Seit nunmehr sieben Wochen protestieren kurdische Flüchtlinge in Kölner Kirchen gegen ihre Abschiebung in die Türkei. Die Zahl der Flüchtlinge, die an der Protestaktion teilnimmt, steigt ständig und ist inzwischen auf über einhundert angewachsen. Und längst nicht alle, die Zuflucht in einer Kirche suchen und sich am Protest beteiligen wollen, können aufgenommen werden. Prekäre Lebensverhältnisse und Illegalisierung von Flüchtlingen werden geradezu durch die bundesdeutsche Asylpolitik, durch die systematische Ausdünnung des Schutzes vor Abschiebung produziert. So sind es vor allem illegalisierte, also bereits ausreisepflichtige Flüchtlinge und abgelehnte Asylsuchende, denen die Abschiebung angedroht ist oder die mit „Duldungen“ ohne Aussicht auf deren Verlängerung ausgestattet sind, die den kollektiven Protest tragen. Allen gemein ist, daß sie eine erzwungene Rückkehr in die Türkei fürchten. Unterstützt wird die Protestaktion für ein Bleiberecht kurdischer Flüchtlinge bislang von acht evangelischen Kirchengemeinden in Köln und einer in Düren, sowie drei katholischen Gemeinden in Aachen. Organisatorisch vorbereitet wurde die Protestaktion vom Kölner Netzwerk „Kein Mensch ist illegal“, einem Bündnis Kölner Flüchtlingsinitiativen und Beratungseinrichtungen.
„Kein Mensch ist illegal“
Initiiert wurde die Kampagne „Kein Mensch ist illegal“ im letzten Sommer auf der „documenta X“ durch autonome und unabhängige Flüchtlingsinitiativen aus dem gesamten Bundesgebiet. Ziel der Kampagne ist es u.a., in die aktuelle Debatte um Illegalität einzugreifen, menschenrechtlich und politisch der Hatz und Kriminalisierung Illegalisierter und ihrer UnterstützerInnen zu begegnen und zur praktischen Solidarität aufzurufen. Dazu konnte der Kampagnenaufruf in der Frankfurter Rundschau und eine mehrseitige Sonderbeilage in der TAZ, in der sich verschiedene Unterstützungsprojekte für Illegalisierte vorstellen, geschaltet werden. Der öffentliche Widerhall, den die Kampagne ausgelöst hat, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich bislang nur wenige – zumeist autonome – Flüchtlingsinitiativen der praktischen Unterstützung für Illegalisierte verpflichtet wissen.
Anfang Januar wandten sich drei kurdische Familien, 21 Menschen, an das Kölner Netzwerk „Kein Mensch ist illegal“, das sich im Zuge der Kampagne gebildet hatte, mit der Bitte um Unterstützung. Asylrechtlich sind die zum Teil schon lange in Deutschland lebenden kurdischen Familien chancenlos geblieben, ein Schutz vor Abschiebung in die Türkei wird ihnen verwehrt, ihnen droht die gewaltsame Ausweisung, der sie sich mit Hilfe der UnterstützerInnen zu widersetzen suchen. Eine öffentliche Protestaktion begann. Die illegalisierten kurdischen Flüchtlinge haben, wie es Hüseyin Havayitli benennt, „nichts mehr zu verlieren“.
Rückgriff auf die Kirchenzuflucht
Für das Netzwerk „Kein Mensch ist illegal“, das die Flüchtlinge anfangs privat versteckte, stand von Beginn an fest, daß für die geplante Protestaktion gegen die Abschiebungen und für ein Bleiberecht eine Kirchengemeinde gefunden werden mußte, weil nur Kirche als „moralische Instanz“ einen minimalen Schutz vor polizeilichem Zugriff bieten könne. Die Kölner Antonitergemeinde nahm sich des Anliegens der Flüchtlinge an und öffnete am 21. Januar ihre Kirchenpforten.
