antimilitarismus

Kommentar zum vorläufigen Ausgang der Golfkrise

von Clemens Ronnefeldt, Versöhnungsbund-Referent

| Clemens Ronnefeldt, Versöhnungsbund-Referent

„Die Generäle der Wall Street lieben den Krieg“, schrieb Daniel Kadlec in der „Time“ unter Anspielung auf den 20%-Kursanstieg des Dow-Aktienindex während des 2. Golfkrieges aufgrund der Wertsteigerungen der US-Rüstungspapiere (FR, 25.2.98). Daß sich 1998 nicht die Wall-Street-Generäle, sondern der UN-Generalsekretär durchsetzen konnte, hatte vielfältige Gründe unter den verschiedenen Akteuren.

1. Irak

Henry Kissinger brachte bereits im November ´97 in der „Los Angeles Times“ die Sache auf den Punkt: „Zwar wird Saddam Hussein oft als Verrückter beschrieben. Aber seine Strategie zur Lockerung und schließlichen Aufhebung jener Einschränkungen, die ihm durch die UNO-Inspektionen auferlegt werden, ist bemerkenswert rational“. Mit der neuen UN-Resolution, nach der das Land nun statt 2,14 Milliarden $ ab sofort Erdöl für 5,2 Milliarden $ pro Halbjahr ausführen kann, hat Saddam Hussein einen Teilsieg errungen. Allerdings müßten zunächst für rund 30 Milliarden Dollar noch die im 2. Golfkrieg zerstörten Anlagen wiederaufgebaut werden, bevor diese Menge überhaupt rein technisch erreicht werden kann. Mit einem humanitären Hilfspaket über 20 Millionen DM Soforthilfe beruhigt die EU-Kommission in Brüssel vorerst ihr schlech tes Gewissen, seit 1990 am Hungertod von rund 800 000 Menschen in Irak mitschuldig zu sein. Ohne die von Saddam Hussein provozierte Krise wäre dieser Skandal wohl nicht in die breitere Weltöffentlichkeit gedrungen. Laut neuem Vertrag sollen nicht mehr nur Unscom-Mitarbeiter, sondern auch Diplomaten die Paläste Saddam Husseins durchsuchen. Die irakische Führung erhofft sich davon, daß die Rückmeldung an den UN-Sicherheitsrat darüber, daß das Land „sauber“ von Massenvernichtungswaffen sei und das Embargo aufgehoben werden kann, nicht mehr so leicht wie bisher von den US-dominierten Inspektoren-Teams verzögert wird. Daß Saddam Hussein seine acht Privatresidenzen inclusive der islamischen Tabuzonen auch feindlich eingestellten Ausländern nun zeigen muß, ist für ihn kulturpsychologisch ein erheblicher Imageverlust in der arabischen Welt. Angesichts seines taktischen Geschickes, die entscheidenden Mächte des Weltsicherheitsrates gegeneinander ausgespielt und sich selbst ins Bild eines honorigen Staatsmannes gerückt zu haben, scheint dieser Verlust allerdings verschmerzbar.

