kultur

Der autoritäre Brecht

Frauenausbeutung und kalter Zweckrationalismus

| Bruno Weil (Dank für Hinweise an S. Münster)

Einige der Dramen, die heute unter dem Namen Brecht firmieren, gehören sicherlich zum beeindruckendsten, was an den Theatern des 20. Jahrhunderts gespielt wurde. Trommeln in der Nacht, Mutter Courage, Das Verhör des Lukullus oder Pauken und Trompeten sind zudem eindeutige Antikriegsstücke, die ehrliches Erschrecken über das Hinschlachten im Ersten und Zweiten Weltkrieg beziehungsweise Brechts öffentliche Kritik der Wiedereinführung der Wehrpflicht in den 50er Jahren dokumentieren, ob ihm das nun in der DDR den Vorwurf des Pazifismus einbrachte oder nicht. Es gibt in Brechts Dramenwelt so anrührende Figuren wie die stumme Kattrin aus Mutter Courage, deren lautes Trommeln eine ganze Stadt vor den Soldaten rettet und die dafür mit dem Leben bezahlt. Die Rolle des Azdak, der „Richter der Armen“ aus Der Kaukasische Kreidekreis ist eine anarchistische Figur, durch Kriegswirren und Zufälle auf den Richterstuhl gehievt, die das Gesetzbuch nur als Sitzkissen benutzt, sich von den Reichen scheinbar bestechen läßt und dann doch den Armen das Recht unkomplizierter, humanistischer Gerechtigkeit zuspricht.

Doch es gibt auch eine inzwischen nicht minder offensichtliche problematische Seite Brechts: den reaktionären, den autoritären Brecht. Und als Konsequenz daraus gibt es den politisch feigen, den verlogenen und den unterwürfigen Brecht. Zwar wird in der Dreigroschenoper die berühmte Moritat gesungen, „doch man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht“ – daß dies in großem Umfang gerade auf die Frauen im Umkreis von Brecht zutrifft, wird allerdings erst seit einigen Jahren thematisiert. Die Frauen an den Schreibmaschinen der „großen Männer“ waren aber nicht nur abschreibende Sekretärinnen, sondern selbst Schreibende, kreative Künstlerinnen, die oft großen Anteil am Werk „ihres“ Mannes hatten. Daß das besonders bei den Frauen um Brecht der Fall ist und daß ihre Arbeit auf infame Weise von Brecht ausgebeutet wurde, ist schon von vielen, darunter auch von Klaus Theweleit im Buch der Könige kritisiert worden.

Welches Ausmaß die Ausbeutung von Frauen im Falle Brechts angenommen hat, wird gegenwärtig an der umstrittenen neuen Biographie von John Fuegi: Brecht & Co. diskutiert. Nach Fuegi, der in seiner profeministischen Forschung sehr viele Privatbriefe ausgewertet hat und dessen fehlerhaftes englisches Original durch einen riesigen Arbeitseinsatz des Übersetzers Sebastian Wohlfeil zu einem profunden Nachschlagewerk verbessert worden ist, anhand dessen nun wohl die Erben einige Rechtsstreits um Urheberrechte führen werden, sind mehrere Dramen Brechts teilweise oder gar ganz von Frauen geschrieben, aber ausschließlich unter Brechts Namen veröffentlicht und verkauft worden. So war nach Fuegi zum Beispiel die Dreigroschenoper durch die Arbeit von Elisabeth Hauptmann als Stoff entdeckt, von einer englischsprachigen Vorlage übertragen und bearbeitet, so daß sie bereits zu 80 Prozent fertig war, bevor Brecht überhaupt einen Blick darauf warf. Ähnliches gilt für die Heilige Johanna der Schlachthöfe. Fuegi spricht von Brecht mehr als Dichter: kurzfristig konnte er kreativ sein, die meisten Gedichte (auch hier gibt es Ausnahmen, unausgewiesene Plagiate oder gar von anderen Geklautes) stammen tatsächlich von ihm. Über längere Zeit aber konnte Brecht nicht kreativ arbeiten; längere Arbeiten, vor allem die Dramen und Romane, konnte er weder strukturieren noch abschließen. Dafür brauchte er „seine“ Frauen. Fuegi kann zeigen, daß die groben, gewaltsamen Männerfiguren in Brechts Stücken, wie etwa Baal oder auch Mackie Messer aus der Dreigroschenoper allesamt von Brecht stammen oder von ihm modelliert wurden, während viele starke Frauengestalten wie Jenny, Polly oder später Kattrin aus der Mutter Courage auf die Schriftstellerinnen in Brechts Umkreis und ihren feministischen oder mindestens frauenrechtlerischen Anspruch zurückgehen, dem sie jedoch in ihrem eigenen Leben in Brechts Nähe nie gerecht wurden.

