Jörg André Dahlmeyer: Magen Schleim Haut. Ferngesteuerte Social- Beat-Gedichte gegen das Verschlucktwerden. Edition Dead Monkey, Berlin 1997, 56 S., 8,10 DM.
Aus der programmatischen Zusammenführung von Kunst und Leben ist bekanntlich oft nur die Vehemenz des Programms gestärkt hervorgegangen. Die Kunst litt alsbald an Qualitätsverlust, das Leben verlor gar an Quantität und erstickte an Wahnsinn oder Erbrochenem. Um künstlerische Praxis, die kapitalistische Verwertungsmaßstäbe transzendiert, ist es nicht gerade gut bestellt. Deutschsprachiger Undergroundliteratur zum Beispiel – von social beat bis slam!poetry! – wird in letzter Zeit häufig nachgesagt, sie besitze von vornherein weder jenen programmatischen Anspruch, noch die literarischen Gütezeichen. Obwohl, oder gerade weil sie nur um eins kreise, nämlich das Leben der – meist männlichen – AutorInnen. In Uni-Konkret (WS 97/98) klingt das zusammenfassend so: „Wir merken uns: Die sogenannte slam-taugliche Popliteratur ist politisch bewußtlos und bewegt sich literarisch an der Oberfläche“ („Fuck Slam Poetry“).
Und „slam-tauglich“ ist, was beim Vortragen viel Eindruck macht. Seit den „Beatniks“, die ihre abschätzig gemeinte Bezeichnung in Anlehnung an den Sputnik erhielten und an die damit assoziierte „Schockwirkung“ der sowjetischen Weltraumeroberungen auf die us-amerikanische Öffentlichkeit, hat sich einiges geändert. Pop und Underground wollen sich nicht mehr so recht auseinanderhalten lassen, und so versackt auch die gesellschaftliche Wirkung beiderseits im uneindeutigen Spiel zwischen Anerkennung um jeden Preis (Pop) und plakativer Abgrenzung (Underground). Zum Beispiel läßt sich einer in puncto „Schock“ saturierten Gesellschaft kunstschaffend auch kein Schrecken einjagen, ob gewollt oder nicht. Daß kann dazu führen, daß man(n) sich in seiner einflußlosen Position andere Einflußlose sucht, die sich noch schockieren lassen. Wobei die Suche immer auch auf den Willen zum Gefunden-Werden auf der anderen Seite angewiesen ist. Wenn das „Establishment“ nicht mehr herhalten kann, weil es das vielleicht so gar nicht mehr gibt, dann eben andere Gruppierungen, die als Repräsentanten und -onkels von Moral, Starrheit, Spießertum ausgemacht werden. Von Seiten der social beat- Szene funktioniert das in Richtung der kleinen Gruppe der autonomen und anarchistischen Szenen. Eine Gruppe der wenigen also, die noch politische Relevanz in ihrer Lebensgestaltung wittern und um so mehr behaupten. Nach massiver Ankreidung sexistischer Botschaften im social beat von Seiten der anarchosyndikalistischen Zeitung direkte aktion sollen 1997 sogar schon social beat-Lesungen Boykotts zum Opfer gefallen sein. (In ähnlicher Absicht hatte die molli- Redaktion bereits zwei Jahre zuvor einige noch aussagestrotzendere Textproben im Schwarzen Faden abdrucken lassen). Zum Teil treffen all diese Beschreibungen von politischer Bewußtlosigkeit und phallokultischen Literaturversuchen infolgedessen das Phänomen ungemein. Ein Grund mehr, sich auch mit dem anderen Teil zu beschäftigen.
Vielleicht ist Jörg André Dahlmeyer die Ausnahme, die eine trotz eindeutiger Beispiele noch zu belegende Regel bestätigt. Der Miterfinder des Namens social beat und einer der bekannteren Köpfe der Szene, die diesem Namen trägt, hat ein neues Buch veröffentlicht. In seinem Gedichtband finden sich auf alle Fälle slam-taugliche Texte („Den Gürtel enger schnallen“ beispielsweise), die „in die Tiefe gehen“, und Erfahrungsverdichtungen, die auf Höhepunkte überhaupt nicht angewiesen sind. Wie gewohnt ist bei Dahlmeyer alles finster düster ungemütlich, wie das Leben eben; und nach einer Lesung habe ich einen zu ihm sagen hören, „kein Wunder, daß du solche Texte schreibst, wenn du immer noch in diesem Loch da haust“. Hier findet sich allerdings mehr als die Darstellung der trüben Höhlen und Aushöhlungen des Lebens inmitten der gewendeten Hauptstadt. Aus Dahlmeyers Prenzlberg versucht sich eher eine Sprache vom sozialen Rand her in Eigenständigkeit: „Kann sein das wir von Regen sprechen/ wenn wir Hitze meinen/ Glut die sich aus Augen streichelt/ Münder mit kleinen Stichen/ Verflixt & Zugenäht“ („Vitrinen Latrinen Konkubinen“). Und dabei findet sich zum Glück keine allgemeine Wahrheit. „Ich seh die Trauer aus dir sprießen/ Von Verrat & Agonie/ Mir kannst du nicht gefallen/ Trauen werde ich dir nie“ („Wahrheit kannst du kaum genießen“). Sicher, an nicht unstolzem lumpenproletarischen Gestus mangelt es nicht. Aber daß lyrische Texte aus sozialen Verhältnissen heraus atmen und außer Atem geraten, und damit der subkulturellen Tradition der Beat-Poeten zeitgemäß sich annähern, ist in Deutschland nicht selbstverständlich zu erleben. Es muß deshalb nicht gleich deutsche Ginsbergs oder Ferlinghettis geben. Wird es auch nicht. Die postmodernen Städter als „Müll-Piloten“ oder das hedonistische Elend eines aufsässigen, arbeitslosen Trinkers werfen immerhin noch Fragen auf: „Haben sie/ Noch einen letzten Willen?“. Und das weder um Mitleid, noch um Kultstatus hervorzurufen. Im social beat, der sich mal explizit und mal explizit nicht auf die us-amerikanische Beat-Bewegung der 50er und 60er Jahre bezieht, steht die Auseinandersetzung um den Transport sexistischer Inhalte nach wie vor an. Die pauschale Verurteilung fällt in Zeiten des Backlashs allerdings immer auch auf die AntisexistInnen zurück. Wer sein Gemeint-Sein, die eigene Betroffenheit, nicht auch politisch vermitteln kann, zieht wirkungsmäßig immer den Kürzeren. Und Dahlmeyer ist sicher auch einer dieser „Gefühlssozialisten“. Nicht nur, weil die FAZ die immer noch für die Gefährlichsten hält, empfiehlt es sich also, ihn zu auch zu lesen.