Um ihren Protest gegen die Abschiebungen öffentlich zu machen, sind die kurdischen Flüchtlinge notwendig auf Unterstützung angewiesen, können sie sich doch als Illegalisierte aus Furcht vor Abschiebung sozial und politisch nicht manifestieren. Es bedarf eines politisch noch tolerierten Schutzraumes, um die soziale Ausschließung, die mit der kriminalisierten Illegalität einhergeht, einzeln und kollektiv aufzubrechen. So stellten in der Folge weitere Kölner Kirchengemeinden ihre gemeindlichen Räume für die Protestaktion zur Verfügung und gewähren den Flüchtlingen für die Zeit ihrer Demonstration Zuflucht – kein Kirchenasyl.
Öffentlich unterstützen sie die Flüchtlinge in ihren Forderungen nach einem generellen Schutz vor Abschiebung in die Türkei und nach einem Bleiberecht.
Die Protestaktion gewann schnell an Dynamik, immer mehr kurdische Flüchtlinge suchten Schutz und Unterstützung, so daß zeitweilig bis zu hundert von Abschiebung bedrohte Männer, Frauen und Kinder in den Gemeindezentren ausharrten. Allein die Unterbringung der Flüchtlinge wurde zur kräftezehrenden Herausforderung, zumal einige Gemeinden ihre Unterstützung zeitlich begrenzt hatten. Immer wieder müssen Flüchtlinge innerhalb der Kölner Gemeinden umziehen.
Der Rückgriff der Protestaktion auf kirchliche Zuflucht ist aber nicht unproblematisch, bleibt sie doch auf den kirchlichen Raum beschränkt und auf die Vermittlungs- und „Klage“funktion der Kirche angewiesen. Die Leitung der rheinischen Landeskirche akzeptiert zwar die Entscheidung ihrer Gemeinden, am Protest teil- und die Flüchtlinge aufzunehmen, will die Protestaktion aber selbst bislang nicht unterstützen und verhält sich öffentlich eher distanziert. Distanzierung aber, darüber müssen sich alle Verantwortlichen im Klaren sein, ist – gewollt oder ungewollt – ein Angebot an die Politik, die Zufluchtsgewährungen und den Protest ins Leere laufen zu lassen. Zugleich blockiert das zögerliche Verhalten Solidarisierungseffekte unter den Gemeinden, die keinen Konflikt mit den kirchlichen Hierarchien und Mehrheitsströmungen einzugehen bereit sind. Eine Protestaktion, die auf die Bereitschaft der Kirchengemeinden, den Illegalisierten Zuflucht zu gewähren, angewiesen ist, muß das faktische Machtgefälle innerhalb der Kirche als Ganze beachten und versuchen, die kirchenleitenden Gremien für die Unterstützung des Protest zu gewinnen. Andernfalls kann die Aktion für alle Beteiligten zu einer politischen Sackgasse werden.
Auch die möglichen Bündnispartner, die regierungsbeteiligten GRÜNEN in NRW, nehmen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, bislang eine eher abwartende Haltung ein und ignorieren den Protest.
Eigeninitiative
Wie begrenzt allerdings der Schutz der Kirchen ist, hat der kurdische Flüchtling, Süleyman Yardigi, erfahren müssen. Beim Versuch, seine noch bestehende Duldung zu verlängern, wurde er – ohne rechtlich zwingende Grundlage – auf Eigeninitiative eines Mitarbeiters der zuständigen Ausländerbehörde unter dem Vorwand, sich seiner Abschiebung entziehen zu wollen, inhaftiert und am 16. März unter lautstarkem Protest nach Istanbul abgeschoben. Dort wurde er aufgrund ungültiger Einreisepapiere erneut inhaftiert. Eben weil Bundesinnenminister Kanthers williger Vollstrecker individuellen Einsatz, Eigeninitiative und persönliche Bereitschaft mitbringen, funktioniert das Abschieberegime so reibungslos.
