antirassismus

Rassismus auf dem Vormarsch

Gollwitz, Saalfeld, Magdeburg, KurdInnenphobie und der Hofnarr Biermann

| Bruno Weil

Es ist Winter in Deutschland. Und wenn auch die Temperaturen nicht kalt sind, die Verhältnisse sind es allemal. Zum Jahreswechsel vermeldete Kanther jubilierend, die Zahl der AsylbewerberInnen habe sich '97 schon wieder um 10 % verringert. Der staatliche Rassismus präsentiert sich als erfolgreich und ist doch nur Wasser auf die Mühlen des gesellschaftlichen Rassismus. (Red.)

Das Niveau rassistischer Attentate und Anschläge hat sich fünf Jahre nach der Asylrechtsverschärfung auf erschreckend hohem Niveau eingependelt. Vier Auseinandersetzungen sind in den letzten Monaten aus der allgemein ungeheuer gleichgültig hingenommenen Welle des Rassismus hervorgehoben und öffentlich bekannt gemacht worden – ohne daß es irgendeine einschneidende Konsequenz gegeben hätte: Gollwitz, Saalfeld, Magdeburg und das Flüchtlingselend der KurdInnen vor Italien. Staat und Medien arbeiteten nahezu unhinterfragt durch kritische Öffentlichkeit oder gar eine antirassistische Bewegung die aufkommenden Fragen bis hin zur Belanglosigkeit klein. Doch der rassistische Alltag hat längst eine ganz neue Qualität erreicht, was sich an jedem einzelnen der besagten Fälle aufzeigen läßt.

Gollwitz

Bereits letzten Herbst sprach sich der Gemeinderat des 400-Seelen-Dorfes Gollwitz im Bundesland Brandenburg einstimmig dagegen aus, 60 jüdische AussiedlerInnen aus Rußland unterzubringen. In Presse- und Fernsehberichten wurden mehrfach offen antisemitische Äußerungen kolportiert: die Palette der Meinungen von DorfbewohnerInnen reichte von der Unterstellung, „Hitler habe wohl nicht genug Juden vergast“ (1) über angeblich schlimme Erfahrungen, die man/frau bereits mit jüdischen „Geschäftemachern“ gemacht habe, bis zur Position, gegenüber Juden habe Deutschland „schon genug gutgemacht“. (2)

Kurz nach dem Gemeinderatsbeschluß machte Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Stolpe den Zuweisungsbeschluß des Landes rückgängig und behauptete, das sei ein „Planungsfehler“ gewesen. (3) Gegenüber kritischen Berichten der internationalen Presse verteidigte Stolpe seine DorfbewohnerInnen und behauptete, mit Antisemitismus habe das alles nichts zu tun.

Daß es aber doch sehr viel damit zu tun hat, ist allzu offensichtlich. Und auch ohne jeder und jedem einzelnen BewohnerIn von Gollwitz zu unterstellen, antisemitisch zu sein, sowie selbst unter Berücksichtigung der hohen Arbeitslosigkeit und perspektivlosen Lage der Menschen in den brandenburgischen Dörfern, kann die weitgehende Einigkeit über den Beschluß im Dorf ebenso wie die hohe Anzahl explizit antisemitischer Äußerungen nur schockieren. Angesichts der Realität rassistischer Ressentiments kann niemand um die Bestandsaufnahme herumkommen, daß es neben Wurzen, der neuen Nazi-Hochburg in Sachsen, neben Saalfeld, neben Magdeburg-Neu-Olvenstedt wohl noch eine Reihe anderer Dörfer und Stadtteile in den neuen Ländern gibt, die so stark von neonazistischen Gruppen mit Unterstützung passiver oder aktiver Art der BewohnerInnen dominiert werden, daß sie für NonkonformistInnen wie Punks, Hippies, oder AnarchistInnen ebenso wie für Juden/Jüdinnen oder ImmigrantInnen gleich welcher Couleur zu regelrechten „No-go-zones“ mutiert sind. Leute, die einzeln und ohne Gruppe, nachts oder schon auch am hellichten Tag dort spazierengehen, riskieren realistischerweise ihr Leben.