2. USA und Großbritannien

Die Widersprüchlichkeit der US-Politik gegenüber Irak faßte Henry Kissinger im bereits erwähnten Beitrag folgendermaßen zusammen: „1996 ließ Saddam die Führung der in einem autonomen Gebiet im Norden lebenden Kurden umbringen, denen die USA Schutz zugesagt hatte. Washington reagierte völlig inkonsequent mit Angriffen auf Radarstellungen im tiefen Süden Iraks – rund tausend Kilometer entfernt vom Ort der Provokation. Derart überzeugt, daß er von amerikanischen Militäraktionen wenig zu befürcht en habe, sah Saddam eine politische Chance, dem Inspektionsprogramm der UNO die Zähne zu ziehen“. Die Tatsache, daß Bill Clinton im November 1997 vollmundig das Ende des Embargos von der Beseitigung Saddam Husseins abhängig machte – gedeckt von keiner UN-Resolution – dürfte ein schwerwiegender Fehler gewesen sein. Weil dem US-Kongreß bis zum Schluß unklar blieb, was die eigentlichen Ziele der USA sind, konnte Clinton in entscheidenden Momenten keine Mehrheit hinter sich bringen. Wie gespalten zudem die US-Bevölkerung war, zeigte das CNN-TV-Ohio-Debakel. Einen Tag nur nach dem Verhandlungserfolg Annans wurde in den USA eine US-Heeres-Studie veröffentlicht, die die gleichzeitige Eindämmung von Irak und Iran wegen der zu hohen Kosten und Risiken als falsch bezeichnet. „Clintons `nationale Interessen´ in Irak buchstabieren sich wie Öl“, titelte die FR am 15.2.98 – warum eigentlich erst so spät? – und führte aus: „Ein Land mit zerstörter Infrastruktur und neu herbeigebombter Feindschaft gegenüber den USA dient weder einer sicheren Energieversorgung noch den Geschäften der ebenfalls mächtigen amerikanischen Ölgesellschaften. Also ist eine vertretbare diplomatische Lösung, die vielleicht in überschaubarer Zeit die Wirtschaftssanktionen überflüssig machen und US -Firmen zurück ins Irak-Geschäft bringen könnte, eher im nationalen Interesse der USA“. Nachdem die USA es immerhin fertig gebracht hatten, den damals noch amtierenden UN-Generalsekretär Boutros-Ghali erfolgreich an einer Wiederkandidatur zu hindern, mußten sie diesmal erkennen, daß die Weltmacht Nummer 1 nicht in der Lage ist, die UN völlig für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Großbritannien war zwar politisch für die USA von großer Wichtigkeit, im Falle eines möglichen Krieges allerdings nahezu militärisch bedeutungslos. Für sein militaristisches Säbelrasseln mußte Tony Blair sich vom EU-Parlament heftige Kritik anhören – ebenso von der kritischen englischen Presse, die sehr viel mehr Demokratiebewußtsein zeigte als die deutsche.

3. UNO und UNSCOM

Nachdem die UNO im Bosnien-Krieg von der NATO entmachtet worden war und sich auf einem Tiefpunkt ihrer Bedeutung befand, erfuhr sie durch den Erfolg Kofi Annans wieder eine erhebliche Aufwertung. Richard Butler, der Leiter der Unscom, verschärfte die Krise sehr früh, indem er im amerikanischen Fernsehen behauptete, Saddam Hussein wolle Führer der arabischen Welt werden und den frühzeitigen Einsatz von Gewalt rechtfertigte. Die Schwäche und Gefahr der in sich gespaltenen Unscom-Delegationen wurde diesmal überdeutlich. Die USA gingen sogar so weit, den russischen Inspektoren vorzuwerfen, irakische Stellen vor Inspektionen vorzuwarnen. UN-Inspektoren – laut „The Independent“, 12.2.98, häufig ehemalige Geheimdienstagenten – , stehen im Verdacht, ihr Wissen nicht nur an die UN, sondern auch an die jeweiligen nationalen Verteidigungsministerien weiterzugeben. Wie kritisch dies werden kann, zeigte ein F.A.Z Beitrag am 6.2.98 : „Landvermessen im Irak ergibt auch Zielkoordinaten für Marschflugkörper“.

Frankreich und Rußland

Für die Europapolitik in der Irak-Krise war die eigentliche Frage: Setzt sich die an die USA anlehnende britische oder die auf mehr europäische Eigenständigkeit hinarbeitende französische Haltung durch. In den entscheidenden Telefonaten zwischen Chirac und Clinton soll es dabei „stürmisch“ (laut „Liberation“) zugegangen sein. Die Drohung Jelzins mit einem Weltkrieg zeigte die heutige militärische Hilflosigkeit der einstigen Weltmacht, die allerdings auf diplomatischer Ebene Frankreich sehr gut zuarbeitete. Frankreich und Rußland haben erhebliche Milliarden-Kredite an Irak vergeben, wünschen deren baldige Rückzahlung – und erhoffen sich über ihre bereits im Land tätigen Ölgesellschaften entsprechende wirtschaftliche Vorteile.

