Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.): Lebenslänglich. Texte von zu lebenslanger Haft Verurteilten. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln 1998, 144 S. 10 DM
Meist wird ‚Knast‘ nur unter dem Blickwinkel politischer Repression bzw. politischer Gefangener thematisiert. Seien es die Gefangenen der RAF, die nach dem Sieg des Staates nun endgültig gebrochen werden sollen, seien es inhaftierte totale Kriegsdienstverweigerer oder wegen Zivilen Ungehorsams eingesperrte. Doch die sogenannten ‚politischen‘ Gefangenen bilden in unseren Knästen die Minderheit, ‚gefüllt‘ werden die Knäste durch ’soziale‘ Gefangene, staatlicherseits ‚Kriminelle‘ genannt.
Bereits seit längerem bemüht sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie auf politischem Weg um die Abschaffung der extremsten Strafe im BRD-Strafrecht, der lebenslangen Freiheitsstrafe. Bereits 1989 veranstaltete das Komitee ein Symposium zum Thema, 1990 wurde das Manifest ‚Wider die lebenslange Freiheitsstrafe‘ veröffentlicht, und auch 1993 und 1994 fanden weitere ExpertInnenanhörungen des Komitees statt (die Dokumentationen können beim Komitee angefordert werden).
Eindrücklicher aber als jede argumentative Auseinandersetzung – deren Notwendigkeit natürlich unstrittig ist – sind die jetzt vorgelegten Texte von zehn zu lebenslänglicher Haft Verurteilten, sogenannter ‚LLer‘. Sehr unterschiedlich ist die Herangehensweise der AutorInnen, sehr unterschiedlich auch ihre Auseinandersetzung mit der ‚Tat‘ – alle wurden wegen z.T. mehrfachen Mordes verurteilt – doch in einem sind sich alle einig: in der Ablehnung der Strafe ‚LL‘.
„Lebenslänglich“, so Manfred Nicolai, „ist eine Todesstrafe, die mit der sofortigen Tötung des Verurteilten zwar nichts zu tun hat, aber sehr wohl als eine Todesstrafe auf Raten vollzogen wird. Hier heißt es: sterben lassen.“ Oder: „Wenn man also schon Begriffe wie ‚humaner Vollzug‘ oder ähnliche Floskeln zur Politik macht und trotzdem nichts unternehmen will, dann halte ich persönlich es für wesentlich humaner, nach dem Urteil eine Kugel verpaßt zu bekommen, anstatt 20 Jahre zunächst meinen emotionalen Tod zu erleiden und dann in den sozialen Tod entlassen zu werden, bevor mich der physische Tod letztendlich erlöst.“ (Guido Sawallisch)
Immer wieder wird von den AutorInnen die Willkür der Strafvollstreckungsbehörden hervorgehoben, die ihnen eine ‚Lebensplanung‘ letztlich unmöglich macht. Entgegen der weit verbreiteten und immer wieder – vor allem von der Boulevardpresse – veröffentlichen Aussage, daß ‚LLer‘ in der Regel nach 15 Jahren aus der Haft entlassen würden, zeigen diese Texte eine andere Realität. Durchschnittlich liegt die Verbüßungsdauer bei ‚LLern‘ bei rund 22 Jahren, doch erschwerend hinzu kommt die Ungewißheit, was denn ‚LL‘ im Einzelfall bedeutet – im Extremfall heißt nämlich ‚LL‘ wirklich lebenslänglich, und etwa jeder sechste ‚LLer‘ stirbt in der Haft.
„Die Ungewißheit über die Entlassung ist manchmal unerträglich. Man denkt so manches Mal an entfernte Ziele, und dann muß man sich wieder sagen: ‚Das geht nicht, da du ja LL hast.‘ Es ist auch ganz schwer und auch fast unmöglich, sich ein Ziel zu setzen, das man am Tag der Entlassung erreicht haben will. Ich selbst suche mir immer noch eine Perspektive, die auch realistisch ist; wenn ich mir sage: ‚Gut, im Jahr 2008 sind 15 Jahre rum“, dann finde ich nichts, was ich mir über diesen langen und erschreckenden Zeitraum vornehmen kann. Es ist halt nur die Hoffnung, durchzuhalten und nicht vor die Hunde zu gehen oder abzudrehen!“ (Steffen Meyer)
Die Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe – auch das machen die Texte deutlich – verhindert eher eine Auseinandersetzung mit der eigenen Tat, als daß es sie befördert. „Somit habe ich das Urteil bis heute nicht akzeptieren können“, so Harald H. „Der kritische Umgang mit der Tat, der meiner Meinung nach sehr wichtig ist, geht vollständig verloren. Man fühlt sich übergangen, es zählt nur der alte Spruch ‚Auge um Auge‘. Mit Gerechtigkeit hat das nicht viel zu tun.“
Der Trend der Zeit geht derzeit mit Sicherheit nicht in Richtung der Abschaffung von ‚LL‘, um so notwendiger ist dieses Buch. Es macht deutlich, daß ‚Kriminalität‘ nicht durch mehr Polizei und mehr Knäste ‚bekämpft‘ werden kann, und schon gar nicht durch ‚LL‘. Bei vielen der AutorInnen wird die Verlogenheit einer Argumentation deutlich, die immer neue und höhere Strafen mit dem Argument der ‚Abschreckung‘ begründet.
Die ‚Texte von zu lebenslanger Haft Verurteilten‘ tragen hoffentlich dazu bei, nicht nur ‚LL‘, sondern auch das Prinzip von Knast und Strafe an sich zu thematisieren und dem ‚Zeitgeist‘ somit eine andere Sicht entgegenzusetzen.