Am 8. März hat der Parteitag der Bündnisgrünen mit nur einer Stimme Mehrheit den Antrag des Parteivorstandes zur nachträglichen Befürwortung des Bosnieneinsatzes der Bundeswehr abgelehnt. Viel fehlt damit nicht mehr bis zur vollständigen Herstellung grüner Regierungsfähigkeit, für die ein Bekenntnis zu Staat und Krieg unabdingbar ist. (Red.)
Während die Zustimmung der Bündnisgrünen zum Staat und zum staatlichen Gewaltmonopol schon lange breit akzeptiert wird – symbolisiert zu schlechter letzt durch einen grünen Polizeipräsidenten in Münster als Herr über den größten Polizeieinsatz in der Geschichte der BRD – so fehlte bisher ein eindeutiges Bekenntnis zum zweiten Standbein eines jeden Staates: der prinzipiellen Bereitschaft zum Krieg zur Verteidigung und Durchsetzung „nationaler Interessen“. Doch weit sind die Bündnisgrünen auch davon nicht mehr entfernt, wie der letzte Parteitag in Magdeburg deutlich machte.
Die Zweieinigkeit von Staat und Krieg
Mit ihrem „Jein“ zum Krieg scheitert die bündnisgrüne Regierungsfähigkeit an dem zentralen Punkt von Staatlichkeit: Staat ist ohne Krieg nicht zu haben, Krieg (oder die Bereitschaft zum Krieg) war (und ist) nicht nur Geburtshelfer eines jeden Staates, Krieg ist immer auch zentrales Element staatlicher Politik, ist letztendlich nicht einmal die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, sondern Politik, verstanden als Staatspolitik, ist ohne Krieg nicht denkbar. Auf diesen „unauflöslichen Zusammenhang von Militär bzw. Gewalt und Staat“ wies bereis Ekkehart Krippendorf in „Staat und Krieg“ hin (1). Darin geht er ausführlich „auf den eigentlichen Gegenstand der Kriegsfrage, nämlich die militärisch, d.h. aus Gewalt entstandene und mit monopolisierter Gewalt gesicherte Herrschaft, DEN STAAT“ ein (Hervorhebung im Original).
Einziges Ziel staatlicher Politik ist dabei der Erhalt oder gar die Erweiterung der eigenen Macht. Große Politik ist dabei ein zynisches Spiel, das „niemals zu Ende (ist), da das Endziel sozusagen dies ist, niemals ausgeschlossen zu werden“. (2) Und ausgeschlossen ist eine Gesellschaft, die nicht mehr staatlich verfaßt ist, „der Staat ist das Sein, und die Ausnahme, das Regelwidrige und selbst schon Individualität sind Formen des Bösen, das heißt, des Nichts.“ (3)
Gerade die jüngere Geschichte der Bundesrepublik zeigt überdeutlich, daß Staat nur durch Bereitschaft zum Krieg zu haben ist. „Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen – mag diese Ratio den Paten im In- und Ausland auch nicht voll bewußt gewesen sein“, so Rudolf Augstein, beileibe kein Gegner der Staatsraison. Folglich ist die NATO, die ja als Militärbündnis gegen die Sowjets entstanden ist, „der Kernpunkt deutscher Staatsraison“ (Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung am 13.10.1982) – und bei dieser Position sind mittlerweile auch die Grünen (fast) angekommen.
Staat und Krieg in den Reaktionen der Medien
Nach der Parteitagsentscheidung wurde in nahezu allen Medien – von taz bis Bild – erkennbar, was Chomsky „demokratische Propaganda“ (vgl. GWR 222) nennt und Krippendorff als „Staatsvernunft“ bezeichnet: einhellig wurde die Ablehnung der nachträglichen Billigung des Bosnien-Einsatzes von NATO und Bundeswehr als fehlender „Mut zur Wirklichkeit“ (Kommentar in FR, 9.3.98) Doch was für eine „Wirklichkeit“ hier gemeint ist, darauf geht besagter Kommentar in der FR – und gehen auch die anderen Medien – nicht ein.
