründe für Arbeitslosigkeit, sie hätten eben aus persönlichen Gründen „den Zugang zum Arbeitsmarkt noch nicht erreicht“. Defizite werden also nicht bei den Ausgrenzungsmechanismen der Marktwirtschaft verortet, sondern den Arbeitslosen zugeschoben. In den Trainingsmaßnahmen soll daher die „persönliche Unfähigkeit“ der Arbeitslosen behoben werden.

In dem vierwöchigen Kurs geht es dann um die Prüfung der Defizite zwischen den „Anforderungen“ und der „aktuellen Leistungsfähigkeit“ des Arbeitslosen, mit dem darüber gesprochen werden soll, „ob es sonst noch bei Ihnen vermittlungshemmende Probleme gibt, um die wir uns gemeinsam kümmern können.“

In Oldenburg wird den Arbeitslosen vom Träger der Maßnahme, der bundesweit tätigen Firma IBIS-ACAM, die „Spirale der Arbeitslosigkeit“ präsentiert: danach führt der Weg des Arbeitslosen offenbar einem Naturgesetz gleich zum „Bodensatz Arbeitsloigkeit“, ob über familiäre Schwierigkeiten, Verschuldung oder Flucht in Krankheit. Ziel dieser Herangehensweise ist, den TeilnehmerInnen deutlich zu machen, daß sie eigentlich schon zum Bodensatz gehören, und daß dies Folge ihres „persönlichen Motivationsverlustes“ und individueller Defizite ist.

Zum Abschluß des Testes geht eine Beurteilung an das Arbeitsamt, die u.a. detailliert Auskunft gibt über Pünktlichkeit, Ordentlichkeit, Teamfähigkeit, gar zum äußeren Erscheinungsbild und Arbeitsmotivation „trotz widriger Umstände“ (Zwang).

Widerstand?

An verschiedenen Orten versuchen Betroffene, gegen ihre Verpflichtung zu diesen Maßnahmen zu klagen. Ob diese Klagen erfolgreich sind, ist bisher nicht absehbar. Es ist aber in jedem Falle sinnvoll, sich mit der örtlichen Arbeitsloseninitiative in Verbindung zu setzen. Denn nur so kann gemeinsam Widerstand entwickelt werden, damit in Zukunft Arbeitslose in Deutchland nicht mehr abserviert werden, sondern die Aktionen aus Frankreich vielleicht über die Grenze schwappen.

Dieser Artikel beruht auf einem Flugblatt der ALSO. Dieser wurde mittlerweile von IBIS-ACAM gerichtlich untersagt, bestimmte Äußerungen zu wiederholen - bei Androhung eines Zwangsgeldes von 500 000 DM oder ersatzweise Haft für die Vorstandsmitglieder.

Wer mit der ALSO Kontakt aufnehmen möchte:

ALSO
Kaiserstraße 19
26122 Oldenburg