Stolpe und den Regierungen allgemein ist allerdings weit mehr anzulasten als die offene Verteidigung antisemitischer Einstellungen: seit 1990 sind aufgrund staatlich festgelegter Kontingentierung noch nicht einmal 40 000 jüdische AussiedlerInnen aus Rußland in die BRD gekommen. Die staatliche Verteilungspolitik bevorzugt selbst bei dieser geringen Zahl noch immer ihre Unterbringung in kleinen Gruppen auf abgelegene Dörfer oder Kleinstädte. Daß hier eine staatlich-rassistische Politik gefahren wird, in der bewußt mit Abwehrreaktionen der örtlichen Bevölkerung spekuliert wird, ist eindeutig. So formieren sich staatlicher Rassismus, resultierend aus Asylgesetzverschärfung und ungerechter Verteilungspolitik kontingentierter Flüchtlinge, und gesellschaftlicher Rassismus zu einer neuen Qualität. Daß explizit Juden/Jüdinnen gegenüber ein ganzer Gemeinderat ablehnend gegenübersteht, ist neu: erstmals wird hier latenter Antisemitismus, der sich bisher „ohne Juden“ artikulierte oder in Wandschmierereien, Friedhofsschändungen und Nazi-Anschlägen gegen einzelne Juden/Jüdinnen zum Ausdruck kam, gesellschaftlich manifest. Die Mehrheit eines ganzen Dorfes richtet sich gegen eine exlizit als „jüdisch“ denunzierte Gruppe tatsächlich jüdischer Menschen.

Saalfeld

Im ostthüringischen Städtchen Saalfeld war ebenfalls eine alltägliche Bedrohung Linker oder von NonkonformistInnen auf der Straße entstanden. Gegen den Trend zu neonazistischer Dominanz wollte im letzten Herbst ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und antifaschistischen Gruppen eine explizit als gewaltlos angekündigte Demonstration durchführen (am 11.10.97). Hier waren es zunächst die örtlichen Medien in Form der „Ostthüringer Zeitung“ und bald darauf der Stadtrat selbst, die nicht etwa die rechte kulturelle Hegemonie wahrnahmen, sondern lediglich die Demo-VeranstalterInnen denunzierten. Der örtliche Polizeichef sprach von einer eher linken als rechten Bedrohung, obwohl in der Saalfelder Statistik für 1996 den 231 rechten Straftaten nur 9 linke Straftaten gegenüberstehen.

Als schließlich die NPD den Braten roch, ebenfalls für den 11.10.97 eine Gegendemo anmeldete und generös anbot, zurückzuziehen, wenn die Linken auch nicht demonstrierten, war der Kurs des Stadtrats auf das Verbot der Antifademo besiegelt. Drei Tage vor Demobeginn wurde die Veranstaltung verboten. Viele Jugendliche, die dennoch demonstrieren wollten, wurden am 11.10. von einem riesigen Polizeiaufgebot empfangen, um, wie es Thüringens SPD-Innenminister Dewes (SPD) formulierte, „Chaostage in Thüringen“ zu verhindern. 400 AntifaschistInnen wurden festgenommen und stundenlang in den nichtgeheizten Räumen eines ehemaligen Gefängnisses festgehalten. Einige wurden von der Polizei massiv bedroht und sogar geschlagen. (4)

Daß während der ganzen Auseinandersetzung von seiten der Stadt weder die rechte Bedrohung in der Stadt thematisiert, geschweige denn zugestanden wurde, noch daran gedacht wurde, die rechte Demo abzusagen, ist symptomatisch für den Konsens der offiziellen Strukturen mit einer rassistischen Alltagsrealität.

Magdeburg-Neu-Olvenstedt

Diesen Konsens gibt es in Magdeburg schon lange, praktisch seit 1994, nur einem Jahr nach dem so hoffnungsvollen „Auftakt“-Festival der Jugendumweltbewegung. Während Wutdemos von Antifa-Gruppen wie etwa in Gollwitz – auf denen der gesamten Dorfbevölkerung ein ebenso verständlicher wie perspektivloser und verzweifelter Haß und die Entschlossenheit zum Kampf entgegengeschleudert werden – noch den Kampf um verlorenes Terrain suggerieren, sind die Verhältnisse in Magdeburg bereits eine Stufe weiter: der jüngste Anschlag gegen den Punk Gordon Gafert, der eigentlich dem Bruder des bereits 1997 von Nazi-Skins ermordeten Frank Böttcher galt, welcher allerdings beim Überfall auf dessen Wohnung im Stadtteil Neu-Olvenstedt zufällig nicht anwesend war, dokumentiert auch hier eine neue Qualität des Rassismus.