Wanderkirchenasyl – Karawane für ein Bleiberecht
Mit den vielen Flüchtlingen, die sich am Protest beteiligen wollten, sichtlich überfordert, dachten die UnterstützerInnen des Netzwerks „Kein Mensch ist illegal“ über eine Ausdehnung des Protestes auf andere Städte nach. Sie planten, eine „Karawane für ein Bleiberecht“ ins Leben zu rufen, in der Hoffnung, daß sich dadurch in anderen Städten noch mehr Illegalisierte am Kampf um ein gesichertes Bleiberecht mobilisieren ließen. Über MitarbeiterInnen der Kirchenasylbewegung wurde stattdessen ein Wanderkirchenasyl organisiert, mit dem eine breitere Öffentlichkeit für den kurdischen Protest erreicht werden soll. So begab sich am 7. März eine aus 27 kurdischen Flüchtlingen bestehende Gruppe in ein Wanderkirchenasyl, dessen erste Stationen zwei Wochen lang Düren und anschließend vier Wochen lang Aachen sein werden.
Die evangelische Gemeinde in Düren und die katholischen Gemeinden in Aachen haben sich dazu entschlossen, den Protest zu unterstützen und die Flüchtlinge aufzunehmen, damit die Protestaktion fortgeführt und eine breite Öffentlichkeit für die Forderungen der Flüchtlinge mobilisiert werden kann. Die Dürener Gemeinde schreibt zu der Aktion: „Wir wissen, daß das Wanderkirchenasyl eine Politisierung des als humanitäre Intervention zugunsten einzelner gedachten Kirchenasyls darstellt, und um die Gewissenskonflikte, die diese Politisierung innerhalb der Kirchenasylbewegung auszulösen vermag.“ Und sie bekennt: „Menschen in Not beizustehen, sie zu schützen, vermeidbare Leiden abzuwenden, verstehen wir als verpflichtende Aufgabe christlicher Gemeinde, die aus dem Glauben an Jesus Christus erwächst und auf dem Respekt vor dem Menschen und seiner Würde beruht. Der kollektive Protest kurdischer Flüchtlinge gegen menschenrechtswidrige Abschiebungen in die Türkei bedarf auch neuer Formen kirchlich-christlicher Unterstützung.“ Die spektakuläre Kirchenasylaktion wurde von den Medien aufgegriffen und hat für das Anliegen der kurdischen Flüchtlinge bundesweit Öffentlichkeit herstellen können. Daß sich neue Zentren des Protestes bilden, ist nicht zu erwarten, sind doch die Gemeinden, die die Zufluchtssuchenden schließlich aufzunehmen hätten, über die begrenzte Zeit der Solidaritätsaktion (Wanderkirchenasyl) zu einer länger anhaltenden Auseinandersetzung vorerst nicht bereit. Dennoch trägt das Wanderkirchenasyl entscheidend dazu bei, die Öffentlichkeit für den berechtigten Protest und das Leiden der Flüchtlinge an ihrer Illegalisierung zu sensibilisieren, lokale und überregionale Medien auf die Protestaktion aufmerksam zu machen. Diese Aufbereitung der Öffentlichkeit ist für die angestrebte politische Lösung, Bleiberecht und Papiere für alle, unverzichtbar. Doch selbst die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, Dachverband der Kirchenasylgemeinden und -initiativen, bleibt auf kritischer Distanz zum Protestgeschehen.
Kriegsflüchtlinge
Den kurdischen Flüchtlingen bleibt angesichts drohender Abschiebung keine andere Wahl als die Öffentlichkeit zu suchen, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. „Schlimmer kann es nicht mehr kommen“ meint einer ihrer Sprecher, Hasan Calhan. Sie begreifen sich als Kriegsflüchtlinge, Entwurzelte und Versehrte eines „schmutzigen Krieges“, und wollen als solche anerkannt werden. Die Dörfer zerstört, Tausende getötet, Millionen vertrieben, und wiederum verfolgt, entrechtet, diskriminiert und dem Elend preisgegeben. Der schmutzige Krieg, der gegen sie tobt, bedroht ihr Recht zu leben, schreiben sie in ihrem Flugblatt. Darum seien sie geflohen, darum können sie nicht zurück.