Die sexuelle Hörigkeit

In seiner Augsburger Jugendzeit hat der damals regelmäßige Bordellgänger Brecht im Freundeskreis als Sänger und Dichter mit oft sexuell expressiven, dabei Frauen objektivierenden, das heißt auf ihre Sexualität reduzierenden Texten begonnen:

„Was brauchen den Dirnen die Stirnen breit sein
Viel besser, die Hüften sind breit.
Es kommt mehr heraus, und es geht mehr hinein
Und das fördert die Seligkeit.“

(Brecht: Gedichte über die Liebe, zit. nach Fuegi, S.66)

Gleichzeitig müssen Erscheinung wie dichterische Ausdrucksweise Brechts auf bestimmte Frauen faszinierend gewirkt haben, denn bereits in dieser Zeit organisierte er sein System „sexueller Hörigkeit“ – auch sie wird ja in der Dreigroschenoper besungen. Brecht hatte zeit seines Lebens meist drei bis fünf sexuelle Beziehungen parallel laufen, darunter mit Frauen, die selbst Schriftstellerinnen waren oder es in diesen Beziehungen wurden, von denen die wichtigsten sind: Elisabeth Hauptmann, Marieluise Fleißer, Margarete Steffin, Ruth Berlau. Patriarchal und autoritär ist an Brecht nun keineswegs das Erlebnis mehrerer gleichzeitiger sexueller Beziehungen, sondern die typisch männliche und besitzergreifende Umgangsweise Brechts mit diesen Frauen. Brecht gestatte ihnen nämlich keineswegs, was er für sich in Anspruch nahm: er war rasend eifersüchtig, wenn „seine“ Frauen gleichzeitig Beziehungen zu anderen Männern aufnahmen, sofort stand er auf der Matte, setzte sie unter Druck und fuhr seine Zuwendung genau dann zurück, wenn sie zu ihm zurückgekehrt waren oder den Rivalen fallen ließen. Brecht belog alle Frauen mit Versprechungen, sie seien die einzigen für ihn. Er verschwieg andere Beziehungen vor ihnen bis zur Groteske und auch dann noch, als sie längst darüber Bescheid wußten. Er versprach mehreren gleichzeitig, sie zu heiraten oder in der Zukunft allein mit ihnen zu leben. Ideal war also keineswegs etwa die freie Liebe, sondern heterosexuelle Ausschlußbeziehungen unter Brechts Vorherrschaft. So entstand ein zermürbendes internes Psychosystem, ein sado-masochistisches Beziehungsgeflecht, in welchem die Frauen zwar immer die Opfer waren, aber keineswegs nur unschuldig. Schließlich machten sie bis zur Selbstaufgabe mit, bekämpften sich eifersüchtig untereinander oder kehrten nach Phasen der Unabhängigkeit immer wieder zu Brecht zurück. Mehrere wie Hauptmann und Fleißer machten Selbstmordversuche; Steffin ließ Brecht ihre Tuberkulose-Krankheit nie richtig auskurieren, Berlau hatte mehrere Nervenzusammenbrüche und wurde in der Psychiatrie mit Elektroschocks gefoltert. Gefangen im System von Brechts sexueller Hörigkeit machten sich die ursprünglichen Feministinnen klein, Steffin sah sich als „Dreck“, Berlau als „Kreatur“ Brechts. Erschütternd etwa folgendes unterwürfige Gedicht Berlaus aus den frühen 50er Jahren, als sie zu alt für Brecht und daher sexuell uninteressant wurde:

„Da steh und geh ich nun
mit brennende, klopfende
nasse Futse.
Und wird sein schönen Schwantz gross
dann geht er woanders hinein.
Woanders hinein. (…)
gib mir etwas ab
selbst ein alte Hund gibt man ein Brocken
und jedenfalls am Schluss
ein gnades Schuss.“

(Berlau, Tippfehler im Original, zit. nach Fuegi, S.797)