In Magdeburg haben die verzweifelten Antifademos längst aufgehört, mit welchen immerhin noch die Präsenz und die potentielle Mobilisierungsfähigkeit einer Gegentendenz sichtbar gemacht werden konnte, wenngleich die Kollektivbeschuldigung jedes und jeder einzelnen Person aus der örtlichen Bevölkerung es bei solchen Demos nahezu unmöglich macht, einen Keil in die ortsansässigen BürgerInnen zu treiben, um den Konflikt überhaupt erst aufnehmen und führen zu können. NonkonformistInnen, Punks, AnarchistInnen und sonstige Linke sind in Stadtteilen wie Neu-Olvenstedt nicht mehr nur nachts oder auf den Straßen gefährdet. Hier manifestiert sich der Vormarsch des Rassismus schon darin, daß die Nazi-Überfälle nicht einmal mehr vor den scheinbar so schützenden Privaträumen, den Wohnungen haltmachen. Auch hier zeigt sich eine erschreckende Übereinstimmung, ja Zusammenarbeit zwischen ortsansässigen BürgerInnen und Skinheads. Im Falle des Anschlags auf Gordon Gafert haben sich HausbewohnerInnen direkt bei ihnen bekannten Nazi-Gruppen über die Wohnung Böttchers beschwert, in welcher Punks ein- und ausgingen. Daraufhin erfolgte der generalstabsmäßig geplante Überfall auf die so denunzierte Wohnung. Auch örtliche JugendarbeiterInnen bezeugen, daß die Nazi-Jugendlichen mittlerweile nur umsetzen, was ihnen die Erwachsenen sagen. Die gesellschaftliche Anerkennung der Nazi-Skins hat ein neues Niveau erreicht: nach einem Bericht des „Spiegel“ ist der Spruch „Das müßte man mal den Glatzen sagen“ durchaus gängig, wenn BürgerInnen bei obdachlosen BerberInnen vorbeigehen oder Schwarze sehen. (5)

KurdInnenphobie

Kurz nach Jahreswechsel legten die herrschenden AsylpolitikerInnen, völlig unberührt von den jüngsten Anschlagsserien, noch einen drauf: Kanther und Kinkel freuten sich öffentlich über die zurückgegangenen AsylbewerberInnenzahlen, doch auf die Idee, daß gerade deshalb die rund 2 700 KurdInnen, die per Schiff von Istanbul nach Italien geflohen sind, zu einem Großteil auch tatsächlich in ihrem Zielland BRD aufgenommen werden könnten, kamen sie selbstredend nicht. Anstatt dessen kritisierten sie auf arrogante Art und Weise die italienischen Behörden, die zumindest anfangs den Flüchtlingen berechtigte Fluchtgründe nicht in Abrede stellen wollten und ihnen Asylverfahren anboten.

Italien war gerade Mitglied im Schengener Abkommen geworden und die etwas liberalere Politik im Falle der KurdInnen durch die Regierung Prodi wurde in der BRD mit Bedrohungsszenarien kommentiert, die an die schlimmsten, agitprop-würdigen Ausfälle der bürgerlichen Medien zu Beginn der Asyldebatte vor sechs Jahren erinnerten: Titelseitenphotos voller Flüchtlinge, die den Eindruck erwecken, alle auf einmal in die BRD zu kommen (etwa in der „Zeit“ vom 8.1.98), Warnungen der PolitikerInnen vor einem „Flüchtlingsstrom“, Vorwürfe Kanthers an Italien, seine Küstengrenzen nicht ausreichend zu sichern, sofortiges Dichtmachen der bayerischen Grenze durch die CSU (Stoiber sprach schon militärisch von einer „offenen Flanke“ an der Südgrenze des Freistaats). Dabei hat Italien bei Abschiebungen albanischer Flüchtlinge während der Zeit des dortigen Bürgerkrieges mehrfach bewiesen, daß es sehr wohl zu harter Festungsmentalität in Europa willens und auch fähig ist. (6)

Inzwischen ist der liberale Vorstoß Italiens in Sachen KurdInnenflüchtlinge auf Druck der BRD und der Türkei auch soweit zurückgenommen worden, daß sich die Polizeichefs mehrerer europäischer Länder des „Problems“ angenommen haben und in Rom ihre Antwort veröffentlichten: Verstärkung der Grenzkontrollen an den Außen- und Binnengrenzen der EU, Datenaustausch über wieder als „Illegale“ bezeichnete Flüchtlinge, Verfolgung der Schlepperbanden, damit diese keine Schrottschiffe für die Flüchtlinge mehr kaufen können. Die kurdischen Flüchtlinge werden in Italien in eingezäunten Lagern von der Polizei streng bewacht, bis Mitte Januar hatten es ganze vier von ihnen in die BRD geschafft! (7)

Politik des Hofnarrentums: das Beispiel Biermann

Daran, daß deutsche Waffen und die deutsche Türkeipolitik wesentlich zum kurdischen Flüchtlingselend beitragen, daran, daß die ungelösten Probleme und Auswirkungen des Golfkrieges von 1991 mittlerweile zur Flucht der vielen irakischen KurdInnen führen, die unter den Flüchtlingen sind, denken die PolitikerInnen nicht. Daß ihre ressentimentgeladene Abschottungspolitik Wasser auf die Mühlen nicht nur antisemitischer und rassistischer Gesinnung innerhalb der BRD-Bevölkerung, sondern auch von Nazis und Skinheads sind – diesen Zusammenhang verdrängen sie. Wie sollten sie anders, das eine hat für sie mit dem andern nichts zu tun.