Doch auch in Deutschland holt sie ihre Furcht ein: Ihr stets ungesichertes Aufenthaltsrecht, ihre Angst vor Abschiebung, ihre Illegalisierung. Als „Illegale“ sind diese Menschen gezwungen, unter Bedingungen zu leben, die unseren humanitären Vorstellungen nicht genügen: ohne medizinische Betreuung, ohne Rechtsanspruch auf materielle und soziale Hilfestellung, zumeist wohnungslos und nur gelegentlich können sie sich in prekären Jobs ihren Lebensunterhalt verdienen. Ihr statusloser Aufenthalt macht sie zu Menschen ohne Rechtsschutz, d.h. ohne einklagbare Rechte. Ramazan Kalay, ein Flüchtling im „Wanderkirchenasyl“, beschreibt diese Unsicherheit: „Es ist wie in Kurdistan. Auch dort mußten wir jeden Morgen überlegen, ob wir es wagen, das Haus zu verlassen. Man mußte immer damit rechnen, daß man abends nicht mehr zurückkehrt.“
Konfliktlinien in der Festung Europa
Die kurdischen Flüchtlinge haben ihre Rechtlosigkeit, die Bedrohung ihres Rechts auf ein menschenwürdiges Leben von Kurdistan bis in die Bundesrepublik hinein geschildert. Gegen diese Verhältnisse, in denen zu leben sie hier wie dort gezwungen sind, protestieren sie und haben ihre Forderungen in die Sprache der Flüchtlingspolitik übersetzt: Abschiebestopp und Bleiberecht für alle!
Denn als Illegale aber blieben sie, so einer ihrer Anwälte, Detlef Hartmann, „auf ein Archipel der Rechtlosigkeit“ verwiesen, das zum festen Bestandteil der Festung Europa und seiner Sozialstruktur geworden ist. Der Protest der kurdischen Flüchtlinge markiert insofern neue Konfliktlinien innerhalb der Festung Europa. Und Susanne Rössler, Pfarrerin der Dürener Gemeinde, unterstreicht die Notwendigkeit zum Handeln: „Die Degradierung des Flüchtlings im Asylverfahren zum Objekt staatlichen Handelns, die Entrechtung der Menschen ohne Aufenthaltspapiere werden langfristig zur Erosion der Grundlagen des Rechts allgemein und der Grundlagen eines humanen Zusammenlebens führen.“
Perspektiven
Die Flüchtlinge hatten ihre Hoffnung auf mögliche Gespräche gesetzt, die im Anschluß an eine Delegationsreise der nordrhein-westfälischen Landesregierung im April dieses Jahres in die Türkei hätten geführt werden sollen. Die Delegation, die die Menschenrechtssituation erneut prüfen wollte, wurde von der türkischen Regierung ausgeladen. Ein neuer Lagebericht zur Menschenrechtssituation in der Türkei wird nicht erstellt werden. Die anfängliche Orientierung und Perspektive des Protestes auf die Ergebnisse der Delegationsreise müssen nun aufgegeben werden. Eine aktuelle Gesprächsbereitschaft seitens der Politik liegt bislang nicht vor. Welche Perspektiven hat der Protest? Eine soziale Erhebung von Illegalisierten wie die der sans papiers in Frankreich (Ausdehnung des Protests) oder die Suche nach politischen und kirchlichen Kanälen, die doch noch in Gespräche münden, eine Landtagsanhörung oder ein öffentliches Hearing zur Menschenrechtssituation in der Türkei anbahnen könnten. Mit der frühen Entscheidung des Kölner Netzwerks „Kein Mensch ist illegal“, vorrangig Kirchengemeinden zur Unterstützung des Protestes zu gewinnen, ist auch der weitere Weg des Protestes vorgezeichnet, auch wenn vielleicht mit ihm eine andere soziale Dynamik erhofft wurde. Eine Kampagne, die versucht, den Protest der illegalisierten kurdischen Flüchtlinge zu unterstützen und zu organisieren, kann nicht mehr erreichen wollen, als auf die politischen Institutionen einzuwirken, will sie nicht fahrlässig die Protestaktion in einen Wartesaal verwandeln, in dem die Flüchtlinge ihrer zeitlich unbestimmten aber gewissen Abschiebung harren.
Der Autor war Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und arbeitet zukünftig im Sekretariat des Komitees für Grundrechte und Demokratie.