Das ist die Realität eines angeblichen Kollektivs unter dem Firmennamen Brecht! Dazu kam, daß Brecht den kreativen Anteil seiner Mitautorinnen schamlos nach außen hin verschwieg und ein Geschäftsgebaren an den Tag legte, als habe er alles selbst geschrieben. Er verkaufte seine Bücher, Theateraufführungs- und Filmrechte ohne Rücksicht auf bestehende Verträge nicht nur gleichzeitig und mehrfach, sondern auch ohne Angabe des Anteils der Frauen an den Werken, den er genau kannte. Seine Geliebten wurden nicht einmal wie Sekretärinnen bezahlt, sie waren von ihm finanziell abhängig und wurden am Existenzminimum gehalten, während die Gelder aus Tantiemen auf seine vor allen geheimgehaltenen Schweizer und sonstigen Konten flossen. Brecht war reich, gab sich aber vor allem den Frauen gegenüber ständig den Anschein des „armen Brecht“.

Die Maßnahme: Zweck-Mittel-Extremismus

Es ist nahezu ausgeschlossen, daß solch patriarchale und autoritäre Beziehungsmuster nicht auch auf Brechts Werk durchschlagen. Und so gibt es neben den eingangs genannten emanzipatorischen Stücken und Figuren auch eine ganze Reihe inhaltlich geradezu reaktionärer Stücke, zu denen meines Erachtens besonders Baal, Der Jasager und Die Maßnahme gehören. Am Beispiel des Stückes Die Maßnahme kann aufgezeigt werden, wie sich dabei sadistische Anteile Brechts und masochistische Anteile einer „seiner“ Frauen, der Mitautorin Elisabeth Hauptmann, aufs Schlimmste ergänzten.

Die Maßnahme wurde 1929-30 fertiggestellt. Hauptmann arbeitete bereits seit 1924 für Brecht, erste Risse ihrer Beziehung waren spürbar. Typisch für die Frauen um Brecht, sowohl für Hauptmann, Berlau, Steffin, aber auch Brechts Ehefrau Helene Weigel war, daß sie zunehmende Unzufriedenheit in der Beziehung zwar mit einem Streben nach schriftstellerischer Eigenständigkeit und mit politischem Engagement kompensierten, doch daß das keineswegs antiautoritäre Befreiungsakte waren. Während der Patriarch Brecht sich in seinem Beziehungsgeflecht spiegelte und darin selbst genügte, also glaubte, auf Parteieintritte verzichten zu können, traten alle genannten Frauen bei ihrer Suche nach unabhängiger Identität tatsächlich in die KPD ein. Hauptmann hatte sich Ende der 20er Jahre mit autoritären mittelalterlichen japanischen und chinesischen Theatertraditionen beschäftigt, die nun als eigenständige Arbeit in Die Maßnahme einflossen.

Das traf sich aber doch mit einer damaligen politischen Standortbestimmung Brechts, der gerade Marx studierte und dabei Karl Korsch als seinen „Lehrer“ betrachtete, wie das insbesondere Werner Mittenzwei in seiner Biographie mitteilt (hier zeigt sich Fuegi sehr unwissend über die damaligen Diskussionen zwischen Anarchismus und Marxismus). Korsch nahm das Marx’sche Ziel des „Absterben des Staates“ ernst, war aus der KPD schon ausgetreten und propagierte die geistige Aktion, die aktive subjektive Haltung, die Integrität im Kampf um die „Sache der Freiheit“. Brecht sah darin eher eine Entfernung von Lenin und dessen objektivistischer Betrachtungsweise. Aus Brechts Position heraus kann Die Maßnahme daher auch als Anti-Korsch-Stück gelesen werden. Brecht befürwortete die objektivistische Betrachtung unbewußt längst gegenüber den Frauen und nun bewußt gegen die anarchistischen Tendenzen bei Korsch.