Auf der Seite der oppositionellen Gruppen – von einer Gegenbewegung kann man/frau ja nun wirklich nicht reden – ist es weiter wichtig, Gegendemos möglichst weit vor Ort, in Feindesland, also in den von Rechten beherrschten „No-go-zones“ durchzuführen. So ist für den Frühling ein neuer Demoversuch in Saalfeld geplant. Auch Kampagnen zum Schutz und zur Unterbringung von illegalen Flüchtlingen („Kampagne Kein Mensch ist illegal!“) sind zweifellos unabdingbar und unterstützenswert. (8) Doch ohne einen öffentlichkeitswirksamen und radikalen Bruch des stillschweigenden Konsenses zwischen regierungsamtlicher Abschottungspolitik und gesellschaftlichem Rassismus gegen Flüchtlinge, Juden/Jüdinnen und NonkonformistInnen werden sie nicht das nötige Terrain erringen können, um sich zu einer massenwirksamen Widerstandsbewegung auszuweiten.

Es wäre im Grunde nötig, diesen Konsens in aller Öffentlichkeit anzugreifen, etwa nach dem Muster, wie das Günter Grass anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels bezüglich der Türkeipolitik der BRD gemacht hat, nur noch radikaler: nötig wäre ein Aufruf zur Nichtzusammenarbeit mit den Regierenden einerseits und eine allgemein gezeigte gesellschaftliche Bereitschaft zum Schutz von Flüchtlingen andererseits, etwa nach dem Muster der Bewegung des zivilen Ungehorsams, die sich letztes Jahr in Frankreich zur Unterstützung der Sans-Papier-Bewegung entwickelte. (9) Da in Frankreich der öffentlichkeitswirksame Aufruf zum zivilen Ungehorsam von Intellektuellen und KünstlerInnen ausging, wäre hier eine Aufgabe für Intellektuelle und KünstlerInnen der BRD.

Doch wie ist es im Gegensatz zu Frankreich um hiesige Intellektuelle bestellt? Niemand versinnbildlicht den vorauseilenden und auf groteske Weise vollständiges Einverständnis mit dem System zeigenden BRD-Intellektuellen so wie Wolf Biermann, der im „Spiegel“ über seinen jüngsten Besuch bei der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth schwadronierte – immer noch im Stil des selbst ernannten Revolutionärs („A la lanterne!“) – und sich dabei mit dem CSU-Oberrassisten Glos ablichten ließ. Kurz vor der Wende ’89 trat Biermann noch öffentlich auf Totalverweigerer-Veranstaltungen auf und sang „Soldaten sind sich alle gleich – lebendig und als Leich‘!“ Doch ein Gewaltloser, darauf legte er als Befürworter des ’91er Golfkrieges auffallend viel Wert, war er noch nie. (10) Und danach tourte er nur noch unter dem Motto: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu!“ Und so ließ er sich nicht verhärten, auch noch den Seppl der CSU abzugeben. Biermann symbolisiert wie kein anderer den geistigen Tiefstand des Intellektuellen in der BRD, wenn er schreibt:

„Und mich überraschte die unverkrampfte, die freundschaftliche Atmosphäre beim verketzerten Klassenfeind, mit dem einer wie ich nie und nimmer reden darf.“ (11)

In der Tat sollte er sie boykottieren und nicht mit ihnen reden, nicht jedenfalls gerade dann, wenn gleichzeitig die bayrischen Grenzen dicht gemacht werden und Stoiber gegen die KurdInnen zu Felde zieht, nicht wenn neben ihm Rühe seine rechtsextreme Bundeswehr aussitzt! Doch Biermann – der Hofnarr der Herrschenden, der sich über die CSU-Freundlichkeit wundert anstatt wahrzunehmen, daß die Herrschenden noch jeden Bänkelsänger, der ihnen nach dem Munde spielte, herzlich willkommen hießen – ist hier in seinem vollen, verbalradikalen Element: „Ich habe die ganze blauweiße Bande gleich zu Beginn des Streitgesprächs vom Kamin aus mit meiner Kalaschnikow zusammengeschossen“ – prahlt der bewaffnete Kämpfer, der selbst zu feige ist, das Behauptete auch auszuführen (von daher steht uns radikal Gewaltlosen die RAF meilenweit näher als einer wie Biermann, denn die RAF machte wenigstens aus ihren Phrasen Ernst, sie war wenigstens ehrlich, während Biermann nur die Phrasen drischt!!!). Doch es kommt noch schlimmer: nachdem er also alle – mit Argumenten, wie er meint, unwissend, daß sich die feisten CSU-Politiker im tiefsten Innern über einen wie ihn nur kaputtlachen – abgeschossen hat, meint Biermann:

„Dann verklickerte ich den Niedergemachten, daß die faschistoiden Eskapaden in der Bundeswehr nichts als die giftigen Früchte einer Ernte sind, die schon lange vorher in den Elternhäusern gepflanzt und dann in den Schulen kultiviert worden sei.“ Was gab es da zu verklickern, das behaupteten die CSU-Macher und Rühe schon seit Monaten, um die Bundeswehr von Vorwürfen freizuhalten („Soldat, Soldat…“???)! Biermann weiter: „Mein Mitgast, der wiederaufgerappelte Verteidigungsminister Rühe, nickte mir dankbar zu für diese pfiffige Entlastung seiner ins Gerede gekommenen Firma.“

Sie sind dankbar für den Klamauk des Hofnarren! Wie soll mit solchen Intellektuellen ziviler Ungehorsam organisiert werden, wie der Bruch des Konsenses zwischen Regierenden und Regierten? Wie die Nichtzusammenarbeit mit den Herrschenden? Als Emile Zola vor 100 Jahren der Regierung Frankreichs in der Dreyfus-Affaire sein „J’accuse“ entgegenschleuderte (12), wurde Zola vor Gericht gestellt, schließlich mußte er ins Exil! Undenkbar für einen wie Biermann! Den stellen sie höchstens in die Küche zum Abwasch, wenn er ihnen überdrüssig wird. Das wird er aber nicht, solange er auch noch die CSU-Ausländerpolitik gegen Angriffe auf den rassistischen Glos verteidigt: „Die katholischen CSU-Bayern sind nicht anders als alle anderen, sie sagen gelegentlich nur schamloser, was andere Bundesländer mit evangelischer Heuchelei genauso brutal gegen unerwünschte Ausländer praktizieren“, so Biermann. „Und ganz nebenbei: Die Bundesrepublik hat immerhin 60 Prozent aller Bosnienflüchtlinge aufgenommen.“ Das sagt er und merkt gar nicht, daß diese „Ausländer“ zufällig im Rahmen des Ex-Jugoslawienkrieges „erwünscht“ waren! Er lobt die bayrische Direktheit, der Hamburger, und so muß ich im aufgrund der Unmöglichkeit, angesichts solcher intellektueller Gestalten das zu tun, was notwendig wäre, um dem Rassismus auf dem Vormarsch Einhalt zu gebieten, auch in bayrischer Direktheit antworten: „Du depperter Depp, du!“

(1) Aus einer ARD-Fernsehsendung über Gollwitz, nach Idylle und Zwangskollektiv, ak 20.11.97, S.32.

(2) Nach Koalition der Heuchler?, ak 20.11.97, S.33.

(3) Nach Gollwitz und die Heuchler, ak 23.10.97, S.1.

(4) Alle Informationen aus: Antifaschistische Mobilisierung und Reaktionen, in Contraste, 1/98, S.6.

(5) Vgl. "Deutsch, sauber, besser", in "Spiegel" 3/98, S.35ff.

(6) Zuletzt Anfang Dezember 97: vgl. Gepackt und abgeschoben: Albaner raus aus Italien, taz, 4.12.97.

(7) Polizeichefs berieten über Abschreckungsmaßnahmen, in Junge Welt, 10.1.98, S.8; sowie CDU-Mann kritisiert Kanther, taz 13.1.98, S.5.

(8) Vgl. dazu GWR 9/97, S.3.

(9) Vgl. dazu GWR 11/97, S.1 und S.13.

(10) Vgl. auch Mensch Biermann, du Kommunist. Abgesang auf einen linken Sänger, in GWR 154, 3/91.

(11) Biermann: Freundschaft mit dem Klassenfeind, in "Spiegel" 3/98, S.32. Nachfolgende Zitate auf S.33.

(12) Vgl. dazu den spannenden Aufsatz "J'accuse" - die Wende der Dreyfus-Affäre? von Rolf-Bernhard Essig in der "Zeit", 8.1.98, S.40.