Dabei handelt es sich um die Wirklichkeit der „Staatsvernunft“, der „Großen Politik der Staaten“, die schon von Goethe als „Torheiten ins Große“ gegeißelt wurde. Diese Politik, so Krippendorff, „reduziert den eigenen Wahrnehmungshaushalt – zumal in den Staatenbeziehungen – auf eingängige, scheinbar plausible Formen und Begriffe wie ‚Gleichgewicht‘, ‚Abschreckung‘, ‚Freie Welt‘, ‚Natürliche Grenzen‘, ‚Blöcke‘ usw. Ein gebildeter Staatsmann wie Churchill handelte mit einem auf seine Weise doch ebenso erfahrenen Gegner-Kollegen Stalin allen Ernstes (Oktober 1944) die Festlegung von Einfluß-Prozenten in verschiedenen umstrittenen Ländern aus: 90 % hier, 50 % da, 80 % dort. Über Landkarten von Kontinenten gebeugt, die sie nie gesehen hatten, zogen europäische Diplomaten mit dem Lineal Grenzen quer durch Kulturen und Völker – mit katastrophalen, heute bisweilen ‚genozidähnliche Formen‘ (Moser) … Sie alle bewegen sich auf einer Ebene der Abstraktionen von der Wirklichkeit, die ihnen als Große Politik erscheint, als eine zweite (und ihre erste) Wirklichkeit, die mit der Wirklichkeit der real existierenden Menschen nichts zu tun hat, außer Herrschaft über sie zu sein.“ (4)
Beispielhaft für diese Übernahme von „Herrschaftswissen“ durch die Medien sei noch einmal die Frankfurter Rundschau, üblicherweise ja nicht gerade eine der Kriegstreiberzeitungen, zitiert: Das „offene Eingeständnis, daß der UN-Einsatz in Bosnien nicht, wie erwartet, zur Eskalation geführt hat, sondern friedenserhaltend wirkt, (wäre) auf einer grünen Bundesversammlung eher einer Sensation gleichgekommen. Hätten sie doch in einem solchen Fall politisch reagiert auf eine schlechte Welt, anstatt den häßlichen Anblick wie gewohnt zu überdecken mit der Folie der Friedens-Vision.“ (FR, 9.3.98) Da ist sie: Staats(un)vernunft pur: „Staat hat es immer gegeben, Militär ist notwendig, Kriege gehören zur Natur der Politik und des Menschen …“ (Krippendorff)
Diese „Natur der Staatsvernunft“ klassifiziert Menschen nur noch als Objekte von Herrschaft und kann daher auch keine Alternative zu einem „militärischen Abschreckungsfrieden“ a la Dayton mehr denken. Die Vereinbarung von Dayton ist das Resultat einer politischen Unvernunft, für die eben nur „als Staaten Völker politisch zählen“ (Krippendorff), und die daher Bosnien in quasi-staatliche Strukturen nach „völkischen“ Kriterien unter der Fassade eines Gesamtstaates eingeteilt hat (vgl. GWR 204). Wer sich jeder dieser Unvernunft in Form von Staarsraison nicht beugt, die/der schaut nach einhelliger Meinung von Politik und Medien eben „um der pazifistischen Prinzipien Willen … lieber nicht genau hin“ (FR, 9.3.98), für die/den „findet der Balkan auf grünem Papier nicht statt“.
Aber gerade die Wirklichkeit realer Menschen beugt sich eben nicht Herrschaftsbeschlüssen unter Kriegsherren am „grünen Tisch“, weswegen sie immer wieder mit militärischer Macht den Beschlüssen untergeordnet werden muß – diese „Große Politik“ wird dann weltmännisch als „Friedensbewahrung“ oder „Friedenserzwingung“ verbrämt.
Auf dem Weg zur Staatsmacht: Bündnisgrüne Kriegspropaganda
Die bündnisgrünen VorturnerInnen sind sich – im Gegensatz zu Teilen der Basis – durchaus darüber im klaren, daß die Regierungsbeteiligung nur um den Preis der Kriegsbefürwortung zu haben ist. Wenn die Vorstandssprecherin Gunda Röstel nach der Abstimmungsniederlage das Votum als „Steilvorlage für den politischen Gegner“ (FR, 9.3.98) bezeichnet, so kommt darin die Angst vor der mangelnden Unterwerfung der grünen Parteibasis unter die Logik von Staat und Krieg zum Ausdruck. Die Basis sei sich halt „der Brisanz der Abstimmung nicht bewußt gewesen“, so Gunda Röstel ganz in staatsfrauischer Manier. Die grüne Führungsclique übt sich in Herrschaftswissen, um endlich „nach oben auf(zu)steigen, Große Politik formulieren und vielleicht sogar selbst gestalten“ (5) zu können.