Die Maßnahme zeichnet die politische Arbeit einer Gruppe internationalistischer KommunistInnen beim klandestinen Parteiaufbau in China nach. Die Gruppe kommt zurück nach Moskau und muß sich vor der Komintern rechtfertigen, symbolisiert von einem riesigen Chor, einem „Kontrollchor“. Ein in Parteiarbeit unerfahrener junger Genosse hatte die Gruppe mehrfach durch subjektivistische Aktion bei ihrem objektiven Ziel des Parteiaufbaus gefährdet: er hat Mitleid mit dem Auspeitschen von Kulis, greift in einen Streik ein und fällt einem Polizisten in den Arm, weigert sich einem zynischen reichen Waffenhändler Waffen abzukaufen, unterstützt einen von den anderen für verfrüht gehaltenen Arbeiteraufstand. Die Gruppe verurteilt den jungen Genossen wegen dessen subjektivistischer Irrtümer zum Tode; der junge Genosse sieht seine Fehler in den Debatten mit der Gruppe ein und befürwortet selbst seine Erschießung (das ist „die Maßnahme“); der Parteikontrollchor in Moskau legitimiert die „Maßnahme“ der Gruppe schließlich als historisch und objektiv notwendig. Das Stück ist eine brutale, kalte Rechtfertigung dafür, daß für das Ziel des Sozialismus jedes Mittel recht ist, daß der Zweck alle Mittel heiligt, insbesondere Gewalt und Todesstrafe, daß ein menschliches Leben nichts zählt vor einer die Geschichte lenkenden Parteiraison. In ihrem Bemühen, Lenins Objektivismus gegen Korschs subjektivistisch-libertäre Tendenz zu verteidigen, nimmt die Brecht-Gruppe, KPD-Mitglied Hauptmann wie Nicht-KPD-Mitglied Brecht selber, zeitlich noch vor den Moskauer Schauprozessen genau deren Ablauf ideologisch vorweg: auch dort stimmen die Angeklagten nach angeblichen Irrtümern ihrer Verurteilung zu und gehen mit gutem Beispiel voran in den Tod. Es ist ein Zweckrationalismus, der damals selbst der KPD peinlich war. In der Parteipresse erklärte Alfred Kurella zum Stück, Brecht müsse noch einiges über die Taktik des Kommunismus lernen. Politischer Mord war zwar eine zulässige Methode, sie aber ungeschminkt im Theater vor der bürgerlichen Öffentlichkeit zu sanktionieren, taktisch ganz falsch (vgl. Fuegi, S.355).

Die Ex-KPD-Vorsitzende Ruth Fischer alias Elisabeth Eisler – eine sehr problematische Figur, die stalinistische Inhalte erst kritisierte, nachdem sie sie selbst in der KPD vertreten hatte, und die später im US-Exil mit dem FBI zusammenarbeitete – brachte Die Maßnahme übrigens in den 40er Jahren in einem Artikel „Bert Brecht, Minnesänger der russischen Geheimpolizei“ und dann als Belastungszeugin vor McCarthys „Ausschuß für unamerikanische Umtriebe“ (HUAC) als ideologische Vorwegnahme der Schauprozesse wieder aufs Trapez. Brecht sagte vor dem Ausschuß aus und bestritt diese Interpretation. Mit seiner Aussage hatte Brecht, einer der spektakulären „Hollywood 19“ bei der McCarthy-Anhörung 1947, gegen den Aufruf Albert Einsteins verstoßen, zivilen Ungehorsam im Sinne Gandhis zu praktizieren und solche Anhörungen durch Aussageverweigerung erst gar nicht zu legitimieren. Brecht verriet somit die anderen 18 Angeklagten, die alle verweigerten wollten. Er entschuldigte sich zwar bei ihnen nachträglich, zeigte also sein schlechtes Gewissen, bahnte aber der Legitimierung und Durchsetzung solcher Anhörungen in den USA durch seine Aussage den Weg. Das konkrete Verhalten Brechts, das aus seinen autoritären Objektivierungen von Frauen wie auch aus der Objektivierung subjektivistisch-libertärer Aktion resultierte, war also ganz schön feige: so feige, verlogen und unterwürfig wie vor McCarthy war Brecht dann auch während und nach dem 17. Juni 1953 beim Ostberliner Aufstand, wieder mit schlechtem Gewissen. Überhaupt hat er den Stalinismus nie öffentlich, nur privat kritisiert. Gegen Ruth Fischers Denunziationen erzürnte sich Brecht noch:

„Die Sau wird erschossen. Ideologische Streitigkeiten zwischen Genossen bringt man nicht vor die Polizei.“ (zit. nach Fuegi, S.635) Mit dem zweiten Satz hatte Brecht zweifellos recht. Was er aber im ersten Satz als Sanktion vorschlägt, hat Brecht zusammen mit Hauptmann – mitgehangen ist nun mal mitgefangen – in Stücken wie Die Maßnahme propagiert, auch wenn ein späteres Stück wie Leben des Galilei als Gegenentwurf zur Maßnahme und als versteckte Kritik an den Schauprozessen interpretiert werden kann. Dabei sah Brecht im offiziellen Widerruf Galileis vor der Inquisition sicher auch eine Rechtfertigung für sein eigenes, feiges Verhalten vor McCarthy.