Israel

Daß der israelische Ministerpräsident erstmals seit 1973 wieder die israelischen Atomraketensilos öffnen wollte und nur mit viel Mühe davon abgebracht werden konnte, weist ihn als erhebliches Sicherheitsrisiko für die gesamte Region aus. In Unscom-Berichten, die auf Wunsch des US-Außenministeriums nachträglich abgeändert wurden (laut „Le Monde Diplomatique“, Dez. 97) ist nachzulesen, daß von Irak wegen der Zerstörung der Raketensysteme keine Gefahr mehr für die Nachbarstaaten ausgeht. Clinton selbst mußte zugeben, daß Tel Aviv diesmal nicht von Saddam Husseins Raketen bedroht ist. Vor diesem Hintergrund diente das Schüren massiver Ängste in Israel wohl mehr innenpolitischen Gründen sowie der Legitimation eines Militärschlages.

Arabische Welt

Nur wenige Golfmonarchien standen diesmal den USA und Großbritannien bei. Am gleichen Tag, als die amerikanische Außenministerin in Kairo um Unterstützung für die USA warb, die arabische Welt vor den Waffen Saddam Husseins zu schützen, machte der Sprecher der arabischen Liga ebenfalls in Kairo deutlich, daß diese Art von Schutz die eigentliche Bedrohung darstelle. „Bedrohlicher als die Bedrohung empfinden die Bedrohten offensichtlich den angedrohten Schutz vor der Bedrohung“ (FR, 25.2.98). Die nationalen amerikanischen und britischen Interessen wurden diesmal für die arabische Welt schonunglos offengelegt. „Laut Gerüchten aus Saudiarabien soll der amerikanische Verteidigungsminister Cohen bei seinem Besuch in Riad auch schon einen Kostenvoranschlag für den Truppenaufmarsch in zweistelliger Milliardenhöhe vorgelegt haben. Der saudische Kronprinz Abdallah soll darauf geantwortet haben, der Schutz vor möglichen Schäden durch den Irak komme sein Land bald ebenso teuer zu stehen wie diese selbst“ (Neue Zürcher Zeitung, 24.2.98).

Deutschland

Am kürzesten brachte es Jochen Hippler auf den Punkt: „Die USA rasen am Golf mit Volldampf in die Sackgasse. Kinkel steht mit entschlossener Fassungslosigkeit treu zur hilflosen Politik der Amerikaner“ (Freitag, 6.2.98). Helmut Kohl, von amerikanischen Senatoren auf der Wehrkundetagung in München entsprechend bearbeitet, fragte erst gar nicht mehr seine Regierungsmannschaft, als er den USA politische Unterstützung versprach. Konnte man von ihm wenig anderes erwarten, stellte der Auftritt Scharpings ei nen Skandal allererster Ordnung dar. Die Erosion politischer Grundsätze und Pfeiler der Demokratie wie des Grundgesetzes scheint in Deutschland mit einer Geschwindigkeit voranzuschreiten, die allen demokratisch Gesinnten dieser Republik größte Sorge machen müßte.

Friedensbewegung

1990 u.a. noch von der Angst angetrieben, im Falle langanhaltender Ölbrände vielleicht selbst in Europa noch vom Golfkrieg betroffen zu sein, kamen diesmal die letzten Friedensbewegten erst sehr spät und zahlenmäßig äußerst gering in die Gänge. In den USA erwachten die AktivistInnen sehr viel früher aus dem politischen Tiefschlaf als in Europa.

Ausblick

Die Krise ist keineswegs ausgestanden. Sollte in absehbarer Zeit – die der Irak vermutlich in Monaten bemißt – das Embargo nicht aufgehoben werden, sind neue Provokationen Saddam Husseins nicht ausgeschlossen. Was derzeit fehlt, ist ein schlüssiges Nahost-Konzept für die Zukunft, wie es Johan Galtung bereits nach dem 2. Golfkrieg eingefordert hat. Sicherheit und Frieden wird es für alle Staaten des Nahen Ostens nicht gegeneinander geben können. Daher wäre eine Konferenz über eine ABC-Waffenfreie-Zone überfällig. Für die Industriestaaten, wollen sie zur Befriedung des Nahen Ostens beitragen, lautet die Hauptbotschaft, eine 180-Grad-Wende in der Energiepolitik zu vollziehen.

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Clemens Ronnefeldt, Versöhnungsbund-Referent
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