Dabei hat sich die Partei schon lange von ihren pazifistischen Grundsätzen der Gründungszeit verabschiedet – sofern es diese jemals gab. Hieß es noch im „Friedensmanifest“ der Grünen von 1981, daß „nicht die ‚Mächtigen‘ dieser Erde, nicht die gerissenen Politiker und nicht die eiskalten Strategen … Frieden schaffen (werden)“ und somit Frieden nur von „Millionen ‚Machtlosen‘, die vereinzelt ohnmächtig, gemeinsam jedoch unwiderstehlich“ (6) sind geschaffen werden kann, so ordneten sich die Grünen seitdem Schritt für Schritt der Logik der Staatsraison unter und ließen die „erste Wirklichkeit“ der Menschen und sozialer Bewegungen zugunsten des Erwerbs von Herrschaftswissen hinter sich.
Spätestens durch den Krieg in Ex-Jugoslawien ist die Abkehr der Bündnisgrünen von pazifistischen Positionen deutlich geworden. Dieser war aber nicht Anlaß dieser Hinwendung zur Logik der Staatsraison, sondern lediglich der Hintergrund, vor dem diese stattfand. Genauso wie er der Bundeswehr die Bühne bot, sich unter dem Mantel der humanitären Hilfe zur internationalen Eingreiftruppe zu mausern, bot er den grünen StaatspolitikerInnen endlich die Chance, lästig gewordenes Bewegungswissen aus den Gründungszeiten der Grünen durch Herrschaftswissen zu ersetzen. Schließlich geht es darum „unsere Verantwortung für Demokratie und Menschenrechte auch da an(zu)nehmen, wo dies mit unangenehmen und vielleicht riskanten Konsequenzen verbunden ist.“ (Hubert Kleinert) Hiermit soll der Pazifismus der Partei – der eigentlich schon immer im wesentlichen ein „Atompazifismus“ war – endgültig über Bord geworfen und die Partei – endlich – den Realitäten staatlicher Politik angepaßt werden.
Ganz ist dem die Basis in Magdeburg noch nicht gefolgt. Ganz ist das Denken der Staatsraison noch nicht an das bündnisgrüne „Parteivolk“ durchgesicket, auch wenn von radikalen Forderungen wie einer Abschaffung der Bundeswehr und eines „Raus aus der NATO“ schon lange nicht mehr die Rede sein kann. Und die bündnisgrünen StaatspolitikerInnen in spe übten sich denn auch nach ihrer Abstimmungsniederlage in parteiüblicher Rethorik und „Schadensbegrenzung“, schließlich ist ja die Abgeordneten nur ihrem (Staats- )Gewissen gegenüber verantwortlich und werden in Zukunft schon mehrheitlich für Krieg – pardon: Friedenserzwingung – stimmen, wozu sie in einem Antrag der hessischen Landesverbandes unverblümt aufgefordert werden (FR, 13.3.98).
Gegen diese Entwicklung parteiimmanent anargumentieren zu wollen, ist mindestens naiv. Denn diejenigen, die staatlich vermittelte Macht ausüben – oder sich darauf vorbereiten, wie der grüne Außenminister in spe Joschka Fischer – „folgen einer anderen Logik, haben andere Interessen, andere Bezugspunkte und Orientierungsrahmen; …“ (7). Von denjenigen, die die Herrschaft über die „organisierte Gewalttätigkeit“ namens Staat anstreben auch nur zu erwarten, sie könnten den Bezugsrahmen der Staatsvernunft hinter sich lassen, ignoriert die Wirkungsmächtigkeit staatlich-bürokratischer Institutionen. Von diesen kann man alles erwarten, nur keine „Friedenspolitik“, und damit sind die Bündnisgrünen in ihrer Entwicklung zur Regierungspartei zumindest konsequent.
(1) Ekkehart Krippendorff: Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft. Frankfurt/Main 1985
(2) Aron, Raymund: Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt. Frankfurt/Main 1963, zitiert nach Krippendorff, S. 55
(3) Paz, Octavio: Der menschenfreundliche Menschenfresser. Geschichte und Politik 1971-1980, Frankfurt/Main 1981, zitiert nach Krippendorff, S. 57
(4) Krippendorff, Staat und Krieg
(5) ebenda, S. 30
(6) Friedensmanifest der Grünen, verabschiedet in Offenbach auf der Bundesversammlung vom 2.- 4.10.1981
(7) Krippendorff, Staat und Krieg, S. 10