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Wiederbelebungsversuch einer Mumie

Andreas Buros gescheiterte Ehrenrettung des Phantoms Friedenbewegung

| Andreas Speck

Andreas Buro: Totgesagte leben länger: Die Friedensbewegung. Von der Ost-West-Konfrontation zur zivilen Konfliktbearbeitung. KOMZI-Verlag, Idstein 1997, 208 S., 24,80 DM

Der Titel des Buches ist Programmatik, doch auch nach dem Buch bleibt für mich die Friedensbewegung, die oft totgesagt wurde, aber nach Buro länger leben soll, ein Phantom. Damit will ich negieren – und darauf stützt Buro seine These von der lebendigen Friedensbewegung – daß an vielen Orten im wesentlichen unbemerkt von der Öffentlichkeit Friedensarbeit geleistet wird. Nur: macht das schon eine Bewegung aus?

Buro zeichnet zunächst die Entwicklung vom Ende der Ost-West-Konfrontation 1990 bis zur Etablierung der „neuen Weltordnung“, die er als unipolare Welt mit der hegemonialen Militärmacht USA analysiert, nach. Bereits bei der Beschreibung der Positionen der Friedensbewegung der 80er Jahre legt Buro das Schwergewicht auf reformistische Konzepte des „Gemeinsamen Haus Europas“. Doch auch durch Wiederholung werden diese Konzepte, die sich im wesentlichen auf eine gebändigte Staatsordnung und die „friedliche Koexistenz unterschiedlicher Systeme“ stützen, nicht realistischer. Buro bleibt in seiner Auseinandersetzung mit Staatlichkeit an sich stets oberflächlich, analysiert Krieg im wesentlichen unter militärischen und ökonomischen Gesichtspunkten. Die Frage, ob Staat an sich nicht mit Frieden inkompatibel ist, klammert Buro systematisch aus, und dies ist auch notwendig, damit er später seine Alternative der zivilen Konfliktbearbeitung entwickeln kann.

Buros Wiederbelegungsversuch der Friedensbewegung stützt sich im wesentlichen auf vier Bereiche, in denen sich seiner Ansicht nach das Phantom materialisiert: die Kampagne Bundesrepublik ohne Armee (B.o.A.), das Engagement in Ex-Jugoslawien und in der Türkei, die Zivile Konfliktbearbeitung.

Mir ist wirklich schleierhaft, womit Buro Sätze wie „Seit dem Frühjahr 1990 sind die Würfel gefallen. Die Kampagne ‚Bundesrepublik ohne Armee‘ wird zum Fokus für die gemeinsamen Anstrengungen aus ganz unterschiedlichen Positionen und Anstrengungen heraus“ begründen will. Auch wenn ich sicherlich nicht alles mitbekomme, was im friedenspolitischen Bereich passiert, so ist mir zwar die B.o.A.-Kampagne durchaus bekannt, doch irgendeinen Fokus auf diese Kampagne konnte ich beim besten Willen nicht feststellen.

Beim Thema Ex-Jugoslawien kann ich Buro noch am ehesten zustimmen, daß hier ein Schwerpunkt friedenspolitischer Arbeit lag, wobei ich hier kritisch die absolute Niederlage der Friedensbewegung hinsichtlich der Abwehr von ‚out-of-area‘ kritisieren würde. Und diese Niederlage ist zumindest teilweise hausgemacht: die überwiegende ‚Auswanderung‘ der Friedensbewegung nach Ex-Jugoslawien hat innerhalb der BRD den Militärs das Feld überlassen. Das sich auf die „Interventionismus-Diskussion“ überhaupt einzulassen, war wahrscheinlich der größte strategische Fehler der Bewegung, der sie in die Defensive gedrängt hat und es ermöglichte, daß Politik und Militär nicht nur die Themen, sondern auch die Erfolgsmaßstäbe vorgeben konnten – und somit alle gewaltfreien Alternativen automatisch zum Scheitern verurteilt waren.

Damit will ich das Engagement in Ex-Jugoslawien selbst überhaupt nicht schmälern, doch hilft es einer Bewegung nicht, wenn Mißerfolge und Fehler zugekleistert werden. Nur eine offene und schonungslose Analyse solcher Fehler hilft, diese in Zukunft zu vermeiden.

Buros derzeitiges Steckenpferd ist die Zivile Konfliktbearbeitung, die er u.a. durch einen „Zivilen Friedensdienst“ eingeführt sehen will. Hier rächt sich seine Nichtbeachtung der Frage nach der Staatlichkeit. Auch wenn Buro anerkennt, daß Staaten eigene militärische und ökonomische Interessen haben können, die einer Zivilen Konfliktbearbeitung entgegenstehen, so fordert er doch gerade den Aufbau staatlicher oder überstaatlicher Strukturen zur Zivilen Konfliktbearbeitung: UNO, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Organisation für afrikanische Einheit (OAU) usw. Mir ist unverständlich, woher Buro sein Vertrauen in diese Strukturen nimmt, trotz der Rolle, die diese Organisationen in der Vergangenheit bei militärischen Interventionen gespielt haben.

Für die gesellschaftliche Komponente Ziviler Konfliktbearbeitung sieht Buro einen Zivilen Friedensdienst (ZFD) vor, der allerdings wiederum staatlich finantiert werden soll. Auch wenn Buro weit entfernt ist von jeglichen Zwangsdienstmodellen eines Zivilen Friedensdienstes, wie sie im „Forum Ziviler Friedensdienst“ ja auch schon diskutiert wurden, so bleibt sein Konzept des ZFD doch sehr undeutlich – was vielleicht auch am Charakter des Buches liegen mag, das doch so eine Art Rundumschlag ist.

Totgesagte leben länger, so Buro. Doch vielleicht leben sie nur als Mythos, fern jeder Realität.